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Full text of "Der junge Menzel ein Problem der KunstÖkonomie deutschlands"

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HARVARD COLL£G£ 
LIBRARY 




nOM um BBQUBT OP 

CHARLES SUMNER 

CLAss or xSjo 
Sautor fiiom MatmkiHm 

fOKIOOKS ULATDIGTO 

launci amd ma »aca 



From die 

Fine Arts Library 

Fogg Art Museum 
Harvard University 



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"der junge 
MENZEL 






EIN PROBLEM DER KUNST- 
ÖKONOMIEDEÜTSCHLANDS 
VON JULIU^v^Mg/IER-GRiEFE 






INSEL-VERLAG ZU LEIPZIG 1906 







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GESCHRIEBEN IM SOMMER 



DER ILLUSTRATOR 



DER ANFANG 



JEDE Kunst ist bis zum gewissen Grade lUnstration» 
zumsd jede junge Kunst. Die Empfindungen des An* 
fangen drangen notwendig nach materieUen lUudtiben. 
Er besitzt noch nicht den ganzen Umfang der Sphäre, 
die seinem Spiele frommt, hat weder in seinem Publikum, 
noch im eigenen Herzen den Vorrat von Formen, auf den 
er anspielrä kann, und bedarf der Präzision, um ver- 
standen zu werden und sich selbst zu verstehen. Alle 
Erstlingswerke sind mitteilsam. Vor allem schaffen, sich 
äußern, mitreden. Eine Flut von Überflüssigkeit, von Bei- 
werk verdeckt das Eigentliche, ja dieses strömt rein un- 
absichtlich, zufällig in das Werk, dem Autor unbewußt, 
den Empfängern unkenntlich. Jeder Anfänger ist primitiv 
wie das Kind, das den Mond abzeichnet, wie der Beginn 
der Malerei vor 600 Jahren. Ein Gegenständliches soll 
in Farben und Linien gebracht werden. Es wird nicht 
daran gedacht, das Gegenständliche zu verschönern, 
sondern es überhaupt zunächst wahrnehmbar zu machen. 
Der Künstler lauscht auf die Welt, und was sie ihm sagt, 
ist ihm bei Beginn wichtiger, als die Tiefe seiner Wieder- 
gabe. Da ihm nichts anderes übrig bleibt, als aufrichtig 
zu sein, hilft er sich wie er kann mit seiner Empfindung, 
und diese Selbsthilfe gibt ihm, ohne daß er es ahnt, die 
erste Form, den Embryo der zukünftigen Künstlerschaft. 

Das ist der Werdegang der Modernen, die aus sich 
selbst heraus werden, ohne Schule, ohne die Unterstützung 
des Meisters. In den Zeiten der Tradition war es anders. 
Damals hatte der Jüngling nicht so sehr das Bestreben, 
sich selbst, als die Art des geliebten Vorbilds zu malen. 
Der Mdster war ihm die Welt, er illustrierte ihn und 
übte sich in Variationen nach dem Vorbild. Mit dem 
Fall der Tradition muSte notwendig das Verhältnis des 
Künstlers zur Welt intensiver werden. Er war genötigt, 



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D£R ILLUSTRATOR 



die Welt so eigentümlich wie möglicli zu erfassen, damit 
er nicht im Materiellen stecken blieb, mußte mehr Geist 
haben als vorher, wo der Kosmos der Überlieferung für 
ihn dachte, fand in sich selbst die Stütze für seine Formen. 

Menzel ist mehr Autodidakt als i^end einer seiner Zeät" 
genossen. Oer wahre SeH-made-man ist nur in einem 
kunstarmen Lande denkbar. Wir täuschen uns, viele Fran- 
zosen der Neuzeit so zu nennen. Sie sind allenfalls sub- 
jektiv in derselben Lage, und selbst das nicht einmaL 
Einen Realisten wie Courbet trieb der Instinkt zu 
edlen Vorbüdem, an deren Größe er sich ganz bewuBt 
stärkte. Er sah sie immerwährend vor sich.- Alle Fran- 
zosen fand von einer dichten Kunstatmosphäre umgeben 
und saugen die Tradition mit der Muttermilch ein. 

Viel Größeres fiel der persönlichen Leistung eines 
Menzel zu. Er kam aus einem verzweifelt dürren Milieu 
und brachte von Natur aus nichts mit, was ihm sofort 
eine moralische Überlegenheit über den Alltag seiner 
Umgebung geliefert hätte. Sein Äußeres bedrückte 
ihn vielleicht noch mehr als seine Armut. Er war 
jeder romantischen Ader, die aus Kontrasten den Mut 
zu Taten gewinnt, bar, Wohl genoß er die Fürsorge 
eines gebildeten Vaters und erwarb sich bei ihm ge- 
wisse techniscfie Kenntnisse, die seinen Lithographien 
zu statten kamen. Aber die Förderung des Künstlers 
war gering. Es ist nicht mal sicher, ob ihn nicht der 
Lithographenberuf schädigte, denn der Vater verfolgte 
mit seiner Steindruckerei ohne Glück rein kommerzielle 
Ziele. Jedenfalls geht die populäre Aiiegorik des jungen 
Menzel, die sich im Rahmen von Speisekarten -Ver- 
zierungen hält, auf das im elterlichen Hause Gelernte 
zurück und war Zeit seines Lebens der Wurm in seiner 
Kunst. Das Rankenwerk des Titelblatts zu „Künstlers 
Erdenwallen**, des „Vaterunser" und anderer Arbeiten 
der dreißiger Jahre verfolgt Menzel durch alle Epochen. 



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Dksü ANFANG 



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Es wechselt die Formen» aber bleibt vom selben Geist. 
Wir finden es in döi zahlreiclien Ehrendiplomen, 
Adressen usw., von denen das als bestes geschätzte Stück, 
das Gedenkblatt für die Firma Heckmann aus dem Jahre 
1869, noch alle Schrecken der Geschmacb Verderbnis offen- 
bart« wenn es auch nicht an die Ungeheuerlichkeiten des 
„Festes der weißen Rose** der vorhergehenden oder ge- 
wisser Phantasien der späteren Zeit heranreicht. Diese 
liithogrnphenornamentik,an der sich übrigens die Schwär- 
merei für Menzel am liebsten festsaugt, bildet an dem 
Typischen des Künstlers. Der Ernst eines starken Lehrers 
hätte ihn vor dieser Schattenseite ohne Zweifel bewahrt. 

Den Meister gab es nicht in Deutschland, und doch riß 
sich Menzel von der austrocknenden Atmosphäre seiner 
Jugend los. Der fördernde Eingriff, so wenig dramatisch 
er sich vollzog, ist ohne die Begegnimg mit einem starken 
Geiste schwer möglich. Es wäre sonst nicht einzusehen, 
warum die von Anfan? an ausgeprni^^te Vorliebe für das 
Kleinliche nicht den ganzen Alenzei in Beschlar^ nahm. Die 
Biographen melden nichts von solcher Begegnung, weil 
sie sich unter ungewöhnHchen Formen versteckte. Das 
Begebnis rührt von keinem Lebenden her, aber war gleich 
mächtig und entscheidend- Menzel fand es in der Auf- 
gabe, die seine Blicke auf die friderizianische Geschichte 
lenkte. Im Frühjahr 1839 brachte ihm Kugler den Auf- 
trag. Drei Jahre arbeitete Menzel daran, lernte und war 
Meister zugleich wie jeder große Künstler bei würdiger 
Arbeit, ward der Menzel, den wir mit Recht verehren. 

Alles, was ein anderer im Atelier des geliebten iVIeisters 
oder in der Tradition findet : die Schule, die seine Instinkte 
richtet, die Pflege seiner Anlagen, gewann Menzel durch die 
Zeit des großen Königs. Die Spuren Chodowieckis, Ra£- 
f ets nnd mancher En^nder in der lUnstration Menzels 
erklären nicht die Fülle des Schönen und am wenigsten 
die fast ohne Entwicklung fertige Meisterschaft. Viele 



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DER ILLUSTRATOR 



andere fingen mit Illustrationen an und worden große 
Künstler. Zeigten sie eine so blendende Begabung für die 
JUnstration, so blieben sie dabei. Wurden sie etwas an- 
deres, so erscheint die Illustration wie die Spielerei oder 
die Brotsache des Anfangs. Menzels Fall steht allein, 
und je naher man ihm kommt, desto merkwürdiger er- 
sdidnt er, weil das Schöne unbewußt entsteht und, 
ohne zur Erkenntnis des Autors zu gelangen und ihn zur 
größeren Spannung zu treiben, wieder verschwindet. 



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KÜNSTLER UND GESCHICHTSCHREIBER 



SCHON daß die Zeiclmungen zum Kugler keine Nuance 
von Archaismus sehen lassen, ist erstaunlich. Kuglers 
Geschichte erschien hundert Jahre nach Friedrichs Thron- 
besteigung. Die Pause war lang genug, um die Ideale 
eines jungen tatendurstigen Menschen mit dem Flor welt- 
ferner Reflexion zu umhüllen. Die Zeil \\ ar während der 
letzten Hälfte dieses Säkulums gründlich anders geworden 
und hatte das Bild des grolien Königs schnell verwischt oder 
zu einer populären Karikatur verzerrt. Menzel war nicht 
Berliner, stand also damals noch der engeren Szene seiner 
Geschichte fem. Das wahrscheinlidie war, entweder in 
einen persönlichen Enthusiasrnns aufzugehen, der das 
MaO verlor; oder, wenn der Formensinn übm^og, im Ba- 
rock zvL ertrinken. Nichts von beiden geschah. Beide 
Elemente, die Bewunderung für den Helden and der Re- 
spekt vor der geschichtlichen Szene» blieben vorhanden, 
aber rückten an die dnzig mögliche Stelle, wo sie der 
Kunst zu helfen vermochten. Sie wurden von dem Zeich- 
ner ihres sachlichen Werts, des moralischen und histo- 
rischen Faktums entkleidet, verloren ihre absolute Bedeu- 
tung, gingen in die Einheit der Form über und kamen 
erst durch die Kraft der Form in dem ausdeutenden Be- 
trachter wieder zum Vorschein. Die Sache scheint sehr ein- 
fach; ein Künstler konnte nicht anders verfahren. Aber 
das glückliche Resultat ist in diesem Fall, bei dieser 
Aufgabe, bei dieser Zeit und bei Menzel merkwürdig 
genug. Offenbar erleichterte ihm das Unbeteiligte, die 
relative Ferne Friedrichs des Großen, die naive Lösung, 
Doch sucht sich in unseren Tagen die erste Großtat eines 
Genies andere Wege. Wir sind zu gewohnt, den Künstler 
an den entscheidenden Stationen sdnes Daseins in der 
Nacktheit seines Willens kämpfen ZU sehen, als daß uns 
nicht jede Fessel an die Historie, sei sie auch noch so locker. 



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DER ILLUSTRATOR 



wie eine bedenkliche Hinderung der Eigenart erscheinen 
müßte. Menzel ist aber nie eipenartis-er gewesen. Allen- 
falls wäre die vollkommen freie Interpretation des Themas, 
der Verzicht auf jedes Eingehen auf die zu illustrierende 
Geschichte, verständlich, wobei dem Betrachter über- 
lassen bleiben konnte, aus vagen Beziehungen das allgemein 
Menschliche herauszulesen. Viele haben sich auf diese 
Art aus der Affäre gezogen. Menzel hielt sich, so lehrt 
wenigstens der Augenschein, an das Thema; seine Zeich- 
nungen passen nur zu der Geschichte Friedrichs des 
Großen. Sie erscheinen wie im Stil der Zeit und sind 
durchaus Stil des Kunstlers. Menzel ist kaum je freier 
gewesen. Er ging in eine abgesciilusscne Vergangenheit 
zurück, band sich an sie, um unabhängig zu werden. 

Freiheit, Eigenheit, Takt schmücken Menzels erste be- 
deutsame Schöpfung. Die Vereinigung ist so vollkommen 
und erfüllt so über jede gewohnte Erfüllung hinaus ihre 
Aufgabe, daß man zögert, ihn zu einer Kategorie zu 
redmen, die in unserer Schätzung niedriger als Malerei 
und Plastik figuriert. Und doch läBt die Art der Voll- 
kommenheit, mit der Menzel das Kuglersche Werk 
ausstattete» zumal wenn man der Art der Unvollkommen- 
heit gedenkt, die andere Schöpfnngsgebiete trübt, seine 
überwiegende Begabung für das Buchgewerbe mit aller 
Deutlichkeit erkennen. £r war ein Illustrator idealer 
Art. Man kann das trotz der Menge der anderen Fruchte 
seiner Tätigkeit um so weniger übersehen, als der Illu- 
strator die ganze Entwicklung des Künstlers — und zwar 
nicht zu seinem Vorteil — auch dann noch bestimmte, 
als Menzel langst aufgehört hatte, sich mit Büchern 
zu beschäftigen. Er brachte eine Anlage mit wie etwa 
Guys; dieselbe unverfrorene Betrachtung, dasselbe Auto- 
didaktentum, nur durch den verschiedenen Kunstgrad 
der Rasse und das Temperament verschieden. Menzel 
war systematischer. Er vermochte sich an die vom 



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KÜNSTLER UND GESCHICHTSCHREIBER 



Text freigelassene Stelle weißes Papier zu halten, war 
Ueiner an Gepräge. Guys malte selbst in winzigstem 
Format. Menzel, obwohl mit vielen Gaben des Malers 
ausgestattet, zeichnete selbst in der relativ größten Fläche; 
zeichnete für den Holzschneider, trug auch diese Fessd 
leicht; ja, die durch den Holzschnitt bedingte Struktur 
erleichterte ihm die Aneignung der Handschrift. Der 
Naturalismus, Menzels schlimmstes Laster, wurde dadurch 
geregelt und zur Tugend. Denn um die Zeichnungen 
selbst im kleinsten Umfang sichtbar zu halten, war eine 
starke Reduktion der Vorgänge auf charakteristische Striche 
nötig, und hier half ihm sein starkes Gefühl für Natur, 
seine instinktive Ehrlichkeit, daß die Striche der Erschei- 
nung, nicht der Phrase, dienten. Das Kindliche, das alle 
erste Kunst beflügelt, ist für den ganzen jungen Menzel 
charakteristisch und trägt im Kurier eine, fast möchte 
man sa^en, keusche Anmut. Die Anmut eines ernsthaften 
Naiven, der sich nichts merken läßt. Die Bilder strömen 
mit Leichtigkeit. Man hat nie das Gefühl des Müh- 
seligen, das später der Meisterlichkeit beigemischt ist. 
Nichts Hergesuchtes, Erklügeltes stört den Eindruck. Die 
Allegorie, Menzels zweites Laster, bleibt auf Kleinigkeiten 
beschränkt. Kr las das Buch in Bildern, und es fiel ihm 
nicht ein, die Bilder nach dem Willen des Geschiciit- 
schreibers zu wählen. £r dichtete m seiner eigenen 
Kunst fröhlich darauf los, erfand, benützte den Text 
als Rahmen, nicht umgekehrt. Er sah einen Friedrich, 
Kugler einen anderen. Nur das grob Geschichtliche 
verband die beiden Arbeiter» nicht dieselbe Empfindung 
Die Lust am historischen Detail, Menzels drittes Laster, 
halt sich innerhalb der Erfindung, und darauf beruht das 
nvichtigste der werttragenden Momente. Die Historie 
blttbt Märchen. Man glaubt dem Illustrator nicht auf 
Grund der geschichtlichen Treue, sondern auf Grund 
seiner Empfindung. Die Frage, ob Friedrich der Große so 



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DER ILLUSHTRATOR 



war, meldet sich überhaupt nicht; so sicher wissen, sehen, 
empfinden wir, daß dieser von Menzel gezeichnete Fried- 
rich so gewesen sein muß. Menzel malt eine Welt, in der 
sich alles mögliche organisch findet, auch Friedrich der 
Große; und weil die Welt glaubhaft ist, glaubt man an den 
Helden. Es ist die Art aller echten Kunst. So machte 
es Hogarth. Genau so malte Guys alles mögliche des 
zweiten Kaiserreichs, und es fehlt nur das Buch, das der 
Kaiserin Eugenie oder einer anderen Persönlichkeit ge- 
widmet sein könnte, man würde die Heldin ebenso wahr- 
scheinlich finden, weil die Pferde und Wagen, die Lakaien 
und alle anderen Dinge glaubhaft sind. Weil ein Typ 
im ganzen steckt, ein Lebensnerv, eine festbegrundete 
Anschauung. Diese Anschauung ist von der, die der 
Geschichtschreiber zur Geltung bringen muß, grund- 
verschieden, ja entgegengesetzter Art. Da wollen wir 
Gedanken, und wenn das, was den Maler reizt, dazwischen 
käme, würden wir den Schreiber einen dummen Gecken 
schimpfen. Vom Künstler wollen wir Gesehenes. Je 
glucklicher er seine Lust ins Äußerliche bannt, um so 
gelungener seine Illustration. Wenn er sich nicht selbst 
illustriert, ist das Buch nichts nutze. Daher muß liier, 
selbst wenn der grüße König noch größer wäre, scmc Ge- 
stalt ohne Nimbus erscheinen. Jede Pose auf Grund des 
Gedanklichen würde schlechtes Theater werden, da uns in 
der bildenden Kunst die Voraussetzungen für das rein 
gedankliche Verständnis fehlen. Wir Mren mcht die 
Worte^ die dieser oder jener Held auf diesem oder jenem 
GescMchtsbild sagt, können de nicht hören, müßten sie 
aber um so mehr hören, je mehr die Situation auf den 
dnen Augenblick anspielt. Daher die Schwäche der be- 
kannten Gattung. Menzel machte es anders. Friedrich 
bewegt sich als Kind, als Kronprinz, als König unter 
anderen Menschen und Dingen, teilt mit ihnen das orga** 
nische Leben des Bildes und erscheint infolge einer sehr 



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KÜNSTLER UND GESCHICHTSCHREIBER ii 



natürlichen, von uns ansgehenden Übertragung unseres 
Eindrucks vor allem als Mensch unter Menschen. So 
wird die Geschichte groß. Man ahnt etwas von der 
Differenziertheit der Geschicke und empfängt eine Vor- 
stellung des Niveaus, auf dem sich das Heldenhafte erhebt. 
Ist nun in uns der sachliche Begriff des Heldentums durch 
das Wissen von der Geschichte Friedrichs vorbereitet, so 
ergießt sich die Fülle der Bilder des Künstlers in die geistige 
Auffassung hinein, erhöht sie, erweitert und bereichert sie, 
läßt mehr Organe an der Erfassung teilnehmen. So macht 
uns die Kunst auf einem Umweg über das der Historie 
durchaus Abgewandte bildliche Schöne auch begeisterterfür 
die Geschichte. Es ist etwas Ähnliches, wie die Vcrgrösse- 
rung der Zuneigung durch den gemeinsamen Genuß mit 
einem geliebten Menschen, ohnt- daß die Liebe die Selbstän- 
digkeit jenes Genusses auf liebt und als Ursache genommen 
werden kann. Wir projizieren unbewußt die Erhebung des 
einen Gefühls auf das andere und werden im ganzen reicher. 

Menzel liebte, als er den Kugler machte. Er liebte 
seine Aufgabe mehr als seine Helden, deshalb gelang 
Friedrich so liebenswert. Die Objektivität, die man an 
ihm gerühmt hat, ist nicht die Mutter dieses Werkes, 
eher das Gegenteil. Menzel war damals so subjektiv, daß 
er durcliaus nicht vermüchtc, seine Empfindung zu einer 
heldenhaften Pose zu personifizieren. Er personifizierte 
sich selbst in seiner Kunst, zeigte alle Seiten seines Wesens 
in einer Bilderreihe, die von Friedrich dem Großen 
handelt. Er war vielleicht durch ganz andere Dinge 
als die friderizianische Zeit begeistert, war überhaupt 
begeistert» in jenem für die Schöpfung unentbehrlichen 
Pnbertatszustand; in dem sich alles, was der Künstler 
in die Hand nimmt, in Schönheit verwandelt. Er trieb 
seine Begeisterung in die vorliegende Aufgabe hinein, wurde 
hellseherisch für alles Sichtbare der Begebenheiten; nicht 
etwa, weil die Geschichte so war, sondern weil er so war. 



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DER ILLUSTRATOR 



Die Gldchzeitigkdt höchst verschiedener Gestaltangs- 
arten des frühen Menzels und deren Gleichwertigkeit 
wäre ohne die Annahme des subjektiven Menschen nicht 
zu verstehen, und man begriffe ohne sie nicht die Wand- 
lungen der folgenden Zeit. Menzels ganze Entwicklung 
ist die vom Subjektiven zum Objektiven und mußte 
bergab führen, weil jede Erhöhung der Potenz des Künst- 
lers notwendig immer nur in der Erhöhung, Verbreite- 
rung und Reinigung seiner Subjektivität bestehen kann. 

In der Geschichte Kuglers trägt uns Menzels Über- 
zeugungskraft über alle Mängel hinüber. Die Zeichnungen 
wimmeln von Ungeschicklichkeiten. Die Konspiration der 
Kinder mit der königlichen Mutter-^) kann nicht primi- 
tiver gegeben werden. Die Gesichter sind mit em paar 
ganz knabenhaften Strichen gemacht — namentlich die 
Königin kommt schlecht dabei weg — aber die Figuren 
sind so schlagend gestellt, daß sich deutlich der Reflex 
der Vorstellung im Geiste des Zeichners widerspiegelt 
und uns dahin bringt, das Ungelenke für notwendig zu 
halten. Etwas ähnlich Primitives steckt in der Darstellung 
der Geste, mit der die Schwester den Prinzen bittet, von 
seiner Fluciii abzustehen^, und in der trotzigen Knaben- 
energie, mit der Friedrich sie anhört. Um keinen Preis 
möchte man hier das kaum angedeutete Interieur ver- 
missen. Das bißchen Tapete, der Stuhl, die Kommode 
zeichnen eine ganze Welt, ohne die der Episode das 
WesentEchste genommen würde. Was ich oben von der 
Mitwirkung des Nebensächlichen sagte, findet hier eine 
der vielen Bestätigungen. Man könnte behaupten, daß 
die Gedanken der beiden jungen Leute von der Kom- 
mode erzählt werden, so ungemein intim gibt sich der 
Zusammenhang zu erkennen. Da es sich um ein höchst 
harmloses Möbel handelt, kann ihm keine S)rmbdik die 

Kugler S. 39. Ich sltiere immer die erste Ausgabe voa 1840. 
*) Kv^er S. 57. 



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f 



KÜNSTLER UND GESCHICHTSCHREIBER 13 

Bedeutung verleihen, sondern nur ein reines, genial er- 
faßtes RunstmitteL Es ist eine bildhafte Konstruktion, 
die sich auf natürlichste Weise des Satzspiegels als idealen 
Rahmens bedient, oder die durch den Satz freigelassene 
Fläche mit sicherem Geschmack modifiziert und diesen 
Raum wie ein Baumeister schmückt. In dem Spaziergang 
Friedrichs und Voltaires vor den Kolonnaden von Sanssouci 
gibt das Verhältnis der Säulen zu den beiden Figuren und 
das schräge Gitter, das die Figuren gleichsam begleitet, die 
wesentliche Basis der Wirkung.^) In dem Arbeitszimmer 
machen die starken Vertikalen erst das köstliche Ranken- 
werk und die Silhouette des Tischs mit dem König mög- 
lich und geben diesem Flligran-Porträt den Reiz.^ Die- 
selbe Wirkung ist in der Tafelrunde^ zu größtem Reichtum 
ausgebaut. Nur scheinbar entsteht aus den amüsanten 
Physiognomien der tafelnden Herren das Anziehende des 
Blattes, während alles andere dem Laien als Beiwerk, 
fast entbehrlich erscheint. In Wirklichkeit ist es umge- 
kehrt. Die geistreichste Tafelrunde vermag uns durch das, 
was ihren Geist in Wirklichkeit ausmacht, im Bilde nicht 
zu fesseln. Hier tritt an Stelle des Esprits der Darge- 
stellten der Esprit des Künstlers, für den der Ausdruck der 
Gesichter nur ein Detail unter anderen ist. Ein räum- 
liches, nicht psychologisches Detail. In unserem Fall ist 
es eme Ranke aus Gesichtern und Perücken. Die Gesichter 
lächeln genau so, wie der Kopfputz. Hier wie dort 
krümmt sich die Linie zu denselben Schnörkeln, die 
die untere Leiste des Blattes zusammensetzen. Darüber 
heben sich die geradlinigen schwarzen Flächen zwischen 
den Säulen, und auf die Säulen lagert sich als korrespon- 
dierende, obere Leiste, die wiederum aus gewellten 
Linien zusammengesetzte Corniche des Plaionds. Auch 

>) Kogler S. 277. 
S) Kugler S. 262. 
») Kugler S. 273. 



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DER ILLUSTRATOR 



diese obere Leiste lächelt in ihrer Art wie die Gesichter 
an der Tafel. Nur lächelt sie keinen Geist, sondern 
Lichter. Der Vergleich dieser Wirkung mit dem unteren 
Stück zeigt, daß auch hier die krausen Linien nur einem 
Spiel von Lichtern dienen, über das uns die natürliche 
Deutung hinwegtäuscht. So erscheint das Blatt schließ- 
lich als eine solche Kombination von Licht und Sc]i:uten, 
daß der Fläche die denkbar anmutigste Belebung erteilt 
wird. Ohne das groüe Schwarz, das aus den geöffneten 
Flügeltüren hereinströmt, wäre das Heile nicht schön. Das 
Farbige wird durch den Gegensatz erst bemerkbar — nicht 
als Mantel für den Gegenstand — und der Gegensatz wird 
schön durch die unendliche Mannigfaltigkeit seiner Arten. 
Aus der Druckerschwärze gewinnt Menzel eine ganze Pa- 
lette, die vom hellsten Weiß zum dunkeisten Schwarz geht 
und dazwischen alle möglichen Töne besitzt. Die Nuancen 
entstehen durch die engeren oder weiteren Striche, durch 
die Quadrierung, die Kombination von Wellenlinien, von 
Graden usw. Da dieses Schwarz-Weiß-STStem die Natur 
wiedergibt, oder besser weil das Natürliche des Kosmos» 
in dem wir leben, liier mit Vollkommenheit in den gleich 
organischen Kosmos eines individuellen Linien- und 
Farben-Systems übertragen ist» wo alles Sichtbare zur 
größeren Widning gelangt, weckt es die ästhetische Freude 
durchs Auge, und diese wendet wiederum, wie wir schon 
oben sahen, ihren Impuls auf unsere Erfahmngskräfte 
an und läßt uns schließlich das Bild zur Historie werden. 
Hält man diese Entstehungsgeschichte des Genusses fest, 
so folgt daraus die Notwendigkeit des Systems für jede 
Art bildlicher Darstellung. Was zuerst wirkt, ist logischer- 
weise nicht die Bedeutung, sondern das Zeichen, in 
unserem Falle die Kombination der beiden Leisten mit 
der großen mittleren Fläche. Die Zusammenstellung 
frappiert uns, beunruhigt uns und schafft den günstigen 
Boden für die weitere Wirbamkeit der Zeichnung. Sie 



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KÜNSTLER UND GESCHICHTSCHREIBER 15 



ist das von vornherein künstleniscJi gebaute Gerippe, das 
sich streng organisch mit allem Detailmrk bekleidet. 
Die Größe des Künstlers wird in der Stärke nnd dem 
Reichtum der Wirkungen beruhen, die er aus seinem 
Bau zu ziehen weiß. Ich nannte in meinem Buch über 
BöcUin das Material der Bauart Einheiten, deren Summe 
die Einheit ergibt, und bin gründlich mißverstanden 
worden, freilich am meisten von Leuten, denen nicht 
80 sehr der recht bescheidene Grad notwendiger In- 
telligenz als der gute Wille zum Verstehen fehlte. Es 
haben sich sogar ein paar Stimmen gefunden, die über- 
haupt an der Bedeutung der Einheit zweifeln, sich ein- 
bilden, ich hatte mir da ein Srstem eigens zurecht ge- 
macht, um diesen oder jenen abzutun. Das kommt mir so 
vor, als wenn man einem Mathematiker vorwürfe, die 
Mathematik erfunden zu haben, um einen neuen Lehr- 
satz zu beweisen. Zu viel der Ehre. Die Lehre von den 
Einheiten ist schlechterdings die ganze Kunst, und fried- 
liche Schreiber, die milde genug sind, mir allenfalls zu- 
zugeben, daß die Einheit wohl etwas ganz Schönes 
und Braves, aber nicht die Hauptsache sei, sagen damit 
nur, daß ihnen an der Kunst nicht die Kunst entscheidend 
erscheine. Das ist ja auch in der Tat so bei uns, wo 
man immer an alles mögliche andere eher denkt als ans 
Sachliche, aber es ist deshalb noch nicht gerechtfertigt. 

Menzels Schöpfung ist wie jedes Kunstwerk ein Beleg 
für die Lehre von den Einheiten ;md z;\ar im Positiven 
wie im Negativen, je nachdem er auf der Höhe seiner 
Kunst war oder nicht. Wir werden am Ende des Buches 
zu dem Resultat gelangen, daß genau das Entgegen- 
gesetzte dessen, das Menzels Größe bedingt, seinen Ver- 
fall hervorbringt; eine Tatsache» mit der wir rechnen 
müssen, weil sie da ist» die uns aber nicht die Freude 
an dem vielen Schönen der Schöpfung Menzels zu rauben 
braucht, das ebenfalls da ist und bleiben wird. Man 



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DER ILLUSTRATOR 



kann selbst die Nuancen der Wertung nach seinem 
Verhältnis zu der unumstößlichen Lehre genau be- 
stimmen. Verlassen wir einen Augenblick den Kugler, 
um mit dem eben betrachteten Blatt der Tafelrunde das 
spätere Ölgemälde gleichen Vorwurfs in der National- 
galerie zu vergleichen, eins seiner beliebtesten Bilder. 
Worin liegt der Unterschied? Aus der unteren Leiste 
des Holzschnitts mit den lächelnden Köpfen sind hier 
ganze Figuren geworden. Wir sehen jede einzelne Person 
deutlicher, zumal die an den Seiten Sitzenden, die vor- 
her durch den Rand des Blattes abgeschnitten wurden. 
Jetzt ist Raum um die Tafelrunde. Sie steht durchaus 
als Zentrum im Bilde, das alle Details des behaglichen 
Rundsaales sehen läßt. Die Kronleuchter, die vorher nur 
von ein paar Reflexen der Lichter angedeutet wurden, 
sind jetzt genau als die schönen Modelle von Sans- 
souci kenntlich. Kostüm und Mobiliar wurden ver- 
vollständigt. Die Diener hantieren geschäftig hinter 
den Gästen. Durch die geöffneten Flügeltüren sieht 
der Tag hinein. So scheint alles ausgedehnter und ge- 
nauer, und so ist es auch mit der Stimmung, die am 
Tische herrscht. Die Gesprnche sind lauter, nicht nur 
weil sich die Zahl der Tafelnden vermehrt hat. Die 
Blicke hängen an den Lippen Voltaires, der soeben 
etwas sehr Interessantes zum besten gibt. Sein Gegen- 
über, Graf Algarotti, beugt sich weit vor, um besser 
zu hören. Die anderen, auch der König spiegeln alle 
Nuancen der Aufmerksamkeit. Wem es auf die Illusion 
der Wirkhchkeit ankommt, wird nicht zögern, das (Ge- 
mälde dem Holzschnitt vorzuziehen. Alan erfahrt hier 
mehr von dem Leben am Hofe Friedrichs oder glaubt 
wenigstens mehr zu erfahren ; alles trägt das Gepräge un- 
mittelbarer Tatsachlichkeit. Aber es wird manchem Nach- 
denklichen hier gehen wie dem Schaulustigen, der von 
weitem groBe Herrschaften mitdnander reden sieht, ohne 



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KÜNSTLER UND GESCHICHTSCHREIBER 17 



zu hörea. Wenn man nur wüßte, sagt er sich, was 
Voltaire gerade erzählt, oder was der behagliche Mon* 
sieur de la Mettrie dem Marquis d'Aigens zu sagen 
hat, oder über was auf der anderen Seite die beiden 
jovialen Herren plaudern. Dies Bedürfnis wird immer 
stärker, je länger man sich bemüht, in das Innere des 
Bildes zu dringen, und wird natürlich immer weniger 
befriedigt. Wenigstens, meint man, sieht man einmal 
das Lokal, wie es wirklich war. Aber selbst diese be- 
scheidene Zuversicht wird nicht beunruhigender Emp- 
findungen Herr. Man lernt, daß der Kronleuchter 
so war, aber erschöpft nicht die Wissenschaft. Man 
möchte vielleicht das Original daneben haben, um zu 
kontrollieren, oder nimmt sich vor, bei dem nächsten 
Besuch von Sanssouci darauf und auf manches andere 
zu achten. Menzel erweckt nicht gerade den Zweifel, 
sondern seine Darstellung treibt den Betrachter zu irgend 
einer Tätigkeit. Alle diese Tätigkeiten aber, grundver- 
schieden von den innerlichen, die aus großen Kunst- 
werken entfacht werden, entfernen den Betrachter von 
Menzel, anstatt ihn mit Menzel zu vereinen. Man hat 
nach gründlicher Betrachtung kaum noch Sehnsucht nach 
dem Bikl^ mächte viel lieber Sanssouci selbst wiedersehen» 
oder ein Buch über Friedrich lesen, oder dies und jenes 
tun» was mit dem Gegenstande in Verbindung steht. 

Damit soll nicht gesagt werden, daß dem Bilde jede 
Organisation fehlte. Es hat sogar eine Art von Zu- 
sammenhang, die dem Holzschnitt abgeht, oder wenig- 
stens dem Betrachter nicht so stark auffallt. Nur be- 
glückt dieser Zusammenhang nicht, weil er sich im 
wesentlichen auf Dinge bezieht, die wir sekundär nennen 
können, insofern, als sie erst durch die vollkommene 
Lösung mittelbar in Erscheinimg treten dürften. Vor- 
zeitig erfaßt, stellt diese Art von Zusammenhang die 
Lösung in Frage. In simplen Worteii: Das Gemälde ist 



18 



DER ILLUSTRATOR 



mehr Genrebild in dem hinlänglich bekannten Sinne als 
der Holzschnitt. Der Kunstlose wird sagen: in dem 
Holzschnitt ist Abend» im Gemälde Tag; das eine ist 
gezeichnet, das andere gemalt. Oder er wird den Unter- 
'schied auf die GrößenTerhältnisse schieben. Das bedeutet 
so viel, als wollte man die inteUektuelle Überlegenheit 
eines Menschen über einen anderen aus dem Vergleich 
der Haarfarbe oder der Körpergröße folgern. Das eine 
ist mehr Kunst als das andere. Das Gemälde enthält 
alles mögliche, was dem Holzschnitt fehlt, aber hat da? 
eine nicht, das vor allem da sein muß und im vollen 
Umfang nur da sein kann, wenn der Künstler alle seine 
Kräfte darauf richtet: das System, das die Erscheinung 
trägt. Die Verminderung des Kunstwertes liegt nicht 
einzig an dem Ausschnitt des Gemäldes, nicht darin, daß 
im Ölbild die Verhältnisse ganz anderer Art sind als auf 
dem Holzschnitt, daß das Format dort nicht so glückte 
wie hier, daß die Figuren anders sitzen und die Wände 
anders gegeben sind. Aber sie liegt in allen diesen 
Dingen zusammengenommen. Jede Einzelheit könnte so 
sein wie auf dem Gemälde, und doch wäre es dem Holz- 
schnitt ebenbürtig, ja vielleicht überlegen. Die schwächere 
Totalität dieser Einzelheiten zieht den Wert herunter, 
denn sie vollbringt nicht den rein ornamentalen Reiz 
des Holzschnitts. Ihn nannten wir das Lächeln der 
Dinge, bevor sie Bedeutung annehmen. In dem Ge- 
mälde Menzels bedeuten die Dinge nur, aber sie haben 
das Lächeln vergessen. Sie lachen. Das Stimmungs- 
mäßige im psychologischen Sinne ist im Ölgemälde 
Stärker, aber es vermag trotz seiner Stärke nie den un- 
abwendbaren Werdegang des Genusses umzndrehoi und 
ebenso schön im ästhetisdien Sinne zu weiden, wie es 
für die Angen kanstloser Neugier wirksam ist. Wir 
fühlen nicht den aufiergedanUichen, rein sinnlichen 
Impuls. Wir denken, bevor der Sinn von dem Schauen 



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KÜNSTLER UND GESCHICHTSCHREIBER 19 



berührt wurde. VieUdcht macht die Analogie den Zn- 
sammenhang deutlich, daß kein Nerv nach dem Gehirn 
melden und den Gedanken entfesseln kann, bevor er 
nicht durch eine Erschütterung an der OboÜäche zur 
Meldung aufgefordert wurde. Die Erzeugung der £r- 
sdhütterung unserer dem Schönen zugekehrten Organe 
durch Gedanken ist eins der Mittel der Poesie. In 
der Malerei wird der Gedanke zum toten Buchstaben, 
der nie zur Leitung dienen kann, weil er nichts vom 
Wesen der Kumt enthält, sozusagen keine Angn{£ipunkte 
besitzt. Ihn trotzdem zur ersten Erschütterung benutzen, 
heißt also einen Umweg über Hieroglyphen nehmen, die 
den Sinn der Kunstwirkung nur aufzuhalten vermögen. 

Eine Farbigkeit auf mannigfache Art, durch Verhält- 
nisse von Linien und Flächen gewonnen, fanden wir 
in dem Holzschnitt der Tafelrunde. Sie wird in dem 
Gemälde vermißt. Hier machen die Farben im wesent- 
liehen nur den Gegenstand, den sie schmücken, deut- 
lich; malen nicht das Gemälde, sondern die historische 
Tafelrunde, malen mindestens ganz unvergleichlich ge- 
ringer als die ungemein sparsame Palette des Holzschnitts. 
Sie müßten von Rechts wegen viel mehr vollbringen als 
das Schwarz - Weiß des Blattes, infolge des f?rößeren 
natürlichen Reichtums der materiellen Bedingungen, unter 
denen der Ersatz der kleinen vom Handwerker nachge- 
bildeten Striche durch die höchst persönliche Struktur des 
Pinseis allein eine Welt bedeutet. Da tatsächlich im 
Gemälde weniger erreicht wird, steht es unendlich tiefer. 
Menzel hat 1878, also fast dreißig Jahre später, das- 
selbe Motiv nochmals für den Holzschnitt gezeichnet 
und damit den besten Beweis geliefert, daß nicht etwa, 
wie mancher Laie glauben konnte, die „Technik" seine 
Mängel bestimmte. Da- Blatt entfernt sich am weitesten 
von dem ersten Holzschnitt and steht noch weit unter 
dem Gemälde. Alle Schwächen des Bildes, die Betonung 



20 



DER ILLUSTRATOR 



des Witzes auf Kosten des Ensemble, sind vergrößert. 
Auch Mer wurde er nicht mit den ganzen Figoren fertig 
und verlor den Sinn fiir schöne Verhältnisse, der die Tafel- 
runde und viele andere Blätter im Rugler auszeichnet. 

Dieser Sinn bringt es im Kugler zuweilen zu er- 
schütternden Wirkungen. Ich kenne nichts Ergreifen- 
deres als den alten kranken König im Sessel vor der 
Schlofirampe^). Und doch wird hier nichts von seinem 
Alter, noch von seinem Kranksein erzählt. Nur der Sinn 
für Verhältnisse vollbringt die Mitteilung. Die Säulen 
sprechen. Nichts als das Aufstrebende der großen Masse 
des Schlosses, das die wenigen anderen Dinge — mit 
ihnen die winzige Gestalt auf dem Sessel — weit überragt, 
ruft den Eindruck hervor. Die Historie tritt ganz zurück. 
Man erkennt den König kaum, schließt allenfalls aus 
seinem Kostüm, nus dem Dreispitz, aus wer weiß was 
für versteckten Kleinigkeiten. Es ist aber auch ganz 
gleichgültig, ob die Figur den König darstellt oder einen 
anderen. Vielleicht brauchte es nicht einmal ein Mensch 
zu sein. Ein Etwas auf dem Sessel hätte möglicherweise 
genügt. Ebenso wichtig jedenfalls als die paar den König 
darstellenden Linien, ist die Neigung des Weges nach dem 
kleinen Häuschen im Hintergrund zu und die zierliche 
Plastik mit der Laterne. Ja, mir scheint, der runde 
Deckel auf dieser I-atcrne ist bedeutsamer, als der Kopf 
des Königs, denn er befestigt ein Verhältnis der Höhen- 
maße, das den Bau entscheidet. Und noch nötiger als 
alles Einzelne ist das Nichts, die große, weiße Fläche, auf 
der sich die Fassade erhebt. Aus diesem Gegensatz 
entsteht in jedem Betrachter, auch in dem, der nichts 
von der Geschichte wüßte, das Gefühl der Einsamkeit, 
die Verlassenheit, die lediglich von einem isolierten Etwas, 
dem Sessel mit dem Menschen darauf, unterbrochen 
wird. Der Sessel allein modifiziert die Vertikale und 

^} Kugln S. 615. Hier abgebüdet. 



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KmSTLER UND GESCHICHTSCHREIBER 21 



schafft auf der scmst kahlen Erde eine gekrümmte Arabeske. 

Er steht genau da, wo die Unterbrechung so wirksam wie 
möglich wird, ohne im mindesten die Vertikale zu schwä- 
chen, und hat die dunkelste Farbe. Erkennt man nun 
in der stark gekrümmten Gestalt den greisen König, 80 
strömt in den nur durch der Verhältnisse Spiel gewcmnenen 
Rhythmus alle Macht der Deutung hinein, und nun sehen 
wir das Etwas auf dem Stuhl nicht mehr allein vor einer 
Schloßfassade, sondern ahnen die Einsamkeit des großen 
Friedrich im Alter seines Daseins. So wird also nicht 
die Kunst zum Illustrator, sondern bleibt eine un- 
abhängige Erscheinung. Vielmehr illustriert unsere Deu- 
tung die Kunst. Auch wenn die passende Deutung 
fehlte, bliebe die Kunst als eigener Wert bestehen. Denn 
wenn nicht die Deutung mit Friedrich einträte, so käme 
eine andere aus dem reichen Besitz, dessen wir uns bedienen, 
um irgend ein vollkommenes Werk in Gedanken zu fassen. 

Untersuchen wir näher, wie Menzel sich hier zu 
seinem Autor verhielt. Der Text besagt, daß Friedrich in 
seinem letzten Lebensjahre auf die grüne Treppe vor 
dem Potsdamer Schloß einen Stuhl bringen ließ und sich 
dort ausruhte. Einst bemerkte er, daß die beiden Grena- 
diere, die an jener Treppe Schildwache standen, das Ge- 
wehr scharf bei Fuß behielten, während er sich der Ruhe 
überließ. Er winkte einen von ihnen zu sich heran und s igte 
mit gütigem Tone: „Geht ihr nur immer auf und nieder. 
Ihr könnt nicht so lange stehen, als ich hier sitzen kann."^) 

Die schlichte Form dieser Episode verfehlt im Texte 
nicht die Wirkung. Anekdoten großer Männer sind zu- 
lässig, soweit sie der Lebensgeschickte dienen und auf 
weitere, weaendiche Kompleze des Themas 2delen. Der 
Schreiber hatte recht, die Ueine Begebenheit nicht zu 
verschweigen. Man erkennt den alten Philosophen darin 
wieder, der sich zufrieden gab, nachdem er die Welt mit 

Kagler S. 614. 



21 



DER ILLUSTRATOR 



8emen Taten aufgewühlt und neugeformt Hatte, als ein- 
samster Mann in seinem Lande zu sterben. Die Harm- 
losigkeit der Form verstärkt die Darstellung. Zu ihr ge- 
hörten unbedingt die einfachen Worte Friedrich» zu 
dem Grenadier. Sie sprechen deutlicher als jede aus- 
schmückende Reflexion des Autors und lassen ganz im ge- 
fühlsmäßigen erklingen, was wir mit dem Gedanken erfassen. 

Ein schlechter Illustrator hätte sich desselben Mittels 
bedient, statt ein neues zu erfinden, und gleichfalls 
den König im Gespräch mit dem Grenadier gezeigt, ohne 
zu bedenken, daß er auf diese Weise das Rätsel aufgab: 
was wohl seine sprechende Geste besagen wollte. Ein un- 
lösbares Rätsel, solange der Leser nicht auf den Gedanken 
kam, den Text heranzuzic hen. Alle schlechte Historien- 
kunst macht es so. Sie malt Bilderrätsel, die keinen Kunst- 
freund interessieren und nur durch den Appell an das 
historisclie W issen oder den Patriotismus eine scheinbare 
Lösung finden. Sobald das Wissen oder der Patriotismus 
also aufhören, hört die Kunst auf, selbst wenn wir an- 
nehmen wollten, daß sie dagewesen wäre. Sobald die Er- 
innerung an den gedanklichen Sinn der Legende ver- 
schwindet, entweicht die Wirkung der Zeichen. Solche 
Illustration ist also Eintagsfliege, weil von keineswegs sta- 
bilen Voraussetzungen abhängig; überflüssig, weil sie nur 
nachzubeten versucht, ohne das Organ für die Art zu 
besitzen. IMcnzcl dagegen sieht von der Episode ab. Er 
gibt, was die Kunst kann, das Resultat der Episode, den 
sichtbaren Sinn der Worte: Ihr könnt nicht so lange 
stehen, als ich hier sitzen kann. Dieser Sinn verschluckt in 
unserer Empfindung den gleichgültigen Grenadier und alles 
andere Überflüssige und stellt sich gleich groß im Bilde 
wie im Texte dar. Und so erweist sich die Fähigkeit der 
Kunst, dasselbe Endresultat zu erreichen wie die Sprache, 
sobald sie sich ihrer eigenen Mittel ebensogut bedient. 



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DAS UNHISTORISCHE MENZELS 



DIE Elemente aller Probleme der Kunst-Ästhetik wer- 
den erkannt, sobald man die einfache Entscheidung 
ZQ treffen weiß, ob die Kunst geben soll, was sie kraft 
ihrer Gesetzmäßigkeit kann oder was der Künstler zufällig 
weiB und kraft seiner Willkür geben möchte. Auch das 
vorliegende Problem steckt in dieser einfachen Erkennt- 
nis. Menzel ist sich offenbar nie im vollen Umfange der 
Gefahr bewußt gewesen, die seine Laufbahn vom Anfang 
bis zum Ende bedrohte, weder als er ihr, zuweilen in der 
Jugend, siegreich widerstand, noch da er ihr unterlag. 

Wir haben bisher nur wenige Blätter aus dem Kugler 
untersucht und in allen dieselbe sichere Unabhängigkeit 
des Künstlers gefunden, die gleiche Weisheit, die sich 
auf die Mittel der gewählten Kunst beschränkt und selbst 
da jede Verschleierung des natürlichen Wirkungsfeldes 
ablehnt, wo der Text große Versuchungen enthält. Der 
Widerstand gegen die Lockung, dem Prestige des Helden 
3tu opfern, so große Anerkennung man einem jungen 
Menschen in Menzels Verhältnissen dafür spenden mag, 
verliert neben dem Sieg über die viel verwickeiteren, 
internen Zumutungen der Aufgabe seine Bedeutung. 
Wr begreifen, daß ein so reiner Instinkt der groben 
Bestechlichkeit durch die Popularitätssucht nicht zugäng- 
lich sein konnte. Die gleiche schöpferische Kraft tritt 
in vielen anderen, fast in allen Holzsdinitten des schönen 
Werkes hervor, und fürchtete ich nicht, den Leser zu 
ermüden, so würde ich noch vielerld Variationen ge- 
lungener Lösungen zeigen. Ich begnüge mich auf das 
Schema zu verweisen, dsM schon aus den wenigen Beispielen 
hervorgeht. Es stellt den Triumph des Künstleis über 
den Ifistoriker, die Reinheit seiner Ästhetik aufier Frage. 

Diese Tatsache läßt die Vorstellung, da6 Menzel ganz 
unbewußt schuf, das heißt, nicht die hier angedeuteten 



H 



DER nXUSTRATOR 



elementaren Erkenntnisse besaß, schlechterdings phan- 
tastisch erscheinen, und doch werden wir fast zu solcher 
Annahme gezwungen. Ich verstehe unter der Bewußt- 
heit eines Künstlers hier die o;anz normale Einsicht in 
die primitiven Wirkung^faktoren, nicht etwa das virtuose 
Ausdeutungsvermögen vieler Meister oder gar die Fähig- 
keitwissenschaftlicher Formuherung, die manchen und zu- 
mal den größten Kunstlern gegeben war, denen wir nicht 
nur unsterbliche Werke, sondern unsterbliche Gedanken 
über ihre und anderer Meister Werke verdanken. Der 
normale Grad dieses Bewußtseins muß Menzel anfangs 
versagt gewesen sein, soweit man seine gleichzeitigen Äuße- 
rungen über die Illustration Kuglers ernst nehmen will. 
Der Mangel darf selbstverständlich nicht um Nuancen 
unsere Schätzung des Werkes beeinflussen. Die Erkenntnis 
bringt uns aber den Menschen Menzel näher und hndet 
mildernde Umstände für die nicht einwandfreien Seiten 
des Künstlers, mit denen wir zu rechnen haben werden. 

Der un^tbehrliche Dnafismos von Zeichner und Hi- 
storiker war Menzel durchaus nicht klar. Wie sehr er 
sich schon damals, als er die Geschichte Friedrichs des 
Grofien illustrierte, als Historiker erschien, geht aus der 
SchluBbemerkung am Ende des Bandes hervor, in der 
er alle Quellen, deren er sich beim Zeichnen bediente, 
ausführlich zitiert.^) Nach diesem Bericht machte er 



Den zahlreiche Anmerkungen geht folgender Paasas vorher: „Im 
Interesse derjenip^en T.eser, welche von den in den Text eingeschalteten 
Darstellungen nähere I^totiz nehmen wollen, fühle ich mich verpflichtet, 
warn nSbena VentandniB maaclier in dcaaelben enUialteiMiii Emialliaitan, 
insofern diese nicht aus dem Texte selbst klar hen.'orgrhcn, folgende 
Nachweise zu geboi. Zuvörderst ist ausdrücklich zu bemerken, daß ich, 
in bttreiff der Person Friedrichs II., Portrait« ans alten AltwwtnfMi voon 
▼ierten Jahre an, sowohl von gleichzeitigen Kupferstichen, als Ölgemälden, 
deren namentlich in den Königlichen SchlTs^em in und um Berlin mehrere 
befindlich sind, benutst habe. Dasselbe gUt von denen anderer mehr 
oder weniger bedentendar PeisoDen, welche in di» Geschichte Frtedrtcha 
verflochten sind. Alles was der Snfieren Gtstaltong des Lebens, dem 



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DAS UMHISTORISCHE MENZELS 



aUe seine Leute nach gleichzeitigen Portraits, hielt sich, 
yro er für seine Zwecke keine bildlichen Dokumente fand, 
an die Literatur, gab das Lokal nach der Natur oder, 
wo dies nicht anging, nach alten Plänen. Überlegt man die 
Fülle der Studien und sieht sich dann die Holzschnitte 
an, so kann man sich nicht des Staunens erwehren. Nicht 
vor dem Umfang der Quellenarbeit, sondern daß trotz 
solcher Arbeit so reine Kunst entstand. Es will uns 
nicht in den Kopf, daß alle diese Recherchen nötig waren, 
so frei, so leicht erfunden, so ganz und gar nicht im 
Geiste der von Menzel gegebenen Erklärung wirkt sein 
Werk. Das eben sei die Kunst, könnte man erwidern ; 
diese Verarbeitung des Riesenmaterials zeige den Meister. 
Aber dabei denkt man immer an den Literaten, nicht 
an den Maler. Die Verarbeitung an sich ist auch beim 
Literaten bedeutungslos, wenn sich sein Resultat ganz 
unabhängig von dem Material hält. In Wirklichkeit 
aber wird man z. B. bei einem Geschichtschreiber sehr 
wohl die Quellen, aus denen er schöpfte, wiederfinden, 
sei es einzeln oder 2u Erfahrangssätzen zusammengefaßt; 
und das Lob» dafi er sein Material überwand» besagt, 
daß er das ursprünglich wahUos durcheinander LiegexkU 
an den rechten PUtz wies und wirksam machte. In 
Menzel dagegen verschwindet das ganze Quellenstudium» 
nicht um sich im Resultate zu Erf^Jirungssatzen zu rer- 



Zeitgeschmack und den mannigfachen Wandlungen desselben in BauUch- 
keiten, Geräten, Kostümen und allgemeiner Sitte angehört, beruht aul 
Stadien charakteristischer Vorbilder, wie sich diese teils im Originale selbst, 
teilt in Abbfldniifeiii od«: undiriltlicher ÜbMiielMmBg: anf unsere Zeiten 
erhalten haben. Die Ansichten wichtiger Lokalitäten, namentlich die der 
königlichen Schlösser, sind fast durchgehends nach der Natur aufgenommen. 
Nicht mindere Sorgfalt ist auf die richtige Darstelltmg der militärischen 
Unitenian und ihnr TnacÜiiedenartigen Abstninngien veorandt, sowohl in 
betreff des Militärs auswärtiger Mächte, als vornehmlich in Rücksicht auf 
das preußische; für das letztere bot der reichhaltige Vorrat an Original» 
nntEofmen, der noch gegenwärtig inBerlin anlbewahrtwird, eine günstige Ge- 
legenlksit mm ««^(edelmtsstett Studium dnr." Duauf folgen die Angaben. 



ad 



DER ILLUSTRATOR 



dichten, sondern es verankt xadikaL Denn was er wiiUich 
davon benutzte» liat die Bedeutung eines winzigen Brach.-- 
teils. Etwas ganz anderes wird wirkend. Wo fände man 
im Kugler die Möglichkeit, die Wichtigkeit der nachgewie- 
senen Dokumente zu erharten? Wo die Ähnlichkeit des 
Königs mit den „Portrait» aus allen Altersstufen'*? Um 
das nachprüfen zu können, müßte man mehr von dem 
Gesichte sehen, als Menzel gewöhnlich zeigt. Es gibt 
kaum zwei oder drei Bildnisse in dem ganzen Buch, 
die man auf Porträtähnlichkeit kontrollieren könnte. So 
ungefähr, sagt man sich wohl, mag Friedrich gewesen sein. 
So ungefähr war auch alles andere — oder auch nicht. 
Bei den Details der „Baulichkeiten, Geräte, Kostüme und 
allgemeiner Sitte" erscheint uns die Behauptung Menzels 
mehr als bedenklich, weil es uns durchaus nicht gelingt, 
genug solcher Details in der nötigen Präzision aus dem 
Buch herauszuholen. Nun versuche einer gar, die rich- 
tige Darstellung, „der militärischen Uniformen und ihrer 
verschiedenartigen Abstufungen" nachzuweisen, z. B. 
in den Darstellungen der Schlachten, wo man kaum ein 
paar schwarze Flecke sieht, und wenn man sich die Einzel- 
heit herausschneidet, nicht sicher erkennt, ob man einen 
Menschen oder den Schwanz eines Pferdes erwischt hat. 

Es liegt mir selbstverständlich fern, den guten Glauben 
Menzels anzutasten.^ Bei einem anderen konnte man 
annehmen, es handle sich um einen lustigen Spaß mit 
einem bornierten Verleger, der den jungen Künstler mit 
Dokumenten quälte und den der 2^chner dadurch 
hinters Licht führt, daß er alle Dokumente säubedich 
notiert, ohne sie sich je angesehen zu haben. Bei Menzel 
ist solche Annahme unerlaubt. Es steht fest, daß er 
sich in seinem Register keiner Übertreibung schuldig 
machte. Es gab wirklich einen Menzel, der keine „gun- 
stige Gelegeidieit zum ausgedehntesten Studium^ ver« 
turnte und mit Notizbüchern gespickt war. Es gab 



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DAS UNHISTORISCHE MENZELS 27 



glücklicherweise damals noch einen anderen» der auf alle 

Stubenweisheit pfiff und fähig war, während einer 
halben Stunde in einem Trödlerladen alle nur erdenklichen 
Kenntnisse für seine historischen Begebenheiten zu sam- 
meln. UnglückHcherweise ergriff der leicht Beschwingte vor 
der strengen Fuchtel des anderen nur zu früh das Weite. 

Die S^bsttäuschung Menzels war keine Willkür. Sie 
sagte mit ihrer Mystifikation oder mysteriösen Halluzinarion 
die Zukunft voraus. So, wie er schrieb, hätte Menzel 
von Rechts wegen schon damals arbeiten wollen. Das 
Programm stand ihm Idar vor Angen, und es gefiel ihm. 
Er konnte nur noch nicht, war noch zu jung, zu licbelustig, 
brannte noch zu sehr auf die eitle Welt des Traums und 
wiegte sich in kecken Gelüsten. Es kostet keine Mühe, 
dem jugendlichen Forscher schwere Sünden nachzuweisen. 
Soviel er von seiner Rekonstruktion hielt, wirklich solid ist 
nur, was er neu machte. Vor dem geschichthchen Krite- 
rium läßt die Nachbildung vielerlei zu wünschen übrig. 
Nur scheinbar sind die Zeichnungen im Stil der Zeit, 
soweit nämlich, als der Schein der Kunst notwendig ist. 
Das Barock bleibt auf Mobiliar und Kostüm beschränkt; 
die Empfindung aber, die Tendenz des Ganzen, kommt 
ganz und gar nicht aus dem 18. Jahrhundert. Das 
eine Mal, wo Men:iel eine Watteau-Szene riskiert, ver- 
unglückt er und gibt eine schlechte Parodie.^) Die 
prangende Grazie war nicht seine Sache. Das Flöten- 
konzert, ein Vorwurf, wie ihn das Dizhuitidme nicKt besser 
träumen konnte, verfehlt er in der ersten Fassung,^ wo ver- 
sucht vnxdy eine reiche, gesellschaftliche Szoie im Geiste 
der Zeit zu geben. Er verliert sich ins Detail und fällt 
in alle Fehler der Überladung. Viel glücklicher wirkt 
das Konzert mit dem alten König, wo Menzel nur 
an die Musik dachte und den Vorgang auf die Haupt- 



^) Kngler S. 118. 



28 



DER ILLUSTRATOR 



Sache, die Spielenden, reduzierte.*) In dem gemalten 
Flötenkonzert aus dem Jahre 1S52 ist diese Unmittel- 
barkeit recht verdünnt, wenn schon die Malerei hier 
noch am glücklichsten von allen Friedrichsbildem mit 
dem Holzschnitt konkurriert. Als Arrangement der Fi- 
guren steht das Gemälde diesmal sogar von allen Fas^ 
sungen am höchsten. £s bezwingt die ungleich größere 
Anzahl von Personen und erhalt dem Ganzen die ruhige 
Übersichtlichkeit. Nur fügt der Maler dem Regisseur 
der Szene zu wenig hinzu. Er verweist uns auf Einzel- 
heiten. Die auf dem Sofa sitzende Prinzessin hat fast 
den zarten Reiz der pasteliierten Modellstudie behalten.^ 
Menzel malte sie mit der Liebe, die der König der 
Schwester entgegenbrachte. Nur genügt diese Anmut 
nicht für das malerische Verhältnis der anderen Personen. 
In ihnen vermißt man das Arrangement der Farbe und 
der Töne, wie es die Ökonomie des Bildes verlangt, 
um der glücklichen Sachkomposition den höheren Reiz 
der koloristischen Komposition zu geben. Das generali- 
sierende rötliche Licht ist mehr Notbehelf. Es tönt, 
ohne zu beleuchten, und läßt die Einzelheiten ohne 
organische Verbindung. Der künstlerisch Empfindende 
wird an dem Bilde trotz aller Vorzüge die sichere, alles 
umfassende Form vermissen. Im Vordergrund steht 
das Dokiimentarische der Gesichter, des Kostüms und 
höfischen Anstands der Zuhörer des königlichen Spielers; 
Momente, die in dem Holzschnitt, so einfach er ist, vor 
wesentlicheren Eigenschaften zurücktreten. Schon die 
Tatsache, daß Friedrich hier den anderen Musikanten 
durchaus koordiniert erscheint, — Menzel stellt den 
König in den Hintergrund — zeigt die anders geartete 
Gesinnung des Künstlers. Er gab im (jcmälde der Hi- 
storie nach, wahrend er im Holzschnitt sein Kunstler tum 

1) Kugler S. 596. 
>) Nationalgalerie. 



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DAS UNHISTORiSCHE IviKWZELS 



39 



Stärker betonte. Er legte im Kugler nicht die Frucht 
seiner vielen Quellenstudien nieder, sondern was er im 
gegebenen Moment empfand, und überließ üch mit 
sicherem Instinkt seiner höchst persönlichen Neigung. 

So, zum Beispiel, hatte er zu Voltaire durchaus nicht 
das Verhältnis des Historikers, sondern des lockeren 
Karikaturisten. Küfers beschränkte Auffassung des 
großen Philosophen treibt die Ablehnung nicht an- 
nähernd so weit, und daß Friedrich sein Verhältnis zu 
Voltaire nicht ironisch nahm, dürfte auch seinem zeich- 
nenden Biographen nicht unbekannt gewesen sein. Menzel 
verspottet Voltaire schon auf dem ernsthaft gemeinten 
Porträt.^) Etwas näher kommt er ihm in der Tafel' 
runde,^ wo er mit einer Nuance den überlegenen Sar- 
kasmus des Philosophen andeutet. Im Spaziergang^) 
wird Voltaire der philosophierende Magister und bei 
der Verbrennung des Akakia zum tollgewordenen Lakai.*) 
Auch in den Illustrationen zu den Werken Friedrichs 
des Großen kommt er nicht besser weg.'^) Der Histo- 
riker irrte. Menzel hielt sich an die populäre Auf- 
fassung, die in Voltaire so etwas wie einen niederträch- 
tigen Kater oder Affen sah. Es war sein gutes Recht. 
Denn diese Auffassung stellt keine Zumutungen, die 
uns veranlassen könnten, dem Künstler den Rücken 
zu. zudrehen. Sic rührt nicht an unumstößliche Erfah- 
rungen, sondern übertreibt tatsacliiich vorhandene, min- 
destens in unserer Einbildung bestehende Meinungen. 
Daß sie vor einer tieferen Kenntnis der Geschichte 



>) Knglmr S. 127. 

«) Kugler S. 273. 
') Kugler S. 277. 
*) Kugler S. 281. 

<) In dem Nendnick bei R. IVagner vom i88s, Bd. IV« S. 170, ni dem 

Bruch Friedrichs mit Voltaire, wo der Philosoph wie ein fluchender 
Slowake geschildert wird. Selbst auf dem Totenbette, der lolgendea Zeich- 
nuDg dendbei Bandes, bat ihm Measd nieht gaiu di» Ironie exapsrt. 



30 



DER ILLUSTRATOR 



niciit standliähy hindert rie nicht, ihrer Ein&chheit 
wegen, für die bild l iche Darstdlung geeignet zu sdn; 
ja, sie dient aus diesem Grande dem Künstler viel besser 
ab jede andere, selbst die gerechteste Schätzung Voltaires.^) 
Friedlich der GroBe ist dagegen ungemein s^m- 
pathisch, und die Kunst Menzels zeigt sidi in der Art, 
wie er die Sympathie erwedct. Die Fähigkeiten, auf 
die mit gravitätischem Ernst am Schlüsse der Geschichte 
Kuglers verwiesen werden, hätten ihm nie erlaubt, 
die Absicht des Künstlers zu erreichen. Was nützen 
die hundert dort aufgezählten notorischen Versatzstücke, 
wo nur der das Menschliche fassende Impuls entscheidet» 
Als ob Goethe den Faust mit den Retorten des Studier- 
zimmers oder mit dem Topf der Hexenküche gemacht 
hätte! Wenn Menzel, wie er vorgab, das Hunderterlei 
seiner historischen Rumpelkammer beachtet hätte, wären 
immer nur Einzelheiten entstanden. In Wirklichkeit 
bediente er sich entgegengesetzter Mittel und scheute 
sich auch in der Behandlung des groBen Königs nicht, 
gerade mit dem Unhistorischen zu wirken. Wir deu- 
teten schon einmal an, daß der Geschilderte durchaus 
nicht der große König sein mußte. Mit Nuancen, wie 
sie nur dem fein besaiteten Künstler gehören, sucht 
Menzel immer wieder das Weitere, Allgemeine der 
Stimmung zugrunde zu legen. Jeder Knabe, dem sehn- 
süchtige Gedanken durch den Kopf gehen, liegt so zu- 
sammengesunken und schaut ins Weite wie der junge 
Prinz am Stamm des Baumes.^ Jedem passiert der 
Streit mit dem Vater, den Friedrich durchmachte. Men- 
zel geht dem tragischen Konflikt nicht auf den Grund 
und vermeidet jede Ahnung der Katastrophe, die tat- 
sächlich, wie Kugler feststellt, über dem Haupt des 

') Die nähere Begründung dieser Anschauung folgt im letitMi 
pitel, wo ich Menzels StttUang cn d«r Karikatur unteceuchea uttde. 
«) Kugler S. 47. 



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DAS UNHISTORISCHE MENZELS 



31 



Prinzen schwebte. Sein Humor gibt dem Kcmilikt dnen 
leise possierlichen Anstrich und dadurch eine Kritik des 
Vaters und des Sohnes, die nicht delikater gedacht werden 
kann. Wie köstlich ist <^e Bibelstunde des bigotten Königs 
mit dem erbaulichen Pfaffen und den frömmelnden Dienern 
geschildert, die Langeweile der Königin und das Spitz- 
bubenspiel zwischen den durchaus nicht beteiligten Ge- 
schwistern.^) Noch in der Vignette mit den Köpfen des 
Feldpredigers und des Prinzen,^ als dieser glaubte, der 
GdsÜiche solle ihn auf die letzte Stunde vorbereiten, über- 
wiegt der Humor. Menzel sagte sich, das war in Wirklich- 
keit alles nicht SO schlimm, und legte diesen Gedanken 
in das pfiffig gutmütige Perückengesicht des Predigers. 
Es war aber tatsächlich wirklich so schlimm wie mög- 
lich, und das wußte Menzel so gut wie Kugler und 
wie jeder Zeitgenosse, der sich mit der preußischen 
Geschichte beschäftigte. Des Prinzen Leben hing an 
einem Faden, und er verdankte es nicht seinem Vater, 
sondern dessen Raten und den Mächten. Die Ge- 
schichte ging zum Glück gut aus, und weil dem so 
ist, besaß Menzel die logische Möglichkeit, dem Vor- 
gang seine Darstellung zu geben. Äußerte ein Dichter, 
der aus Friedrich dem Großen ein Drama machen 
würde, die^t^lbe Autfassung, so geriete er leicht in die 
Gefahr, sein Problem zu harmlos zu nehmen. Brächte 
der Historiker solche Gedanken in die Öffentlichkeit, 
so würde man ihm mit Recht empörende Geschichts- 
fälschung vorwerfen. Für die Kunst Menzels dagegen, 
im Rahmen der einmal gewählten Art des Vortrags, 
war die naive Anscliauung die einzig richtige, weil sie 
sich so plastisch, wie Menzel zu sein vermochte, geben 
ließ. Das Vollendete des Vortrags treibt die Kuntrolle 
in Sphären, wo ihre Einwendungen nicht laut werden. 



») Kugler S.41. 
«) Kugler S. 81. 



3» 



DER ILLUSHUTOR 



So macht es Menzel im Kugler mit jedem Vorwurf 
Überall überwiegt das Subjektive über die Geschichte. 

Friedrich erscheint als junger König in der ganzen 
Keckheit der Jugend, Er bleibt der Prinz bis in seine 
reifen Jahre, und diese Betonung des Jugendlichen ver- 
schafft einen tatsächlichen Einblick in die Psychologie 
der Spannkraft Friedrichs. Das Prinzliche wird nach- 
her zum einsamen Mann, und erst dadurch erwächst 
das Königliche der Erscheinung. Der umg-ekehrte Ver- 
such: erst den Nimbus, dann die GröBe zu geben, 
wäre vergebliches Bemuhen und nur einem Stümper in 
den Sinn gekommen. Der Zusammenhang der mensch- 
lichen Größe mit der Größe des Künstlers, den wir 
später noch deutlicher finden werden, wird hier, so 
harralos der Ausdruck erscheint, treffend angedeutet. 
Daß Friedrichs Königtum nicht von Gottes Gnaden 
war, sondern von einem bedeutenden Menschen herkam, 
hat Menzel iü seiner Art wahrhaft historisch erwiesen. 



Eine große Rolle spielt in den Holzschnitten die 
Wiedergabe der Bewegung. Menzel hätte darauf ver- 
zichten mäsMn, wenn ihm an der historischen Einzel- 
heit lag. Denn — seine Behauptung in allen Ehren — 
es gehört viel guter Wiüs dazu, in diesen Schilderungen 
das Objekt seiner Studien zu erkennen. Die Tiden 
Schlachtenbilder im Kugler geben das Gewimmel y<m 
Soldaten» nie die Einzeltat. Dagegen erwächst aus den 
Ideinen Zeichnungen sicherer der Eindruck des Kampfes 
als aus den riesigen und bestens yerproviantierten Pano- 
ramas der vulgären Schlachtenmalerei. Menzel hat die 
einzige Form gefunden, mit der solche Gegenstände be- 
wältigt werden können. Er beobachtete die charakteristi- 
schen Bewegungen, die im Gewühl immer wieder vor- 
kommen, ob es sich um Spanier, Engländer oder Preußen 



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BAS UNHISTORISCHE MENZELS 



33 



handelt, und verzichtete auf alles andere. Ziimal da, wo 
die Massen auf einem einzigen Plan dargestellt werden 
kdnnen, trifft er verblüffende Wirkungen. Mit wenigen, 
an sich difformen Flecken gibt er einen Blidc auf die 
wogende Masse. Weniger gelingt ihm die reguläre Per- 
spÄtive. Menzel war weder früh noch spät, und später 
immer weniger, glänzender Raumkünstler im Sinne der 
Alten. Wir werden die Gründe dieser eigentümlichen 
Erscheinung zu untersuchen haben. Im Kugler finden 
sich einige ganz grobe Schnitzer gegen die Perspektive.^) 
Sie entstehen namentlich da, wo die gewählte Einheit 
zu groß ist. Menzel ist nie glücklicher, als wo er sich 
auf die kleinste Fläche beschränkt. Das gilt nicht nur im 
allgemeinen und drückt den Vorrang des Illustrators über 
den Maler aus, sondern gibt auch innerhalb der Illustra- 
tionen dem Kleinsten den Vorzug. Nichts geht über 
gewisse Vignetten, die mit einem Nichts von Strichen 
eine weit reichende Sensation andeuten. So die skizzierte 
Reiterattacke*) oder die Nachtkämpfe bei Hochkirch') 
oder die Schlachtvignctte mit dem Abmarsch der rus- 
sischen Armee*) • — ein wahres Wunder künstlerischer 
Handschrift — oder, ein Menzelscher Chodowiecki perlen- 
hafter Feinheit: der vierspännige Wagen mit dem ge- 
fangenen Kronprinzen, der langsam an der Lämmer- 
herde vorüberfährt. Wieder muß man znmal bei diesen 
Blättern an Guys denken, so abseits erliegt; viel mehr 
als an irgend einen Vorgänger Menzels auf dem engeren 
Gebiete der Illustration, der im einzelnen ähnlicher 
erscheint. Beider Erfindungsgabe bewegt sich auf an- 



^) Verg^toidie namentlich die mißglückte Perspektive der Leibgarde, 
Kugler S. 522. Auch der Marsch mvd S. 355 ist nicht ganz überzeugeod. 
•) Kugler S. 410. 
*) Kngler S. 40Z und 40A. 
♦) Kugler S. 392. 
») Kii£^ S. 67. 



34 



DEK ILLUS i'RATOR 



.nähernd gldchem Niveau. Bm ganz ans erster Hand 
achaffend»: Künsüer erfand die Holzschnitte, nicht dn 
Illustratcff im gewöhnlichen Sinne. Man kann ihn eben- 
sogut einen 'IMhler nennen. Er beherrscht die Kunst, 
olme Pinsel zu malen, ohne Farben farbig zu sein» die 
alle geborenen Künstler besitzen. Mit demselben emp- 
findenden, gar nicht reflektierenden Spärsinn, mit dem 
Guys seine Flecken verteilte und aus solchen Flecken 
Legenden dichtete, machte Menzel seine Bildchen. Die 
Formen sind ganz verschieden. Menzel dichtet anders, 
hört auf andere Töne, aber hört wie Guys als Musiker, 
nicht als Phonograph. Die Anschauungen sind sich 
gleich, gleich poetisch, gleich künstlerisch. Beide machen 
es auf dieselbe Art, überlassen sich dem klugen Mittel 
des naturfreudigen Autodidakten. Und weil sie's so 
machen, sind die Resultate so verschieden. Der alte 
Strichel-Holzschnitt ist schon lange in Vt- rruf gelcommen, 
er wirkt altmodisch, man muß immer eine gewisse Über- 
setzung vornehmen. Das fällt bei Guys fort. Jedes Blatt 
des Franzosen verrät auf den ersten Blick den Menschen 
mit ungeduldigen Nerven von heute. Und trotzdem 
wirkt dieser Menzel nicht weniger modern; so neu wie 
wenige moderne Künstler Deutschlands, modern wie 
alles i/anz auf sich Gestellte, wie Guys. Die Resonanz 
ist geringeren Umfangs bei dem Deutschen, es klingen 
nicht so viel Dinge mit. Guys trug instinktiv alles 
bei sich, was die gleichzeitigen und folgenden Fran- 
zosen besaßen. £r ist artistischer, Menzel ist einfacher. 
• Der Deutsche neutralisiert einen Teil seiner Wirkung 
durch den Holzschnitt, aber wirkt dadurch volbtüm- 
lieber. Die Beschränkung einer so eminenten Dar- 
stellungskraft auf die Illustration eines ganz populären 
Stoffes scheint nur die Vorzüge des Künstlers zu 
steigern und macht ihn gesetzter, behaglicher. Man 
hat trotz der Überlegenhdt des Meisters den Eindruck, 



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DAS UNHISTDRISCHE MENZELS] $5 



daß er damals so zeichnete, wie es ihm behagte, ohne 
Anstrengong, und man gelangt zu der Erkenntnis 
einer sehr hohen Norm, der eine in unseren Zeiten 
seltene Mitteilbarkeit gegeben Ist. £r hat nicht das 
Waghalsige der monumentalen Figuren des Guys» ist 
nicht so einzigartig, aber wirkt gerade durch diese breitere 
Basis und seine weitere Dienstbarkeit wertvoll. Es ist 
Volkspoesie, wie sie nicht vornehmer gedacht werden kann. 

Darin liegt schon eine Ausdehnung des Rahmens, auch 
in Hinsicht auf den Gegenstand. Menzel hat kein 
Spezialgebiet, und es wäre unnatürlich, wenn er es hätte. 
Die ganze Natur gehört ihm. Der Mensch spielt darin 
nicht die spezifische Rolle der französischen Modelle. Der 
Apparat ist objektiver, gelassener, ohne eine Spur von 
Schärfe und dekadenter Empfindung. Es versteht sich 
fast von selbst, daß man im Kugler Landschaften findet. 
Menzel hat nicht nötig gefunden, in seinem Register zu 
erwähnen, wo er sie hernahm; z. B. die Landschaft mit 
dem Baum im Vordergrund und dem Schnitter im Ge- 
treide, mit dem Dorf im Hintergrund;^) oder das uber- 
schwemmte Gelände mit den Silhouetten Friedrichs und 
seiner Begleiter.*) Er fand sie da, wo er in Wirklichkeit 
alles fand, was die Kuglersche Geschichte und seine ge- 
lungenen «anderen Werln wertvoU macht: in der Natur. 

Hier schöpfte Menzel auch die besten Blatter seiner 
Illustration zu den Werken Friedrichs des Großen. So 
die rdzende Landschaft mit dem galoppierenden Kurier,*) 
oder die mit der ganzen Ursprünglichkeit des Erlebnisses 
geschilderte Szene mit dem Kind, das ins Wasser gefallen 
ist, dem der Retter nachspringt;*) oder die drei trauern* 
den Frauen auf der Parktreppe.^ Solche Blatter wirken 

Kugler S. 131. 

2) Kugler S. 577- 

') In dem Neudruck bei R. Wagner (1882), Bd. I, $. 26, 
*) Bd. II, S. 74. 

•) Bd.m, s.»s. 



16 



DER ILLUSTRATOR 



wie glückliche Nachklänge des Hauptwerkes. Die In- 
timität der Kugler-Dlustrationen findet auch hier zu- 
weilen ihre Sprache; in dem Speisezimmer in Potsdam,*) 
in einigen Portraits, zumal dem köstlichen der Marquise 
de Pompadour mit dem glänzend erfundenen Rahmen;*} 
in einigen Szenen, vor allem der mit den beiden Neu- 
gierigen, denen der Galeriediener den Inhalt des Schrankes 
mit den Fürstenmäntein erklärt usw.^) Aber solche Blätter 
sind selten, und da? ganze Werk enthält kein einziges, 
das sich den besten der Kuglerschen Geschichte zur 
Seite siL'lkn läßt. Der Grundzug der in der zweiten 
Hälfte der vierziger Jahre entstandenen Serie unter- 
scheidet sich trotz des ähnlichen Stoffgebiets sehr merk- 
bar von den vorhergehenden Illustrationen. Diesen ist 
eine freie dichterische Kraft eigentümlich, die, wie wir 
sahen, die Bedingungen der Aufgabe glänzend erfaßt und 
mit reinen Kunstmitteln, mit den Wirkungen des Lichts 
oder der Farbigkeit, mit der Schönheit der Verhältnisse zum 
Ziele gelangt. Eine Illustration, die mit Mathematik wirt- 
schaftet, die nur aus der besten Verwendung des Schwarz 
und Weiß Legenden hervorbringt und der Geschichte 
dne unendliche Vergrößerung in das rein Menschliche 
verleiht. Diese höhere Legende zerflattert in den folgen- 
den Arbeiten. Die Punkte» auf die sie sich auch hier 
aufbauen könnte, schwanken hin und her. Die Zeich- 
nung ist erst Illustration^ dann Kunst, nicht umgekehrt 
me im Kugler, und diese Umdrehung bringt Menzel um 
das Geheimnis. £r wird Virtuos. In den Werken Fried- 
richs des Großen findet dch kein Fehlgriff des Autodidak- 
ten, nichts Linkisches; trotzdem geht die Vorhenschaft des 
Formalen immer mehr verloren. Schon wimmelt es von 



1) Bd. III, ?. T26. 

2) Bd. III, S. 144 oder „Der französische Prediger", Bd. iV, S. 151. 

>) Bd. III, S. 138 oder „Der alte Lord-Marschall im Rollstnhl", Bd. IV, 
S.167. 



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DAS UNHISTORISCHE MENZELS 



57 



Allegorien. Es gibt äuBeist geistvolle darunter. Die Inter- 
pretatloii dier franzöttschen Ästhetik Fiiedrichs duich die 
Gegenüberstelliing der Partheno« und einer Barock- 
gruppe ist gut ^unden.^) Man kann nicht schlagender 
beweisen. Aber der Beweis sagt alles von dem Witz 
und Scharfsinn Menzels» nichts oder unverhältnismäßig 
wenig von seiner eigenen. Kunst. Auch der Einfall, die 
Sehnsucht des Kriegers nach den heiteren Festen des 
Friedens durch ein paar schwere Reiterstiefel zu zeigen, 
aus denen schlanke Maskengestalten entsteigen, deckt rei- 
zend den Gedanken.^ Aber wo ist die Form, die solche 
ebenso leicht verfliegende Allegorien zum weiterlebenden 
Symbol zu wandeln vermöchte! Alles das ist lehrreich 
und verrät einen ungemein beweglichen Denker. Aber 
der Ungelehrte, der den Kugler machte, war größer. 
Er dachte lange nicht so fein, aber dachte so, daß die 
Form den Gedanken aufnahm und noch genug hatte, 
darüber hinaus uns zu fesseln. Kein Witz vermag zu 
erzählen, was alles an gemalten Witzen in dem Lächeln 
der Tafelrunde steckt, wo nicht nur die Lippen der 
Menschen, sondern alles, was um sie ist, beitragen, die 
Aufgabe zu unterstützen. Dic^ Lächeln regt höhere 
Organe in uns an, als irgend eine gezeichnete Allegorie 
vermöchte. Bei dem Menzelschen K«prit bleiben wir so 
unbeteiligt, wie in noch gröberem Sinne bei der Lektüre 
eines Witzblatts. Möglicherweise freuen wir uns daran, 
und wer wäre nicht für jede Freude dankbar! Aber wer 
möchte nicht seine Freuden wählen! Feiner organisierte 
Menschen werden da, wo sie ein herrliches Gedicht er- 
warteten und einen hübschen Witz finden, verstimmt 
sein, trotzdem die Posse gut war, trotzdem sie lachen. 
Die Liebe zum Scliönen identifiziert nicht ihre Ansprüche 
an die Kunst nnt solchen unterirdischen Erregungen. 

») Bd. III, S. loi. 
«) Bd. III, S. 103. 



3» 



D£R ILLUSTKATOR 



Der Umschwung vollzieht sich merkwürdig rasch. 
Wenige Jahre trennen den Kugler und die Holzschnitte 
zu den Werken Friedrichs. Man hat das Gefühl, als 
sei Menzel in dieser Zeit sehr schnell gealtert. Aber 
er näherte sich nur seinem Programm, wurde bewußter. 
Stände am Ende seiner Illustrationen zu den Werken 
Friedrichs auch ein Register, das alle Anspielungen 
aufdeckte und ihre Berechtigung ergründete, so hätten 
wir unfl darüber nicht mehr hutig zu machen. Was 
ihm schon im Kugler vorschwebte und, nur weil es ihm 
mißlang, diesem Meisterwerk die keusche Schdnhdt Ußt, 
wurde in den folgenden Arbeiten immer besser erreicht 
und gibt ihnen den apokiyphen Wert. Hier verhärtet sich 
Meuzels Verhältnis zur i£storie. Die theatralische Geste» 
mit der Friedrich» zu dem Zuschauer blickend» seinen Offi- 
zieren dieGeneralpiinzipien überreicht»^) kommt im Kugler 
nicht vor. Der Moment wird präzisiert» nicht erweitert. 
Was von dieser Präzisierung zu halten ist, wurde oben 
untersucht und wird noch wiederholt zur Sprache kommen. 

Als Menzel für Kugler zu arbeiten hatte, war er harm- 
loser. Mag sein» daß ihm die wenig persönliche Färbung 
des Autors die größere Freiheit Ueß. In den Werken 
Friedrichs des Großen versuchte er der Persönlichkeit 
des Autors Rechnung zu tragen und gehorchte vielleicht 
bindenderen Vorschriften. Die blumenreiche Sprache des 
königlichen Schriftstellers trieb ihn zu Bildern» denen 
man die Herkunft von der Literatur nur zu sehr anmerkt. 
Der schlichte, volkstümliche Künstler geriet sogar in die 
VersncKnnc:, antikisierende Anspielungen zu übertragen. 
Menzel und die Antike! Die einzige Möglichkeit, bei 
solcher Kombination nicht zu kurz zu kommen, lag in der 
Karikatur. Diese Möglichkeit versagte ihm sein Respekt. 

Was Menzel spater noch als Illustrator geschaffen hat, 
hält keinen Vergleich mit den ersten Werken aus. Die 

*).Bd.IV, S. 184. 



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DAS UNHISTORISCHE MENZELS ^ 

Tusch- und Fedeizdchniuigen zu Kleists »»Zerbrochenem 
Krag*^ ans dem Jahre 1877 sind mürbe und zahme Genre- 
büdchen, in denen nur die Schwäche des jungen Menzel 
wieder erscheint. Daß sie den Geist der Dichtung ganz 
verkennen, folgt mit Notwendigkeit aus ihrer matten 
Empfindung. Kuglers Geschichte enthält genug, um diesen 
Ausfall zu verschmerzen. Nicht sie allein umfaßt die Jugend 
Menzels; wir haben eine Menge schöner Werke nicht viel 
späterer Zeit in anderer Fassung.. Wohl aber finden sich 
in keinem Werke gleichviel Zeichen einer natürlich sprossen- 
den Empfindung. Wir werden glänzendere Bilder finden, 
vor denen das Erstaunen über den plötzlichen Umfang des 
Genies fast den Genuß beeinträchtigt, so unverhofft ist die 
Gabe. Im Kugler sehen wir Menzel wachsen und emp- 
fangen den Wunsch, ihn auf allen Wegen zu verfolgen. 
Man ahnt das Schönste und genießt die Ahnung mit. 

Mag man mit Recht die Historie Menzels Feind 
nennen; die Tatsache, daß er den Kugler illustrierte 
und dabei einen Wert offenbarte, den die vorhergehen- 
den Arbeiten nicht ahnen lassen, stimmt uns notgedrungen 
milder gegen den Feind. Wir müssen, so scheint es 
wenigstens, annehmen, daß ohne den Auftrag eine gLui- 
zende Seite Menzels nicht zum \'oi"scheiu gekommen 
wäre. Daher bleibt noch immer die Frage offen, warum 
dem Meister hier eine offensichtliche Neigung förderlich 
wurde, die ihm nachher zum Nachteil ausschlug. Ich 
hoffe der vorbereiteten Lösung dieser Frage in den fol- 
genden Kapiteln näher zu kommen. Sie beschränkt 
sich nicht auf den Illustrator, sondern kommt in allen 
Schopfungsarten wieder. Da die Scheidung dieser Arten 
die Grundzüge Menzeb immer deutlicher erkennen laßt» 
sei mir erlaubt, zunächst an der Einteilung der Werke 
in Illustration, Zeichnung und Malerei festzuhalten. 



49 DER ILLUSTRATOR 

• Sie hat natürlich nicht mit des Meisters Stellung 
zur Geschichte, sondern lediglich mit seiner Stellung 
zur Kunst zu tun und hängt mit der ganzen Eigen- 
art seiner Entwicklung zusammen. 




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DER ZEICHNER 



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MENZELS FAVORITIN 



MAN sollte annehmen, daß der Reiz des persönlichen 
Vortrags, selbst bei der peinlichen Sorgfalt, mit 
der Menzel seine Holzschneider überwachte, in den Zeich- 
nungen deutlicher zum Vorschein kommen müsse. Hon* 
dert Dinge drängten sich bei den Holzschnitten zwischen 
Künstler und Form. Eine fremde Hand verwandelte 
das Korn des Bleis und den glatten Zug der Feder in 
winzige Striche. Die Rücksicht auf Papier und Drucker- 
schwärze, auf den Satzspiegel und nicht zuletzt den 
Inhalt des Buches ließ unbedingt viele wesentliche Seiten 
des Künstlers zurücktreten. In der Zeichnung ist er 
ganz frei. Er hat tausende von Blättern nur zu seinem 
Vergnügen gemacht. Wir werden daher hier am sichersten 
die Untersuchung seiner Eigenart weiter treiben können. 

Dafür spricht schon das Prestige Menzels. Man kennt 
ihn eigentlich nur als Zeichner. Wenn man sonst von einem 
zeichnenden Künstler spricht, pflegt man an alles andere 
mitzudenken, was derselbe Kunstler auch machte, und 
betrachtet die Zeiclmung als ein V'orstadium zu den anderen 
Dingen. Daher unterschätzt man heute die Zeichnung, 
sobald es sich nicht um Illustratoren handelt, und bei 
denen wiederum drückt die Veryielfaltigung auf den 
Wert des Originals. Früher war es andm. Schon die 
Tatsache» da6 sich so viele Handzeichnungen der alten 
Meister erhalten haben, beweist die Schätzung der Zdt- 
genossen. Man wäre in Verlegenheit, wollte man nur 
eine einzige Sammlung von Handzeichnungen unserer 
Zeitgenossen von ähnlicher Vollständigkeit nachweisen, 
wie es deren so viele von alten Meistern gibt« Der 
Grund ist einfach. Man zeichnet heute weniger. Der 
Maler zeichnet in der Art der Alten überhaupt nicht 
mehr. Früher war derUmrifi in Blei oder Feder eine 
entscheidende Phase des künftigen Gemäldes. Dem Pinsel 



44 



DER ZEICHNER 



fiel mehr eine ausführende als schöpferische Rolle zu 
Farbe und Auftrag bereicherten nur das lineare Gebilde 
und verwischten oft den persönlichen Reiz des ersten 
Entwurfs, den wir heute noch in vielen Museen neben 
den Gemälden bewundem. Das 17. Jahrhundert ver- 
änderte diesen Entstehungsprozeß, noch mehr das iS*, 
am entschiedensten unsere Zeit. Alle Modemen, die 
konsequent dem Malerischen dienen, vertrauen dem Pinsel 
den ersten Entwurf an und können normalerweise nicht 
anders verfahren. Die Gemeinsamkeit der Materie war 
eine Grundbedingung der außerordentlichen Züchtung, 
der die moderne Malerei entsprang. Nur dadurch, daß 
der Maler sicli zwang, mit keinem anderen Mittel als 
Pinsel und Farbe zu denken, erreichte er die innige 
Anschmiegung des Ausdrucks an die Form, die Möglichkeit, 
sich zu malen, d. h. seine Empfindungen mit dem not- 
wendigen Grad von Stärke auf die Leinwand zu bringen. 

Aber es gibt Ausnahmen besonderer Art; nicht nur 
die selbstverständlichen der Künstler, die sich von dem 
normalen Wege der Malerei fernhielten und einen VVeitcr- 
bau der besonders linearen Komposition versuchten, wie 
Ingres; auch die auffallenderen der Maler, die sich im 
übrigen durchaus der typischen Entwicklung anschließen. 
Unter den Franzosen haben wir in Millet einen Zeichner 
par exccllence, der, ohne die bewußte Stilmethode der 
Archaisten zu benulzen, im Umriß des Bleis oder der 
Kohle auf Papier sehr viele, wenn auch nicht alle Kigen- 
Schäften seiner Begabung zur Geltung brachte. Unter 
den Deutschen sind die Beispiele häufiger. Man kann 
in der älteren Generation auf hundert gelungene Zeich- 
nungen noch mcht ein annähernd gleichwertiges Bild 
rechnen. Bei den Klassizisten und Nazarenem wird der 
Unterschied oft drastisch. Die 2»eichnung ist sachlich, 
erfäUt die Absicht des Künstlers; das Bild läuft auseinander 
und zieht krampfhaft Dinge herbd, die das Ursprüngliche 



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MENZELS FAVORITIN 



45 



m Frage stellen. Menzel gehört zu einer ganz anderen 
Art. Die Zeichnung der Klassizisten und Nazarener 
ist vergleichsweise zeitlos. Ihr Eklektizismus nimmt auf 
dem Papier die denkbar sympathischste Form an, aber 
verschwindet nie. Was wir persönlich daran nennen, 
ist mehr der primitive Spiegel einer rein menschlichen 
Eigenschaft als ein Vorzug des Künstlers. Es gelangt 
— von wenigen Ausnahmen abgesehen — nicht so voll- 
kommen in die Form, daß man ohne die Beziehung 
auf eine zufällige Ideengemeinschaft die Autoren greifbar 
bestimmen könnte. Wir werden von keiner Form- 
losigkeit abgestoßen, aber auch von nichts angezogen, 
das auf uns den Eindruck neuer notwendiger Lösung 
machen könnte, Menzel dagegen ist vor allen Dingen 
eine Neuheit in der deutschen Zeichnung und darin 
viel mehr Revolutionär als auf anderen Gebieten. Denn 
während sich die Betrachtung des Malers, wie wir 
sehen werden, an sehr wenige Dinge halten muß, 
um die Selbständigkeit festzustellen, und mehr die Mög- 
lichkeiten als die Realisierung einer neuen Kunst er- 
kennt, ist der Zeichner en bloc allen Deutschen der- 
maßen uberleg-en, daß er in seinem Vaterlande wie 
Gulliver in Liliput erscheint. Die Durclischnittsleistung 
Menzels, wie sie in der ungeheuren Alasse seiner Blätter 
zutage tritt, erfüllt sicher nicht die Ansprüche eines 
vornehmen Kunstfreundes. Man will mit Recht mehr, 
ab Menzel im allgemeinen gab. Aber diese Kritik wird 
erst nach der Anerkennung eines Niveaus möglich, 
an das vor Menzel nicht gedacht werden konnte, und 
das» selbst wenn man <tie besten Werke der Gegenwart 
ans allen Nationen heranzieht, jenen Grad von Voll- 
kommenheit behält» der mit Vergleichen nicht ausge- 
löscht werden kann. Mit dem Nachweis seiner Vorzüge 
und Schwachen erreicht man nur» die Abnormität der 
Erscheinung des Künstlers noch deutlicher zu machen. 



46 DER ZBICHNER 

Menzels ganzes Künstlertum wird durch das» was 
er mit Papier und Bleistift auszudrücken vermag, faxt 
erschöpft. Würde man diesen Teil wegnehmen, so 
blieben von dem umfangreichen Werke nur Fragmente 
übrig. Auch die Geschichte des Menschen Menzel 
wäre ohne die zahllosen Zeichnungen kaum zu verstehen. 



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FAMILIEN-PORTRAITS 



DIE Geschichte beginnt mit den ersten Blattern des 
Knaben» die der Nachlaß zutage gefördert hat, und 
zwar setzt tte sofort mit aller Entschiedenheit ein. Es 
sind Blätter ans dem Jahre 1828. Da war also Menzel, 
der am 8. Dezember 18 15 geboren wurde, zwölf Jahre, 
normalerweise heißt das so viel wie Tertianeralter; da- 
mals wohl sogar noch weniger. Es ist so lange her, daß 
.man sich fast genötigt sieht, auf die Veränderungen der 
•Menschheit seitdem Rücksicht zu nehmen. Daß in diesen 
Zeichnungen bereits sehr viel Seiten Menzels stecken, 
braucht uns weiter nicht 2u wundern; auch die Kinder- 
züge anderer Künstler sagen die werdende Art voraus. Das 
auffallende ist, daß sie gar nichts vom Kinde verraten. 
Die Bleistiftbildnisse des Zwölfjährigen sind in der kor- 
rekten Kalligraphie eines Deutschen der Zeit gemacht, der 
mit Licht und Schatten zu arbeiten und Ähnlichkeiten zu 
schaffen weiß. Das 1828 datierte männliche Bildnis des 
Nachlasses traf sicher das IVIodell. Das Erstaunliche der 
Leistung geht weit über das Auffallende des Talentes 
hinaus. Die Gelassenheit, mit der der Natur gefolgt 
wurde, verblüfft viel mehr als die Kunst, die dazu ge- 
hörte. Diese hat nichts gerade Besonderes. Wer den 
Autor nicht kennt, wird das Blatt für das Werk eines 
•ausgewachsenen, bescheiden begabten Künstlers haken. 
Dagegen ist die Reife eines Jungen, der so arbeitet, 
gan^ anormal. iVlan fragt sich, wie der Knabe aussah, 
der die Hand des Vaters im selben Jahre zeichnete. 
-Welcher Knabe kommt überhaupt auf solchen Einfall. 
Elinder, die ihrem eigenen Antrieb folgen, malen Ge- 
sichter von bestimmtem Ausdruck, mutige, furchtsame, 
Instige und traurige Menschen, und geben mit Voriiebe 
^sammenhänge; nvie der dne Junge den anderen haut, 
wie sie zusammen auf der SdmllNink sitzen und den Lehrer 



4« 



DER ZEICHNER 



ärgern oder im Versteck gestohlene Zigarren rauchen. Das 
Talent verrät sich in der Eriindung, mit der das Kind 
die Bilder seines Alters wiedergibt. Dieser kindliche 
Anfang fehlt im Werke Menzels, weil er dem Leben des 
Menschen felilt. Wir wissen \'on frühzeitigen Sorgen; 
der Vater zog den Jungen zur Arbeit. Aber auch das 
erklärt noch nicht das B]att mit der Hand. Jeder andere 
hätte zuerst das abgebildet, was der Vater machte. Menzel 
zeichnet die Hand, die Haut, die Finger, das Schab- 
messer zwischen den Fingern und den Anfang des Ärmels, 
Vergleicht man mit solchen Blättern „Künstlers Erden- 
waUen", das erst 1833 erschien, so ist man versucht, 
einen Irrtum in der Datierung anzunchiucn. Die Zeich- 
nungen zu Kuglers Geschichte Friedrichs des Großen sind 
kindlicher als die zwölf Jahre vorher entstandenen Blatter. 

Diese Differenz ist das auffallende. Der Knabe Menzel 
fing die Kunst me em erwachsener Dflettant an» mit 
korrekten» neutralen Naturstndien. Jeder Künstler ßlngt 
mit dem Kinde an und muß so anfangen. Das Elind- 
liehe ist nicht die Kunst» aber das unentbehrliche 
Medium des Künstlers» der Spidtrieb. Aus ihm allein 
werden nicht nur die notwendigen psychologischen 
Voraussetzungen der Künstlertatigkeit gewonnen» sondern 
derselbe Trieb verbürgt auch die objektiven Existenz- 
bedingungen der Kunst» nämlich die notwenctige Über- 
tragung der Natur mit ilirer Kausalität auf ein un- 
abhängiges Fdd» wo alle Erscheinungen ein neues 
Dasein erhalten. Was den Künstler interessiert, ist 
dasselbe, was das Kind reizt: das Bildmäßige, das 
Spielen mit der Erscheinung zum Zweck einer Absonde- 
rung. Unser frühester Instinkt richtet sich in der großen 
Welt eine kleine ein. Die Puppenstube» oder was sich 
Kinder aus Stühlen und wer weiß was zusammenbauen» 
entspringt nicht der groben Selbsttäuschung über die 
Wirklichkeit. So dumm ist kein Kind» die Puppe für 



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FAMILIEN-PORTRAITS 



49 



einen Menschen» den Bruder für ein Pferd, den Stuhl 
für eine Mauer zu nehmen. Es wünscht damit» darin» 
dahinter zu spielen, und zu wirken, dem keimenden Orga- 
nisationsvermögen ein bildsames Medium zu schaffen. 
Der Künstler baut aus der gleichen Sehnsucht seine 
Bilder. £r bleibt immer Kind im Optimismus seines 
Eroberungsdranges, in dem freien Verzicht auf materielle 
Tatsachlichkeit, in dem Stolz, kraft seiner Phantasie zu 
herrschen; wird Mann in der Bereicherung und tieferen 
Durchdringung des Spiels, in dem Bewußtsein des dem 
Kinde Unbewußten; wird weise und stark in der Er- 
kenntnis der Bedeutung seiner Eroberung nicht nur für 
seine Selij^keit, sondern fürs Wohl der All^rcmcinheit. 

Menzel hebt sich \cm dieser elementrircn Anschau- 
ung schon als Knabe in aller Schärfe ab, und wir wer- 
den immer wieder das Problematische seiner Schöpfung 
in demselben Moment erkennen: er sträubt sich gegen 
das Spiel. Wir finden unter den Tausenden von Zeich- 
nungen die allermeisten von der Art des frühen Blattes 
mit der Hand des Vaters; natürlich unendlich verbessert, 
von einer Genauigkeit der Beobachtung, die dem Knaben 
entgehen mußte, reicher im Detail, sicherer in der Form. 
Menzel erwarb sich eine solche Geläufigkeit in der Hand- 
häbunt'- des Bleistifts, daß er seine Zeichnungt:n einfach 
mcdcr schrieb, wie ein anderer mit der Feder einen Satz 
notiert. Alle] diese Zeichnungen sind reizvoll. Wenn man 
jemandem, der Menzel nicht kennt, ein beliebiges Blatt 
zeigte, wurde er sofort einen ganz originellen Künstler 
erlniinen und daran seine Freude haben. Auch noch 
an dem zweiten und dritten. Bei dem tausendsten 
aber wurde er anfangen, unruhig zu werden, verwundert 
über die absolute Identität der Form; und zeigte man 
ihm dann das ganze Werk, so ginge die Verwunderung 
schließlich in Unzufriedenheit über, und das letzte Re- 
sultat wäre eine fast feindselige Stimmung g^;en den 



50 



DER ZtlCiiNER 



Autor. Trotzdem war Inines der Blätter scUechter 
als die ersten, die demselben Betrachter gefielen. Man 
könnte also dem Ungeduldigen den Vorwurf machen» 
daß er an seiner Abndgung selbst schuld sd, nicht 
Menzel. Denn wenn die Art vollendet ist, darf die 
Wiederholung dem Autor nicht als Mangel angerechnet 
werden. Vielmehr, könnte man vermuten, handelt es 
sich hier wahrscheinlich nur um die natürliche Über- 
sättigung des Betrachters, die bei Überanstrengung des 
Aufnahmevermögens selbst den Genuß der größten 
Meisterwerke in Frage stellt. Aber dieser Schluß ist 
verkehrt. Ich setze eine große Energie voraus, die, 
aufgeregt durch das merkwürdige Phänomen Menzels, 
zwischen Begeisterung und Ärger schwankend, zur Klar- 
heit gelangen will. Ihm fällt schon in der ersten 
Zeichnung ein schwer zu formulierender Mangel auf, 
den er neben der Bewunderung wie einen geheimen 
bohrenden Stachel empfindet. In den tausend Köpfen, 
den unzähligen Fragmenten jeder nur erdenklichen Art, 
ist immer etwas, das den Betrachter anzieht: die Ge- 
sundheit eines sicheren Instinktes, dessen Lockung man 
anfangs nicht zu widerstehen vermag. Und gleiciizeitig 
erfährt man eine immer stärkere Zurückweisung, wird 
von der Nichterfüllung eines Versprechens entmutigt, 
das fast schon realisiert schien. Es wäre verwegen, zu be- 
liaupten, Menzels durchaus aus dem Realen in das iMaterial 
übertragene Form sei keine Kunst, habe nicht mit allen 
echten Werken wesentliche Eigenschaften gemein. Dafür 
gibt der Bleistift zu sichtbar eine neue, immer nur mit 
Menzel zn bezeichnende Materie, macht zu vollendet 
das Relief der Natur zn einem Ornament auf dem Papier, 
reizt das Auge mit dem oiganischen Spiel zwischen 
Licht und Schatten. Es fehlen keine elementaren Eigen- 
schaften eines Kunstwerks. Der Mangel liegt vielmehr in 
dem geringen Grad des Vorhandenen. Diesen vermögen 



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FAMILIEN-PORTRAITS 



5« 



wir nur durch den Vergleich zu bestimmen. Die typische 
Menzelzeichnung der späteren Zeit streift von weitem 
an Rubens. Das Barock ist nicht greifbar, versteckt 
sich sogar zwischen geraden Strichen, und doch lauft 
die Weichheit der Moddlierung darauf hinaus. Man 
möchte Menzels Form ein ernüchtertes Barock nennen. 
Darin liegt schon eine Andeutung des Mangels. Die 
Nüchternheit kämpft mit dem freien Trieb des Künstlers, 
der uns in einem Rubens nur deshalb entzückt und zu 
den vielen segensreichen Wirkungen des Kunstwerks 
drängt, weil er alle darstellbaren Seiten des Künstlers 
unverhohlen darbietet, und weil aus diesen Seiten eine 
vollständige und durch nichts anderes zu ersetzende 
neue Art des Menschlichen, eine neue Vorstellungswelt 
entsteht. Die Welt ahnen wir in Menzel, aber ge- 
langen nicht in sie hinein. Seine Nüchternheit treibt 
die Welle, die wir in jeder Zeichnung spüren, ^nf un- 
wirtliche Gestade und schreckt uns in dem Moment, 
wo die Welle zur Masse werden und das Auge das 
Meer, d.i. die neue Welt, erblicken müßte, mit einem 
kalten, novellistischen Detail oder einem unüberwind- 
lichen naturalistischen Fra2:ment. Daran bleiben wir 
haften. Der LeitungsprozeLi hält auf halbem Werre an. 
Wir erschauen nur, wohin wir etwa mit der Art ge- 
langen müßten, und halten uns für benachteiligt, weil 
sich das Reich des Schönen nicht ganz erschließt. Es 
liegt an dem Nichtspielen Menzels. Er ernüchtert sich 
auf halbem Wege und läßt uns stehen. Daß er die 
Fortsetzung vermöchte, ist unzweifelhaft. Er würde uns 
nicht immer wieder anziehen, wenn wir die Möglich- 
keiten seiner VoUendung nicht greifbar vor uns sähen, und 
wenn uns nicht Menzel in der Zeichnung und aut allen 
anderen Gebieten ganz vollendete Dinee gegeben hätte. 

In einer verhältnismäßig sehr geringen Anzahl von 
Zeichnungen hat Menzel alles erfüllt. Sie unterscheiden 



5* 



DER ZEICHNER 



sich von der Masse dadurch, daß man sie durchaus nicht 
auf Grund der Eigentümlichkeiten des überwältigend 
größeren Teils des Werkes als von der Hand Memxls 
erkennt. Mindestens stehen sie so abseits wie die besten 
Illustrationen zum Kugler abseits von den anderen 
Arbeiten dieser Art. Sie sind bis zum gewissen Grade 
untypische Menzel und waren für die Faddeute imd für 
das Publikum bis vor wenigen Jahren kaum vorhanden. 
Die Zeit ihres Entstehens fällt nicht in die erste Jugend, 
sondern im wesentlichen in die viernger Jahre und 
später. Sie sind über eine geraume Spanne anscheinend 
willkürlich verteOt. Um mit einer Zwischenstufe zu 
beginnen, die den schroffen Gegensatz zu dem Gros 
der Zeichnungen vermeidet, erinnere ich zuerst an 
einige Portraits, wie das 1842 datierte der Mutter des 
Künstlers, aus der Sammlung Krigar Menzel, oder das 
vor kurzem in den Besitz der Nationalgalerie übergegangene 
ähnliche Frauenbildnis. Beide sind kleinen Formats und 
mit unendlicher Sorgfalt gemacht. Jedes Fältchen am 
Kleid der Mutter ist exakt gegeben. Man freut sich 
dessen, weil man trotz aller Genauigkeit nicht von dem 
Detail erdrückt wird. Es ist mehr da. Die Frau steht mit 
ihrem g^men Leben vor uns. Ein Enthusiasmus zeich- 
nete nicht nur ihr Kleid, das reizende Gesicht und die 
Hände, sondern sorgte für den intimen Zusammenhang, 
festigte die Details, zog sie zusammen und gab der ganzen 
Figur die überraschende Stabilität. Eine gewisse Straff- 
heit ist dieser Art von Zeichnungen eigentümlich, zu- 
mal der Mangel an jeder Nuance von Barock. Die Art 
erinnert ein wenig an Franz Krüger und übertrifft ihn um 
dasselbe Stück, um das Menzel Chodowiecki überragte. 
Krüger ist gleich intim, gleich schlicht, aber hat nicht 
den Reichtum des Äußerungsvermögens Menzels. Später 
ändert sich das Verhältnis. Auch bei den Studien zu 
dem Krönungsbilde fällt uns Krüger ein, aber diesmal 



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FAMILIEN-PORIRAITS 



53 



vermag der größere Reichtam Menzels nicht die vor- 
nehmere Art des Vorgängers zu ersetzen. Krüger ver- 
eint in den Hunderten von Fortraits mit der Ahnlich- 
kdt den Charme einer Hebenswürdigen Empfindung. 
Es smd viele recht langweilige Herren darunter, doch 
wüßte ich kein Blatt, das die Mängel Menzels zeigte. 
Diese scheinen mehr in einem Zuviel als Zuwenig zu 
li^n. Was bei Krüger so angenehm berührt, ist die 
taktvolle Zurückhaltung in der Schilderung, eine Leicht- 
heit der Behandlung, die dem Objekte nicht das Recht 
gibt, sich über den Autor zu stellen, auch wenn er den 
hochgestellten Modellen noch so viel Respekt oder Auf- 
merksamkeit schuldet und sich noch so bescheiden äußert. 

Der Geist Krügers ist auch in den kleinen Ölbildern 
Menzels aus den vierziger Jahren lebendig, den In- 
terieurs mit der Familie beim Lampenlicht. Trotz aller 
Verschiedenheit der Mittel, die sich in der skizzen- 
haften Art der Bildchen zu erkennen gibt, erinnern 
sie an die saubere Ökonomie Krügers in dem reizenden 
Zimmer mit dem Prinzen August, der Nationalgalerie. 
Dann verschwindet die Intimität am den Zeichnungen 
Menzels oder versteckt sich wenigstens, um wieder einer 
Menge banaler Dinge Platz zu machen, und plötzlich, 
vierzehn Jahre später, bringt Menzel das schönste Blatt 
des ganzen Kreises hervor, die Familie am Klavier. Die 
Zeichnung ist eine von denen, die die Ausnahmestellung 
der ganzen Art feststellen. Man überlege, wie anders 
Menzel sonst um diese Zeit — das Jahr 1856 — und 
vorher und nachher zeichnete, denke an die Breite 
seiner Striche und die wuchernde, die Formen ver- 
wischende Weichheit der kohligen Flächen. Der Autor 
der Familie am Klavier ist wohl derselbe Mensch, zudem 
hat er sich selbst mit poriraüert. Man kann die Art 
unterbringen, aber möchte glauben, sie sei einem andern, 

^) Sammlung Martini, Berlin. 



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54 



DER ZEICHNER 



reicheren, edleren Bewußtsein Menzels entsprungen, ak 
die gewohnten Dinge. Das Auge sah hier nicht weniger 
scharf als in den anderen Zeichnnngeni, es ist vielmehr 
schärfer, denn die Erscheinung steht unvergleichlich 
prägnanter vor uns. Wohl aber hat die Wirklichkeit 
weniger mitgewirkt als die Empfindung, oder vielmehr, 
das gewohnte Auffassungsvermögen vermehrt sich um 
eine aus der rein mensdüichen Erfahrung Menz^ quillende 
Zutat, die der Erscheinung ein höheres Dasein verleiht. 
Darin liegt der Unterschied: die Daseinssphäre dieser 
seltenen Zeichnungen deckt sich nicht mit dem gewohnten 
Genre Menzels, obschon alle Wirkungsfaktoren sonst 
dieselben sind. Sie hat nicht das Ephemere, das trotz 
des stärkeren Realismus den anderen Werken anhaftet, ent- 
steht vielmehr aus einer Verdichtung der anderen Sorte. 

Nicht zufälligerweise beschättigen sich Menzels beste 
Blätter mit seiner Familie. Keine bewußte Sentirnen- 
taUtät ist daran schuld; denn sie sind nicht weniger 
sachlich als die übrigen. Der Grund liegt vielmehr darin, 
daß Menzel hier notwendigerweise in die Lage kam, 
sich Zeit zu nehmen. Denn nichts fehlte ihm sonst so 
sehr als die Zeit, sich so intensiv mit den Dingen 
zu befassen, daß hic aus dem gewohnten Provisorium 
in den höheren, ausgcdeutetcrcn, des Aleisters Kraft 
würdigeren Zustand der Vollendung gelang icn. Dasselbe 
Provisorium findet sich, mehr oder weniger ausgestaltet, 
in dem Schöpfungsprozeß aller Künstler. Kaum gelingt 
dem ersten Einfall die Konzentration, die alle Momente 
sah äußerste spannt und sofort das Werk mit aHer 
Fracht umgibt. Oft hat die endgültige Form eines 
Gedichtes mit der ersten Niederschrift nur drei Worte 
gemein. Beim Musiker ist die erste Idee vielleicht ein 
einfaches Motiv, das erst durch die Variationen be- 
deutend wird. In allen KClnsten wird eine gewisse Zutat 
schon durch das materiell notwendige Durcharbeiten im 



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FAMILIBN-FORTRAITS 



55 



Material, das selbsttätige Bedinenngen zuführt, o^egeben. 
Die Größe des Künstlers wird sich in dem Wahlvermögen 
äußern, das aus allen beim Durcharbeiten nach und 
nach entstehenden Möglichkeiten die beste nimmt, d. i. 
die knappste und reichste. Daß dieser Teil der Schöpfung 
nicht mit dem Anfang zusammenfällt — auch wenn sich 
bei genialen Menschen die Teile unter Umständen in 
Sekunden abspielen — liegt auf der Hand. Der Anfang 
ist immer materieller Art, neigt zur Natur, weil er ihr 
am nächsten steht, zeigt notwendig fragmentarischen 
Charakter. Was dazu kommt, ist eine gleichzeitig aus- 
dehnende und zusammenziehende Tätigkeit. Sie gelingt 
nur durch ein Geläuiigmachen des Vorwurfs im Geiste 
und besteht einmal im Ausbau des Falls (des Motivs, 
der Idee) mit allen die Form ergänzenden Einzelheiten; 
dann in der Befreiung des Falls von der Schlacke, die 
ihm ans seiner wdttich.6ii Heikanlt anliaftet; in der 
Entfernung aUes Zufälligen und Entbehrlichen, das ge- 
eignet ist, die Form zu schwächen. Man kann Menzel 
vorwerfen, daß er in den meisten Zeichnungen den 
Schöpfung^rozeß überstürzte. Die Ansätze waren immer 
genial, tauchten in das Formale ein, aber wurden nicht 
von der konzentrierenden Kraft durchdrungen. Bevor 
dies „Finishing** bei dem einen Vorwurf möglich wurde, 
hatte die Hand schon den nächsten vor. So kam er 
dazu, sich mit seinem Provisorium, das man keines- 
wegs etwa mit dem Begriff der Skizze verwechseln darf 
—wir werden darauf später beim Maler zurückkommen—, 
zufrieden zu geben. Und da jede 2^ichnung die 
Momente, die geläutert, gereinigt, verstärkt werden 
könnten, deutlich sehen läßt — sonst würden wir gar 
nichts davon haben — , kommt im differenzierten Be- 
trachter jenes Gefühl der Unruhe und Unbefriedigung 
an die Oberfläche. Es ist nicht Undankbarkeit oder 
Verständnislosigkeit, sondern im Gegenteil, die Quittung 



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DER ZEICHNER 



für die Darbietung einer angefangenen, unser Genuß- 
vermögen anlockenden, aber nicht vollendeten Schöpfung. 

Bei den Blättern, die sich mit der Familie beschäftigen, 
zog der Künstler aus dem Vorwurf eine ganz natürliche 
Hilfe. Er brauchte den Eindruck nicht zu notieren 
wie sonst, wenn ihn das Erstaunen über das gesehene 
Bild zu augenblicklicher Niederschrift drängte. Die vier 
Menschen auf dem erwähnten Blatt besaß er, er hatte 
sie um sich, lebte intensiver mit ihnen als mit dem be- 
liebigen Ereignis, das ihm im Kaöcch.uis oder auf der 
Str^üe zwisclieii die Finger lief; erlebte sie, liebte sie 
und konnte daher mehr von ihnen geben, als von den 
tausend Erscheinungen, mit denen sich seine Neugier 
vergeudete. Er schul, ging in die Tiefe, erschöpfte. Das 
ist nicht etwa durch Ableitungen, aus der Bedeutung des 
Gegenstandes, sondern an der rein formalen Behandlnng 
zu merken. Wenn man sich das Kunstwerk als den 
Griff eines genialen Menschen in formlose Materie dar* 
stellt, so sieht man, daß Menzel Hier tiefer griff als 
sonst und den Griff besser überlegte. Es genügt, den 
wohlgeordneten Reichtum der Töne zu v^olgen, die 
Variierung der Farbe von der hintersten Figur an- 
gefangen bis zur vordersten, den glänzenden Einfall, 
die scharfwinldige Klaviatur, von der sich die rundlichen 
Büsten abheben, zur Bereicherung des Linienspiels zu 
benutzen. Jede einzelne Figur ist mit der Sorgfalt 
gemacht, die wir in der 2^duiung der Mutter fanden. 
Des Bruders Gesicht trägt den äenbar durchaus ge- 
wohnten Ausdruck. Man vergleiche ihn mit dem Aus- 
druck irgend eines der vielen Studienköpfe Menzels. 
Die Natürlichkeit ist dieselbe, aber wie epidermal erfaßt 
scheint sie in den gewohnten Köpfen im Vergleich 
zu diesem ganz ausgedachten Gesicht, in dem die Natur 
scheinbar getrieben wird, sich auf sich selbst zu besinnen, 
um alles Sichtbare sehen zu lassen. Die Erfassung geht 



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FAMILIEN-PORTRArrS 



57 



tiefer, ist reicher und zugleich unendlich knapper. 
Schon in der Andeutung der Haltung des Kopfes 
scheinen psychologische Aufschlüsse über den Bruder 
zu stecken. Nur die Verschiedenheit der Haltung klärt 
uns über die Frauen tiguren auf. Doch gleitet der Blick 
über alles das hinweg, genießt die Erkenntnis nur als 
Ahnung, die Physiognomie der Dargestellten nur als 
Schmuck und sammelt sich in dem Räumlichen des 
ganzen Blattes. Die guten Zeichnungen Menzels sind 
tiefer — nicht im Psychischen, sondern im Räumlichen 
— als die anderen. Hier wirkt die Form wie krause 
Willkür, dort rundet sie sich zu einer ganz geschlossenen 
Erscheinung. Und weil dem so ist, finden wir auch 
nur in den besten Zeichnungen die sogenannte psychische 
Tiefe, die man an Menzel sonst vermißt. Sie rüiirt ledig- 
lich von der gelungeneren Modellierung, der sichereren 
Perspektive und der strafferen Ordnung des Farbigen her. 

Ein paar solcher intimen Interieurs gibt es auch 
unter den Radierungen. So die Dame am offenen 
Fenster, mit dem Kanaiicnbauer,^) und vor allem der 
kostbare Druck „Im Familienzimmer", ^ den Menzel 
für unvollendet erklärte. Man hat vor solchen Zeich- 
nungen von Ingres gesprochen. Aber die Ähnlichkeit 
beschränkt sich auf das Zeitkostüm und sekundäre Dinge. 
Man k&inte aus demselbanGnindeyiele Zeichner derselbai 
Zeit mit Ingres verwandt finden, z.B. die jungen Ham- 
bniger Spedcter» Milde usw. Zu dem Kostüm tritt 
noch eine gewisse in der Zeit begründete Sparsamkeit 
mit dem Material, die bei den Hamburgern sogar weiter 
geht, und vielleicht der Rest des Einflusses des Klassi- 
ztsten-Portraits. Alles das sind Äußerlichkeiten. Menzels 



*) Im Katalog von Dorgerloh Nr. 1381. 

•) Nicht im Dorgerloh. Figurierte in der Ausstellung der National- 
gaierie als eins der schönsten Stücke der Sammlung J. Lessing, Berlin 
(Katalog der Anartdliiag Nr. 5686). 



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58 



DER ZEICHNER 



und der Hamburger Familienzeichnungen gehären allen- 
falls in einem sehr weit gegriffenen Kreise znsammen, in 
dem der Berliner Meister als Herrscher seiner Mittel, 
die Hamburger als begabte Autodidakten, nicht ohne 
einen Anflug von Dilettantismus erscheinen. Ingres kann 
man unmöglich in diesen Kreis mit hineinziehen. Mit 
ihm verglichen, vermischen sich die Unterschiede zwischen 
den anderen. £r steht auf einer ganz anderen Seite. 
Was Menzel mit den Schattierungen von Flächen zu 
erreichen sucht, baut Ingres mit einer Linie. Er schat- 
tiert vergleichsweise überhaupt nicht. Sein Umriß hat 
eine solche Macht des Ausdrucks, daß gleichzeitig das 
Innere scheinbar von selber mit entsteht. Nuancen 
genügen zur Ergänzung. Menzel wirkt dagegen durch- 
aus flächig. Der Raum singt in den Zeichnungen 
Ingres', und die Form ist immer monumental, d. h. 
ganz und gar Form, ohne Reste einer Beschreibung. 
Die Linie windet sich selbst da, wo sie der unent- 
behrlichen Realität dient — und wo täte sie's nicht 
bei den aus nichts gemachten Zeichnungen? — zu 
einem Rhythmus von souveräner Schönheit. Menzel 
erzielt seine Bewegung durch vorsichtiges Ausfüllen. 
Ingres gibt dnen PnnlEt haarsdiarf abgewogen auf dem 
makellosen Papier — es ist das Auge. Der gdiauchte Teil 
einer Rundung gibt den Nasenflügel, eme Wellenlinie 
den Mimd» drei spinnewebendünne Striche die Hände» 
ein halbes Dutzend ähnlicher Fäden das Kostüm usw. 
Und doch steht das Porträt in voller Körperlichkeit 
Yor uns, ja, die Pracht der ModelHerung scheint hier 
gewaltiger als in den berückenden Gemälden des Meisters« 
Es ist wichtig, den prinzipiellen Unterschied zwischen 
Menzel und Ingres zu erkennen, um Menzel gerecht 
zu werden. Was Ingres einen diametral entgegengesetzten 
Rang verleiht, ist die vollkommene Beherrschung der 
Antike. Eine durch viele Generationen filtrierte und 



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FA^MiLIEN-PORTKAil S 



59 



von ihm mit allen nnr erdenUidhen Mitteln, mit einem 
weitsichtigen KUektizismm wirkend gemachte Tradition 
gab ihm die letzten Möglichkeiten der Modelliernng 
im Idasaischen Gebte; die Fähigkeit, mit einer Be- 
rührung des Fingers die Fläche zu schmücken. Menzel 
ist darauf angewiesen, sich seine Form langsam zurecht 
zu tasten, und entbehrt selbst in seinen glänzendsten 
Blättern des Flüssigen einer ganz gehorsamen Schönheit. 
Noch in dem vorher erwähnten Familienblatt spürt 
man den Rest eiserner Mühe. Wo die Konzentration 
auch nur um ein geringes nachläßt, wie in den 
meisten anderen Zeichnungen, wird die Vollendung ver- 
mifit, und das verblüffende Geschick bewahrt die Ge- 
staltung nicht vor dem Formlosen. Nur die ganz un- 
gehemmte Empfindung Menzels, die Beteiligung des 
ganzen Wesens an der Arbeit vollbringt die Schönheit. 
Menzel besitzt nicht, er muß sich jedesmal den Sieg 
neu ericämpfen. Ingres erscheint demgegenüber viel 
vorteilhafter ausgerüstet, und man vermag in groben 
Umrissen zu erkennen, wie anders sich in ihm der 
Wille der Persönlichkeit äußert. Die berühmte Zeich- 
nung mit der Familie Forestier — auch zwei Männer 
und zwei Frauen, die sich um ein Klavier gruppieren 
— hat im ersten Augenblick vieles gegen sich, was 
Menzels Familienbild auszeichnet. Die Stellungen sind 
Porträtposen, die Regie ist konventionell; das In-sich- 
gekehrte der Figuren unseres Meisters, seine gespannte 
Konzentration sucht man vergebens. Statt dessen herrsciit 
ein ganz leichter Konversationston. Aber diese Be- 
handlung läßt von den Dargestellten dieselben intimen 
Seiten sehen, die Menzel an den seinen zeigt. Wir er- 
kennen die Natur in allen und zwar noch feineren 
Nuancen, und dazu tritt eine von der Begebenheit 
ganz befreite Form, lichter, sicherer, verklärter ab in 
dem Blatte Menzels, und läBt uns das K<mventbneUe 



6o 



DER ZEICHNER 



und alles, was man sonst dagegen sagen mag, als un- 
wesentlich empfinden. Der Mangel an tiefeien psydio- 
logischen Beziehungen erscheint uns hier ebenso als 
Vorzug wie in den ruhigen Posen der Aldobrandinischen 
Hochzeit, und wir erkennen, daß auch das aus dem Ge- 
mütlichen gewonnene Argument in die Kategorie der 
Kostumfoagen gehört, die mit jeder Zeit wechseln. Ohne 
starke Empfindung wäre natürDch Ingres nicht möglich, 
aber seine Empfindung ist mehr eine gymnastisch er- 
zogene, durchaus permanente Hilfe, die ihm fast unge- 
wollt zur Seite steht; nicht errungen, sondern geschenkt. 

Der Zeichner Menzel hatte so gut wie keine Be- 
ziehungen zu einer fremden Kunst, am wenigsten zu 
Ingres. Wir halten in den beiden Blättern zwei typische 
Spezimen beider Rassen in der Hand, und erkennen 
sie trotz der im ersten Augenblick anscheinenden Ver- 
wandtschaft als Gegensatze. Der Vergleich Gotisch- 
Antik ist nicht mehr angebracht, um den Kontrast zu 
kennzeichnen. Nur in Ingres wirkt noch ungebrochen 
die uralte Mitgift seines Volkes. In Menzel ist nichts 
mehr von der großen nordischen Kunst; er gibt sich 
nur selbst. Wenn des Franzosen leises Spiel uns stärker 
lockt, weil er uns sanfter umschlingt, vergessen wir 
nicht, wie viele Helfer in ihm mitspielen. In Menzel 
ruft uns allein eines einzelnen bescheidene Stimme. 



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LANDSCHAFTEN 



JEDER große Mdster unserer Zeit» zumal jeder 
deutsche» zeigt in seinem Werke die Peripetien der 
modernen Kunst. Das Improvisierte der modernen Ent- 
wickelungflgeschidite muB in Menzel um so mehr zum 
Vorschein kommen» als ihm seine isolierte Lage nicht 
die Gunst eines ausgleichenden Studiums der alten 
Meister gewährte. Dieser Mangel an methodischer Lehre 
gibt der Gesamterscheinimg Menzels den Anstrich des 
Unkultivierten. Das Unvergorene vieler Zeichnungen 
liegt darin begründet. Derselbe Umstand verleiht ihm 
aber auch große Vorzüge. Er erklärt das durchaus 
Sprunghafte seiner Entwicklung und den seltenen Um- 
fang seiner Vielseitigkeit. Menzel erscheint zuweilen 
wie ein in die Kunst verschlagener Barbar, aber greift 
auch mit der Kraft der Einfalt des Barbaren Aufgaben 
an, die einem strenger organisierten Künstler entgangen 
wären. Er hatte, wie wenig andere, infolge eines außer- 
ordentlich langen Daseins, das mit Arbeit begann, mit 
Arbeit endete, die Möglichkeit, alle nur erdenklichen 
Seiten seines Wesen? zur Reife zu bringen. Ich weiß 
kein Genre, das er nicht versucht hätte. Ingres, so 
alt er wurde, blieb immer auf das klassische Gebiet der 
Malerei beschränkt. Seine Zeichnungen nun gar, soweit 
sie sich nicht in den Dienst der Gemälde stellen, be- 
schäftigen sich nur mit einem und demselben Gebiet, 
dem Porträt. Menzel hat sich als Zeichner das Beste 
aus der Landschaft geholt. Dadurch deutet er im 
kleinen an, was der Malerei im großen allein übrig 
blieb, wollte sie neben der Vergangenheit nicht erröten. 

Wie die Neuheit des Gebietes ihm half, springt 
jedem Betrachter in die Augen. Alle Landschaften, 
mag man nehmen, welche man wolle, selbst noch die 
spätesten, unterscheiden sich ganz unverkennbar von dem 



6z 



DER ZEICHNER 



großen Haufen. Man hat das Gefühl, das sich bei 
aUen modernen Meistern im selben Falle iKriederhoIt, 
als habe der Künstler die Landschaft entdeckt. Die 
Geste, die in anderen Gegenständen in die Breite geht 
nnd inuner schleppender wird, hat hier das Feuer der 
Jugend und kehrt alle Spannkraft des Temperamentes 
hervor. Der Stift, so fühlt man, tanzte über das Papier 
wie das Auge über das blühende Gelände, und er um« 
faßt — was so wenige Zeichnungen Menzels vermögen — 
umfaßt die Welt, wie das frohlockende Auge das Glück, 
nicht nur der Realität einer Landschaft. So viele Zeich- 
nungen Menzeb riechen nach dem Bleistift und der 
KoUe. Man erfreut sich vielleicht dieses und jenes De- 
tails und seufzt in der Freude über die mitübernommene 
Last. In dem köstlichen „Schaf graben"^) mit der blitz- 
schnell erhaschten Brücke duftet die Frische. Duftet 
wirklich. Ich glaube, die Verwirrung der Sinnesorgane 
vor gelungenen Dingen der Kunst entspringt nicht 
allein dem Wunsch des Betrachters, Analogien zu suchen, 
sondern nähert sich physiologischer Tatsächlichkeit, weil 
die volle Lösung schnell den Sinn neutralisiert und das 
Bewußtsein drängt, diesem so gut wie jedem anderen 
Sinn für die Vermittelung zu danken. Die frohe Sinn- 
lichkeit dieser Seite Menzels lockt zu solchen Betrachtungen. 
Man genießt nicht die paar Bäume und das bißchen 
Wasser, sondern die aus Herbem und Zartem gemischte 
Art des Autors, der sich hier einmal entpuppt und dahin 
drängt, sich so offen wie möglich zu zeigen. Die Ele- 
mente in dem Blatt sind so delikater Art, daß sich jede 
Analyse ausschließt. Man sagt zn wenig, wenn man 
auf die Unterschit-de der Modellierung, den Reichtum 
der Töne, die Weichheit, die man dem Holzschneider 
nie zugetraut hätte, hinweist und das Licht preist, das 



^} Bei R. Wagaer, Berlin, aus 1S43. 



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LANDSCHAFTEN 



63 



aus Ideinsten Bewegungen quillenden Reichtnm gewinnt. 
Man muß sich begnügen, das Resultat anzustaunen und 
sich über die eigene Freude zu freuen^ die ganz ungetrübt 
das FroMocken des Temperamentes über seine Freiheit teilt. 

Menzel machte eine Radierung nach dem »»Scliaf- 
graben** und ätzte ungefähr gleichzeitig die köstliche 
Landschaft mit den Bäumen und den Kindern aus den 
,,Radierversuchen", die man, von dem ungeschickten 
Ausschnitt abgesehen , neben die besten Landschaften 
Seymour Hadens stellen könnte. Die Radiertechnik 
brachte die krause Art Menzels in eine sichere Form, 
aber unterdrückte dabei die umhüllende Weichheit der 
Bleizeichnung. Sie machte ihn um eine Nuance spröder 
als er seiner Art nach sein wollte. Der Flaum auf der 
reizenden Landschaft „Potsdamer Bahn" und den ver- 
wandten Zeichnungen, der mit dem Pinsel gemacht 
scheint, war mit der Radierung Menzels kaum zu geben, 

Man kann an solchen Blättern am besten den Fort- 
schritt von Chodowiecki zu unserem Meister verfolgen, 
weil sich Menzel hier noch in dem delikaten Rahmen hält, 
der allenfalls zu den kleinen Dingen des alten Kupfer- 
stechers paßt. Die Nähe ist viel deutlicher in den 
kleinen Holzschnitt-Landschaften im Kugler. Hier wirkt 
noch etwas von der mikroskopischen Erzählung des 
Autors der „Reise nach Danzig". Man erkennt noch 
die Legende, die lediglich aus dem Arrangement der 
Figuren im Raum, aus der Silhouette entsteht; die 
Zeichnung, die mehr gruppiert, als malt. Chodowiecki 
ist die letzte Gabe jener bescheidenen, unpersönlichen 
Kunst, die gaiv/ in die ATitwelt aufgeht und mehr 
den Stil der Epoche als ihren eigenen äuilei t ; gra- 
ziöses Handwerk. Der Lauf seiner Kunst ähnelt in 
vieler Hinsicht Menzels Geschick. Auch dieser wäre 



1) Sammlnng Max Liebermann, aus 1845. Hier u.a. auch «m reicende 

hessische Landschatt aas 1848. 



64 



DER ZEICHNER 

• 



olme den handwerkliclien Anfang unverständlich. Was 
im Leben des Vorgängers* die Emailmalerei als erster 
Broterwerb bedeutet, war für Menzel die Lithographie 
unter der Obhut des Vaters; bei beiden eine durchaus 
nachahmende Tätigkeit niederer Art, die ihren Schatten 
auf das ganze spätere Leben wirft. Beide wachsen 
über ihre Anfänge hinaus, nicht nur durch Verbe?serung 
der handwerklichen Leistung, sondern durch Hebung 
ihrer Anschauung, die schließlich in dem engen Ideal 
der Zeit kein Genüge mehr findet; sie gehen vom Ge- 
werbe zur Kunst über. Chodowiecki bleibt dabei immer 
noch in den Grundzü<?en «meines Wesens Handwerker, 
weil er zur Kunst mehr durch eine Raffinierung seiner 
Fertigkeit kam, als durch Betonung der persönlichen, 
eine neue Welt bildenden Anschanune. Menzel, dem 
eine ähnliche Beschränkung auf gesteigertem Niveau an- 
haftet, die Folge der einseitigen Betonung des Manuellen, 
setzt die Bahn Chodowieckis um ein so gewaltiges Stück 
fort, daß die Bedeutung des anderen immer wieder auf 
das Handwerkliche zurücksinkt. Chodowieckis Schritt 
läßt sich deutlich als Bruchteil der Entwicklung Menzels 
abzeichnen. Er erreicht mit aller Anstrengung und 
einer wieder an Menzel erinnernden, vielseitigen Tätig- 
keit nur die Pliasc, die in dem Leben des juiigcicn 
von der Kugler- Illustration dargestellt wird. Der von 
Menzel schnell erklommenen Höhe dieser Holzschnitte 
war ChodowiecH nur nach jahrelanger Arbeit in seinen 
Radierungen nahe gekommen, ohne sie ganz zu er- 
reichen. Das Stück, tun das der junge Menzel selbst 
die glänzendsten Radierungen des Vorgängers übertrifft, 
ist immer noch so groß wie die ganze Bahn Cho- 
dowieckis« Seine Irrungen beginnen erst nach diesem 
mühelos errungenen Stadium imd unterscheiden sich 
durchaus von den Kreuz- und Quergangen des großen 
Kupferstechers. Wie Ottingen in seinem Buch anschau- 



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LANDSCHAFTEN 



6S 



lieh dargestellt hat, geriet Chodowiecki immer wieder 
unter den Einfluß der Franzosen des i8. Jahrhunderts, 
denen er sich durch Abstammung und Erziehung bluts- 
verwandt fühlte. Wie fern diese Epoche unserem, nur 
14 Jahre nach des Meisters Tode geborenen Künstler lag, 
lehrt jeder Vergleich seiner unbeholfenen Szenen aus 
dem Dix-huitieme im Kuglcr und in den Werken 
Friedrichs mit Chodowieckis durchaus zcitgemäLicn Über- 
tragungen der Schäferspiele Watteaus. Menzel ist un- 
vergleichlich selbständiger. Sein Barock ist durchaus 
von seinem Geiste. Was er von dem Stil der Ver- 
gangenheit übernahm, war schon durch GraflF und Cho- 
dowiecki filtriert und schließlich so wenig, daß er fast 
als Antipode der Franzosen erscheint. Aber gleichzeitig 
zeigen sich die Gefahren der Isolierung. Chodowiecki 
gewann aus der französischen Kolonie, der Mutter der 
alten Berliner Kultur, den Schutz gegen die Willkür seines 
wagelustigen Dilettantismus. Menzel wird nur in der 
Jugend von der Zeit unterstützt, und ielir bald spiegelt 
sich in seiner Kunst die zunehmende Schwäche seiner 
Epoche. Die Welle Friedrichs des Großen in der Kunst- 
kultur des Nordens trägt Chodowiecki in die Höhe und 
ist nochy so fem ihr Menzd in sdnem eigentlichen 
Wesen stand, in der Frühzeit des Illustrators zu spüren. 

Aber in Menzel treibt die Persönlichkeit weitere Kreise, 
weil er sich unvergleichlich intensiver an der Natur übt. 
Auch der alte Kupferstecher verdankte seiner Natur- 
treue die Erhebung über die Tababdosenmalerei. Diese 
Befreiung ist jedoch mehr stofflicher Art, d. h. sie rührt 
nicht an die Tief en seines Wesens und überspringt daher 
nicht den Umfang des Handwerks. Sie Heß ihn die 
Natur suchen, aber auch in der Natur b^lückte ihn 

^) Daniel Chodowiecki von Wolfgang v. Ottingen (Berlin, G. Grote, 
1895). Das umstehend folgende Stück der AutobiographiA Cbodowiecki 
itt dem auf S. 63 und 64 dcndben Bndbea gebnditen Zitat «ntnommani 



66 



DER ZEICHNER 



die Episode. „Ich. zeichnete nebenher'^ schreibt er von 
sich selbst. „War ich in Gesellschaft, so setzte ich mich 
so, daß ich die Gesellschaft, oder eine Gruppe aus der« 
selben, oder auch nur eine einzige Figur übersehen 
konnte, und zeichnete sie so geschwind, oder auch mit 
so vielem Fleiß, als es die 2!eit oder die Tätigkeit der 
Personen erlaubte. Bat niemals um Erlaubnis, sondern 
suchte es so verstohlen wie möglich zu machen; denn 
wenn ein Frauenzimmer — und auch zuweilen Mannes- 
personen — weiß, daß man's zeichnen will, so will es 
sich angenehm stellen und verdirbt alles, die Stellung 
wird gezwungen. Ich ließ es mich nicht verdrießen, 
wenn man mir auch, wenn ich halb fertig war, davon- 
lief, es war doch so viel gewonnen. Was habe ich da 
zuweilen für herrliche Gruppen mit Licht und Schatten, 
mit allen den Vorzügen, die die Natur, wenn sie sich 
selbst überlassen ist, vor all den so gerühmten Idealen 
hat, in mein Taschenbuch eingetragen! Auch des Abends 
bei Licht habe ich das oft getan; kein besseres Studium, 
um große Partien Licht und Schatten hervorzubringen. 
Ich habe stehend, gehend, reitend gezeichnet; ich habe 
Mädchen im Bette in allerliebsten, sich selbst überlasse- 
nen Stellungen durchs Schlüsselloch gc/.cichnet . . . Ich 
habe nach Gemälden wenig, nach Gips etwas, viel mehr 
nach der Natur gezeichnet. Bei ihr fand ich die meiste 
Befriedigung, den meisten Nutzen; sie ist meine einzige 
Lehrerin, meine einzige Führerin, meine Wohltäterin. 
Wo ich sie finde, werfe ich ihr einen Kuß, wenn es 
auch nur in Gedanken ist, zu: dem reizenden Mädchen, 
dem praciitigen Pferde, der herrlichen Eiche, dem 
Strauche, dem Baucniliausc, dem Paläste, der Abend- 
sonne und dem Mondlicht. Alles ist mir willkommen, 
und mein Herz und GrifFel hüpfen ihm entgegen/* 
Man kann seine Kunst unmöglich reizender schildern. 
Ghodowiedds 23d war der Ersatz dar überlieferten 



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LANDSCHAFTEN 



Pose durch die Natur. Aber was er in der Natur fand, 
war im Grunde wiederum nur eine Pose, freilich dies- 
mal so unediert und lockend und dem Rahmen so 
gut angepaßt, daß man nicht die Beschränkung em- 
pfindet. Den Anspruch, den die Bildchen hervorrufen, 
erfüllen sie. Nur beschränken sie sich durchaus auf 
Kleinkunst; nicht weil es sich um kleine Radierungen 
handelt, sondern weil die Kunst im wesentlichen als 
Reproduktion auftritt, auch wenn, wörtlich genommen, 
Chodowiecki nur sich selbst reproduzierte. Die Radie- 
rung wirkt weniger mit ihren individuellen Mitteln, 
als mit der Situation, die Chodowiecki erfand, und die 
Zeichnungen aus der Blütezeit des Meisters vermögen 
nur selten das Dix-huitieme zu überwinden, Wohl ver- 
wischt die Radierung; den Zusammenhang mit den Fran- 
zosen, aber sie gibt uns keinen Ersatz von gleichem Wert. 
Diese negative Rolle der Technik raubt dem oft aus- 
gesprochenen Vergleich Chodowieckis mit Chardin die 
rechte Unterlage. Chardin unterschied sich von seinen 
zeitgenössischen Landsleuten nicht nur durch die Ver- 
einfachung und Verbürgerlichung des Interieurs — das 
erscheint uns sogar als Nebensache — sondern durch die 
höchst spezifische Bereicherung des Malerischen.*) Er 
brachte in den lockeren Strich der Fragonard-Schule das 
Prickelnde seines Auftrags und den Reichtum seiner 
Koloristik, und wirkte mit solchen Mitteln im weitesten 
Umfang vertiefend, während sich Chodowiecki im 
wesentliclieii auf die Modifikation der Modelle be- 
schränkte. Nur in seltenen Stunden meldet sich in 
dem Danziger Meister die neue Zeit, und zwar deuten 
auch seine schüchternen Versuche die große Entwicke- 

^) Vgl. das Kapitel Vermeer-Charüm-Corot in meinem Buch „Cprot- 
CcMirbet*'. YH» sebr di« Meist« des Dix«hiiitidme Gemeiagnt geworden 

waren, geht aus der hübschen Tuschzeichiiung hervor, die Chcxlowieckis 
Tochter Suse tte nach dem Meister machte (abgebildet bei Ottingen S. 248). 
Die Ähnlichkeit mit den Selbstportraitä Chardins im Louvre i^t deutlich. 



68 



DEK ZÜiCHNKR 



long an, die im 19. Jabrlmndert von den Hdländem 
des 17. Jalirhanderts ausgehen sollte. Überall, wo er 
sich von den Franzosen frei macht, merkt man den 
Einflnfi der Holländer, gleichzdtig aber auch die persön- 
lichste Note des Meisters. Das ist am deutlichsten in 
den wenigen Blättern, die sich mit der Landschaft be- 
schäftigen. Seine erste Landschaft des Jahres 1759 war 
eine Radierung nach Rembrandt. In den beiden Land- 
schaftstudien des Jahres 1764 scheint sein eigener Natur- 
sinn zu erwachen. Die Danziger Reise von 1772 treibt 
die reizendsten Blüten. Das Blatt, das die Ankunft vor 
der Stadt schildert — die Landstraße mit dem Leiter- 
wagen, dahinter Chodowiecki zu Roß neben dem fürbaß 
wandelnden Kaufmann aus Kopenhagen, im Hinter- 
grunde der weiten Ebene die Türme Danzigs — hat 
gar nichts mehr mit dem Dix-huitieme gemein. Hier 
ahnt man die Möglichkeit einer deutschen Landschafter- 
schule und fühlt die Nähe Menzels. Die schlichte 
Poesie der Kugler- Illustrationen scheint schüchtern an- 
gedeutet. Vergleicht man mit dem eben erwähnten Blatt 
Menzels Landschaft mit dem Wagen des gefangenen Kron- 
prinzen, so wird die Beziehung deutlich. Den engeren 
Kreis des Autors der Danziger Reise bestimmt der Um- 
stand, der ihm den Erfolg als Maler versagte. Die zarte 
Gabe, fast zu fragil für die Radierung, reichte für die 
Bewältigung der Mittel des Malers nicht aus. Daß seine 
Gemälde nicht annähernd dem Reiz der Zeichnungen 
und Radierungen gleichkommen, ist eine notwendige 
Folge. Menzel dagegen malt bereits im Kugler, d. h. 
läßt schon hier eine das Material spielend überwindende 
Formenstärke sehen. Nur das Mittel macht seinen Stil. 
Er konstruiert nicht mehr mit den vom Gegenstande 
gelieferten Einheiten, sondern teilt sich sein eigenes 
System zurecht. In den zartesten Landschaften der 
fägenden Zeit, wie der ,,Potsdamer Bahn", wirkt der 



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LANDSCHAFTEN 69 

Maler starker Bilder. Er gleicht darin in unendlich 
reicherem Maße den großen Meistern, die hundert Jahre 
vor Chodowiecki malten und zeichneten, und nähert 
sich den Modernen. Neben dem Landschafter Menzel 
erscheint Chodowiecki wie das Diminutiv eines Primitiven. 

Die Linie, die von dem alten Kupferstecher über 
Krüger zu unserem Meister geht, ist keine starke Kette. 
Man vermißt das sichere Bindemittel, das z. B. Corot 
an seine Vorgänger, oder Leibi an Courbet fesselt. 
Merkwürdigerweise hat Menzel zu den beiden ersten 
Gliedern seiner Reihe mehr Beziehungen als jene beiden 
zueinander; man erkennt sogar vielleichterst, wa? Cho- 
dowiecki und Krüger verbindet, an der Art des Jün- 
geren. Das Gemeinsame erscheint weniger eine tech- 
nische Beziehung, sondern ein weiterer Begriff, den wir 
das Li gendarische aller drei nennen können. Was uns 
besonders poetisch an jedem von ihnen berührt, teilt 
er mit den anderen. Das Poetische trägt voikstümhche 
Prägung. Die Art ist ohne das Mitspielen traulicher 
ÜberHeferung so wenig denkbar, wie das Volkslied. Bei 
Chodowiecki steht die ÜberHeferung im Vordergrund, 
bei Krügers kleinen Szenen ist das Traditionelle schon 
viel loser, bei Menzel laßt sich keine Kinzellieit darauf 
mit Sicherheit zurückfuhren. Und doch wirkt gerade 
er vor allen als stärkster Legendendichter. Seine Illustra- 
tionen zur Geschichte Kuglers sind traditionell im. 
besten Sinne. Sie wirken so einfach und -vdkstümlich, 
daß nun das Artistische daran nicht als persönlichen 
Aufwand des Autors, sondern als eine Mitgabe ansehen 
möchte. Trotzdem wissen wir, daß Menzel mit ihnen 
unbewußt die größte Kühnheit beging und sich von 
der Art seiner Landsleute grundsätzlich entfernte. Die 
gezeichneten Landschaften stehen auf einer anderen Seite. 
In ihnen fällt die leichte Deutbarkeit, die den Popu- 
laritätswert begründete, fort. Der Meister ist in noch 



DER ZEICHNER 



viel Iiöheiem Grade isoliert. Wohl ynAt auch Her das 
Legendenbildende^ aber die Empfindung dehnt nch ganz 
ins Weite und beansprucht eine durchaus ästhetisch reife 
Betrachtung. Der Stilbegrifl erhöht sich und Yerliert 
die undefinierbare» wohltätig nvirksame Beschränkung. 
Die Freiheit des Künstlers scheint einer höheren Sphäre 
als vorher ihre Bedeutung zu verdanken und gibt jede^ 
auch die entfernteste Beziehung zum Handwerklichen 
auf. Statt dessen tritt mit aller Deutlichkeit der Maler, 
der nur noch zufällig den Bleistift handhabt, hervor. 

Wir finden etwas entfernt Ähnliches in Gottfried 
Schadow. Der Anmut, mit der er die beiden Prinzes- 
sinnen formte, ist das traditionell Wirkende unentbehr- 
lich. Wir entdecken es in dem Hauch von Barock und 
schreiben ihm mehr zu, als er wirklich erklärt. Aber 
mag das Überlieferte auch nicht in so einfachen Be- 
griffen liegen, wir erkennen es jedenfalls mehr oder 
weniger deutlich in einer von außen kommenden, sehr 
sanften Beschränkimg der Persönlichlceit. Den Land- 
schaften Menzels aber entsprechen gewisse Zeichnungen 
Schadows, in denen sich seine Eigenartigkeit meteor- 
artig — noch verbluffender als im Falle Menzels — 
enthüllt und Dinge sclien läßt, die das ganze, mit Recht 
geschätzte Niveau des Bildhauers herabdrücken. Ich 
denke vor allem an den getuschten Kopf in der National- 
galerie. Der Maler, der sich in diesem Blatte und ein 
paar ähnlichen meldete, steht gleichen Ranges neben 
Menzels größter Potenz. Daß ein Bildhauer dahinkam, ge- 
hört zu den Merkwürdigkeiten deutscher Kunstgeschichte. 



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DIE SPIELART 



WIR werden die Bilder Menzels, in denen er das Ver- 
sprechen des Malers einlöste, kennen lernen. Sie sind 
nicht Legion. Nur sehr wenige Gemölde erreichen das Male- 
rische des Bleistifts. Die ölskizze zu der Potsdamer Bahn'', 
in der Nation aigalcrie, ist mit der Zeichnung gleichen Vor- 
wurfs nicht in einem Atem zu nennen. Das Flotte der 
Pinselstriche erscheint neben der ganz abgeklärten Art 
der weichen Bleistiftlinien recht grob und überhastet. 
Gerade das Stille in der Bewegung der gezeichneten 
Landschaften enthält den Reiz und verbindet mit dem 
Eindruck des durchaus Instinktiven, Ungewollten das 
Sichere altmeisterhcher Kunst. In manchen Kasseler 
Landschaften^) werden die Massen mit der Verve eines 
mit breitem Pinsel schaffenden Malers zusammenge- 
schlossen, und trotzdem erhält sich das einzelne, und 
der Betrachter delektiert sich daran, wie an der Sauber- 
keit der Töne eines vollendet vorgetragenen Scherzo. 

Diese Delikatesse des Vortrags büßt Alenzcl in der 
überwiegenden Masse seiner Zeichnungen ein, zumal da 
wo er Fragmente gibt, wie in den meisten seiner Blätter. 
Offenbar half ihm in den Landschaften die Notwendig- 
keit, einen größeren Komplex schnell zu übersehen» 
w32irend alch in den Einzelköpfen und Details der Kd- 
Stift nvie in einer Sackgasse festlief. Menzel übertreibt 
in diesen Blättern um so mehr» als ihr Format gewöhn- 
lich viel größer ist als das der Landschaften und 
Familienportraits. Mit der Übertreibung vermag die 
Kraft der Form nicht Schritt zu halten. So entsteht 
das wiangenehm Weichliche» Verworrene der meisten 
2^chnungen. Schon Chodowiedd zeigt den Vorzag 
beschränkter Formate. Seine Kunst erscheint uns oft 



Zomaü eine am der Sammlnng T. Bvera, Bedin,.«iis 1S47. 



7« 



DER ZEICHNER 



nur deshalb so groß, weil sie sich so klein eiht. Die 
Steigerung des Effektes, die der Betrachter mit dem Her- 
auslösen der Form aus relativ kleinen Maßen scheinbar 
selbst vornimmt, ist ein von der ganzen neueren Kunst 
wohi verwandtes, in ihrem Wesen begründetes Mittel. 

Der Reiz liegt im Spiel. In allen gelungenen Blättern 
ist Menzel nicht der strenge Herr, den wir kennen, 
sondern ein fröhliches Kind. Er bohrt sich nicht 
mit scharfem Auge in Dinge ein, aus denen er nach- 
her nicht wieder heraus kann, sondern umspielt sie, 
hantiert mit ihnen in Laune und Lust, sodaß wir sie 
stets nur als einen Teil von ihm, nicht ihn als Teil 
der Dinge erkennen. Dieser Menzel war nichts weniger 
als geschickt. Mir schwebt ein Platz vor aus dem 
Ende der viemger Jahre, ick glaube der Markt von 
Kassel, auf dem die Häuser wie Betrunkene taumeln. 
Zum Spott geneigte Betrachter könnten an das Schul- 
heft eines Knaben denken. Die Wagehalsigkeit schießt 
fast über die Schnur, und der Übermut treibt lustige 
Gedanken in den Sinn. Man lacht viel herzlicher als 
▼or den komischen Szenen späterer Aquarelle. Und 
der Übermut bringt trotzdem mehr zustande als der 
Emst in den Hunderten von Sachlichkeiten. Der Un- 
geschickte ist trotzdem viel mehr Künstler als der 
sichere Pionier der Natur, der Spielende viel ernster 
und ergreifender als des Objektiven trockene Nüchtern- 
heit. Der ganze, auf peinliche Sorgfalt gerichtete 
Scharfsinn, alle Erfahrungen des Kenners seiner Modelle 
nützen uns nichts, wenn nicht der Wirbel des Tempera- 
ments dazu kommt, der dem Emst ein lustiges Gesicht 
schneidet und das Objektive im Handumdrehen zum 
Spielball verwandelt. Was wäre Michelangelos steil auf- 
steigende Woge, von der wir in den Himmel geschleudert 
werden, wenn sie nicht immer wieder in die Tiefe sänke! 
Was Tizians Glut, wenn wir uns daran nicht abkühlen 



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DIE SPIELART 



73 



könnten! Was die Dunkelheit Rembrandts, wenn wir 
durch sie nicht zum Lichten gelangten! Und was wäre 
uns der Emst aller Heroen der Kunst, die ihr Leben, 
treu ihrer Überzeugung, der Kunst opferten, wenn sie 
nicht lachten und Kinder waren, spielten! wenn wir nicht 
aus der wilden Dramatik ihrer Geschicke oder aus der 
lastenden Schwermut ihrer tiefen Gedanken das Glück, 
die milde Gelassenheit herrschender Helden ersähen! 

Wir erkannten vorher eins ab den Fehler des ins 
Ungewisse schweifenden Meisters: seinen Mangel an 
Konzentration, das Nachlassen im Schöpfungsakt, da 
wo es gilt, das Letzte zu sagen; das Verharren auf einem 
Zustand, der uns durch die Vielheit der Produkte keinen 
Gewinn bringt. Und doch scheint gerade der Emst, das 
Sichhineinquäkn in das Darzustellende, die SdiwSche des 
Künstlers. Aus diesem Dilemma erlöst uns nur die Er- 
kenntnis des Spiels und des Ernstes. Sicher ist das eine, 
wie wir anfangs sagten, dem Trieb des Kindes ähnlich, 
und das andere nähert sich dem stärksten Drang nach 
Erkenntnis, also wohl dem Entgegengesetzten. Aber die 
Vermittlung zwischen beiden entzieht sich nicht unserer 
Vorstellung. Sie beruht auf der Fähi^dt, aus der Er- 
fahnmg zur Empfindung dessen .zu gelangen, was dem 
Drang nach Tätigkeit die weiteste Laufbahn erschließt. 
Dort konzentriert sich der Mensch unter dem Druck 
der Erlebnisse; hier ergießt sich der Künstler ohne jede 
Fessel. Nur wenn man sich die beiden Prozesse neben- 
einander denkt und das unentbehrliche Kausalyerhältnis 
zwischen MenschUchem und Künstlertum außer acht läßt, 
sind sie unerklärlich. Sie verlaufen in WirkUchkeit hinter- 
einander. Der Künstler erlebt, bevor er spielt, und je 
ernster er erlebt, desto leichter beschwingt wird er spielen. 

Die Analogie muß sich notwendig, da der Kunst keine 
besonderen angeborenen Vorrechte anhaften, in jeder 
menschlichen Tätigkeit finden. Wir entdecken sie schon 



74 



DER ZEICHNER 



in der bekannten Tatsache, daß jedermann seinen Beruf 
nur gut ausübt, wenn ihm die Arbeit leicht fällt. Beim 
Eintritte des Studenten in eine Wissenschaft hat er das 
Gefühl, als müsse er aus hundert Yerschiedenen Ecken 
tausend Lehrsätze zusammentragen, und er erschrickt 
vor der Vorstellung, nachher alles Wissen in jedem Mo- 
ment gewärtig haben zu müssen. Er kann sich nicht 
denken, daß die erlernten Dinge, wenn wirklich erobert, 
selbsttätig in ihm werden und ohne sein unmittel- 
bares Zutun in dem Moment er?cheinen, wenn seine 
Spekulation ihrer bedarf. Kommt er nicht dahin, mit 
den Elementen seiner Wissenschaft spielen zu können, 
wie der Pianist auf der Klaviatur, erscheinen sie nicht 
auf den flüchtigsten Wink des Instinkts, gehorsam als 
Diener seiner Laune, so wird er nie der große Mann, 
den er träumte. Er muß leben mit seinen Zahlen und 
Gesetzen, um über sie herrschen zu können. Er hat 
nicht mit ihnen gelebt, wenn er genötigt ist, das ein- 
zelne nachzumessen, die Bücher nachzuschlapen, um in 
seine Aufgabe keinen sinnstörcndcn Fehler zu lassen. 

Das Problem Menzel, das sich im Zeichner offen- 
bart, nachdem es schon vorher im Illustrator angedeutet 
wurde, und das wir noch viel greifbarer in den folgen- 
den Stadien Menzels erkennen werden, beruht auf der 
Differenz zwischen Erleben und Schaffen. Es wäre ein- 
fach, wenn die Differenz konstant wäre. Wir sahen 
aber, daß der Mangel zuweilen verschwindet, und, soweit 
es sich um den Zeichner handelt, überhaupt nie den 
Wert der Produktion ganz ausstreicht. Die ^ückEche 
L^ung ist nicht an genau bestimmbare Zeiten gebunden. 
Nur in groben Umrissen gilt mit Recht die Frühzeit 
Menzels als die beste. Liebermann besitzt eine rapid ge- 
zeichnete oberschlesische Landschaft mit den Kaminen 
der Königshütte im Hintergrund aus dem Jahre 1S72, 
die man mit geringem Vorbehalt den besten Zeichnungen 



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DIE SPIELART 



75 



der vierziger JaJire anreihen darf, und es ließen dch mit 
einiger Mühe eine ganze Anzahl solcher Beispiele finden« 
Was die meisten Zeichntingen schadigt, ist die nur 
erarbeitete Erfahrung. Menzel erlebt nicht, weil er zu- 
^el erlebt, und ist zu beschäftigt, um zum Spei zu 
gelangen. Es ist nicht undenkbar, daß seine körperliche 
Konstitution zum Hemmnis wurde. Dem kleinen, 
schwächlichen Mann lag das Tanzen fem, und wie 
viele zwerghaften Erscheinungen drängte ihn seine 
physische Zwangslage, das Frohbewegte zu vermeiden 
und den Emst zu übertreiben. Er war ganz Künstler 
nur, wenn er sich vergaß, und das passierte ihm regel- 
mäßig, wo er sich einer neuen StoSwelt oder einer 
neuen Technik gegenübersah, wenn er zur besonderen 
Anspannung getrieben wurde. Dann Heß er die 
Maske fallen und tummelte seine Kräfte. Das Be- 
wußtsein von der Notwendigkeit dieses befreiten Zu- 
Standes, soll die Tätigkeit des Künstlers sich er- 
schöpfen, entg^ig ihm. Die Kunst war ihm für alle 
Tage durchaus nicht Spiel, sondern blutiger Ernst, 
eine Art Verschlag, hinter dem er seine Empfindung 
— die eines ursprünglich sehr lauteren und zarten 
Menschen — versteckte. Mangelhafte Erkenntnis seiner 
höheren Bestimmung trieb ihn, einen Zweck zu fin- 
gieren. Er erblickte ihn in der Nachahmung der Na- 
tur. Und da diesem Verhältnis zur Außenwelt die 
richtunggebende Beziehung zu einem höheren Zweck 
fehlte, oder wenigstens nur unvoilkoramen gegeben war, 
gelangte Menzel zu der Wörtlichkeit seines Realismus, 
die das Wohltätige einer der Natur gehorsamen Kunst 
um die Frucht brachte. Daher hatten alle neuen 
Zwecke, die Menzel von der Wörtlichkeit abzogen, 
auf kurze Zeit ihre Vorzüge. Die Bereicherung durch 
das Wort des Autors, den er zu illustrieren hatte, war 
ihm zunächst günstig. Das Geschichtliche gab seiner 



76 



DER ZEICHNER 



Naturanschauttog eine momentane Resonanz. So wirkte 
der Auftrag Kuglers. Er brachte die Welt, in der 
der junge Meister spielen konnte. Schon nach ein paar 
Jahren hatte die lUostration für den Ruhelosen keine 
Freuden mehr. Der Pflichtenmensch hatte sie erobert. 

Das im Grunde Mechanische seiner Beziehungen 
zum Dasein hinderte ATenzel nicht, sich persönlich zu 
äußern. Es gibt aus keiner Zeit Blätter, deren Be- 
stimmung große Schwierigkeiten bereitet. Man erkennt 
die Eigenart nicht etwa am Motiv, sondern an jedem 
Strich des Meisters. Aber wenn die Kunstbetrachtung 
nicht zu einem Sport herabsinken soll, sind wir genötigt, 
die Symptome, die für das Persönliche zeugen, nicht 
mit den Elementen des Schönen zu verwechseln. Das 
schlechterdings Unterscheidende gibt Menzel noch nicht 
den Vorrang vor anderen — so wenig dem gewöhn- 
lichen Sterblichen aus dem Umstand, anders als die 
anderen zu sein, bleibender Ruhm erwächst. Die allzu- 
leichte Erfüllbarkeit sollte gegen die heutzutage all- 
mächtige Persönlichkeitstheorie, die sich nicht die Zeit 
zur Differenzierung nimmt, mißtrauisch stimmen. Man 
treibt langsam zu der Annahme eines abstrakten Persön- 
lichkeitsbegriffes, der nicht mehr der Taten des Men- 
schen bedarf, um zum Helden zu proklamieren, und 
bildet sich ein, man käme zur Kunst durch eine Art 
immakulater Empiangnis. Menzel ist einer der son- 
derbarsten Menschen, die je den Pinsel und den Griffel 
geführt haben, merkwürdig durch sein abnormes, wider- 
spmchavoHes Verhalten zu seiner Kunst, deshalb aber 
noch nicht bedeutend als Künstler. Kann man ihn 
seiner ganzen Art wegen persönlich nennen, ja mit 
Recht vermuten, daß er einer der persönlichsten Deut- 
schen des 19. Jahrhunderts war, weil seine Eigenschaften 
ein seltenes Zusammen spiel auffallender Züge verraten, 
so sagt das noch nicht, ob seine Sonderart dem Kult 



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DIE SPIELART 



77 



des Schönen galt und ob sich seine Meikwurdigkeit in 
reale Werte umsetzte. Und stellt man so die Frage, 
so kommt man dahin, das Anormale in Menzel, oder 
besser, was der Laie als Anomalie bewundert, von der 
Wertung auszuschließen. Eins steht fest^ daß Menzel 
nie daran dachte, sich interessanter zu machen, als er 
war. Er hat vielmehr seine bedeutendsten Seiten ge- 
flissentlich verschwiegen. Wenn ihn jemand gebeten hatte^ 
seine besten Zeichnungen zu nennen, so wäre er nie auip 
den Gedanken gekommen, die zu wählen, die hier aus 
der Masse herausgegriffen wurden, sondern hätte auf ein 
pnar möglichst i'erzwicktc übcrsclmciduiVL'cn oder eine 
minutiös gezeichnete Hand oder einen seiner geliebten 
Judenköpfe gewiesen. Ihm stand natürlicherweise seine 
Spätzeit am höchsten, als sich seine Mache immer mehr 
ausdelmte, aber nicht breiter, sondern fetter wurde; als 
der kohligen Fläche gelang, die Elastizität des Striches zu 
verdrängen und der Naturalismus den zarten Forraen- 
instinkt überwucherte. Auch die Zeichnungen aus dieser 
Periode sind immer noch persönlich, aber nicht infolge 
des Werdegangs Menzels, sondern trotzdem. Er war 
als Zeichner nie imstande, seine immense Begabung 
zu verstecken. Der Bleistift überlistete seine Strenge 
und vollbrachte noch ein leises Spiel, als Menzel 
längst aufgehört hatte, sich in Momenten stiller Einkelir, 
fem vom Einerlei des aufsaugenden Daseins, den Lockungen 
der Jugend hinzugeben. Er hatte in der größeren 
Hälfte seines Lebens keine verlorenen Stunden mehr. 

Was die Masse der Zeichnungen mit den Selten- 
heiten gemein hat, ist eine Eigenschaft, die Menzel 
zum Msder stempdt, selbst wenn dn ihn ver- 

hindert hätte, sich auf der Leinwand zu veisuchen. 
Und namentfidb diese ßgenschaft weist dem Mdster 
die Stelle unter den Modernen an und untersdieidet 
ihn am grfindlidisten von sdner Generation. Nur ist 



7« 



DER ZEICHNER 



das Extrem dieses Makrischen» das Menzel im Älter 
immer geläufiger Iiandhabte, kdne Auszeidmimg mehr. 
Jede Gestaltmig, die auf Unterdrüdnmg der Form 
zielt, ist von Übel, und ob sie sich in übertriebener 
Sprödigkeit oder in verschwimmender Wdchlieit äußert, 
ob wir sie plastisch oder flächig nennen, kommt auf 
dasselbe heraus. Diese Tendenz des Künstlers g^n 
die Form, d. h. gegen seine eigene Wohlfahrt, ver- 
stimmt den Betrachter, und der Einwand, daß ein Teil 
der Entwicklung ins Alter fällt, als Menzel sich das 
Recht auf den Feierabend erkauft hatte, haftet nicht 
in unserm Urteil. Wir können bedeutenden Menschen 
nicht mit dem Maß kommen, das bei der Pensionierung 
eines treuen Dieners am Platze ist. Zudem feiert die 
gewohnte Schätzung gerade die Dekadenz als Reife 
und erblickt in der immer mehr das Gegenständliche 
betonenden Realistik die Vollendung. Man kann in 
dieser Geschichte einen organischen Sinn erkennen und 
zugeben, daß Menzel sein Programm realisierte. Aber 
er rechnete dabei nur mit sich, nicht mit der Kunst, 
nicht mit der Menschheit. Er war Autodidakt und nützte 
sein gutes Recht, sich nach seiner Fasson auszudrücken. 
Aber traf dabei durchaus nicht in dem mit Recht er- 
warteten Umfang die Sphäre von Ansprüchen, die uns 
der Besitz des Schönen, Menzels eigene Großtaten ein- 
gerechnet, gelehrt hat. Wie wir sahen, widersetzte er 
sich nicht allen Bedingungen seiner Kunst, aber löste 
die Aufgabe zu leicht, zu einseitig, um zu fördern. Was 
bis ins Alter zunimmt, ist die Geschicklichkeit, die in den 
Zeichnungen des Kindes frappierte, und schon bei dem 
ersten großartigen Ausbruch sdnes Genies ahnt man in 
der Geschicklichkeit, die schließlich wiederum zum 
Handwerk treibt, keinen Helfer, sondern einen Gegner. 

Der Handferti|^t opferte er schließlich aUes. Er 
zeichnete, um zu zeichnen, und nannte das, wie sein 



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DIE SPIELART 



79 



letzter Biograph berichtet, ,,£zerztereii'^*) Man er- 
schrickt uimilMrHch über den treffenden Sinn dieses 
Scherzwortes. Nach Schulimg haben aUe großen 
Künstler gestrebt» aber der Begriff der Scbnlung dreht 
das Wohltätige dex Gymnastik um, wenn er dch auf das 
Exenderen Menzels beschränkt. Der Soldat übt das 
Reglement zum Kriege, auch wenn er nicht ins Feld 
geführt wird. Nur d^ Schutz der Allgemeinheit opfert 
er das Stück seiner selbst, das im Kommiß unter den 
Tisch fällt. Mit dem Künstler verglichen, der über 
dem Exerzieren das Schlagen vergißt, erscheint uns die 
UnÖkonomie des Soldatenstandes unserer Zeit eine Ba- 
gatelle. Wirklich erfüllte Menzel seinen göttlichen Beruf 
wie ein standhafter Soldat, der zu jeder Stunde des 
höheren Befehls gewärtig sein muß und sich nicht mehr 
selbst gehört. Er trug schwer daran, wenn wirklich die 
Menge der Exerzitien einen Rückschluß auf die An- 
strengung gestattet; leicht, weil er der Vh^e gewohnt 
wurde und den Dienst lieb gewann. Er schaffte, wie 
Chodowiecki einmal nicht ohne Bitterkeit von sich selbst 
sa^te, „wie ein Galeerensklave, aber wie ein solcher, 
der -icin Rnder mit Lust bewegt". Das einzige, was bei 
dem des Zwecks verlustig gehenden Reglement zu kurz 
kam, war das Genie. Menzels Siege standen nicht darin, 
sondern kamen im Gegensatz zu dem Geiste seiner 
Übungen zustande. Wie viel Schlachten der Instruk- 
tion zuliebe ungeschlagen blieben, ist unberechenbar. 

Als typisch für den bleibenden Menzel wird man 
die Masse seiner Zeichnungen, so begeistert sich auch 
die gedankenlose Kunstbetrachtung unserer Tage dar- 
über auospiiclit, nicht nehmen können. Der Haufen 
verdeckt nur die zarten, vornehmen Dinge, und man 
muß fürchten, daß er unsere Nachkommen abhalten wird. 



') Max Jordan, Das Werl: Adolf Menzels (Verlagsan'^talt Bruck- 
müim» Muuckeu 1905). Läßt dcu Wert des Meisters uabcrucksichtigt. 



8o 



DER ZEICHNER 



den wahren Menzel, der selbst heute, im Zenit seines 
Ruhmes, nur einem Dutzend Menschen offenbar ist, 
wiederzufinden. Wie lange hat es gedauert, bis man unter 
den Karikaturen Daumiers den genialen Maler ent- 
deckte, trotzdem dieser sich in umfangreichen Werken, 
solider als die Blätter, die sie zudeckten, ausgesprochen 
hatte! Die Halbheiten Menzels sind nur tote Gewichte 
auf seiner Fahrt in die Höhe, und er wäre viel höher 
gestiegen, wenn er sich entschlossen hätte, den Ballast 
über Bord zu werfen. Was den Biographen des po- 
pulärsten Bürgers BerHns interessiert, der in den ge- 
zeichneten Anekdoten viele Dokumente findet, sagt nichts 
vom Künstler. Uns gehen nur die Werke an, in denen 
Menzel mit größter Energie darauf drang, sich die 
freie Bewegung zu sichern. Denn nur der AnbHck 
dieses freien Spiels lockt uns, die eigene Seele zu tummeln. 




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DER MALER 



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MENZEL UND CONSTABLE 



DAS ProUem bereichert sich im Maler nach allen Seiten. 
Wi finden dieselben Phänomene wie im Z^chner 
und Illustrator, aber verschärft» mit yiel weiteren Folgen 
beladen. Der Zeichner konnte allein fertig werden. Er 
hatte in Chodowiedd und Krüger vertraute Vorbilder und 
fand in Ludwig Richter und anderen» zu denen er sich 
allmählich immer mehr in Gegensatz stellte» Reibfläche 
für seine Art. Sein findiger Sinn, der sich sein ganzes 
Leben lang mit allerhand Reproduktionstechniken be- 
schäftigte, vermochte im Holzschnitt eine eigene Form 
zu finden. Der Grad von Isoliertheit, der ihm immer 
blieb, war dort Vorteil. Anders der Maler. Der Auto- 
didakt sah sich hier vor denselben Schwierigkeiten, die 
vorher Chodowiecki getrieben hatten, den Pinsel mit 
dem Griffel zu vertauschen. Es gab in Deutschland keine 
Vorbilder» die einen rationell denkenden Künstler zu 
fördern vermochten. Die Modelle der Ölgemälde Cho- 
dowieckis waren aus der Mode gekommen, abgesehen 
davon, daß Menzel nicht der Mann war, sich zu der 
engen Anlehnung des malenden Kupferstechers zu be- 
quemen. Es gab in Deutschland sogut wie keine Malerei 
mehr, die der Maierei wegen getrieben wurde. Man tönte 
Zeichnungen, brauchte die Farbe zu Schattierungen, 
aquarellierte große Formate. Die deutschen Maler standen 
in Menzels Jugend noch immer auf dem Niveau, das 
unseren großen Klassikern genügte. Runge und Friedrich 
waren einsam gestorben, wie sie gelebt hatten, und selbst 
wenn Menzel ihre und die paar nachher in ihrem 
Geiste Schaffenden gekannt hätte, wären sie ihm alt- 
modisch erschienen. Sie hatten sich eine eigene Kunst 
behutsam mit eiserner Selbstzucht und bewunderungs- 
werter Genügsamkeit gebaut, z;uirieden, wenn der Geist 
ihrer Bilder die eigene Seele nicht in Zweifel zog; 



84 



DER MALER 



£ronime, fast Heilige Darber voll Empfindung. Menzel war 
nicht von ihrer Welt« Im kleinen Finger besaß er mehr 
Instinkt für das Moderne. Nichts von ihrer vornehmen, in 
sich gekehrten Gesinnung dämmte sdne Fruchtbarkeit 
zurüdk; er war mit ihnen verglichen Prolet, mit allen 
Fehlem, aber auch den gesunden Vorzügen des Proleten. 
Nur das rührige Hinblicken auf Vielerlei brachte Menzel 
in dem von allen Traditionen brauchbarer Art entblößtem 
Lande vorwärts. Er war ander? veranlagt. Die Zeich- 
nungen von Runge sind reinste Kalligraphie, von kristall* 
klarem Strich. Friedrich zeichnete das Geäste seiner 
Bäume in spinnwebenhafter Verkleinerung. Menzel er- 
scheint daneben wie van Dyck neben Dürer. £r zeichnet 
malerischer als Krüger, der immer seine Mittel zurückhielt, 
viel malerischer als Chodowiecki, der für den Kupferstich 
geboren war. Ich meine das im mechanischen Sinne, 
nicht um Qualitätsdifferenzen zu zeigen. Menzel ist 
breiter im Strich, flächiger; man glaubt, emen Malt- r vor 
sich zu haben, der mit dem Pinsel weiter kommen 
müßte als dem Bleistift. Schon seine Vorliebe für Kreide 
und Kohle und für die Pastelltechnik deutet darauf hin. 

Diese Anlage war in Deutschland Unikum und fand 
daher keinen Nährboden. Da Menzel nicht die Intensität 
eines Runge oder Friedrich besaß und für sein Auto- 
didaktentum nicht die unentbehrliche Strenge der anderen 
mitbrachte, sah er sich aui den Zufall günstiger An- 
regungen von außen angewiesen. Diese haben ihn merk- 
würdig genug nach allen möglichen Richtungen gezogen. 

Was wir bei Betrachtung der Zeichnungen fendm» 
wiederholt sich auch hier. Die untypischen Werke sind 
die besten. Der Unterschied zwischen ihnen und der 
Masse ist noch auffallender, sodaß zuweilen nur die be- 
glaubigte Etikette die Autorschaft verbürgt. Sie ent- 
standen ganz wie die besten Zeichnungen nicht in der 
allerersten Zeit^ sondern in den vierziger und fanfeiger 



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MENZEL UND CONSTABLE 



85 



Jahren, gleichzeitig mit diametral entgegengesetzten 
Werken. Die Stelle der handwerklichen Illustrationeii 
des Anfängers vertreten hier banale Gemälde böser Sorte. 
Als Vorbild der im letzten Drittel der dreißiger Jahre 
gemalten, ganz indifferenten Bilder „Der Feind kommt"*), 
„Der Gerichtstag"^ usw., mögen mäßige Franzosen ge- 
dient haben; Delaroche und Konsorten. Vielleicht hat 
Menzel die Revolutionsszene von Wappers gesehen, die 
Mitte der dreißiger Jahre die Welt entzückte und auch 
in Deutschland ausgestellt war. Tn dem^Familienrat"^ er- 
scheint er wie der Vorgänger des gefürchteten Karl Becker. 
In dem rotwangigen Mädchen, ,,Bei der Toilette"*), sagt 
er die schlimmste Öldruckpoesie der Famiiienblätter 
voraus. Ein Frauenkopf aus derselben Zeit, ohne be- 
sonderes Interesse, aber auch ohne die abstoßenden 
Eigenschaften der anderen Erstlingswerke wurde vor 
kurzem von Tschudi für die Nationalealcrie erworben. 

So der Anfang. Die gehaltlose Fraiension verrat keine 
Spur von der Bescheidenheit des jungen Illustrators, die 
sich in „Künstlers £rdenwallen^< ausspricht. Selbst die 
Harmlose Banalität der Lithographien über die ^Denk- 
würdigkeiten ans der Brandenburgisch-Preußischen Ge- 
schichte" steht auf einem durchaus höheren Niveau. 

Auch dieser Menzel bleibt erhalten. Er kombiniert 
sich mit den typischen Schwächen des Zeichners und 
Illustrators. V^r begegnen ihm wieder in {ast allen 
Historienbildern, von dem Wiedersehen Gustav Adolfs 
und seiner Gattin** aus 1847*), bis zu den letzten Kaiser 
Wilhelm-Gemälden; in Himderten von Genrebildern in 
Ol und Aquarell. Und auch hier kommt plötzlich in 



Sammlimg Krigar-Mem«!, «na 1837. 
■) Sammlung Gr. Ballestrcm, aus 1839. 
*) Kenne nur Abbildungen, aus 1858. 

Sammlung F. EiMimuum, an» 7838. 
*) SanfflLEr.E,lffliMr,Gff.>Liditafield», 



86 



DER MALER 



der Jugend ein entschiedener Wechsel. Nach der Unter- 
brechung der ersten Malperiode durch die Illustrationen 
zur Friderizianischen Geschichte, um das Jahr 1845, 
beginnt die Reihe der kleinen Ölbilder, auf die sich 
Menzels Ruhm als Maler gründet. Eine vollkommen 
neue Welt. Als sie sich wenige Jahre vor dem 'i'odc 
des Meisters enthüllte, war des Staunens kein Ende. 

Die vorhergehende Arbeit am Kugler hatte sicher ihren 
Antöl an dem Aaftchwnng des Malen. Menzel hatte als 
Illustrator eine sichere Form gewonnen; es war natürlich, 
daB er auch vor der Staffelei frischer angriff. Dazu kam, 
daß der historische Forscher sich hier bei spezifisch persön- 
lichen, nicht bestellten xmd wohl auch kaum für den Ver- 
kauf bestimmten Motiven der Freiheit überließ. Und end- 
lich die Hauptsache: £r hatte das Glück, ein paar gemalte 
Bilder eines Zeitgenossen zu sehen. Im Hotel de Rome 
fand gegen 1845 eine Ausstellung von Gemälden Constables 
statt. Wie ich an anderer Stelle mitgeteilt habe, wurde 
diese für die Geschichte Menzels nicht unwichtige Tat- 
sache noch von Menzel selbst bestätigt. Als Tschudi ihn 
einmal, wenige Jahre vor seinem Tode, auf die auffallende 
Ähnlichkeit gewisser früher Skizzen mit Constable hin- 
wies, antwortete der Meister mit großer Präzision, die 
Ähnlichkeit sei nicht zufällig, er habe vielmehr auf 
der Ausstellung im Hotel de Rome, Mitte der vierziger 
Jahre, die Werke des Engländers eingehend studiert. 

Es wäre Übertreibung, wollte man von dem Eindruck 
Constables auf Menzel wie von einer Oftenbarnng reden, 
da der Umschwung ja nicht den ganzen Menzel ergriff, 
sondern nur den quasi unoffiziellen. Nur diesem öffnete 
Constable die Augen. Er zeigte ihm, wie man mit dem 
Pinsel unmittelbar nach der Natur den flüchtigsten Ein- 
druck festzuhalten vermochte und damit unvergleichlich 
stärkere Wirkungen erzielte als mit der L^eduldigen Über- 
tragung der Bleis Iii tzeiclmung aui die Leinwand. Er 



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MENZEL UND CONSTABLE 



«7 



lehrte dea Maler, der bis dahin in der Farbe eine Art 
Schattierungsmittel gesehen hatte, den Wert der Farbe 
als Baumittel erkennen und wies ihn auf die Bedeutung 
de? Kontrastes. Das heißt, er enthüllte ihm nicht weniger 
als das ganze Wesen der Mnlerei. Und wichtiger als 
alles andere war, daß sich Menzel von der Möglichkeit 
überzeiijrte, in der Malerei genau so zu verfahren, wie in 
seinen gelungenen Zeichnungen und Illustrationen: aus 
dem eigenen Trieb des Autodidakten seine Technik zu 
-chiaffen. Um die unmittelbare Anregung zu würdigen, 
genügt ein Blick auf den zuletzt erworbenen Constable 
der Berliner Galerie, des Künstlers Wohnhaus in Hamp- 
stead, der die Vorzüge und — merkwürdig deutlich — 
auch die Schwächen des Landschafters Menzel enthalt. 
Das spezifisch Constablehafte im besten Sinne findet sich 
nur in einzelnen Landschaften Menzels, namentlich im 
„Palaisgarten des Prinzen Albrecht**^). Die gespritzten 
Finselstriche, mit denen das BUtterwerk der vordersten 
Bäume gemalt bt, verraten eine Anlehnung an ältere Ar- 
beiten Constables, im Genre des „Cenotapb'* der National- 
Galleiy in London. Der Rest ist in der Breite der Skizzen 
des Engländers gehalten. Die Benutzung zweier so ver- 
schiedener Seiten des Vorbildes hat dem Gemälde Menzels 
eine gevme Disharmonie gegeben. Das Material, aus 
dem die schattige Idylle d^ ruhenden Arbeiter gemacht 
ist, widersetzt sich der spitzigen Malerei des Blattwerks. 
Auch der Hintergrund, das gelbe Palais mit der grauen 
Krönung und dem verwaschenen roten Dach, und das 
graue Nebenhaus, einer der schönsten Teile des Bildes, 
bleibt ein wenig isoliert. Menzel schädigte das Werk 
wahrscheinlich, indem er die Idylle unter den Bäumen 
1876 überarbeitete. Merkwürdigerweise blieb er auch jetzt 
noch, dreißig Jahre nach der Entstehung des Bildes, im 
Banne Constables. Denn die Art» wie die Kleider der 
>) Sanwnlnng H. Frenlml, Berlin, ftw 184$. 



88 



DER MALER 



Arbeiter aus reinen Partikeln von Rot, Blau, Gelb, Schwarz 
und Weiß gewonnen sind, erinnert sofort an den Meister 
des „Hsiy Wain \ Trotz seiner Mängel besitzt der „Palais- 
garten" eine ganz unwiderstehliche Überzeugung, Man 
bekommt einen Begriff von der Wirksamkeit rationeller 
Bildmittel, wenn man bedenkt, daß trotz der in Einzel- 
heiten mangelnden Einheit lediglich das nur der Natur 
zugewandte Streben, alle rein malerischen Reize des Mo- 
tivs hervorzulocken und alle unwesentlichen und daher 
die Darstellung beschrankenden Momente auszuschließen, 
zu diesem Werk führte. Schon die überzeugende Ver- 
teilung der Massen und Farben genügt, um den Blick 
von der Differenz der Einzelbehandlungen abzuziehen 
und nur das Gelungene des Bildes wirken zu lassen. 
Die Schönheit liegt in der Weite der Souation, die sich 
mit ganz einfachen Gefühlsbegriffen ausdrüdcen läBt. 
Die Kühle der grauen Wege zwischen den Bäumen und 
den saftigen Blättern der Pflanzen, die Frische des Ganzen» 
war mit der Historienmalerei Menzels nicht zu geben. 

Noch ein paar Skizzen von Landschaften mögen dem 
immittelbaren Einflufi Constables zugeschrieben werden, 
so das „Nymphenbad in Kassel"^), die „Berlin-Potsdamer 
Bahn"*) u. a., in denen freilich ein wertvoller Faktor Con- 
stables, die Koloristik, nicht mit übernommen wurde. 
Nur in der entzückenden „Wolkenstudie" Menzels') sind 
die Vorzüge des Vorbildes erreicht. Die Architektur des 
„Nymphenbades" besteht aus schmutzigbraunen Linien, 
der Wald aus einem häßlichen Brandrot, das durch ge- 
schickte Ausnutzung des Grundes leuchtend gemacht ist. 
Das Primitive der Darstellung tut dem schönen Motiv 
keinen Abbruch. In der „Berlin-Potsdamer Bahn" fanden 



*J Sammlung Frau Krigar-Menzel, aus 1845. 

*) Natiooalgalerie, aus 1847. Das Datum itt anftalland. Die 'ar- 
wähnte Zeichnung ist aus 1845 und hat wohl kaum ab Studie gadieat. 
*) Auch seit knrfem, in der Natiooalgaleria. 



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MENZEL XJND CX>NSTABLE 89 



wir schon beim Vergleich des Bildes mit der Zeichnung 
empfindliche Lücken. Man hat dem Bildchen in der 
ersten Freude der Entdeckung mehr Reize zugeschrieben» 
als der Autor hineinlegte. Die Absicht, die ganze Land- 
schaft in einem Zuge herunter zu malen, ist deutlich; 
die unverhüUte Handschrift wirkt im Vergleich mit der 
glatten Malerei bekannterer Bilder ungemein wohltuend; 
aber das Ganze ist doch zu ärmlich, als daU man in dem 
Bilde eine entscheidende Tat erblicken könnte. Die 
Baumgruppe in dem harzigen Schwarzbraun fällt ganz 
heraus, der Hintergrund geht nicht mit dem ersten 
Plan zusammen, und das Ganze wirkt mehr burschikos 
als genial. Dasselbe trifft in noch höherem Grade bei 
der großen Landschaft mit dem „Tempelhoferberg" zui). 
Sie beweist, daß Menzel damals durchaus nicht allein 
Cunstable vor Augen lialte. Das Bild wirkt vielmehr 
barock wie viele und nicht die besten Zeichnungen 
und rechtfertigt vielleicht die zweifelhafte Verbindung 
mit Schlüter, den man zuwdlen unter den Ahnen 
Menzels genannt hat. Barock in der Form, in dem 
Ungeordneten des ganzen Bildes, in den gleitenden 
Pinselstrichen, in der leise an Rubens erinnernden Art, 
wie die beiden verwegenen Bäume gemalt sind. Die 
schmutzigen Farben tragen noch dazu bei, den Eindruck 
des Ungezügelten zu vergrößern. Das scharfe Rot des 
Berges detoniert unangenehm in den verwaschenen, aus 
Grün, Grau und Braun gemischten Farben. Übrigens 
wurde dieses Rot Menzel wiederholt gefährlich. Es gibt 
dem Gustav Adolf-Gemälde") mit dem Schlitten das Mas- 
keradenhafte und brutalisiert auch in vielen anderen histo- 
rischen Bildern die Stimmung. Sehr hübsch ist auf dem 
„Tempelhofer Berg" das regenfeuchte Stück links mit den 
Häusern. Hier ahnt man, welcher Dinge Menzel fähig war. 

MlaMadm FrovimlalpMiiaeiim, Berlin, a«s 1847. 
•) VgL S. 8$. Das Rot hier typiaehe Theaterlarb«. 



50 



DER MALER 



Am erstaunlichsten wirkt von allen Landschaften die 
„Waldesnacht''.^) Das Biid sieht von nahem wie eine Pa- 
lette aus, von willkürlich gemischten dunklen Tönen. Beim 
Zurücktreten wird der Zauber derzusammenfließcnden Far- 
ben lebendig. Die Pinselstriche ordnen sich zu einem orga- 
nischen Netz von blaugrauen und braunroten Tönen, in 
denen hier und da ein gespenstisches Weiß leuchtet; aus 
dem Gewebe wachsen die dunkeln Massen der Bäume 
hervor. Wir erkennen die schweigende Atmosphäre einer 
weichen Sommernacht. Man steht vor dem Bilde wie 
vor einem psycholoe-ischen Rätsel. Nicht w'cgen seiner 
schattenhaitcn Schönheit; solche Wirkungen sind uns seit 
dreißig Jahren nicht mehr ungewohnt; sondern daß Men- 
zel, der Menzel, den wir alle seit Kindesbeinen kennen, 
der Sachliche, den man immer nur mit einer halbver- 
schluckten Verwünschung einen großen Künstler nannte, 
so sehen, so schwärmen konnte. Das Bild könnte ohne 
jede Gefahr für einen Courbet gelten, einen von f)er sei- 
digen Art aus den vierziger Jahren, als der Meister von 
Ornans seine weichen Portraits malte. Ich glaube nicht, 
dafi Menzel schon damals Courbet gesehen hat; nach 
Paris ging er erst vier Jahre später. Die Köpfe aus 1855, 
dem Jahre der Reise ^, passen gut zu unserer Landschaft, 
könnten freilich auch auf das Studium alter Meister 
— namentlich Rubens — zurüd^hen. Man wird sich be- 
gnügen müssen, hier einen der vielen isolierten Ausblicke im 
Werke Menzels zu konstatieren, die keine Folgen hatten. 



Nach alledem scheint bisher der Einfluß Constables 
auf Menzel gering, aber man würde irren, wollte man ihn 
an den relativ wenigen Bildern messen, die in das engere 
Gebiet Constables fallen. Wir begegnen ihm nicht nur 

^) Sammlung K. v. Mcndelmolm, Beclia, 1851. 
^ Is der Natkmalgakffe und der FinakoUidc 



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MENZEL UND C0NSTA6LE 



91 



in den Landschaften. Auch aus den übrigen Werken der- 
selben Zeit scheidet eine beträchtliche Menge von Ge- 
mälden aus, die nichts mit dem populären Genre Menzels 
zu tun hat, sondern dem Geiste jener Landschaften nahe- 
steht. Das sind einmal einige Bilder, die dem Titel nach 
zu den historischen gehören, denen aber alles Charakte- 
ristische der gewohnten Kategorie fehlt. Ich nenne nur 
zwei: „Die Märzgefallenen"^) und „Die Predigt in der 
alten Klosterkirche".^ In beiden versucht Menzel, sich 
von der detaillierten Schilderung der Physiognomien zu 
befreien und Massen zu geben. In den „Märzgefallenen" 
gelingt es nur 711m Teil. Man ahnt unter der Malerei 
die peinliche Zeichnung. Das scheinbar Lockere des Bildes 
ist nicht die Fertigkeit der Skizze, sondern störende Nicht- 
vollendung; nur in der Schilderung des Platzes spielt freiere 
Luft. Die Zeichnung zu dem Bilde, die der Nachlaß 
des Künstlers ans Licht brachte, erklärt diese Verschieden- 
heit der Behandlung. Sie schildert nur den Platz, den 
Menzel also nach der Natur zeichnete, und deutet mit 
wenigen primitiven Strichen ein paar Menschen an. Die 
Masse des Volks malte Menzel dazu. Aus einer anderen 
Inspiration entsprungen, konnte sie sich nicht mit dem 
ersten Entwurf verbinden. Viel flotter ist die „Predigt*'. 
Hier fand Menzels Ciiaraktcrisierung ein ideales Größen- 
maß, das dem Zeichner das Malen gestattete. Das Bild 
ist mit wenigen Strichen gemacht und gibt alles, selbst 
den Ausdruck der einzelnen Zuhörer, vor allem aber die 
nur dem Stilmittel der Kunst erreichbare Stimmung, die 
den Prediger mit der lauschenden Gemeinde verbindet. 

Dieses Kircheninnere geleitet uns zu einer Gruppe von 
Bildern« die im Werke des Meisters einen gesonderten 
Rang einnehmen. Menzel ist in allen Interieurs der vier- 
ziger Jahre viel sicherer und selbständiger als sonst. Er 

*) Hamburger Kunsthalle, aus 184S. 
>) DiMdner Galerie, aus^Mitte XS47. 



92 



DER MALER 



beherrschte das Gebiet und brachte ihm größere Sym- 
pathie entgegen. Wir sahen schon in seinen Zeichnungen, 
Radierungen und Holzschnitten, wie wohl ihm innerhalb 
der festen Wände des Zimmers war. Seiner ganzen Art 
nach Interieurmensch, verschloß er sich draußen unter 
Menschen. Zu Hause knöpfte er sich auf, soweit ihm dies 
übcrliiupt gelingen konnte. Zur Landschaftsmalerei, mit 
der uns große Meister verwöhnt haben, gehört flammen- 
des Temperament, die Fähigkeit schneller Entschlüsse, 
ganze Hingabe. Menzel fehlte alles zum Enthusiasmus, 
namentlich schon die Zeit, aber er konnte behaglich sein. 

Den gemalten Interieurs hat wiederum Constable ge- 
holfen. Aber der Einfluß ist hier viel weniger wörtlich 
und deßhalb von größerem Vorteil. Schon die Über- 
tragung der Erfahrung, die Menzel beim Studium der 
Landscliaiteii des Engländers gesammelt hatte, auf ein 
Gebiet, das Constable selbst nie berührt hatte, gab dem 
Nachfolger größere Freiheit. Der Einfluß — vielmehr 
ein Zaflii0 — wnrde in ein Bett geleitet, das zum Emp- 
fange wohl geeignet war. Die besten Interieurs »nd 
ausschließlich Räume, in denen Menzel lebte oder die er 
genau kannte. Die besten Portraits der vierziger Jahre, 
ganz wie die gezeichneten, stellen nahe Verwandte oder 
gute Bekannte dar.- Man findet die Geschwister in Einzel- 
bildnissen und zu Gruppen vereint in den Zimmern 
wieder. Den Bruder, den wir ein paar Jahre älter in 
dem gezeichneten Familienblatt als den Klavierspieler er- 
kannten, malte er wiederholt, einmal als überlebensgroßen 
Kopf in schöner Modellierung mit den glänzend fein- 
gestrichenen schwarzen Haarsträhnen^), dann im In- 
terieur.^ Man kann verfolgen, wie dasselbe Modell mit 
immer knapperen Mitteln stets charakteristischer wird. 

^) Kunstverlag Jacques Casper, iierim, aus 1846. Im Format unbehaglictL. 
*i Zwei Bilder aus dem NaddaS, nai&etttlich daa Ideinecey das den 
Broder am Frfthetftckatiidi aeigt, bat alle Rdw der Unprftoglkhkeit. 



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MEiNZEL UND CONSTABLE 



93 



Die meisten Interieurs sind kleinen Formats und iast 
in denselben Farben gemalt. Ein mit Rot erwärmtes 
Schokoladenbraun bildet die Grundlage und reicht oft allein 
durch Abstufungen nach Hell und nach Dunkel für alle 
Bedürfnisse aus. Schon die Ökonomie des Materials gibt die 
Harmonie der kleinen Skizzen. Nirgends stören die grellen, 
wiUkürlichen Kontraste der späteren Gemälde. Trotz der 
Skizzenhaftigkeit malte Menzel damals viel mehr als später, 
weil er die Bewegung mit dem Pinsel, nicht nur mit der 
Farbe vollbrachte. In dem Interieur mit der Schwester 
des Künstlers^), wo im Hintergrund die Mutter an dem 
Tisch mit derLampe sitzt, ist der Reichtum des Malerischen 
erstaunlich. Das Mädchen an der Tür, von dem warmen 
rotbräunlichen Gesamtton und der stillen Beleuchtung ge- 
badet, wird man nie vergessen. Die Kunst, die das Ge- 
sicht so reich zu modellieren wußte und doch ganz die 
Einheit der Flecken erhielt, ist eines Corot würdig. Was 
Menzel dabei reizte, war sicher nur die Beleuchtung. 
Was er gab, ist im kleinsten Maßstab ein geniales Werk 
von unerschöpflichem Zauber. Es gelang ihm, weil er 
den Rhythmus darstellte, den der zitternde Schein der 
Lampe in das stille Gemach ergoß. Älinlicli, nur noch 
konzentrierter, ist die Gruppe bei Lampenlicht um den 
weißgedeckten Tisch*), wo aus dem Oliv der Wand, dem 
Rot des Sofas und dem Schokoladenton in der Kiddung 
der Männer die angenehmste Harmonie entsteht und die 
Posen wie Ton einem blitzschnell über das lauschige Bild 
haschenden Blick wiedergegeben erscheinen. Ganz so 
malte er einen bei der Lampe am Schreibtisch sitzenden 
Knaben oder die erwähnten BOder mit dem Bruder. 



^) Saaunlmig Tnm Krigar-MeoMl, Berlin, ans iS47> Vei^l. auch das 

Interieur mit dem Porträt des Justizministers von Maercker aus derselben 
Sammlung, in einer ganz ähnlichen nur dunkleren Farbenstimmung. 
Früher Sammlung Julius Atifseeßer, jetzt in der Nationalgalerie. 
•) NaddaB. Wohl eäie der «nergivclwtes Skisaen Manub dieser Art. 



9» 



DER MALER 



In allen diesen Bildchen spielt die Beleuchtung eine 
ganz entscheidende Rolle. Menzel baute die Einsicht 
in die Bedeutung des Lichtes, die er Constable verdankte, 
selbständig aus. Offenbar gab er sich dabei alle nur er- 
denkliche Mühe. Selbst den gelungenen Bildchen merkt 
man das allzu genau genommene Studium der Lichtquelle 
an. Sobald aber der enge Rahmen verlassen wird, artet 
dieselbe Tendenz in ein problematisches Experimentieren 
aus oder wird ganz aufgegeben. In dem größten Ge- 
mälde der Serie „Die Störung"^) sind so viel verschie- 
dene Beieuchtungseffekte in einem Raum zusammen- 
gestellt, daß jede Möglichkeit ruhiger Wirkung verloren 
geht und das Resultat völlig verunglückt. Das Bild ver- 
mittelt zwischen der Interieur -Skizze und den ersten 
Friedrichbildern und zeigt die zweifelhafte Hilfe, die 
Menzel aus seinen Studien des Lichtes für die Historien- 
gemalde gewann. Kr behielt nicht den Zweck der Be- 
leuchtung, sondern verwandte das Licht wie eine rein 
materielle Zutat. Die Unordnung wurde dadurch immer 
größer. In den Interieurskizzen dagegen sah sich Menzel 
gedrSngt, das Farbige mit dner summarischen, aber durch- 
aus organischen Koloristtk zu erreichen, ohne alle Lokal- 
töne. Auch das Zeichnerische bringt in den Skizzen keine 
Einzelheiten zur Geltung, sondern zielt lediglich auf den 
Totalelndrack. So malte Menzel seine Schwester auf dem 
Kanapee^; das Kleid in großen geschmeidigen Strichen 
aus dem beliebten Schokoladenbraun, das Kanapee rot 
vor schwach rotlicher Wand. Die Figur lehnt in einer 
meisterhaft erfaßten Pose den Kopf auf das blaue Kissen^ 
und in dem schönen Profil vereinigen sich die Reflexe 
der Kleidfarbe und des Rots zu sanft strahlenden Tönen. 
Oder er zeigt im Pastell das Brustbild einer Dame mit 
geöffnetem weißen Kragen in einer Bluse aus blau*gelb- 

1) im Boits der FaoUlie d. K. Datiert 1S46. 
t) Sammluiig Fd. £. Maareker, Halbentadt. 



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MENZEL UND CONSTABLE 



95 



rotem persischen Stoff mit roten Streifen*). Wieder 
bildet die gelungene Farbenmischung in ganz verdunsteten 
Tönen den Teint des schön müdellierten Gesichts. 

Die Reife der Beobachtung in solchen Studien eröffnet 
große Aussichten. Es scheint fast, daß die Beherrschung 
der Organisationsverhältnisse der Farbe dem Maler 
gleichzeitig den Einblick in die verschwiegensten Formen- 
probleme erschloß. Man wird von Reizen getroffen oder 
wenigstens gestreift, die klassische Meister auszeichnen. 
Im NacMaß landen sich verschiedene sehr farbige Pastelle 
mit Bewegungsstudien von Frauen aus derselben Zeit 
(namentlich ein 1845 daücries Blatt mit einer sitzenden 
jungen Frau aus schwarzweißer Kreide und Buntstift; 
und ein „In der Kirche" genanntes Pastell), bei denen 
man an das Monumentale gewisser Zeichnungen von 
Degas denken konnte. Nicht das Psychologische lockte 
Menzel damals» sondern der Raum. Das Interieur auf den 
intimen Portraits der Zeit Ist nicht Kulisse, sondern wirkt 
als Tefl des Bildnisses mit. £s ist die Methode aller 
großen Maler. Ihre Vorzüge kann man schon bei önem 
Vergleich mit gleichzeitigen Bildern erkmnen, in denen 
der Kunstler nicht mit ganz gleicher Konsequenz ver- 
fahr. Auf dem Bildnis der Frau von Knobelsdorf^) hat 
die Figur im weißen Kleid und rosa Umhang, mit dem 
frischen Gesicht unter dem gelben Schotenhut mit blauen 
Bindebändern, sicher viele Reize. Sie ist sauberer, auf merk» 
samer gemacht als die Interieurskizzen, aber wirkt mühselig. 
Man denkt nicht an Cons table, viel eher an WaldmüUer^. 
Die Farbenverteilung nach dem obigen Prinzip reduziert 
sich auf bescheidene Anfänge. In dem weißen Kleid 

1) Sammlnng Heinrich Haas, Bwim, am 1847. Farbwwfchiii PuttelL 

•) Seit knrzcm von dfr Nationnigalerie erworben; aus dem Jahre 1848. 

*) Sicher hat Menzel Waldmüller geschätzt. Auch mag ihn die 1846 
enddenaaa Bvoadifli» dea Wienm gegen die Akadamifia in satnen FM* 
heitabeatntMmgen ermutigt haben. Daß Waldmüllers Art den viel 
feichecttn Ifaler nicht ptaktiscb idrdem konnte, liegt auf der Hand. 



96 



DER MALER 



kommt das Rötliche des Gartenwegs, mit Grau ver- 
mischt, vor; auch im Gesicht bildet dieses Rot eine 
Nuance. Aber diese Koloristik ist viel mehr ein Reflex 
der zufälligen Wirklichkeit als Beherrschung der Form. 
Der Garten ist auffallend wenig sorgfältig gemalt, kom- 
promittiert aber nicht das Porträt. Was der Figur den 
Reiz gibt, scheint mir weit mehr auf das Konto des hüb- 
schen Zeitkostüms zu kommen, als auf das der Malerei. 

Ein Zwischenglied bildet das Porträt der Frau von 
Maercker^). Leider hat es sehr nachgedunkelt. Die 
Wand, die mal mit großen graugrünen Ornamenten 
auf rotbräunlichem Grund dekoriert war, ist fast schwarz 
geworden. Dieser Grund hinterläßt Reste im Kleid, 
kehrt erhellt in der leicht mit Blau versetzten Mantille 
und noch heller und leichter im Gesicht wieder. Im 
Teppich ist die reichste Note des Brauns fast zu Rot 
gesteigert. Selbst die akmeisterlich gemalte Fußbank mit 
dem minutiös beobachteten Netzwerk auf dem Polster 
fügt sich organisch in das Bild. Trotz aller Kleinmalerei 
fühlt man keinen Zwang. Es geht einem wie vor gewissen 
Bildern Krügers, daß, sobald einmal das Auge auf den 
kleinen Maßstab eingestellt ist^ die Dinge natürlich und 
groß werden. Menzel vermied hier mit Sicherheit die 
Puppenmalerei seines Kollegen Meissonier, mit dem man 
ihn früher za vergleichen liebte» und der vielleicht bei- 
trug, diese vidversprechenden Anfänge tn verwischen. 

Weit über diese diskreten Bildchen ragen zwei Interieurs 
der vierziger Jahre hervor, die beide jetzt der National- 
galerie gehören: die bereits 1903 erworbene „Zimmenecke 
mit der geöffneten Balkontür*^ aus 1845, und die „Stube 
Menzels'' in der Zimmerstraß e . a 11 s dem Jahre 1847. In der 
letztgenannten ist alles, was die rotbraunen Interieurs ziert, 
gesichert und gesteigert. Der Pinsel überwindet spielend 
die Materie. In der weißen Bettdecke steckt nicht der 

') Sanunlang Krigar-Uennl. 



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MENZEL XJND CONSTABLE 



97 



Hauch von Dilettantismus, sondern eine nur mit den 
edelsten Beispielen ztt vergleichende Kunst. Und doch ver- 
bindet sich mit dieser aus dem Vollen schöpf enden Malerei 
noch alles Behagen. Der Blick durch das Fenster auf das 
Grün und die freundlichen Häuser mit den roten Dächern 
verrät dieselbe treuherzige Empfindung, die in den 
kleinen Innenräumen so warm zum Betrachter spricht. 
Die „Zimmerecke mit der Balkontür" ist die Perle der 
Nationalgalerie, von der ich meinen Lesern schon oft 
erzählt habe. Sie rechtfertigte auch auf der Mcnzel- 
ausstellung trotz der Fülle des Gebotenen die Be- 
deutung, die ihm alle Freunde des Meisters bei der 
Kiitdeckung zusprachen. In beiden Bildern ist das, was 
Constable der modernen Malerei brachte, in einer des 
großen Anregers durchaus kongenialen Vollkommenheit 
enthalten : die Freude an der Farbe, die Liebe des Malers 
zur Natur. Auffallcnderwcisc sind beide Interieurs leer; 
die skizzierte Silhouette im Fenster des späteren Bildes ist 
offenbar eine wilikürliclic Zutat im letalen Augenblick, 
denn der Schreibtisch steht zu nahe am Fenster, als daß 
dazwischen jemand Platz finden könnte. Die Leere ist 
nicht bedeutungslos. Auch von den Landschaften ge- 
langen Menzel die am besten, in denen keine Menschini 
vorkommen; in anderen sind gerade die Menschen zu 
viel. In den späteren Historien- und Gesellschaftsbildem 
steckt oft der einzige Reiz nur im Beiwerk; man 
denke an das „B^i^^^P^'* tii^d cUc bekannte Redens- 
art Menzels : das einzig Gelungene im ,,Flötenkonzert*< sei 
der Kronleuchter.^) Der Erzähler lockte den Maler nur zu 
leicht vom Pfade der Kunst, und der normale Menzel 
sah im Menschen mit Vorliebe den Helden der Er- 
zählung, auch wenn er nur einige Körperteile von ihm 
zeigte. Die kleinen Familienbilder, in denen der Raum 
ganz gleichberechtigt mit den Personen erscheint» sind 

>)Sovialidk «enigsteu v«i0, bezog lieh di« Itedflnnrt auf dicM« Bild. 



98 



DER MALER 



seltene Ausnahmen. In den beiden Interieuis, den Glanz«* 
stücken dieser Reihe, projizierte er sein ganzes Interesse 
auf den Raum und malte die iSimmer der Zimmer wegen. 
Sie stehen so Idbliaftig vor uns, als seien es lebende 
Wesen. Sie erweisen deutlich, was dnzig den Menschen 
und jedes andere Wesen und Ding im Bilde belebt^. 
Licht, Farbe, Ton. Hier 'spürt man nichts von dem 
Zögern, das sich nur an gedämpftes Braunrot traute. In 
dem Zimmer von 1847 klingt schon dieselbe Harmonie 
der kleinen Bilder mit, aber unendlich sonorer und reicher, 
und statt des Lampenlichtes blickt der frohe Tag in 
das Gemach und bringt eine Fülle neuer Farben. In dem 
Zimmer von 1845, merkwürdigerweise einem der frühsten 
Bilder der ganzen Serie, ist nichts als warme Sonne. 

Es braucht wohl nicht gesagt zu werden, daß ein Bild 
bei Lampenlicht nicht höher oder niedriger steht als eins 
im Sonnenschein. Bei identischer Subjektivität müssen 
die Wirkungen dem ästhetischen Werte nach gleich sein. 
Aber eben die Subjektivität Menzels war in den beiden 
Arten nicht dieselbe. Es liegt ein kaum merkbarer Rest 
von Künstlichkeit in den Abend -Interieurs. Bei aller In- 
timität fehlt die freie klare Aussprache des Balkon- 
zimmers. Die Freude, die wir hier empfinden, verhält 
sich zum Genuß an den anderen Bildern wie das Eni;- 
zücken am ersten Frühling zu der Erinnerung an be- 
hagliche Winterabende hinterm Ofen. Das Behagen in 
diesem Sonnenschein dehnt ^e Glieder, wir fuMen es 
in den Augen. Das gehauchte und bei aller 2!arthdt 
ganz lebendige Wei0 und Grau und Blaugrün der 
Wände überrieselt uns mit Wonne, und wenn der Blick 
auf das kleine rotgrüne Ornament des Plafonds trifft» 
meinen wir ein pridcelndes Ucken des Blutes zu spüren. 
Der graurosa gestreifte, mit schwarz durchwehte Stoff des 
Sofas und das Bild im goldig gelben Rahmen, beide im 
Spiegel gesehen, das leuchtende Mahagoni dieses Spiegels 



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MENZEL UND CONSTABLE 



99 



und der Stühle, der braune Teppich mit den schwarzen 
Fransen: alles das sind nicht allein Möbel, Stoffe, 
frappierende Realitäten. Sondern diese Dinge haben 
gleichzeitig neben der Evidenz ihrer Tatsächliclikeit das 
Immaterielle einer höchst gesteigerten Vorstellung in eines 
Menschen Seele, die wir zu der unseren machen. Sie sind 
seelisch, weil sie leben, weil sie aus einer niedrigen 
Täuschung unserer Sinne durch die Nachahmung der 
Natur, kraft der Empfindung ihres Autors, zu atmenden 
Geschöpfen werden. Die sonnige Luft, die den zarten 
Vorhang in das Innere des Zimmers weht, scheint auch 
in uns zarte Wollust wallen zu lassen: die Wollust der 
Erinnerung, daß wir dies alles erlebt haben und so glück- 
lich sind, es, sobald wir wollen, immer wieder zu erleben. 

Es ist unmöglich, einem echten Menzclamateur die 
Schönheit des Balkonzimmers vor Augen zu fuhren. 
Wenn es der alte Menzel nicht schätzte, wie sollte ein 
anderer, der dem Alten nahestand, kluger sein. Wer aber 
nicht von Menzel zu diesem Bilde kommt, sondern von 
der Kunst, erlebt eine seltene Freude. Man gelangt 
hier einmal im Deutschland! der ersten Hälfte des 
19. Jahrhunderts ohne Verrenkung durch Rclativa zum 
Genuß und wird durch keine Erinnerung an größere Werke 
derselben Ar t gc trübt. An die Stelle unserer einheimischen 
Kleinmdster, mit denen es allemal leicht £Ült, den Fort- 
schritt eines Menzel nachzuweisen, treten die größten 
Werte, um das Maß seiner VoUkomnienheit zu würdigen. 
Man bleibt nicht auf die engen Grenzen des Vaterlandes, 
wo der Wettbewerb aufhört, angewiesen, sondern binn 
von dieser Zinne aus von der ganzen Welt ein Zeichen 
gleich erleuchteter Kunst fordern. Auch, nicht des Appells 
an die Grenzen der Zeit bedarf es hier, um das Schöne 
zu finden. Man treibt bei uns mit diesem Notbehelf einen 
wenig erbaulichen Mißbrauch. Für die Einsicht, daß 
dieses oder jenes Bild zu seiner Zeit etwas bedeutete, 



100 



DER MALER 



diese oder jene, selbst die reellste Förderung brachte, 
quittiert keine Freude am Schönen. Was wäre Constable, 
wenn er nur der europäischen Kunst zum Fortschritt ver- 

holfen hätte, wenn wir nicht heute und morgen und in 
hundert Jahren sicher wären, seine Kraft im eigenen 
Werke ungeschwächt wieder zu finden. Kunstwerke sind 
nicht wie Luftballons, die sich langsam entleeren. Dem 
Sein und Haben unserer irdischen Spekulationen entrückt, 
gewinnen sie allenfalls durch das, was man ihnen ent- 
nimmt, sind unerschöpflich. Wie Menzels lichtes Inte- 
rieur heute wirkt, so wird es immer wirken, solange es 
kunstsinnige Menschen gibt. Seine Vollkommenheit ist in 
sich allein, in der erquickenden Erfüllung seiner Gesetz- 
mäßigkeit, nicht auf die Neigung der Zeit begründet. 

Was Menzel Constable nahm, gab er mit Zinsen zu- 
rück. Er ruckte einen Moment in gleiche Höhe. Der 
Moment ist unverlierbar, auch wenn er in dem langen 
Leben des Zähesten der Unseren nur eine Stunde wahrte. 



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NATIONALISMUS 



DER Wissenschaft, die nicht zu schwärmen, sondern 
ZVL erforschen hat, sind solche Episoden, wie das 
Zusammentreffen unseres Meisters mit Werken Constables, 
mehr als biographische Details. Sie kann daran lernen 
tmd mit dem Resultat nützen. Wir haben gesehen, welch 
reiche Frucht Menzel aus der Berührung mit Englands 
bestem . Maler erwuchs; wir wissen , daß die Wohltat 
auf dem langen Lebenswege Menzels wie eine einsame 
Blume blühte und verwelkte. Unwillkürlich denkt man 
bei dieser Constable-Episode an eine andere, an das Zu- 
sammentreffen der französischen Romantiker mit dem 
englischen Meister, das zwanzig Jahre vorher stattfand 
und der französischen Malerei unübersehbare Folgen 
bringen sollte. Als der „Hay Wain" im Salon des 
Louvre vom Jahre 1824 erschien, schlug die Stunde 
der modernen Kunst Frankreichs, Unwillkürlich meldet 
sich die Frage, warum bei uns dasselbe Ereignis im Sande 
verlief. Warum ging nicht auch in Berlin die Welle 
der Begeisterung über die Kunstwelt wie in Paris, wo 
der Jubel der Gericault und Delacroix in vielen Herzen 
nachklang, ^vo die Zeitungen das Ereignis besprachen 
und alle Freunde des Schönen, die in der Kunst mit- 
lebten, das Begebnis wie ein Erlebnis feierten? Sechzig 
Jahre bedurfte es bei uns, nm das äußerlich identische 
Begebnis ans Licht zu bringen. Ohne den Uugen 
Kin£aQ Tschndis, den Meister, ehe sich der Mund zum 
ewigen Schweigen schloß, zu fragen und so den Fall 
historisch festzulegen, wäre der deutsche Gelehrte, der 
gewagt hätte, bei Menzel an Constable zu denken, von 
der Menge gehaßt, von der Zunft verspottet worden. Der 
glückliche Zufall hat nichtsdestoweniger nicht vermocht, 
auch nur in einer der phrasenhaften Verhimmlungen h&m 
Tode Menzels das Ergebnis zu Worte kommen zu lassen. 



D£R MALER 



Weil man es nicht wußte, wie man, sobald es sich 
um die Gegenwart handelt» nichts bei uns weiß; und 
weil man, selbst wenn man es gekannt hätte, doch 
geschwiegen hätte, ans Pietät; weil man sich nicht 

getraute, Menzel mit solcher Erkenntnis — zu ehren. 
Doch ist die Analyse der Menzelschen Kunst wich- 
tiger als aller Anekdotenkram, als alle Orden und 
Bürgerrechte, mit denen man den schlichten Mann 
behangen hat, wichtiger als der Ehrenposten mit der 
blechernen Mütze, der vor dem Hause des gestor- 
benen Soldatenzeichners auf und ab stolzierte. Un- 
endlich wichtiger als die Stellung Menzels zu den 
Hohenzüllern ist sein Verhältnis zu Constabie. Aus 
jener erfahren wir nichts, was nicht Hunderte von 
traurigen und heiteren Begebenheiten unseres öffentlichen 
Lebens hinlänglich dartun; aus diesem könnten wir alles 
erfahren: die ganze unter Phrasen und Verlogenheit 
versteckte Misere unserer Kunst. Nicht nur weil das 
Verhältnis die Frucht trug, an der wir uns ireuen, 
sondern auch, weil es so schreiend unverhältnismäßig 
ungenutzt blieb. Menzel setzte im Jahre 1847 mit seinem 
„Gnstav Adolf'' nnd dem Kasseler Karton die Reihe seiner 
Histofienbilder fort tmd hütete sich, in diesen und den 
folgenden Werken die entscheidende Erfahrung mit 
Omstable merken zu lassen. Er war der freie Künstler 
nur als Privatmann. Seine großen Gemälde, die das 
Publikum zu sehen bekam, sind Kompromisse. Delacroiz 
schämte sich nicht, als er den Ursprung der Leuchtkraft 
Constables erkannt hatte, -sein „Massacre de Clüos", das 
schon fertig im selben Salon von 1824 des Platzes wartete, 
in wenigen Tagen vollkommen umzumalen, und hielt das 
Ergebnis in allen folgenden Werken mit aserner Kon* 
Sequenz fest, baute an seiner Vervollkommnung zu jeder 
Zeit bis zum letzten Atemzuge und hinterließ eine 
Schöpfung, deren Organismus selbst den Barbar, der 



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NATIONALISMUS 



103 



nicht ihre Schönheit begreift, zur Achtung zwingt. 
Jedermann wußte und sah die Umwandlung, die Dt" 
kcroix mit dem „Massacre" romahm. Warum empörte 
sich damals kein französischer Kritiker gegen so vater- 
kndsverräterisches Tun ? Der Mob hätte auch in Paris 
das billige Argument begriffen, die Instinkte der Masse 
sind dort nicht besser als irgendwo. Der Grund ist 
simpel. Der Chauvinismus unserer Nachbarn, über 
den man Wunderdinge fabelt, dringt noch nicht in die 
Kultur des Volkes, sondern bleibt bezahlten Radau- 
politikern überlassen. Er zeitiß-t keine Kiinstprofessoren, 
die mit solchen Schlagworten der Krämerpolitik Hörer 
fangen, und die ganz verderbte Presse ist noch nicht un- 
gebildet genug, mit solcher Speise ihre Leser zu füttern. 

Und doch wäre in diesem Falle die Torheit um 
einiges verzeihlicher gewesen, freilich nur um geringfügige 
Nuancen. Der ungebildete Kritiker hätte sich ivuncicrn 
können, daß reiche Leuie wie Gericault und Dclacroix 
nicht auf die Hilfe eines Constable verzichten zu können 
glaubten; daß eine vielhundeit jährige Ahnenreihe größter 
Künstler nicht genügte, den Stanmi ohne Mischung 
fortzusetzen. Er hätte -vor einem sehr beschränkten 
Forum recht behalten» wenn er den beiden Über- 
schätzung des Auslandes vorwarf. G^ricault und Ddacroiz 
waren wirkEch bis zum gewissen Grade Anglomanen. 
Gepeitscht von übertriebenen Ansprüchen, an sich sdbst 
und ihre Zdtgenossen» fühlten sie sich einsam in einem 
Lande, in dem tatsächlich die Talente wie Pilze em- 
porschössen. Sie übersahen über der Masse, die dort 
wie überall der Unkunst frönt, die einzelnen, die in ihrer 
Heimat zu ihrer Zeit zahlreicher waren als irgendwo. 
In England begegneten ihnen nur die Leute ihres- 
gleichen oder die sie für ihresgleichen nahmen. Be- 
fangen von augenblicklichen Ziel^ die ihnen allein nur 
im ganzen Umfange erschlossen waren, erblickten sie in 



104 



DER MALER 



gewissen ScKulbegriffen der englischen Landschafter eine 
Annäherung an ihre nächstliegenden Ideale und über- 
trugen die Bedeutung dieses momentanen Vorteils für 
das eigene Wohl auf ihre Wertung des Ganzen. Man 
kennt die übertriebene Verehrung Gericaults zu Wilkie, 
der ihm von unnachahmlicher Gewalt des Ausdrucks 
schien — so sprach der Schöpfer der unsterblichen 
Reiterportraits — und Delacroix* Überschätzung eines 
so tief unter ihm stehenden Meisters wie Holman Hunt. 
S o] che Irrtümer, die unvermeidlichen Ausschreitungen 
stark gerichteter Instinkte der Jugend, sind zuweilen 
gefährlich. Ein Kritiker vom Schlage Gautiers hatte den 
beiden manches antworten können. Er fand sich nicht, war 
nicht nötig, da das einzig wesentliche Ergebnis der Hinzu- 
Ziehung Englands, der bieimatliche Fortichritt der Kunst, 
allen Einwendungen den Boden entzog. Und noch weniger 
fand sich die Fäer, die ans nationalen Rücbidhten die 
Anglomanie denunzierte. Man hätte den blöden Kritikus 
bald heimgdeuchtet. Eine Schmälerung der Quellen 
Debcroix* wäre wie unerhörter Eingri£F in seine per- 
sonlichen Rechte erschienen. Nid^t den Künstler, 
der vor aller Augen die fremde Erfahrung nutzte, 
sondern den Ankläger hätte man einen Räuber ge- 
hdßen. Räuber an der Menschheit, an der Kultur. 
Denn nicht sich bereicherte Delacroix mit kühner An- 
eignung, sondern die hohe Sache, der er diente. £r 
vollbrachte damit eine Notwendigkeit, die das Rad der 
Geschichte des Schönen um ein gewaltiges Stück vor- 
wärts drehte, und erfüllte seine Pflicht. Denn was 
ihm zur rechten Zeit gelang, war ihm möglich 
und mußte ihm gelingen, sobald er der freie Mensch 
war, dem allein die Kunst unserer Tage glückt. Es 
erschloß sich seinem Intellekt und seiner Kraft, war 
nötig, um die Gabe, mit der ihm seine Nation ge- 
segnet hatte, zur höchsten Vollendung zu bringen und 



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NATIONALISMUS 



alle anderen Künstler, deren Instinkte sich in dem 
von Zeit und Ort geschaffenen, kongruenten Stadium 
der Entwicklung befanden oder befinden würden, durch 
das Beispiel eines glänzenden Organismus fortzureißen. 

Die von Delacroix empfangene und weitergegebene 
Hilfe erscheint gering, wenn man sich an die bei uns 
beliebte, kuriose Einteilung des Schöpfungsprozesses hält, 
und dann nur an das denkt, was man mit dem fast 
zum Schimpfwort gewordenen „Technischen*' bezeichnet. 
Und an etwas anderes kann man anscheinend nicht 
denken, da Delacroix seine romantischen Entwürfe un- 
möglich Constable verdankte. Seine Farbe gewann. Er 
überzog, so stellt sich etwa der Laie die Sache vor, 
das fix und fertig gemalte Massacre" mit einem 
durchsichtigen, leuchtenden Netz, und das Netz 
machte das darunterliegende Geiiuilde nuch scliüner. 
Da er schon vorher die großartige „Dantebarke" ohne 
Consubles Hilfe gemalt hatte, kann der Nutzen nicht 
entscheidend gewesen sdn. Aber ^eser Schein hält 
nur so lange, als man die unmittelbare, nächste Folge 
in Betracht zieht. Sobald man zurücktritt und nicht 
mal das ganze Werk, nur noch dn paar Bilder aus 
den nächsten zehn Jahren, darunter das „Frauengemach 
in Algier'* dazu nimmt, ändert sich die Bedeutung. 
Nimmt man gar das ganze Lebenswerk, die „Kreuzfahrer 
in Konstantinopel*' und die Hunderte von Meister- 
gemälden vor und nach dieser Höhe, so erkennt man 
den alten Delacroix, der. kuize Zeit, ohne von Con- 
stable betroffen zu sein, malte, kaum noch wieder. 
Der grofie Delacroix ist der große Kolorist, nicht der 
primitiv gestaltende Anfänger. Diesen finden wir ab- 
hängig von Gros und G^ricault, der Selbständige ist 
der kühle Erkenner, den wir Constables Maxime an- 
nehmen sehen. Constable unterjochte ihn nicht, denn 
wir finden keinerlei Ähnlichkeit zwischen den beiden 



io6 



DER MALER 



Künstlern. Delacroix' Werke aus der sehr langen und 
reichen Blütezeit stehen so unabhängig neben Constable, 
wie Menzels Interieurs neben dem englischen Land- 
schafter; oder — um ein .höheres und allp^emein be- 
kanntes Beispiel zu nehmen — wie Rubens neben Tizian. 
Constable befreite vielmehr Delacroix, denn seine Be- 
rührung machte den neuen Künstler, trieb ihn auf den 
eigenen zur Höhe führenden Weg. Fragt uns nun jemand, 
was die Farbe oder die Technik bei Delacroix bedeutet, so 
scheint uns der Frager ebenso klug wie der Denker, der 
untersuchen würde, was im Smaragd der Stein bedeutet. 

So ist die Geschichte aller Entwicklungen, und nur 
das beschrankte Auge sieht nicht den Segen, weil es 
auch die Kunst nicht sieht. Für den droUigen Gemüts- 
menschen, der solche Dnigc „technisch" und die Technik 
infierlich nennt, ist auch die Kunst äufierlich, inso- 
fern, als er ihrer als einer AuBerlichkeit nicht bedarf. 

Und nun vergleiche man. Der Veigleich ist ideal, 
um den Kern deutschen Nationalisten unserer Tage 
zu erkennen. Sie verlangen den nüchternen Tatsachen- 
beweis für Dinge, ohne deren Besitz überhaupt keine 
Reflexion in Kunstsadien denkbar ist. Schrieb doch 
neulich ein Kritiker, und einer der besseren, ganz naiv, 
es wäre gegen den Austausch mit Frankreich nichts zu 
sagen, wenn der Austausch nicht einseitig wäre, wenn 
auch die Franzosen von uns anregende Kunstwerke ak- 
zeptierten. Dieser Wunsch wurde in der Vergangenheit, 
wenn man bis Clouet-Holbein zurückgehen will, zuweilen 
erfüllt. Das gleiche ist aus einigermaßen offenliegenden 
Gründen in der Gegenwart nicht zu erwarten. Wohl 
aber läßt sich an dem Fall Delacroix dartun, daß 
die Einseitigkeit des Austauschs nicht an der Unhöf- 
üdikeit unserer Nachbarn liegt. ^) Denn man wird zu- 

*) In meinem Buch ,,Corot-Courbet" findet man vicila SJidere Be- 
stitignngeii* Vergleiclie di« Stellang der Geiwratioo von 1830 ta den 



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NATIONALISMUS 



107 



geben, daß die Franzosen den Engländern nicht näher 
sind, als wir den Franzosen. Wer je drüben gelebt 
hat, weiß, daß die Abneigung gegen John Bull dem 
Pariser im Blute Hegt. Er ha6t ihn, wie wir nie- 
manden hassen. Constable war reinster Engländer, 
mindestens so typisch für England wie Menzel für 
Preußen, typischer als Menzel in einem edleren Sinne, 
als Repräsentant aller Vorzüge seiner Landsleute: der 
Liebe zur Natur, zur freien Erde, zur Heimat. So eng 
gehörte Delacroix zu seinem Lande. Das Jahrhundert 
hat keinen zweiten, der gleichreinen Stammes wäre 
und den Geist des Volkes gleiciitief durchglühte. Da- 
neben stelle man die künstlerische Potenz Deutschlands 
während Menzels Jugend und überlege, was Frank- 
reich von Constable erhielt und was wir von ihm hätten 
empfangen können. Dort eine Bereicherung, über deren 
Vorzüge nicht gestritten werden kann, deren Mangel 
aber große Zeitgenossen Delacroix' — von den Vorgängern 
zu schweigen — nicht hinderte, göttliche Werke zu 
schaffen. Hier geradezu alles; das Fundament einer 
Malerei, von der kein Landsmann und Zeitgenosse 
Menzels — von den Vorgängern zu schweigen — mehr als 
eine blasse Ahnung hatte. Das Exempel ist einfach. 
Delacroix gab sein Resultat der Welt in Hunderten von 
repräsentativen Gemälden prds zor Freude und zum 
Notzen aller. Menzel machte dn paar schöne Skizsen; 
so bescheiden sie neben Delacrdx erscheinen, das beste, 
was wir von ihm besitzen, das beste der deutschen Malerd 
jener Zeit überhaupt. Er erwies» was mehr ist, was den 
Skizzen die Vf^rknng völlendeter Gemälde jeder Zahl 
und jeden Umfangs geben konnte, die Moglichkdt 



Holländern und Courbets Nachfolgerverhältnis zu den Spaniern. — In der 
„Entwicklungsgeschichte" habe ich nachgewiesen, daß die ganze Stärke 
der französischen Kunst nur auf diesem stets rechtMitig gehandhabten 
Anfttanadi beruht. Dte KuniCblfite jedes Volkes bestätigt das gjleidiei. 



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DER MALER 



großartiger Schöpfung. Selbst wenn Menzel auf das 
wenige beschränkt blieb, konnte die Art, wenn sie furcktlos 
den Künstlern dargeboten worden wäre» unüberseh- 
baren Nutzen, unter günstigen Umständen, eine neue 
Kunst bescheren. Der Rest der Geschichte: De- 
lacroix' „Massacre von Chios" erschien acht Tage nach 
der übermalung vor der Menge und wurde sofort vom 
Staate angekauft. Menzel soll einmal gesagt haben, so 
wie in den Skizzen der vierziger Jahre hatte er ganz 
gern malen mögen, wenn es die Leute gemocht hätten. 

Und die Moral: So stand es 1845 bei uns. Wie steht 
es heute? Was sich damals gegen Menzels unabhängige 
Art erhob oder erhoben hätte, war die Dumpfheit un- 
gebildeter Sinne, dasselbe, was jeder Franzose, was jeder 
Engländer auszubaden hatte, bevor die Masse nach- 
gab, was jeder moderne Künstler, weil ihn nicht mehr 
die allen gemeinsame Formenwelt zur Tat begleitet, 
durchmachen muß. Unser Publikum von 1845 war um 
ebensoviel widerspenstiger, je weiter es von dem Fort- 
schritt entfernt war, je weniger es die Formensprache 
verstehen konnte, in der Menzel zu malen begann. 
Darin liegt der mildernde Umstand. Die Menge kann 
einen so über das gewohnte Niveau hervorragenden 
Künstler nicht sofort schätzen, aber sie kann es, wie 
viele Beispiele beweisen, lernen. Dazu bringt sie eine ver- 
nünftige Kunstpflege, das geschriebene und gesprochene 
aufklärende Wort, das die Anhänger vermehrt und schließ- 
lich die Widersacher durch die Autorität der Fürsprache 
zur Anerkenntmg zwingt. Wie wird diese Aufklärung 
heute bei uns betrieben? Man versucht nicht etwa das 
der Masse unerklärliche Gesetzmäßige darzutun, versucht 
nicht die unbenutzten Organe zur Kunstempfindung zu 
stärken, sondern läßt die Menge dumm sein, schreibt 
Bücher über Kunst, die nur den Historiker interessieren, 
oder macht, wenn man popularisieren will, den Aber- 



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NATIONALISMUS 



glauben vulgär. Der Nationalismus ist eine der Me- 
thoden. Er hat das Furchtbare, die Masse im Kampf 
gegen das Schöne zu organisieren, denn er gibt ihr einen, 
von jedem einzelnen genießbaren Brocken in die Hand, 
in den sich die Zähne des Banausen mit Wonne fest- 
beißen. Alle Schlagworte haben den Vorzug, die Re- 
lativität auszuschließen. Sie überheben den Empfänger 
der individuellen Denkarbeit. Und da heute dem Denken, 
das nicht materiellem Gewinn oder geiler Freude dient, 
ohnehin schon immer weniger Liebhaber erwachsen, 
steigert solcher Schlagwortunfug die Geschwindigkeit, mit 
der das Ideal entweicht. W.is ist natürlicher als das 
Postulat der Nationalität in der Kunst! Jedem Friseur 
leuchtet es ein. Der Deutsche muß deutsch sein! ist 
viel leichter zu begreifen als: der Maler muß Künstler 
sein! Und da der Friseur etwas anderes zu tun hat, 
als sich den Kopf zu zerbrechen, trotzdem aber be- 
kanntlich mitreden will und die Pflicht und Schuldigkeit 
fühlt, den Kunden zu unterhalten, nimmt er die ein- 
fachere Formel. Wie würde derselbe Friseur staunen, 
wenn er hörte, wie ein Kollege seinem Lehrling die An- 
fangsgründe des Barbierciiä mit den Worten auseinander- 
setzte: Der Barbier hat vor allem deutsch zu sein. 

Es gibt eine Kunst, und sie ist die einzige, die den 
Namen verdient, die kraft der Macht ihrer gesetzmäßigen 
\^kung die Sinne zum Jubel zwingt und den Geist 
in Höhen treibt, von wo das bißchen Vaterland wie 
ein Yom Ballon aus gesehenes Dorf erscheint. Die Kunst 
Giorgiones macht uns nicht Italien interessant, sondern 
allenfalls Giorgione. Vor aHem ist sie in sich so interes* 
'Sant, daß alle anderen Interessen nur ganz geringe Rela- 
tionen behalten. Wer sich als Deutscher bd Holbein 
zunächst stolz in die Brust wirft, um sich der Gevatter- 
schaft zu freuen, hat Holbein nie gesehen. Die Sphäre, 
in der sich die in künstlerischem Verstehen mächtige Ver- 



HO 



DER MALER 



wandtschaft der Geister vollzieht, liegt um eine Welt 
über der anderen, in der man mit Nationalitätsbegriffen 
rechnet. Zweifellos erfährt man durch das Bewußtsein 
der Stammzugehörigkeit eine Stärkung. Die Ver- 
größerung aber, die durch das Aufnehmen bedeutender 
Werke, gleichgültig welcher Herkunft, ge^vonnen wird, 
ist so individuell fördernder Art, daß sich der Ver- 
gleich mit der anderen von vornherein zur Lächerlichkeit 
verdammt. Jeder Versuch, mit der Kunst zwei Zwecke 
statt des einen zu erreichen, treibt zum Unsinn. Das 
Schöne ist nicht des Hinz und Kunz, auch nicht der 
Summe aller Hinz und Kunz wegen da. Die Sonne würde 
leuchten, auch wenn es den Menschen einfiele, sie zu 
hassen. Sie hat in anderen Welten und Zeiten viel zu viel 
zu tun, um einfältige Erdbewc^lmcr zu beachten und be- 
gnügt sich, den zu erwärmen, der sich ihren Strahlen 
nähert. Das Schöne ist den Menschen nur scheinbar näher 
als die Sonne. Die Schwäche des Vergleichs beruht just 
darin, daß uns die Sonne ihre Wohltat ohne unser Zutnn 
schenkt, denn sie wärmt uns immer noch» auch wenn wir 
uns in den finstersten Winkel verkriechen; wir müssen 
schlechterdings unser Leben au£s Spiel setzen» wollen wir 
uns ihr entzidhen. Dafür können wir sie aber auch nicht 
rufen^ wenn die Gesetze ihr Erscheinen verhindern; die 
Strahlen sind nicht stabil, sondern verschwinden mit dem 
sinkenden Tag. Auch das Schöne schwebt wie ein Grestim 
über der Menschheit, aber seine Strahlen sind von denen 
der Sonne durchaus verschieden. Sie sind mit bloßem 
Auge nicht wahrnehmbar; das sinnliche Organ genügt 
nicht, die Wohltat zu erfahren, und noch weniger wirken sie 
auf uns wie die Sonne ohne unser Zutun. Es gibt Mittel, 
die wir Kunst nennen, das Schöne aufzufangen, und 
dabei stellt sich heraus, daß der einmal gewonnene Strahl 
stabil bleibt. Meisterliche Hände konstruieren zu diesem 
.Zweck Kunstwerke, die wir uns als komplizierte Prismen 



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NATIONALISMUS 



III 



denken können. Diese kaben ganz die Art pKysilcalischer 
Apparate» denn sie sind reine Zweckschöpfungen, durch- 
aus nur auf ein gewisses optisches Verhältnis hin, eben 

die Beziehung zu den Strahlen des Schönen, gemacht, 
und folgen dabei mathematischen unabänderlichen Ge- 
setzen. Da nun die einmal aufgefangenen Strahlen stabil 
bleiben, sich sozusagen im Werke auflösen, rückt das Werk 
weit über alle Begriffe von Apparaten oder Prismen 
hinaus; es hängt dauernd an dem Gestirn, nimmt an 
dessen Art teil, ist schön. Von da an verlieren wir die 
mathematische Beziehung. Die Summe ist so berau- 
schend, daß unser armer Verstand das Schöne nicht nach- 
zurechnen vermag. Nur bei den allereinfachsten Formen 
der Baukunst kann uns zuweilen das Exempel gelingen. 

Aber wenn wir hier auf höhere Organe angewiesen sind, 
die im Fluge empfinden, was unsere Wissenschaft in 
tausend Jahren nicht zusamraenaddiert: ohne das streng 
Rätionelle des Werkes käme nie die Kunst zustande, und 
ahnten wir dies nicht, sähen wir es nicht in wohlgeord- 
neten Systemen sicgreicii vor uns, so kämen wir nie zur 
Freude. Goethe nannte die Menschen Shakespeares: 
Uhren mit Zifferblatt und Gehäuse von Kristall, die 
nach ibrer Bestimmung den Lauf der Stunde anzdgen 
und in denen man zugleich das Räder- und Federwerk 
erkennen kann, das sie treibt. Es ist unmöglich, das Kunst- 
werk glänzender zu definieren. Nicht holder Gedanken- 
dusel macht das Schöne, sondern der zu diesem, nur zu 
diesem Zwecke geschaffene, mathematische Apparat. Da 
wir uns um das Gestirn wie um die Sonne bew^en, da 
es um ebensovielmal, ja unendlich* größer ist als unser 
Planet, können die Kunstwerke zu jeder Stunde und 
überall errichtet werden, in Deutschland, Frankreich, 
in China, selbst in Heidelberg. Und wurden errichtet 
seit vielen tausend Jahren, seitdem die Menschen sich 
ihrer Art bewußt wurden und gesetzmäßig denken lernten. 



IZl 



DER MALER 



bis auf den heutigen Tag. Wenn man nun vom Künstler 
verlangt: baue nicht nur, um zu deinem Stern zu gelangen, 
sondern baue gleichzeitig „national** ! so mischt man in die 
reine Wissenschaft, die jdlein zum Ziele führt, fremde 
Elemente und verlangt von einem Mathematiker, nicht 
nur mathematisch, sondern national zu demonstrieren. 
Die Dummheit ist hier nicht größer als dort. Wenn 
man beim Mathematiker darüber lachen würde, beim 
Künstler nicht, geschieht es lediglich, weil selbst der 
ahnungslose Banause von dem in sich abgeschlossenen Ge- 
setzmäßip:en der Mathematik eine Vorstellung besitzt, 
die seine dilettantischen Gedanken zurückhält. Von dem 
Gesetzmäßigen des Künstlerischen aber, trotzdem sein 
Kodex noch um vieles komplizierter ist als der des Mathe- 
matikers, haben die wenigsten Friseure den leisesten 
Begriff. Sie sehen nur die Figur, die ihnen so oder so 
erscheint, weil sie dadurch an dieses und jenes aus ihrer 
Barbierstube erinnert werden. Daß diese Figuren Zeichen 
sind, deren Sprache miridesiens ernst gelernt weiden 
muß wie das Einmaleins, entgeht ihrem Scharfsinn. 

So ist also die Kunst Wissenschaft ? fragt verwundert 
der Leser. Das habe ich nicht gesagt, aber möchte es 
wohl gesagt haben, um die ADzubehenden abzuschreien 
und dUe Kunst mit einer Mauer vor ihrer Gefräßigkeit 
zu schützen. Das gleiche ist es wie Her und Mensch 
sich gleichen, weil der Zusammenhänge unendlich viele 
sind, ohne daß uns schwer fiele, zu unterscheiden. Wir 
sahen bei der Betrachtung des Gegensatzes zwischen 
Kunst und Historie, daß nicht das aus dem Bedtz der 
Geschichte kommende Wissen den Künstler macht. Eben- 
sowenig nützt ihm die Beherrschung der Geographie 
oder der Mathematik oder irgend eins der von uns als 
Wissenschaft bezeichneten Gebäude der Erkenntnis. Aber 
diese Ungleichheit schließt nicht aus, daß auch zur Kunst 
ein ihr allein zugesprochener Erfahrungsfundus gehört. 



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NATIONALISMUS 



dem individuellen Wissen entsprechend, das in jedem 
Beruf die Tüchtigkeit der Tätigkeit verbürgt, und daß 
ohne bewußte oder imbewußte, jedenfalls aber aktive Be- 
ziehun(> zu diesem Fundus weder die würdige Schöpfimo: 
noch nutzbringende Aufnahme gelingt. Daß der Künstler 
die Aufgabe nicht wie ein grübelnder Gelehrter, sondern 
wie ein Turner löst, spricht natürlich nicht gegen unsere 
Auffassung. Man kann sich unter dem Fundus den 
Apparat jeder Wissenschaft vorstellen, vergrößert um ein 
Moment, das auch im Gelehrtenberuf entscheidet, in 
der Kunst aber viel intensiver aus rein menschhchen 
Eigenschaften der Persönlichkeit gespeist wird. Dieses Mo- 
ment erleichtert uns die Lesbarkeit der Kunst im Ver- 
gleich zu den Wissenschaften, aber bringt uns nicht in die 
bequeme Lage mühelosen Verstehens. Nur weil der Kunst- 
instinkt edleren Nataren mit Recht als etwas Selbstver- 
ständliches gilt, r^et man nicht von der Mühe. Geeignete 
Individuen setzen die Anstrengung so schnell in Nutzen 
um, daB sie ihrem Bewußtsein entschwindet. Die Mühe 
besteht nichtsdestoweniger und ist heute infolge unserer 
mangelhaften Züchtung und der eigentümlichen Ent- 
wicklungsprozesse der Kunst großer als in irgend dner 
Zeit; so groß» daß selbst der ideale Kunstfreund nicht 
vermag, allen neuen Erscheinungen gerecht zu werden* 
Weil das Menschliche den besonderen Anteil hat, schwächt 
es auch das Kriterium, das sich der Gelehrte durch feste 
Formulierungen zu sichern weiß, und macht die Tat- 
sache erklärlich, daß selbst ein Goethe die Logik seiner 
Ästhetik nicht im ganzen Umfang zu erfüllen vermochte. 
Die eminente Ausbildung des Aufnahmevermögens bedeu- 
tender Menschen, verbunden mit dem unkontrollierbaren 
Ästhetentum ihrer Epigonen, hat die Fixig-keit der Kon- 
zeption zu einer Modesache gemacht. Niemand will ein- 
gestehen, daß er etwas langsamer als sein Nebenmann oder 
gar nicht erfaßt. Und da es Mittel und Wege genug gibt, 



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"4 



DER MALER 



die sichtbaren Löcher der Emptindung zu verstopfen, wird 
jede Anstrengung vermieden. Infolgedessen erschlafft das 
Vermögen. Das massenhafte Schrifttum über Kunst träg^t 
das semige dazu bei, und zwar nicht nur der materielle 
Irrtum der Skribenten, auch die Perlen der Besten. Die 
Aufnahme reduziert sich immer mehr auf einzelne, die, 
getrieben von der Seltenheit ihrer Empfindung, zur Feder 
greifen. So verwandelt sich des Publikums Freude am 
Schönen zu einer Kritik der Kritik, die immer nur in- 
dividuellen Zellen der Ästiietik philosophisch nachgrübelt. 
Die Hauptsache, das Objekt des ersten Betrachters, das 
Kunstwerk, zählt also so gut wie gar nicht mehr mit. 

Aus diesem Denk^ üto Kunst-Gedanken» das ach 
immer mehr vom Kunstwerk entfernt und htuidertfache 
Fehlerquellen aufnimmt, entstehen dann die Forderungen. 
Fräher hieB es, die Kunst soll fromm, ernst, keusch, heiter 
sein. Diese Adjektive sanken geräuschlos in den Schlund 
der Vergessenheit. Sie waren herzlich töricht, aber ihre 
Eindeutigkeit verhinderte jedes Mißverständnis und war 
kein an sich logischer Unsinn. Wir haben Kunstwerke, 
die das Fromme, Ernste, Keusche, Heitere als Kunst- 
mittel enthalten, oder genauer gesagt Empfindungen aus- 
lösen, die wir mit der in ästhetischen Dingen üblichen 
Unexaktheit so nennen können. Die Torheit war, aus 
der begleitenden Eigenschaft die Hauptsache zu machen 
und aus der Verkennung eines Einzelfalles zu generali- 
sieren. Die Forderung war unberechtigt, aber forderte 
wenigstens etwas, das man erfüllen oder ablehnen, übrigens 
leicht ad absurdum führen konnte. Das letzte Adjektiv, 
mit dem man heute die Kunst zu knebeln versucht, ist 
tausendmal dümmer und trotzdem gefährlicher. Dummer, 
weil man allenfalls befehlen kann: sei fromm, sei gut, 
keusch usw., während man nicht befehlen kann : sei deutsch, 
sei Chinese! Gefährlicher, weil die Forderung sich in das 
vage Gewand scheinbarer Legitimität kleidet und den 



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NATIONALISMUS 



Nonsens vorsichtiger umhüllt, der in der moralisierenden 
Ästhetik ohne weiteres aufgedeckt werden konnte. Ver- 
hängnisvoll vor allen Dingen, weil die Suggestion komplexer 
wirkt. Der Friseur hat es leicht damit, er braucht die 
Phrase immer nur zu wiederholen; sie klingt dem 
Barbierten lieblich in die Ohren und bedarf keiner 
Weiterung. Der Kunde findet nicht die Stelle, wo er 
unterbrechen könnte, selbst wenn er dazu Lust spürte. 

Die Forderung der nationalen Kunst rührt an das 
Handwerk?7.cu[^ des Künstlers. Soweit sie überhaupt 
einen Sinn hat, verlangt sie vom Jünger, der lernen 
will, daß er sich an den angeborenen Fundns von Lehr- 
mitteln halte und nur den Meistern folge, die seine 
Landsleute sind. Alles übrige ist blauer Dunst. Es 
gibt Leute, die auf eine solche Präzision der Forderung 
antworten, daß nicht die „Technik", sondern die „Er- 
findung" gemeint sei. Weist man dann die Identität 
von Technik und Erfindung nach, so zieht sich der 
andere auf die Empfindung" zurück und so ad in- 
finitum weiter. Was von dieser oder irgend einer Tren- 
nung der Begriffe zu halten ist, habe ich wiederholt, 
auch im obigen nachgewiesen. Nur die flaue Phrase, die 
dch vor dem Ausdenfen fürchtet, kann am Dualismus von 
Körper und Seele des Kunstwerks festhalten. Bleibt also 
nur die praktische Vorschrift, daß der Künstler seine 
Lehrmittel auf die Eingeborenen beschränke. So emp- 
fand schon die ganze deutsche Kunst der ersten Hälfte des 
19. Jahrhunderts ohne mit der heutigen Schärfe zu formu^ 
Her^. Unsere Galerien für neuere Malerei zeigen, was 
dabei herauskam, obwohl die chinesische Mauer damals 
nicht um Deutschland gezogen war, sondern die Antike 
mit begriff. Unsere Galerien für ältere Kunst zeigen das 
lichte Gegenbild der Medaille. Heute soll die Sprach- 
grenze entscheiden. Liberalere Leute frisieren sich allen- 
falls ein Germanentum zurecht, das den Blicken des Kunst- 



Ii6 



DER MALER 



Jüngers offen bleibt. Einigt man sich noch auf das Indo- 
germanische, so ist gegen die Absperrung nichts zu sagen. 

Menzel war der erste, der mit Erfo^ die chinesische 
Mauer erkletterte und in das Jenseits lugte. Er sprang 
nicht nach der anderen Seite hinunter, sondern kam, viel- 
leicht nicht ohne Seu&er, zurücL £r hatte nicht den 
Mut, den anderen Weg za gehen, fühlte sich auch Mannes 
genug, mit dem eigenen Rüstzeug vorwärts zu kommen, 
brachte dafür die einzigartige, abnorme Konstellation von 
Fähigkeiten mit und erreichte den Grad, den wir bentzen. 
Unt^dassen wir jede Hypothese, was auf dem anderen 
aus ihm geworden wäre, — wir werden sehen, 
daß er sich noch einmal darauf besann — und fragen 
wir uns zunächst nur: Kann Menzels Verhalten als 
Norm gelten ? Kann auch ein weniger abnorm veranlagter 
Künstler, der einmal seinen Weg mit Sicherheit erkannt 
hat, auf diesem Wege seine überwältigend besten Werke 
schafft, ungestraft umkehren? Man halte Menzels sämt- 
liche Gemälde gegen das „Balkonzimmer" und die Dinge, 
die dazu gehören. Der l^nterschied ist schlagend, und 
trotzdem soll der Rest nicht gestrichen werden. Aber man 
bedenke, was Menzel als Zeichner und Illustrator leistete, 
stelle sich den Reichtum einer Begabung vor, die sich an 
jedem neuen Handwerk neu entzündete, und erwäge die 
>j aturkräfte, die hier zusammenwirken. Solche Begabungen 
kommen so leicht nicht wieder. Die Norm ist, und wir 
haben dafür Hunderte von Beispielen in der Nähe, daß 
solche Kompromisse schlechtweg töten. Der Ausdruck 
erträgt nicht das Spiel erschlafften Willens. Der Künstler 
kann im allgemeinen nicht auf hundert verschiedene Arten 
schaffen, sondem auf eine einzige, die sich ihm unter 
höchst ^ücklichen, vielartigen Umständen, zuweilen nach 
langwierigen Tastversuchen, offenbart. Siehe die Kunstge- 
schichte. Es ist Wahnsinn, zu glauben, der Künstler käme 
von selbst darauf. Er kommt nur auf den primitivsten 



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NATIONALISMUS 



117 



Teil seiner Art, gerade genügend, bewußt oder unbewußt 
nach Stählung durch passende Beispiele zu verlangen, nicht 
eine Lehre, sondern die Lehre, die einzige zu finden, die 
seinem Instinkte die Flügel löst. Diese ist kein Gebräu 
von Zufällen» sondern ergibt sich aus tausend Entwick* 
lungsmomenten. Der Künstler, der mit offenen Augen 
mit seiner Zeit geht oder ihr voraneilt, besitzt in seinem 
Sinn die Tatsache, die der Historiker auf rein wissenschaft- 
lichem Wege unwiderleglich nachweisen kann: daß er in 
diesem Zeitalter nicht so zu malen vermag wie ein anderer 
in dem seinen. Menzel war ein solcher Mensch, so modern, 
daß man, wenn es nicht feststände, seine gleichzeitigen 
Landsleute hundert Jahre zurückdatieren würde. Wie 
fand dieser im Deutschland von 1845 den Ersatz für Con- 
stable? Darunter verstehe ich nicht den Engländer, der im 
Jahre soundsoviel zur Welt kam, sondern eine Art Malerei, 
die einem Menscfhen unserer Tage erlaubte, seine Sinne 
zum Dienste des Schönen aui natürliche Weise zu rühren. 
Das war das Wesentliciie, nicht die englisclic Herkunft. 
Es ist so entscheidend wie die Eisenbahn oder die Dynamo- 
maschine oder das Telephon, dessen sich heute alle Völker 
bedienen, ohne an die Geburtsstätte des Erfinden oder 
seine Moral, Religion, seine Empfindung zu denken. Seit 
Constable hat jeder große Maler sich irgendwie direkt 
oder indirekt mit seiner Art auseinandergesetzt, und es 
gibt eine ganze Schule, die bedeutendste des Jahrhunderts, 
die man ohne große Einschränkungen auf ihn zurück- 
führen kann. Seine Erfindung — denn so können wir 
wirklich solche Fortschritte nennen — hat sich um andere, 
logisch damit zusammenhängende Erfindungen bereichert 
und hat bis dahin verkannte Wirkungsfaktoren der 
älteren Malerei, die jene vorbereiteten, mit einbezogen. 
Alles das stellt zusammen das dar, was mit Recht die 
moderne Malerei genannt wird; ein Begriff, den 
jeder Idar erkennt, der sich die Mühe nimmt, Tat- 



DER MALER 



Sachen der Entwicklungsgeschichte zu bemerken und aus 
ihnen die auf der Hand liegenden Folgen zu ziehen. 

Während dieser fruchtbaren Ausbildung der modernen 
Malerei ist Deutschlands Kunst stehen geblieben, und 
Stehenbleiben heißt hier mehr als irgendwo zurückgehen. 
Die aus einheimischen Quellen gespeiste Malerei verfügt 
heute nicht einmal mehr über gewisse Grundlagen künst- 
lerischer Gesittung, auf die sich kleine Leute, wie Runge, 
Friedrich, Krüger, Waldmüller stützten. Der Reichtum 
unseres Landes läßt die Kunst leben, und es finden sich 
unter den Tausenden, die sich an der Formenblindheit 
mästen, ein paar Ehrgeizige, denen die Kunst voransteht. 
Sie wollen nicht den Volksdünkel malen, sondern Werte 
schaffen und sehen durch den Wust von Dummheit und 
Aberglauben in das strahlende Gestirn über der Mensch- 
heit. Sie wollen bauen. Und da ihnen daheim alles 
fehlt, was einem ordentlichen Baumeister zunutze sein 
könnte, jeehen sie bei dem Ausland in die Lehre. Was 
draußen seit hundert Jahren gemacht wird, ist schließlich 
so übersichtlich geworden, daß ein nicht gerade ver- 
nagelter Kopf begreift, was er mit jenem Wissen, was er 
mit dem unseren erreichen kann. Mit ihrer individuellen 
Kraft schaffen solche Outsider, was ihnen erreichbar ist; auf 
nichts gerichtet, als das Id^ ihrer Vervollkommnung, 
im ewigen Streit mit der blöden Masse, die immer nur die 
Fabd der Bilder verschlingt und wütend ist, sutt Speise 
für ihre niederen Gelüste, Formen zu finden. Was sie 
fertig gebracht haben, viel oder wenig, stellt einzig und 
allein seit fünfeig Jahren die deutsche Kunst vor, die 
der Rede wert ist. Die Liste der Deutschen, die im 
Ausland lernten, umfaßt schlechterdings alle bedeutenden 
Künstler unserer Zeit, die mit der Malerei vorwärts 
gekommen sind, und die rücksichtslose Freimütigkeit, 
mit der Feuerbach seinen Lehrern danksagte, steht nicht 
allein. Auch die Gegenbeispiele beweisen. Wir haben 



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NATIONAUSMUS 



"9 



genug Künstler, die sich, nur solange ue sich an die 
vom Auslande gegebene Lehre hielten, tüchtige Werke 
schufen und als sie dann, bewogen von den Suggestionen 
der Heimat, die Lehre drangaben, ihre Künstlerschaft 
einbüßten. Auf der einen wie auf der anderen Seite 
sprechen die Tatsachen mit aller Deutlichkeit. Nur 
die Feuerbach, Marees, Victor Müller, Leibi, Lieber- 
mann, Trübner und viele andere gleicher Herkunft, nur 
der Thoma, der von Courbet und Manet, nur der 
Böcklin, der von Corot lernte, nur der Menzel, der 
nicht zuhause blieb, tragen ganz allein in ihrem Be- 
ruf das Prestige eines großen Volkes. Und anstatt, 
daß ihre Landsleute die offenkundige Wohltat erkennen 
und die Jugeiui, die heute zur Reife heranwächst, an- 
feuern, es gerade so zu maclieii und das Gute zu meliren, 
was die Vorgänger der Heimat gebracht haben, verstärkt 
man im zwanzigsten Jahrhundert noch einmal die chi- 
nesische Mauer, an der im neunzehnten so manche Kraft 
versiegte, und wohlredende Friseure beeilen sich, die 
Mär in alle Gaue des dankbaren Reiches zu tragen. 

Menzel sah dem Treben der Banausen so lange zu, bis 
er selbst daran glaubte. £s liegt nicht an ihm, wenn wir 
heute die frühsten und besten Zeugnisse seiner Begabung 
in den Tempel nationaler Kunst tragen können. Er liebte 
diese Dinge nicht mehr. Man hat für die Zeugen eines 
abgestandenen Enthusiasmus nie viel übrig, und diese hier 
schienen wie die Anklagen einer stolzen Geliebten, die 
der Treulose verließ. Er begann, sich darüber lustig zu 
machen; es war der Zynismus seiner Ehrlichkeit. Zwischen 
Constable und den Freunden seines Alters fehlt die Ver- 
bindung. Man erzählt, daß er Leute wie Begas und Anton 
von Werner schätzte und jede moderne Kunst verachtete. 

Aber bevor er so weit kam, spielte er noch einmal die 
Rolle des großen Künstlers und gab dem Geschicht- 
schreiber in seinem aufs neue aufblühenden Werk ein 



ISO 



DER MALER 



weiteres Dokument, die Dumpfheit antidiluvianischer Re- 
ligionen nachzuweisen. 1855 ging- er zum erstenmal 
nach Pari'?, und der Patriotismus hat ihn nicht abge- 
iialten, die Reise noch zweimal zu wiederholen. Viel- 
leicht erinnerte er sich, daß der königliche Held seines 
Jugendwerkes bei aller Gesinnungsstarke den Reizen des 
Verkeiirs mit Frankreichs Lieblingen der Musen nicht 
fremd geblieben war und selbst dann französisch sprach, 
wenn er dem Lande Ludwig XIV. den Krieg erklärte. 



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DIE L HÄLFTE DER FÜNFZIGER JAHRE 



EVOR wir Menzel nach Paris begleiten, und um diese 



I JEpisode richtig zu schätzen, gilt es über die erste 
Hälfte der fim&iger Jahre zur Klarheit zu gelangen. 
Das ist nicht ganz leicht. Schon vorhersahen wir glan- 
zende Werke Menzels von ganz entg^engesetzten be- 
gleitet. Jetzt mehrt sich das Vielseitige zu einem schlech- 
terdings unübersehbaren Chaos. Ein paar Bilder aus 
einem und demselben Jahre, 1851, »eben einen Begriff: 
der Werber, das Boudoir, das KisenbahTiconpe, Christus 
als Knabe im Tempel. Daneben mag man sich an die 
beiden schönen Skizzen desselben Jahres erinnern, die wir 
in einem früheren Kapitel besprachen, die „Waldesnacht" 
und die „Wolkenstiidie", und an die Lithographien 
und die vielen Zeichnungen zu den ersten Friedrich- 
bildern. Nicht die Mannigfaltigkeit der Gegenstände 
kommt in Betracht. Zehn verschiedene Instinkte, zehn 
verschiedene Anscliauungcn lassen sich unterscheiden. Die 
stille Welt des Menzel der vierziger Jahre spielt liier die 
geringste Rolle. In dem „Werber" ^) steckt noch ein letzter 
Reflex, der schüchterne Versuch« die vorher gelernte Har- 
mcmis in das Genrebild zu retten. Der Einlidt zuliebe wird 
auf Farbe verzichtet. Das bekannte Braunrot bildet die 
Basis und wird durch die vom Feuer beschienene Frau 
des Hintergrundes erhellt. Man denkt an die BeleucK- 
tungsskizzen der Vorzeit, namentlich an das Interieur mit 
der Schwester, wo die Mutter im Hintergrund bei der 
Lampe sitzt (1847). Wie vollendet und selbstSnd^ er- 
scheinen solche Skizzen neben diesem schwachen Gemälde 
holländischer Herkunft. Das Gelbweiß in dem sitzenden 
Soldaten des ersten Planes sucht vergebHch die Harmonie 
weiter zu bauen, die aufrechtstehende Gestalt in der Mitte 
verliert sich ganz in Grau. Trotz des Mangels an 

1) Saminlimg R. MoMe, Beriin. 




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122 



DER MALER 



farbiger Form wirkt die Umhüllung der Einzelheit 
wohltuend. Man merkt wenigstens das Streben nach 
künstlerischer Wirkung, und versöhnt sich mit der Un- 
vollkommen hei t des Ausdrucks. Zu dieser Tonmalerei 
bildet das „Boudoir*'^) den denkbar schärfsten Gegen- 
satz. Hier sollte der Kontrast der Farben entschei- 
den. Gegen das schön aufgetragene Gelb im Kleide 
der Dame, die sich mit dem Tuche in den Hän- 
den dem Vogelbauer nähert, sind die anderen Farben 
des Bildes gestellt, um eine möglichst volle Paletten- 
wirkung zu geben; ein vielartiges Blau, das vom reinsten 
Ton in den Ärmeln und dem Unterkleid bis zu dem 
nachgedimlcelten Blaugrün in der Wand und der noch 
fahleren Nuance im Teppich übergeht; dann ein leider 
unreines Rot, das auf dem Blaugrau der Wand und des 
Teppichs als Ornament wirkt, in dem großen Vorhang 
zu Bordeaux, in dem Kanarienbauer zu Ziegelrot wird. 
Die Strohfarbe des Korbsessel sollte das Gelb vermitteln. 
Diese unsicheren Degradationen, die noch unter der 
Zeit gelitten haben mögen, tun dem Bild empfind- 
lichen Schaden. Das ausgesprochene Gelb verlangte 
reine Kontraste oder eine sehr reiche Verbreitung der- 
selben Basis. Den Kontrast gibt nur das Blau, dessen Ab-- 
tönungen genügen würden, wenn nicht das Rot — die 
Farbe, mit der Menzel nie fertig wurde — detonierte. 
Daran scheitert das ganze Bild: die roten Töne gehen 
nicht zusammen, weder unter sich, noch weniger mit dem 
Gelb und Blau. Das Violett in dem Kleid der alten Dame 
ist ganz ohne Halt, und die neutralen, dunklen Schattie- 
rungen in dem Schrank usw. machen das Gemenge noch 
trüber. Das Bild sagt Alfred Stevens voraus, mit dem 
Menzel nachher bekannt wurde, aber fast nur die schwache 
Seite des Belgiers. Stevens wufite solchen Interieurs 



Sammltuig Frau Tina Scbön-Reny» Wonos. 



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DIE 1. HÄLFTE DER EONFZIGER JAHRE 



123 



eine gewisse Eleganz zu geben und hatte in der guten 
Zeit eine höchst wirksame Palette. Menzel fehlt der 
Geschmack, die Fülle des Kleinen zu bändigen. Der 
Hang zur Genremalerei übertrieb noch den Schaden. 
Die alte Dame am Fenster ist ehrlich, d.i. im Zusammen- 
hang, gemalt und nimmt auf den ersten Blick c^efangen. 
Das glatte Profil der jungen ist subalterner Herkunft. 

Beide Bilder, der „Werber'' und das Boudoir", zeigen 
deutlich den Rückschritt gegen die besten Werke der 
Vorzeit. Vorher beherrschte der Tonmaler oder der 
Kolorist die Wirkung, und von Genremalerei ist in den 
Familienbildern nichts zu merken. Aber wie hoch stehen 
trotzdem beide Bilder über den anderen desselben Jahres. 

Christus im Tempel", ein origineller Typus des Un- 
künsücrischen, konzentriert die Schwächen der ge- 
wohnten Historienmalerei. Die Gewandfaltcndckoration 
und das Heterogene der verwegenen Gesten könnten als 
Karikatur der flassiziRtischen Historienmalerei gelten — 
Horace Vemet ins Jüdische übersetzt. Die vielgepriesene 
Naturtreue im Ausdruck ist so unwahr wie m()glich. 
Das wirklich Beobachtete beschränkt sich auf die obligate 
Charakterkopfstudie im Atefier. Die ungenierte Inter- 
preution des Vorwurfs, die das Bild dnst für revolutionär 
gelten ließ, hilft nicht über das ledern Akademische 
hinweg. Die Komposition beruht auf einer willkür- 
lichen Zusammenstellung von Einzeltypen, die aus 
billigen Rezepten gewonnen wurden. Das „Eisenbahn- 
coupe", der entgegengesetzte Gipfel der Verirrung, ein 
klassisches Dokument für das Unklassische Menzels, zeigt 
den Realismus, der ins Panoptikum führt. Nicht das fatale 
Bürgertum des traulichen Paares auf den schwellenden 
Polstern stößt den Betrachter ab, denn dieselben und 
noch schlimmere Banalitäten wnarden unter der Hand 
großer Zeitgenossen Menzels zu erbaulichen Werken; son- 
dern der Instinkt, der sich an der Begebenheit festsaugt 



DER MALER 



tim nur die Bagatelle glaubhaft zu machen. Er steht 
um nichts höher, als das Bürgertum dieser Zwanglosen. 

Die Friedrichbilder der fünfziger J^hrc scheinen in 
diese Nacht wie reine Sterne. Niemand wird von ihnen 
Aufschlüsse über Kunst erwarten. Mindestens vermeiden 
sie das Krasse der charakterlosen Häßlichkeit, langweilen 
allenfalls das Auge, aber beleidigen nicht. Diese relative 
Wohltat verdanken wir ohne Zweifel dem Gegenstand 
der Bilder. Er schützte Menzel, lockte seine edleren 
Instinkte ans Licht und setzte der sinnlosen Detail- 
malerei des Genres ein mehr oder weniger festes ZieL 

Von dem „Flötenkonzert'' des Jahres 1852 sprachen wir 
schon. In dieselbe Zeit, bis nach 1855, fällt die oft unter j 
brochene Arbeit an der „Schlacht bei Hochldrch^^^) Wie 
auf diesem Gemälde, das ich lader nur aus Abbildungen 
kenne, findet man auch in dem „Friedrich auf Reisen"^ 
ein paar sehr schone Details; hier vor allem die brillante 
Landschaft. Wäre das ganze Bild so gemalt wie der 
Hügel rechts in der silbrigen Beleuchtung, so besäßen wir 
ein großes Gemälde Menzek, das all die kleinen, auf die 
wir uns heute berufen müssen, in den Schatten stellen 
würde. Leider wurde von einer unendlich weniger feinen 
Hand die personenrdche Episode darüber gemalt. 
Sicher mit großem Können. Alles was Knaus je gemacht 
hat, wird meisterlich übertroffen. Der silberne Ton 
aber, der in der Landschaft angeschlagen wurde, die Zart- 
heit der Atmosphäre, die hier ein jäh unterbrochenes 
Spiel begann, bedurfte nicht des Vergleichs mit einem 
Knaus, um uns lebendig zu werden. Es ist, als ob die 
vielen Beine der Bittsteller den Zauber der Landschaft 
plump zerstörten. Auch das üppige Gewand der devoten 
Dame, die dem König den Rock küßt, vermag uns nichts 
zu ersetzen. Recht mechanisch und mit äußerlichen 

^) Bes. des Kaisers, Neues Palais, Potsdam. 
*) Sammlong Ravens, Berlin« aus 1854. 



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DIE I. HÄLFTE DER FÜNFZIGER JAHRE 125 



Mitteln hat Menzel versucht, die Tonwelt des Hinter- 
grundes mit dem Figürlichen zu stimmen. Das Resultat 
wurde mehr ein Maskenzug von Farbe, als Malerei. 

Menzels Fehler war der alte deutsche Irrtum, daß 
eine Kunst, die für ein kleines Format knapp ausreichte, 
das große beherrschen könnte, daß eine Malerei, die mit 
dem wenigen nicht fertig würde, durch die Vielheit 
verstärkt würde. Das ganze Krönungsbild ist nicht die paar 
Rüstungen wert, die Menzel zum Zeitvertreib in den Pausen 
des Frondienstes malte, und ich weiß nicht, ob man nicht 
Grund hätte, den ganzen Friedrichbildern die Stilleben 
vorzuziehen, die mit ein paar Gipsstücken eine Historie 
sehr viel bedeutenderer Art entstehen lassen. Es gibt 
aus dem Jahre 1852 eine „Atelierwand''^) mit zwei Armen 
auö Gips, einer ivnochenhand und einem Brett, auf dem 
ein Schädel steht. Es ist ungefähr das nüchternste 
Motiv, das einem beweglichen Geiste einfallen kann. Der 
Maler hatte diese Dinge jahraus, jahrein in seinem Atelier 
vor Augen, ohne sie zu sehen, wie man jahraus, jahrdn mit 
einem Möbel lebt, ohne es anzuschauen. Eines Tages fiel 
ihm dabei eine ganze Geschichte ein, und er machte eines 
seiner guten Bilder daraus. Die Geschichte ist iNÖrbam» 
weil sie mit dem Stoff wirkt; ich meine nicht die objektive 
Begebenheit, die hier f üglicherweiae nicht existiert — was 
könnte uns an ein paar Gipsarmen reizen I — sondern den 
bildlichen, die Art und Weise wie das tote Stückchen Gips, 
der abgestorbene Knochen, die kahle Wand in der Kunst 
zum Leben geweckt wird. In dem Bilde spielt nichts 
als die Malerei. Die materielle Farbe ist auf ein Mi- 
nimum reduziert und läßt kaum einen deutlichen Kon- 
trast sehen. An der olivbraunen Wand hängen die beiden 
grauen Arme und, in Braun getaucht, das dunkelrote 
Brett mit dem Schädel; daneben zwischen beiden in 

IL Wa^er, BeiUo. leb erlimere mich dimkd, vor aehn Jaliren m 
Fnte da ähnliches Kid Menida in hdkcea Tönea gesehen wa haben. 



126 DER MALER 

Braungrati die Hand, unten im dunkelsten Braunrot 
ein Stück Palette. Saucig, kann man sagen. Et ist 
nichts weniger als die Malerei eines Koloristen. Der 
eifrige Zeitgenosse von heute mag diese Dinge nickt 
mehr, verführt von dem Farbenzauber der Modernen. 
Man ist an das Violett gewöhnt und übersieht in der 
Begeisterung über die Maler, die sich zufällig dieser 
Farbe bedienten, daß das Violett so gut ist wie das 
Braun der Holländer, und das Braun so gut wie das 
Rosa des Velazquez, und das Rosa so gut wie das schmutzige 
Blau des Tintoretto. Menzel malte mit seiner Sauce 
eine unkontrollierbare Skala von Hell bis Dunkel, von 
Licht und Schatten, in der man beim näheren Zusehen 
eine erstaunliche Menge wohl abgewogener Töne ent- 
deckt — man achte nur z. B. auf das gehauchte Grau 
der fast unsichtbaren Statuette auf dem Brett — und 
legte Reflexe und Schatten so geschickt auf die geeigneten 
Stellen dr-s Bildes, daü irmn sich wie von einer brodrinden 
W aimcquellc, nicht von einem Gipsarm angezogen iulilt. 
In dem zwanzig Jahre später entstandenen Hamburger 
Bild, der Erweiterung desselben Motivs, ist der Gips monu- 
mental geworden. Eine streng einheitliche Lichtquelle 
teilt die Gegenstände in genauere Differenzen und bringt 
die frappierende Stilisierung hervor. Es ist der große 
Stil in des Wortes verwegenster Bedeutung. Ebenso sind 
die Rüstungen der merkwürdigen Suite des Jahres 1866 
gemacht. Die Beleuchtung wiederholt gewisse Flecken- 
motiye und daraus entsteht der Tanz. In dem ersten 
StiUeben dieser Art, unserer „Atelierwand*% wurde es im 
Prinzip geradeso gemacht, aber der Tanz bildet sich 
noch nicht exzentrisch, die ganze Fläche auf einmal 
umfassend, sondern mehr von Stück zu Stück, nach der 
Methode der alten hollandischen StiUeben. Derselbe 
Gipsarm gibt alle Kadenzen her. Man kann sich nicht 
der Ironie verschlieBen, daß Menzel nie verstanden hat, 



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DIE I. HÄLFTE DER FÜNFZIGER JAHRE »7 



ein Gesicht gleich lebendig zu machen wie diesen Gips. 
Eine Spur Übertreibung bringt das Bild in Gefahr, ab- 
stoßend zu wirken. Der Arm ist kein Gips mehr, sondern 
hat eine ganz organische Materie angenommen. Der 
Pinsel hat ihn so lange umspielt, bis etwas Fleischliches 
daraus wurde. Der widernatürliche Eindruck ist nicht 
ganz vermieden. Man wird deshalb der großen Ham- 
burger Atelierwand, in der die Wirkung auf weitere 
Einheiten verteilt ist, den Vorzug geben. Aber auch in 
dem kleineren Bild überwindet die Kunst sclüießlich 
den leisen Schrecken vor der abnorm gesteigerten Materie. 
Das Gebotene ist in allen Teilen so harmonisch, daß 
wir schließlich den Arm und die nicht weniger lebendige 
Totenhand nicht mehr in Bcziciiung zu unserer Erfahrung, 
sondern lediglich zu dem Charakter des Bildes bringen. 

Diese „Atelierwand** von 1852 war übrigens nur in der 
Ölmalerei das erste Stilleben dieser Art. Bd Liebermann 
hängt eine genau datierte, große Zeichnung in Aquarell 
und Kreide, aus dem Jahre 1848, in der das Gipsmotiv 
zum erstenmal erscheint. Sie schildert, wie der Auf- 
bewahrungssaal der Abgüsse nach den Antiken aussah, 
als das Museum gebaut wurde; oder vielmehr wie Menzel 
die Sache ansah. Wie absonderlich der Mensch war, 
der sich an solchen Motiven erfreute, begreift jeder, 
der einmal in so einer Rumpelkammer war. Das Zu- 
viel der nackten Arme und Beine aus dem staubigen 
Material läßt keine Freude übrig. Menzel, der später 
nie Ma0 zu halten wußte, hat aus dieser Unordnung 
ein sehr ruhiges Bild geschaffen. Das Extrem mag die 
Ausnahme begünstigt und ihn zu der Einsicht gebracht 
haben, daß nur die größte Ökonomie der Mittel die 
Aufgabe zu lösen vermochte. Mit Grau und Weiß 
und einer weisen Beschränkung der Modellierung kommt 
der eigentümliche Reiz des Bildes zustande. Die Auf- 
Stapelung der vielen Formen wird in dieser Übertragung 



128 DER MALER 

zum Kunstmittel» denn sie sorgt im Bilde für die 
gleichmäßige Bewegung der Fläche. Es ist merkwürdig 
genug, zu beobachten, wie Meister Menzel in diesem 
Bilde der eingefangenen Antike die Freiheit zurückgibt. 



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DAS THEATRE GYMNASE 



SO war der Menzel, der 1855 auf die Reise ging. Er 
kam als reifer Mann nach Paris. Die Weltausstellung 
lockte ihn, vielleicht auch die Kunst. Wir wissen um. so 
weniger von senien Eindrücken der Stadt, als ja diese 
erste Pariser Reise bis vor kurzem ganz unbekannt war. 
Vielleicht gibt die von Tschudi beabsichtigte Veröffent- 
lichung der Briefe Menzels darüber Auskunft. Schwer- 
lich hat er sich in den vierzehn Tagen seines Aufenthalts 
an der Seine sehr eingehend um die Kunst bekümmert, 
aber schon was die Weltausstellung an lüildern darbot, 
genügte hinlänglich für einen überraschenden Überblick. 
Er sah Delacroix und die anderen Romantiker, die Land- 
schafter, unter denen Corot glänzend hervortrat, und wird 
vielleicht auch einmal in die Baracke zu den Courbets 
gegangen sein. Keiner der großen Meister schdnt ihn 
besonders gefesselt zu haben, wenigstens ist davon in den 
Bildern nach der Reise nichts zu spüren. In den 1855 
datierten findet man bium einen Anhalt, daß er über- 
haupt seine reguläre Arbeit unterbrach. Aber noch in 
demselben Jahre mag er das 1856 datierte Bild entworfen 
oder, angefangen haben, mit dem er eine einzigartige 
Frucht der Reise einbrachte: Das Th^ätre Gymnase.^) 
Was das Bild im Lebenswerke des Meisters bedeutet, 
ist eigentlich erst in diesen Tagen erkannt worden. Als 
CS vor ein paar Jahren in Berlin auftauchte, konnte es 
ein Privatsammler für eine im Vergleich zu den Schätzun- 
gen des „Maritt von Verona'* oder des „Ballsouper*' sehr 
geringe Summe erwerben. Im Menzelkabinett der vor- 
jährigen Dresdener Ausstellung wirkte es so überlegen 
und so grundverschieden von den zahlreichen anderen 
Werken, daß man von einem Zufall sprach, an dem der 

Vorher Sammlung Rothennundt, Blasewitz. Es wäre sehr •ChSn, wenn 
•icb die Nachndit bestätigte, daß die Nattonalgakrie das Bild erworben hat. 



DER MALER 



Aufenthalt in Paris gewichtigen Anteil gehabt hätte. 
Die Kritik benutzte das Bild, um die Reisedaten der Bio- 
graphie zu vervollständigen. Die Menzelausstellung der 
Nationalgalerie bestätigte das Prestige des Bildes, gab 
ihm den verdienten ersten Rang und zerstörte gründlich 
den Aberglauben, daß ihm der Zufall geholfen hatte. 

Zufälle machen keine Meisterwerke. Jeder vernünftige 
Mensch mußte sich beim ersten Anblick des „Gymnase" 
sagen, daß hier keine isolierte Schöpfung vorlag, 
daß Menzel dieses Bild nicht aus dem Stegreif schuf. 
Die Kunstkultur, für die es Zeugnis ablegt, konnte nicht 
durch eine vierzehntägige Reise entstanden sein. Was 
Menzel in Paris gewann, war lediglich die Bestätigung 
emes von ihm selbst vorher gefundenen Weges und der 
Entschluß, das früher Erreiclite einmal in gröfierem Maß- 
stab zu versachen. Sicher wäre das Bild ohne Paris nie 
entstanden. Aber ebensowenig hätte er es je zu malen 
vermocht, wenn er sich nicht instinktiv darauf vorbereitet 
hatte. Es bildet den schonen Abschluß der kleinen dunUen 
Interieurs der vierziger Jahre. Alles was wir dort im kleinen 
bewunderten, was er, zuweilen mit primitiven MittekL, 
damals nur angedeutet hatte, kommt hier in einer den 
größten Meistern der Zeit durchaus kongenialen Prägnanz 
zum Ausdruck. Der Mensch in beiden Arten ist genau 
derselbe, sogar die Art der Mittel ist identisch, nur die 
Fähigkeit ist gewachsen. Wir haben keinen getasteten Ver- 
such vor uns, sondern ein alle gegebenen Bedingungen 
der Harmonie vollkommen erschöpfend auslösendes Werk. 

Carlyle sagt in seinen sechs Vorlesungen von dem 
Helden, da wo er vom Dichter spricht : „Ein musikalischer 
Gedanke ist der Ausspruch eines Geistes, der in das 
Herz des Dinges eingedrungen, dessen innerstes Geheim- 
nis erfaßt hat, seine verborgene Melodie nämhch, die 
Harmonie des inneren Zusammenhangs, die seine Seele 
ist, das, wodurch es besteht und zu seinem Dasein in 



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DAS THEATRE GYMNASE 



131 



der Welt berechtigt ist." Eine der schönsten Be- 
stimmungen des Kunstwerks, trotz ihrer Freiheit so über- 
zeugend, weil sie die Bewegung der wesentlichen. Kräfte 
mit der am Einzelfall geschärften Klarheit sehen laßt. 
Wir haben so wenig Worte und so viel Auslegungen 
— siehe Nietzsche — daß man immer wieder bei allen 
Diskussionen, bei jedem Satz weniger auf knappe For- 
meln als auf präzise, das Gesagte illustrierende Tat- 
sachen dringen sollte. Unsere neue Kunstwissenschaft, 
die vom Beispiele aus folgert und mit immer ver- 
größerter Intensität auf dieselben Beispiele zurückgeht, 
iiat mindestens trotz all ihrer Schwerfälligkeit den 
Wert, Klarheit der Begriffe za schaffen, weil de unfehl- 
bare Einblicke in die Reflexion des Vortragenden er- 
laubt» und gewisse Elemente sicher zu stellen, deren 
Mangel auch der geistreichsten Paraphrase den Boden 
nützlicher Wirkung entzieht. Die Ge&hr der Einseitigkeit 
durch die Beobachtung eines EinzelfoUs besteht nur ffir 
Dilettanten, nämlich so lange als der Betrachter an 
Äußerlichkeiten hängen bleibt und den Fall nicht er- 
schöpft. Sie kommt neben der Wohltat, immer wieder 
auf das Kunstweik nicht als ein Gedachtes, sondern als 
Sichtbares zu verweisen, nicht in Betracht. Jede gründ- 
liche Untersuchung großer Künstler wird schließlich das 
allgemein Gültige abzusondern verstehen, und aus der Art 
wie der Künstler löste, zum Gesetzmäßigen der Lösung 
gelangen. So dachte Carlyle, als er seine Auffassung des 
Heldentums an bestimmten Persönlichkeiten erhärtete.^) 



*) Er sagt es deutlich genug: ^^reilich richtet zweüelsüchtiger 
I>iIettaiiti8mTis, der Fluch naaerer Zeit" (wie vidntdir der Fluch, tuiaenr 

Tagel) „ein Fluch, der nicht für immer dauern wird, in diesem höchtten 
Bereiche menschlicher Dinge wie in allen Bereichen viel Schlimmes an; 
und unsere Ehrfurcht vor großen Menschen, geahmt, verblendet, er- 
stairt wie eie ist, kraimt In gans erUnnliciher Webe, kaum ericemilMr, 
zum Vorschein. Die Leute beten die Außenseite großer Menschen an, 
«die meisten «ind ungläubig, daß es irgend eine Wirklichkeit der großen 



13» 



DER MALER 



Wir merken deutUch) was er mit der Musik der Erschei- 
nung meint, und die an Dante und Shakespeare gefestigte 
Vorstellung wird schließlich fähig, auch andere Erschei- 
nungen zu umfassen. Als echtes Kind seiner Zeit, ver- 
schwieg Carlyle unter seinen Helden den Schöpfer der 
bildenden Kunst, aber was er vom Dichter sagt, gilt mit 
demselben Recht vom Künstler überhaupt. Seine Defini- 
tion kommt dem Dichter am besten zu statten, weil das, 
was er Musik nennt, gleichzeitig ein spezifisches Kunst- 
mittel der Dichtung, den Klang, andeutet. Er wollte 
sich aber nicht in diesem besonderen Sinne verstanden 
wissen, sondern zielte mit seiner „Melodie" auf die allen 
Künsten zugrunde liegende Wirkung des Rhythmus. 

Auch in Menzels reichstem Werk lockt uns die 
Musik. Der Beschauliche der früheren Interieurs sang — 
oder lispelte — eine zarte Melodie, die uns köstliche Dinge 
und in ihnen Menzels verborgenste Eigenheit wahrnehm- 
bar machte. Ganz denselben finden wir im „ iheätre 
Gymnase". Nur sind die Akkorde voller geworden, 
rdcher instrumentiert, nach allen Richtungen umfassender. 
Wir haben wieder ein Interieur, wieder annlhemd die- 
selbe braunrote Grundstimmung. Aber wo vorher ein 
Fleck, ein Ton der kleinen Flache genügte, tei^t sich die 
Wirkung in viele Varianten und bleibt doch ganz surk, 
ganz eindeutig und geordneter, harmonischer als in 
irgend einem der klanen Bilder der Vorzeit. Die Kon- 
struktion des Gemäldes beruht auf dem Gegensatz zwischen 

Menschen anzubeten gäbe. Die ödeste, verderblichste Meinung, man 
mflfite budistäbiidi am Htmiclicii vanMeifdii, «oUta man Our Raum 
geben." Dann spricht er von der Verehrung seiner Tage zu Burns 
und schließt : ,,Wären aber Dilettantismus« Zweüelsucht, Gemeinheit 
und die ganze Brat von JämmedkAkeit at» ims ausgetrieben — 
ivie sie es mit Gottes Hille «ein werden — wäre der Glaube 

an die AuBenseite der Dinge ganz weggefegt vmd durch hellen Glauben 
an üie Dinge selbst ersetzt, so daß der Mensch nur auf den Antrieb 
von diesem liandclte und joMa üBr ni^t voilianden achtet«, welch ein 
neuee, lebendigetes GefOlü fSr diesen Bon» w&cde alsdann sieh ngenl«' 



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DAS THEATRE GYMNASE 



133 



dem breiten dunUen Orchester ond der stark ^irbigen 
Buhne nüt dem Proszenium. Auf der durch gleich- 
laufende Zuschauerreihen geteilten, den ganzen Vorder- 
grund einnehmenden Masse des Orchesters, getrennt 
durch das warme Grau des Fußbodens der Bühne, er- 
heben sich nebeneinander drei parallel begrenzte Haupt- 
fUchen: das Stück Titihnenhintergnind mit der Tür, und 
zwar der dunkelste Teil aus Schwarz, Braun und gedämpften 
Rot; die Avantscene in Purpur; endlich das breite Pro- 
szenium in der hellsten Farbe, Gelb. Dies das Haupt- 
motiv, eine vollkommene harmonische Kombination von 
Ergänzungsfarben. Das Braun, das in der ersten Fläche 
sowie in dem Orchester an Schwarz grenzt, steigert sich 
organisch zu dem hellsten Gelb. Das Rot dazwischen 
steckt latent m dem Braun und wird übrigens durch die 
Farbe der Gesichter der Zuschauer wie der Schauspieler 
deutlich markiert, und dasselbe Rot bildet den denkbar 
vollkommensten Kontrast zu dem Gelb. Nun die Dekora- 
tionen. Die größte koloristische Bewegung liegt in dem 
Motiv der drei Personen auf der Bühne. Es ist kein 
Zufall, daß es nicht mit einem Millimeter auf die rote 
Fläche fällt. Nur der dunkelste Teil des Bildes, das 
Schwarzbraun der Tür mit den dunkelroten schmalen 
Leibten war imstande, das Aloiiv vor Sclivvaclieii der V cr- 
mischung mit dem Vielerlei der übrigen Effekte zu 
schützen. Im Vordergrund steht, gefaßt wie ein Edel- 
stdn, das Blau der ersten Darstellerin, ganz Leuchten, 
mit fast kristallinischen Finselstrichen geschliffen und 
nur mit Weiß gemischt, um dem Glanz allen Reichtum 
zu geben. Man denkt an die „Dame bleue*' Corots 
oder gewisse Delacroiz. Das Blau ist ganz isoliert, koxmnt 
selbst in Nuancen nicht wieder vor und ist genau 
die einz^ Farbe, die dieses Wagnis erlaubt, wdl sie 
mit allen wesentlichen Farben des Bildes reine Aldcorde 
bildet. Die Andeutung davon findet man schon an der 



»34 



DER MALER 



Figur selbst, in dem mit Spuren von Blau durchsetzten 
Weißgelb des Umhanges und dem leuchtenden Rot des 
Gesichtes; Farben, die sich in der verschiedensten Ver- 
wendung wiederholen. Auf das Blau dringt nun das 
Braunschwarz des Partners ein. Es ist die Verbindung 
zwischen dem Hintergrund und dem Orchester und 
gleichzeitig die Vermittlung zwischen dem Blau der 
ersten und dem Grau der zweiten Darstellerin. In der 
zweiten wird die Farbe des Bühnenbodens verdichtet. 

Dieses dreiteilige Motiv der Darsteller wirVt wie das 
Bukett im Bilde. Es ist genau von der Buntheit, die der 
Anlage des Ganzen entspricht, gerade stark genug, um 
an der richtigen Stelle ein Gekrausei des Farbigen 
und des Zeichnerischen wachzurufen; ein erhöhter voller 
Fleck, der das Gleiten der großen Flächen umso an- 
genehmer empfinden läßt. Es ist bewundernswert, wie 
gut die Flächen zueinander stehen und wie individuell 
jede sich selbst bereichert. Bei dem schönen Sessel in 
Olive und Rot wiederiiolt sich die vorher gemachte Er- 
fahrung. Er wäre vor der ersten Wand undenkbar, oder 
würde da wenigstens nicht annähernd so wirken» weil 
ihm die Möglichkeit des reinen Kontrastes genommen 
wäre. Nur vor dem herrlichen Purpur der Avantscdne 
bringt er den Akkord hervor und macht nicht nur aus 
der ganzen Fläche eine vollendete Harmonie» sondern 
gibt ihr die Festigkeit, sich zwischen der ersten und 
dritten Fläche glänzend zu behaupten. Man kann hier 
ohne Übertreibung von einem großen Koloristen sprechen. 
Die Erfindung dieser Mittelwand mit dem Sessel nach 
dem großartigen Reichtum der ersten, das breite Aus* 
klingen des Akkords in der dritten, alles das ist schlechter- 
dings genial. Man verfolge, mit wie viel Nuancen das 
Braun motiviert wird. Mit Recht, denn es war in 
der reinen Palette die Gefahr. Man fühlt es daher 
nirgends als stabile Note, trotzdem es massenhaft da 



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DAS THEATRE GYMNASB 



135 



ist, weil immer das Gelb und Gold, das Olive und die 
Havannatdne mitklingen. Es wirkt überall ganz rein, 
trotzdem es gemischt ist, weil der tanzende Glanz der 
Kontraste es zudeckt. Es ist in den dunkelsten Töiien 
das Schnurren des Basses eines sehr reichen Orchesters, 
in den hellsten die Reinheit mit dem Dämpfer ge- 
spielter Violinen, in denen man trotz der großen Ent- 
fernung die Beziehung zum Baß noch erkennt. Un- 
geachtet der Farbenfülie hest man das Bild sofort mit 
wohltuender Schnelligkeit. Zur Übersichtlichkeit trug 
sicher die Flächen- Komposition bei. Das Geheimnis 
aller Interieurs Menzels liegt in dem Vorzug, daß er 
sich aus den geraden Linien der Wände und Möbel 
ein sicheres Gerippe bauen konnte. In dem Raum des 
Theaters fand er das denkbar günstigste Schema. Aber es 
mußte gefunden werden. Nichts Törichteres, als der 
Natur für dieses Bild zu danken. Ich glaube nicht, 
daß die Regie des Theätre Gymnase im Jähre 1855 
nach Chevreulschen Regeln komponierte, ganz abge- 
sehen davon, daß Menzel das Gemälde nach der Rück- 
kelir in die Hdmat aus dem Gedächtnis malte. Sondern 
er erfand das Wesentliche des Werkes, das einzige, was 
der Künstler überhaupt erfinden kann: den Bau nach 
glänzend erfaßten Grundsätzen der Malerei. Sowohl das 
Gerippe, ynt die Farbe, wie die Flecken, wie alles, was 
darin vorkommt. Was Einheit ist, kann man hier Imen. 

Trotzdem oder vielmehr deshalb brachte Menzel fertig, 
das Bild mit einer Ursprünglichkeit auszustatten, als 
blickten wir selbst in den Raum. Es ist, als ob aUe 
Teile des Werkes gleichzeitig entstanden seien unter dem 
unmittelbaren Eindruck der Natur. Man glaubt zu 
sehen, wie es gemalt wurde, mit einem mehr hüpfenden, 
als gleitenden Pinsel, der sich nur in den großen 
Flachen, den ganzen Noten der Begleitung vergleichbar, 
ins Breite dehnte. Die roten Köpfe der Zuschauer 



196 



DER MALER 



in den Logen sind Goyas würdig. Ganz wie der 
Spanier in seinen Schilderungen der Masse, gibt Menzel 
nur eine Andeutung der Gesichter, in scharfwinkligen 
feurigen Strichen, die aus dem Schwarz des Hintergrundes 
herv'orglühen ; mehr das Gesicht der Loge als dieses oder 
jenes Zuschauers. Ganz so ist die Menge im Parkett ge- 
macht, eine Masse von dunklen Körpern, von denen 
man nichts einzelnes erkennt, nur das Atmen, das Leben 
-and die Beziehung dieses Lebens zu dem gleißenden 
Licht der Rampe. Ganz so schließlich auch das, was 
naive Leute den Vorgang auf der Bühne nennen würden; 
ein Stück, in dem nicht Herr X und Fräulein Z, sondern 
Licht und Farben spielen. Und so ist das ganze Bild 
geschaffen: ein Gesicht, bestehend aus einer Bühne, 
aus Logen, aus Schauspielern und Zuschauem; gemalt 
wie das Porträt eines Menschen; mit allem ausgestattet, 
was das Gesicht des Modells zur vollkommenen Phy- 
siognomie eines Kunstwerks zu gestalten vermochte. 

Man vergleiche einen Augenblick mit diesem Bild die 
Werke der ersten Hälfte der fünfziger Jahre; nicht die 
berühmten Hauptbilder — der Vergleich wäre zu grausam 
— sondern die besseren und die besten, wie zum Bei- 
spiel das wertvolle Gips-Stilleben, von dem wir sprachen. 
Wie schwer und trübe wirkt trotz aller Qualitäten 
das Sauciee der Farbe, der zähe Fluß, die träge Ge- 
staltung, und trotz des Ungelenken wie manieriert! Vor- 
her, als uns der Vergleich fehlte, schien uns das Bild im 
Werke Menzels eine Perle. Es wird jetzt kein Talmi, aber 
wir erstaunen über die plötzlich zutage tretende Armut. 
Nehmen wir ein mäßigeres, aber gut gewolltes Werk, das 
erwähnte „Boudoir", in dem sich ähnliche Farben wie im 
„Gymnase" finden. Man kann fast mit mathematischer 
Sicherheit sowohl in der Konstruktion des Bildes wie in 
allen Euizcllicitcn die l^ehler bestimmen und sich vor- 
stellen, wie der Menzel des „Gymnase" sie vermieden 



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DAS THEATRE GYMNASE 



137 



Hätte. Das Bild Hat viel weniger Farben und trotzdem 

schreit es vor Buntheit. Man vergleicHe, vne UäglicH 
der Kontrast von Gelb und Rot hier mißglückte, der in 
„Gymnsat** zauberhaft gelingt, weil das Rot von der Pa* 

lette genommen wurde, nicht aus der Harmonie des Bildes. 
Schon das richtige Rot in dem großen Vorhang, fühlt man. 
Hätte das Resultat unendlich verbessert. Und trotzdem ist 
es fast dasselbe Bordeaux, das aucH einmal im ,,Gymnase" 
vorkommt. Aber hier steht es in zwei schmalen Streifen 
zu beiden Seiten der Bühnentür, ganz in Braun und 
Schwarz, in der Nähe des köstlichen Barockornamentes. 
Dort dao;et^cn hängt es beziehungslos im Raum, weder 
durch Kontraste, noch durch Abtönungen motiviert, 
daher häßlich, so häßlich wie das Violett, das nur die 
Willkür aussuchte. Ähnliche Fehler stecken im Auftrag 
der Farbe. Nirgends findet man im „Gymnase" solche 
Differenzen in der Behandlung, soiclie Isolierungen, wie 
das lediglich der Genre-Tendenz wegen geglättete Profil 
der jungen Dame. Gehen wir noch weiter zurück zu 
den ,,Alär/gcfallcncn". Die Menge crscliciiu uns puppen- 
haft; jeder einzelne ist da, aber keiner hat Leben. Nichts 
von dem Atmen der Zuschauer des „G/mnase", überall 
sehen wir Bilder im Bilde. £s ist eine vollkommen fremde, 
viel niedrigere Sphäre* Erst wenn wir zu den Interieurs 
der vierziger Jahre kommen, finden wir wieder Boden, 
und bei dieser Wanderung ist es uns, als Seien wir in- 
zwischen in einem fremden, imgastlicHen Lande gewesen. 

Das „Gynmase'' eignet sicH wie wenige Werke unserer 
Kunst zum Studium des Schonen. Es ist durchaus 
deutsch, denn es stammt von dem Menzel, der sich in 
seinen intimsten Bildern der Jugend ganz äHnKcH zu 
äußern versucht hatte. Und es Hat gar nichts von dem 
deutschen Fall, der die Schwärmerei in die Wildnis lockt. 
Es mangelt aller Efi^kte, auf die man die gewohnten 
Schlagworte anwenden zu können ^ubt, und besitzt 



138 



DER MALER 



trotzdem mehr als fast alle anderen' Bilder Menzels eben 
die Tugenden, die man mit Schlagworten profaniert. 

Die Hilflosigkeit poetischer Ergüsse vor großen Werken 
wird hier nicht weniger deutlich als vor manchen Bildern 
nicht populärer Kunst, die ihre Unbeliebtheit dem Um- 
stände verdanken, sich nicht schematisch in die gewohnten 
Geleise der Begeisterung dnbetten zu lassen. Das »Gym- 
nase" ist kein Drama, sondern die Sonate eines strengen 
Meisters. Nur die Musik spielt darin. Wir vermögen 
es nur mit der Bewunderung der Akkorde und des 
Reichtums der Variationen zu schildern; nicht etwa, 
weil seine Farben nicht die Seele erheben, sondern weil 
das Werk sich auf jene Höhe erhebt, wo die Auslegung 
vor der Fülle von Deutungen zum kindlichen Zeitver- 
treib wird. Wohl aber gibt das Gemälde wie kein 
zweites Menzels die Eigenart des Meisters zu erkennen. 




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MENZEL UND DER 
IMPRESSIONISMUS 



HYPOTHESEN 



HÄTTE Menzel das „Gymnase" in Paris ausgestellt, 
der Erfolg bei allen ernsten Künstlern wäre ihm sicher 
gewesen. Die Alten, Delacroix, Corot, Decamps hätten ihn 
beglückwünscht; Daumier vor allem, der Daumicr, der 
auch eine denkwürdige Theaterszene malte, als Drama- 
tiker, mit michelangeleskem Schwünge, stimuliert von 
einem revolutionären Massenbewußtsein, und doch über die 
Rasse hinaus Menzel verwandt als Auge und Empfindung, 
als Kind derselben Zeit, derselben Zukunft. Die Gleich- 
altrigen und Jüngeren, Millet, Courbet und Genossen, 
hStten sich an dem kleinen Deutschen gestärkt; die Debü- 
tanten, Pissarro, Manct, den Mut zum Start gestählt. In 
allen so verscluedenen Temperamenten steckte das gleiclit;: 
der Drang nach rückhaltlosem Bekenntnis der Persönlich- 
keit, der Mut, sich vom Schema zu befreien und mit 
eigener Überlegung dem Schönen zu dienen. Was für 
Augen hätte Frankreich gemacht, wenn es Menzel ein* 
gefallen wäre, 1856, im Jahre der Entstehung des »Gym- 
nase'V dieses und noch ein paar andere Bilder, zum Beispiel 
das »»Balkonzimmer** mit dem Datum 1845 in den Salon zu 
schicken. Hier war in der Tat einmal ein nicht einseitiger 
Austausch möglich. Nicht mit dem als Hauptbild des Jahres 
1856 bekannten „Friedrich bei Hochkirch**. Solche Dinge 
hatte man schon ein halbes Jahrhundert vorher in Paris 
besser gemacht. Jene ganz reine Kunst aber war neu, neu 
im Instinkt, in der unwiderstehlichen Ehrlichkeit des seiner 
selbst bevmßten Zeitgenossen; neu im Mittel, weil von 
dem Ballast irrender Schulweisheit befreit; echt wie die 
große Malerei der Vergangenheit, von der Goya der er- 
wachenden Kunst ein zuckendes Stück dargeboten hatte. 

Und was wäre aus dem Aussteller solcher Dokumente 
geworden! Glaubt man nicht, daß Menzel, von dem 
Zuspruch edler Meister geschwellt, unterstützt von Käu- 



141 MENZEL UND DER IMFKESSIONISMUS 



fern, an denen es guten Dingen in Frankreich nie mangelt, 
dem verblasenen, offiziellen Alter-ego Valet gesagt und 
alle Kräfte aufgeboten hätte, um noch besser, noch 
reicher, noch größer zu schaffen! Ein Mensch, der aus 
der geringsten Anregung solches Kapital schlug, der nach 
einem vierzehntägigen Rundblick ein unübertreffliches 
Meisterwerk i^chuf, als solches unweigerlich pcr^Tonlich, aas 
dem eigenen Wesen gew onnen: dem drohte kern Epigonen- 
tum. Er war zum Führer bestimmt und konnte die ver- 
lotterte Kunst der Heimat zu vernünftigen Zielen geleiten. 

Dann wurde es bei uns anders. Es ist keine vage An- 
nahme, sondern ick könnte es, wenn hier der Platz dafür 
wäre, an bdcannten Beispielen beweisen« daß das, was 
Menzel in der Jugend vorschwebte, auch in anderen 
steckte, daO er auf dem Wege, der sich ihm 1845 zum ersten, 
1856 zum zweiten Male erschloß, nicht allein geblieben 
wäre. Nicht die Staike der B^bung, oder besser, die 
Scharfe individueller Anschauung, mag sich wiedergefun- 
den haben, wohl aber die Art des produktiven Instinktes. 
Nur das Beispiel fehlte, dieWamung vor Rom und Düssel- 
dorf, der Riä in die Natur, zur vernünftigen Arbeit, zur 
Erkenntnis von Dingen, die jedes Talent erkennen muß, 
wenn sie ihm einmal gründlich an großen Werken der alten 
oder neuen Kunst erwiesen wcrdoi. War Talent da — 
und wer dürfte wagen, daran zu zweifeln! — so mußte 
die Kunst in Menge zutage kommen. Mußte! nach un- 
widerstehlichem Gesetz, so sicher wie aus dem Korn 
der Halrn kommt, wenn es in gute Erde gelegt wird. 

Denn die Kun«t fällt dem Talente leichter als die Un- 
kunst. Gerade die Leichtigkeit war es ja, vor der Menzel, 
der echte deutsche Pflichtenmensch, stutzte. Er glaubte 
nicht an den Würgengel deutscher Kunstlehre, verachtete, 
glaube ich, ungefähr alles, was er im Deutschland seiner 
Jugend sah; aber immerhin stand für ihn fest, daß die 
Kunst nicht so einfach sein konnte, wie die Malerei im 



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HYPOTHESEN 



H3 



„Gymnasc**. Das Unliterarische der neuen Diktion er- 
schreckte ihn. Sicher stand er der Literatur der Corne- 
lianer und Nazarener skeptisch gegenüber, aber ver- 
mutete» daß an deren Stelle etwas anderes, gleich Kompli- 
ziertes zu treten habe. Die Kunst muß dem Deutschen 
schlecht schmecken, wenn sie ihm beh-io-en soll. Irgend 
ein Zwang müßte dabei sein, so sagte iMenzels Alter-ego, 
und deshalb malte er kein zweite? ,,Gymnase", sondern 
die Folge seiner Friedrichbiider. So versäumte er zum 
zweitenmal die Inspiration. Er hatte das unerhörte Glück, 
im Jahre 1855 vor den Bildern der Weltausstellung noch 
einmal zu sich zu kommen; war fähig, alles zu vergessen, 
was sich in den letzten zehn Jahren zwischen Eingebung 
und Willen gedrängt hatte; konnte alles nachholen und 
hatte damals noch fünfzig Jahre vor sich. Man spürt nicht 
einen Hauch von Quälerei in dem Bilde, nichts von 
Manierismus, von der engen Freude am flotten Strich 
oder von Nachahmung. Vielleicht ist das „B^onzimmer'* 
noch siegrdcher — unter dem Eindruck der großen 
Erfolge der Freilichtmalerei überschätzen wir leicht eine 
rein stoffliche Frage — aber mag es wirklich in seiner Selbst- 
verständlichkeit, in der mit zarten Lüften sicher spielenden 
Erfindung noch höher stehen. Jedenfalls bewies das 
„Gjmnase'^, die konsequente Folge vieler anderer Büder 
und, der ganzen Art nac^ das Pendant des Balkonzimmers, 
daß Menzel eine ihm natürliche Form getroffen hatte. 

Er brauchte nun nur seinem Genius zu folgen, sachte 
aus dem Wege zu räumen, was hindern konnte, auf sich 
zu achten und mit der im „Gymnase" bewiesenen Um- 
sicht sein Lebenswerk zu erwählen. Das nennt man 
Impressionismus, nichts anderes. Nicht daß der Fleck 
auf diesen Bildern Menzels den Flecken gleicht, die 
wir auf französischen Gemälden zu finden glauben, oder 
daß er mit mehr oder weniger reinen Farben malte, 
erlaubt uns, ihn zu der großen Strömung des 19. Jahr- 



144 MENZEL UND DER IMPRESSIONISMUS 

hmiderts -zu rechnen, die von Constable und den Franzosen 
ausging; sondern die in den wenigen Werken sicher 
erwiesene Freiheit Menzels, seine Unabhängigkeit von 
allen banalen Hemmnissen, die die angeborene Begabung 
abhalten, natürliche Aufgaben sachlich zu erfüllen. 

Menzel und der Impressionismus gehörten von Rechts 
wecren eng zusammen. Er besaß alle Vorbedingungen, die 
zum Impressionismus führten, befand sich in derselben 
Zwangslage wie die Künstler Frankreichs, die aus der 
Antike, zumal in der akademischen Form der Überliefe- 
rung, keine Möglichkeit erhofften, den Umfang ihrer per- 
sönlichen Anschauung darzustellen, anderseits aber ihre 
Aufgabe zu ernst nahmen, um an eine gesetzlose Gestaltung 
zu glauben. Sie hatten als Erbe die durch das Studium der 
Hollander angeregte Landschaft der Generation von 1830 
übernommen; genug, um ihnen den Mut einzuflößen, 
in der Natur das Zentrum ihrer Studien zu erblicken; 
zu wenig, um den starken Drang nach Formen zu befrie- 
digen und ihrem Temperament zum Sprunge Zu helfen. 

Wieder muß ich an meinen Friseur denken. Der Un- 
fug mit dem Wort Impressionismus, über dessen glorien- 
lose Herkunft ich an anderer Stelle berichtet habe^), wird 
bei uns fortgesetzt, nachdem die vage Bezeichnung für 
jeden yemünftigen Menschen klaren Sinn erhalten 
hat. Man macht ein Schlagwort daraus, um die Will- 
kür und den Naturalismus zu geißeln. Dagegen wäre 
nichts einzuwenden, wenn die Träger solcher Weisheit 
wirklich die Seifenschale hielten, nicht als Dozenten auf 
Hochschulen säßen. Das Geständnis, das neulich in einem 
Kolleg über moderne Kunst mit erheiternder Natürlich- 
keit herauskam, daß der Dozent nicht wußte, welche Be- 
griffe vernünftigerweise mit der Bezeichnung Impressio- 
nismus zu verbinden seien, sollte genügen, ihn zum Tempel 
hinauszujagen. Denn wenn er's nicht weiß, hat er seinen 
^) 3SiitwiGklttiis«ge«elijcIite, Bd. I« 3» iSi* 



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HYPOTHESEN 



HS 



Schülern nichts darüber zu sagen; es sei denn, daß der 
liberale Brauch, sich von den Schülern belehren zu lassen, 
staatlich sanküoniert wird. Wären solche Zunftgenossen 
Schuster oder Schneider, so würde die gleiche Unfähig- 
keit sie unabwendbar dem Hungertode überantworten, 
denn selbst das Wohlwollen gut situierter Verwandten ver- 
möchte nicht, die Hosen und Stiefel tragbar zu machen. 

Es hieße Eulen nach Athen tragen und den Rahmen 
dieses Buches ungebührlich ausdehnen, wollte ich hier die 
Eigentümlichkeiteii der Impressionisteii aufisähleii, das 
heißt, die kunstgesduchtliche Konvention erhärten» auf 
der die Absonderung dieser Künstler beruht. Ein 
BHdc auf die Entwiddung der Malerei bdehrt darüber 
zur Genüge. Dagegen will ich versuchen» die mensch- 
lichen Momente anzudeuten» die sich hinter den tech- 
nischen, dem Laien stets undurchdring^^ erscheinenden 
Eigentümlichkeiten verbeigen, weil sie auch in der Ge- 
schichte Menzels eine entscheidende Rolle daisteUen. 

Die Anschauung einer großen Gruppe Künstler, die in 
Frankreich ones Tages den Spottnamen Impressionisten er- 
hielten und ihn zu Ehren gebracht haben, ist just das Gegen- 
teil aller Notbehelfe mit Schlagworten. Denn sie stützt sich, 
genau betrachtet, auf gar keine Rezepte und Axiome, die 
ihr als einer besonderen Kunsttheorie eigentümlich wären. 
Man nannte zuerst Monet so, dann Manet, dann Renoir, 
Degas, Cezanne usw.; das heißt Künstler, die dem Hi- 
storiker, der die Neger unter sicPi nicht nach der schwarzen 
Farbe unterscheidet, als so verschieden wie möglich auf- 
fallen. Sie wurden zusammen so genannt, weil sie zu- 
sammen ausstellten. Wäre Menzel bei ihnen gewesen, 
hätte er denselben Namen bekommen, und wir können 
sicher sein, daß der Autor des „Gymnase" einen guten 
Platz erhalten hätte. Das gemeinsame Charakteristikum 
darf nicht in Schulbegriffen gesucht werden. Es bestand 
weder in einer streng formulierbaren Eigentümlichkeit 



146 MENZEL UND DER IMPRESSIONISMUS 



der Farbe, denn wir finden zwischen sehr vielen dunklen 
Manets und sehr vielen hellen Monets keine derartige Be- 
ziehung; noch weniger in einer engen Verwandtschait 
des Stoffgebietes, denn zwischen einer Landschaft von 
Cczanne und einem Tanzbild von Degas fehlt jede Brücke. 
Der entscheidende Gegensatz zu anderen Künstlern könnte 
nickt mal mit dem Unterschied zwischen Renoir und 
Conrbet bezeichnet werden. Diesen brachte erst die Ver- 
trautheit mit den neuen Wirkungen ans Licht» und er war 
verhältnismäßig unbedeutend. Dagegen kann man ihn 
zunächst mit dem Unterschied verdeutlichen, der sich 
zum Beispiel zwischen allen Impressionisten und Malern 
wie Bouguereau oder dem späteren Carolus Duranund 
Bonnat oder Detaille und hundert anderen ähnlicher Art 
erkennen laßt. Übertragen wir dasselbe, zunächst noch 
grobe Schema auf die deutsche Kunstgeschichte, so 
wurden wir neben dem Menzel des „Gymnase" Lieber- 
mann, Trübner usw., auf der anderen Seite Anton v. 
Werner, Paul Meyerheim usw. finden. Dieser Unter- 
schied zeigt sofort, was gemeint ist, und weist uns auf 
das Gemeinschaftliche zwischen Künstlern, die vorher ohne 
Zusammenhang erschienen. Natürlich beruht das Unter- 
scheidende auf allen am Bilde beteiligten Elementen, aber 
wir vrrmö^ren es in Einzelheiten nur mittels kompli- 
zierter Darlegungen zu ergründen. Dagegen steht fest, daß 
das Kriterium nur aus dem Formalen eewomien werden 
kann. Und in der Tat, sobald wir die einzelnen Elemente 
in dem Begriff Form, ihrer Summe, zusammenfassen, 
wird der Gegensatz so unüberbrückbar, daß wir geneigt 
sind, den einen Künstlern das ganz abzuerkennen, was 
die anderen auszeichnet. Im Vergleich zu einem Porträt 
Manets scheint uns ein Porträt Bonnats formlos. Es ist der 
ins krasse gesLcigcrte Uiiierschicd, den wir in feineren 
Nuancen zwischen einem Rembrandt und einem van der 
Heist, in der Skulptur zwischen Michelangelo und Bandi- 



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HYPOTHESEN 



H7 



nelli finden, wobei ich nicht etwa an BeeinÜussangen, 
sondern nur an die Gemeinsamkeit der Zeitgenosactt 
denke. Das gebildete Auge faßt die eine Seite schlechter- 
dings als Kunst, die andere als verhältnismäßige Nichtkunst. 
Dabei überliefert uns dieselbe Empfindung sofort das 
Grundverschiedene nicht nur der Werke, sondern der 
Autoren; eine Verschiedenheit, die in Eigenschafts worte 
für das Menschliche gel ißt werden kann. Wir emp- 
finden den Unterschied von Intellekten und Moralen. 
Damit treffen wir den Kern der Sache. Was die mit dem 
Zufallswort „Impressionisten" genannten Künstler von 
denen schied, die ihnen die eifrigste Opposition mach- 
ten, war vor allem eine mehr intellektuelle und mora- 
lische als im engeren Sinne artistische Eigentümlichkeit. 

Das klingt sehr gewagt, zumal für Ohren, die aus 
dem, was relativ genommen werden will, i^ern das Abso- 
lute heraushüren. Ich will nicht sagen, daß Bonnai z. B 
weniger gesunden Menschenverstand hat als Renoir ; nach 
dem bürgerlichen Brauch, der die Leute für die klügsten 
hält, die am schnellsten zu Oelde und zu Ehren kommen, 
ist er sogar klüger. Wir haben auch kein Recht zu der 
Injurie, ihn nach dem bürgerlichen Kodex für weniger 
moralisch zu halten. Aber dieser Kodex ist uns, soweit 
wir die Kunst zu erforschen haben, so gleichgültig wie das 
Gesetzbuch des Schahs von Persien. Wir schätzen im 
Künstler die Moral, die ihn treibt, alles seiner Kunst zu 
opfern, und den Intdlekt, der das Maximum an Schön- 
heit aus seiner Begabung zu gewinnen weiß. Dem Laien, 
der im Erwerbsleben steht und die Kunst für eine ebenso 
vernünftige Beschäftigung halt wie die eigene, mag solches 
Verdienst billig erscheinen, und er hat mit seiner Ver* 
wunderung vollkommen recht. Ginge es im Künstlerleben 
so zu wie in jedem anderen ordentUchen Beruf, so wie es 
in der Kunst auch sein sollte und in guten Zeiten war, 
so würden Ehrlichkeit und Tüchtigkeit nur als simpelste 



14« MENZEL UND DER IMPRESSIONISMUS 



Pflichterfüllung gelten, und das Entscheidende läge ledig- 
lich im Genie. Leider sind wir von diesem Zustand so 
weit wie möglich entfernt, und die Kunstfriseure tun das 
ihrige dazu. Aus der Vergangenheit, die uns ein un- 
erschöpfliches Lehrbuch sein könnte, hat die Zunft für 
den Nutzen der Gegenwart nur einen ungeheuerlichen 
Wust von Phrasen jeder Art gewonnen; und der Künstler, 
der mit heiler Haut durch diesen Wald von Torheit 
will, muß Pech in den Ohren haben und nicht nur 
Talent, sondern ein Mensch von seltener Widerstands- 
kraft sein. Irrtum, Dummheit und Gemeinheit bedrän- 
gen ihn, sobald er den Fuß vor die Schwelle seines 
Hauses setzt, und bleibt er allein, wie so viele der großen 
Einsamen unserer Heimat, so ist ihm die Lehre versagt 
und sein "ralcnt verkümmert. Um durch das erschrek- 
kende Gewimmel von Klippen ins ircie IMeer zu gelangen, 
dazu bedarf es einer Einsicht und eines Mutes sonder- 
gleichen; Mut gegen die anderen und gegen sich selbst. 
Des Masters entblößt, aufgewaduen unter dem seit Gene- 
rationen gezüchteten Unkraut törichter VorurteUe, fühlt 
der Künstler auch in der eigenen Brust den Feind, der 
ihn lockt, den Weg des Fleisches zu gehen. Was er er- 
reicht, ringt er dem Feinde ab, der ihm den Preis der Menge 
hinhält: billigen Ruhm und Geld, die Sicherheit geborgener 
Fährte, Ruhe vor sich selbst, vor der halsbrecherischen 
Kühnheit unsicherer Instinkte. Wer von den größten 
Künstlern hat nicht einmal in der Dämmerung eines 
Tages, an dem vtdeder einmal die Hoffnung auf Irgendeinen 
Zuspruch zunichte wurde, vor sich selbst gezittert und 
sich die Frage vorgelegt, ob es denn denkbar sei, daß 
er just allein gegen Hunderttausende andere, scheinbar 
so gesicherte Meinungen im Rechte sein könnte. Da 
bedarf es großer Sicherheit der Erkenntnis, eminenter 
Treue zur Überzeugung, einer Feinfühligkeit, genau das 
eine zu tun, das einzige, einer Keuschheit des Instinktea 



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149 



von rdnster Art; d.K. Eigensduiften, denea man nicht zu 
viel tut, wenn man sie mit Intellekt und Moni bezdchnet. 

Man denkt bei dem Worte „Impresaionismus** un- 
vnUkürlich zunächst an etwas schwaches Hin- und Her- 
bew^es, und wirklich steckt so etwas in den Meutern 
dieser Gruppe; auch in dem Menzel, den wir hier be* 
trachten. Es ist das vorsichtige Lauschen auf den eigenen 
Instinkt» das Auskundschaften der Bahn, die der Ge- 
staltung förderlich sein könnte. Dieser Pionier-Instinkt 
äußert sich nicht nur in der Beobachtung der Natur» 
deren eigenstem Wesen man nachdringt, auch in dem 
Verhalten zu der Kunst der anderen, der Zeitgenossen 
oder der alten großen Meister» Hier wie dort wird 
der Weg gesucht, dem man ungestraft zu folgen ver- 
möchte. Das Schwankende ist also nicht, was unser 
braver Kunstprofessor darin sehen mag, keine Willkür, 
es sei denn, daß die reinsten Verse Goethes Willkür 
wären. Manet hat nicht aus Zufall so gemalt, so wenig 
wie der Menzel des „Gymnase", so wenig wie Goya und 
Velazquez und alle anderen. Zufall, Willkür ist Bonnat: 
das Porträt des Menschen, der zufällig ein Bild bei ihm 
bestellt; oder der Menzel der tausend Notizen. Das 
Schwankende, Nachgebende ist vielmehr die Differen- 
ziertheit der Reflexion, des Intellektes. Es sichert sich 
durch die unbeugsame Festigkeit der Moral. Ich hätte 
den Menschen sehen mögen, der Manet oder irgend 
einen der Impressionisten dahin gebracht hätte, einen 
Strich nach anderer Leute Gusto zu ändern. Wohl aber 
änderten sie sich selbst fortwährend. Die Tendenz dieser 
Änderung enthält die enger bestimmenden Elemente. 

Wir bemerken in dem Werke aller Impressionisten eine 
konstante Entwicklung besonderer Art, die von einer ur- 
sprünglich harten, streng geschlossenen und bis zum ge- 
wissen Grade überlieferten Form zu einer auflösenden, 
flüssigeren und ganz individuellen Gestaltungsart über- 



150 MENZEL UND DER IMPRESSIONISMUS 



geht. Man kann es einen Übergang vom Körper zum 
Geiste nennen. Sie lernten immer mehr mit weniger 
Material auszukommen und mußten infolgedessen das Ma- 
terial intensiver durchdringen. Die „Olympia*^ erscheint 
verhältnismäßig beschwert, materiell und konventionell 
im Vei]^eich zu den spateren Werken. Ganz so verhalten 
sich die Werke der Freunde Manets. Das Charakte- 
ristische der schließlich von jedem auf seine Art ge- 
wonnenen, definitiven Form ist der Verzicht auf aUes 
Beiwerk, das nicht unbedingt am Formalen mitwirkt; 
Verzicht auf jede Stütze einer materiellen Überlieferung, 
auf jeden Uterarischen Schmuck, auf alles, was den Geist 
des Werkes verdunkeln könnte. Sie gelangten zu diesem 
Resultat durch ein intensives Autodidaktentum, durch 
selbständige Betrachtung der Natur und der alten Meister. 

Diese Zusammenstellung der Natur und der alten 
Meister zu einer und derselben Lehrquelle, dem Fleisch 
■und Brot der Impressionisten, bedarf einer näheren Er- 
klärung, denn die Begriffe Natur und Kunst scheinen 
uns zu heterogen, als daß wir uns aus ihrer Gemein- 
samkeit ein Bild machen könnten. Es dünkt uns will- 
kürhch, daß man gleichzeitig an der Kunst und der 
Natur lernen könne, und die Biographenphrase, die beide 
Begriffe wahllos durcheinander zu werfen pflegt, hat deren 
nähere Bedeutung beinahe ausgeschaltet. Wir entdecken 
aber sehr leicht das Band, sobald wir von der Natur und der 
Kunst der alten Meister gewisse Abstraktionen machen, 
von beiden nämlich das Zufällige abziehen. Zufällig 
erscheint uns in der Natur die Kombination der Dinge: 
dafi hier ein Baum steht, daneben ein Haus, daneben ein 
paar Steine liegen. Wir m^en solche Kombination suchen^ 
wo wir wollen, mögen hohe Berge neben Tälern, den 
FluB neben der Wiese betrachten, nirgends bestimmt 
die gleichzeitige Anwesenheit dieser und jener Dinge 
allein das gemeinsame, als schön empfundene Wesen 



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15» 



der Naturerscheinungen. Das Gemdnsame beruht yiel- 
xnehr ati£ der Verbindung zwischen den Dingen. Ver- 
bindung mannigfacher Art, eine Wechselwirkung von 
Formen und Farben innerhalb dnes bestimmten Aus- 
schnitts. Der Berg ist nicht nur vom Tal» sondern von 
dem Horizont abhängig, vor dem er sich erhebt, vor 
allem vom Standpunkt des Bettachters, und diesen 
Punkt bestimmt nicht aHein die Beziehung zu den 
Dingen, die gesehen werden, sondern die Stellung zu dem 
Licht, das die Dinge bescheint. Das Licht vollbringt 
also die Verbindung, es ist der Vater des Schönen, natür- 
lich nicht das Schöne selbst. Es färbt die objektiven Far- 
ben, d.i. die Lokalfarben der Einzelheiten noch einmal, und 
zwar notwendigerweise so, daß sie alle eine Beziehung zu 
der Lichtquelle erhalten. So entsteht eine Menge gleich- 
mäßig beleuchteter Teile, sowohl an demselben Ding 
wie an den verschiedenen Dingen desselben Feldes. Diese 
gleich beleuchteten Teile verhalten sich zunehmend oder 
abnehmend an Leuchtkraft zu den benachbarten. Aus 
der Su rinne der Teile macht die Sonne das Bild m der 
Natur. Sie vollbringt die Abstraktion von dem Zu- 
fälligen, indem sie hervorragenden Teilen ihres Bildes 
eine ganz bestimmte Richtung gibt. Diese erscheinen 
uns in einem aus vielen Farben und Formen zusammen- 
gesetzten gemeinsamen Ton. Wenn auch alle anderL-n 
Teile einen gewissen Grad des Tones behalten, bo liegt 
das an dem Reichtum der Beleuchtung, die überall hin- 
kommt, aber immer dasselbe auszeichnende Verhältnis 
zu den Dingen bttbehält. Es wird ein Maximum und 
ein Minimum von Schönheit geben, das natürlich nicht 
mit dem Maximum und Minimum von Licht zusammenr> 
fällt, sondern von dem Quantum Licht abhängt, das 
den Teilen das günstigste Verhältnis zueinander ge- 
stattet. Wir können diesen Idealpunkt nicht praktisch 
bestimmen, denn die Entscheidung appelliert an subjektive 



IS2 MENZEL UND Di.R IMPRESSIONISMUS 

Schätzung und ist von dem Wablvennögen des Indivi- 
duums abliängig. Was die Physiologie Hsher von der 
Gemeinsamkeit der Lustieize auf das Äuge festgestellt 
hat, beschränkt sich noch auf grobe Umrisse, und um 
diese zu erkennen, genügt schon die Erfahrung, daß man 
im allgemeinen mit Bekannten ähnlichen Kulturgrades in 
der Schätzung der BeLeuchtung derselben wiederholt be-. 
suchten Landschaft ungefähr gleicher Ansicht ist. Genau 
können wir natürlich nur sagen: auf diese Weise kommt 
der Idealpunkt zustande; nicht: dieses ist der Idealpunkt. 

Das Schöne, das in der Natur auf einem bestimmten 
Wege zustande kommt, muß natürlich in der Kunst auf 
demselben Wege ebenso entstehen. Ks handelt sich nur 
darum, die gleichen Bedingungen hcr/unelien. Zunächst 
ergibt sich ein Lehrsatz, der mindestens den \'orteil 
besitzt, eine Unmenge grober Irrtümer auszuschließen. 
Auch in der Kunst wird das Schöne nur durch die Ver- 
bindung zustande kommen, nicht durch das Objektive 
der Dinge. Die Verbindung nennen wir hier Stil. Das 
Resultat des Stils deckt sich genau mit dem Resultat 
des gemeinsamen Tons, den wir in der Natur fanden. 
Auch die Sonne tut nichts anderes als stilisieren, in- 
dem sie die Dinge auf besondere, höchst organische 
durch Naturgesetze begründete Art zusammenschließt. 

Das Weitere erfahren ifvir aus 6ia Entwicklungs- 
geschichte. Ich begnüge mich wieder mit dem Not- 
wendigsten» um auf die gesuchten Momente zurück- 
zukommen, und verweise den Leser, der dne ein- 
gehendere Darlegung sucht, auf meine anderen Schriften. 

Wh unterscheiden im wesentlichen in der Malerei 
zwei zeitEch getrennte, grundverschiedene Perioden der 
Stilisierung. Die eine um&ßt, summarisch genommen, die 
Primitiven, die andere die neuere Malerei, die in Einzel- 
erscheinungen schon im 15. Jahrhundert anhebt und im 
17. Jahrhundert zur ersten Blüte gedeiht. Die erste ent- 



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HYPOTHESÜN 



153 



nimmt nur mittelbar das Stilelement der Natur, nämHch auf 
dem Umwege über die Plastik und die Architektur. Sie hat 
dn festes Schema, das sich in einer scharfen Umgrenzung 
der Lokalformen und Lokal&rben zu erkouien gibt und 
die wesentliche Verbindung duicH den Schwang der die 
Flächen begrenzenden Linien erreicht. Die Beziehung 
des Primitiven zur Natur ist unleugbar, aber von be- 
grenzter Bewußtheit. Nicht die ganze Gestaltung geht 
auf die Natur zurück, nur sozusagen das Füllsel des 
architektonischen Schemas. Die zweite Periode nimmt 
verhältnismäßig den ganzen Stil aus der Natur, oder 
besser, sie strebt immer mehr, der Natur das Stü-Gc- 
heimnis rxi entreißen. Die Venezianer beginnen zuerst, 
das Licht bewußt als Stilelement zu benutzen. Sie 
brechen die Überlieferung des Schemas, heben den 
scharfen Umriß auf und beginnen, das Zusammenfassende 
in die differenzierteren Elemente der Fläche zu legen. 

Diese Unterscheidung gibt nur das ganz grobe, äußer- 
liche Moment der Entwicklung. Sie sagt uns nichts 
von dem geistigen Unterschied zwischen den beiden 
Perioden und könnte uns daher gleichgültig sein. Denn 
was kümmert uns die technische Frage, mit welchen 
Mitieln der Stil erreicht wird, wenn uns das Resultat 
befriedigt! — ■ Aber eben unter diesem Unterschied ver- 
birgt sich eine durchaus geistige wertbestimmende Dif- 
ferenz, die die Evolution der Technik als Resultat der 
Entwicklung des allgemein Menschlichen hinstellt. Denn 
sobald das starre Gerippe der Konvention fällt, tntt 
der Mensck als Individualität hervor» um Ersatz zu 
sdiaffen. Er merlct sich mit eigenem Bedacht das Stil- 
gewebe, das die Hand der Vorgänger leitete und wählt 
mit eigenem Willen. Er schafft, unterstützt von hun- 
dert Regeln, von viderlei überliefertem Wissen, aber Be- 
sitzer der Regel, nicht Diener. Sein persönlicher In- 
stinkt durchschaut die Tradition, reinigt sie von dem 



154 MENZEL UND DER IMPRESSIONISMUS 

Einzelf all und macht sich das Wesentliche zunutze. Das 
intellektuelle Zentrum, das bd den Primitiven außerhalb 
des Bildes liegt, wird Mittelpunkt des Kunstwerkes. Der 
Mensch b^innt, sich in der Natur zu fühlen, und 
baut von sich aus, aus seiner Kunst eine neue Natur. 

Man begreift, daß die Intensität der eigenen Spann- 
kraft um so stärker weiden mußte, je weiter dci übliche 
Stübegriff zurückwich und daß gleichzeitig die Bedeutung 
der Natur als Lehrmittel die Bedeutung der Kunst ab 
Lehrmittel schmälerte. Da aber die Natur logischerweise 
der eigentliche Fundus ist, aus dem neue Formen entstehen, 
während der aus der Betrachtung der Kunst gewonnenen 
Lehre die Rolle des Regulators zufällt, mußte die Mannig^ 
faltigkeit der Erscheinung in der zweiten Periode die 
erste unvergleichlich übertreffen. Die Gleichzeitigkeit 
von Genies wie Rcmbrandt, Rubens und Velazquez ist 
in primitiven Zeiten ebenso undenkbar wie die Gleich- 
zeitigkeit des Romanischen und des Barocks, und beruht 
auf strömender Natuilchre. Alle drei erscheinen wie gleich- 
zeitige Jahrhunderte, jeder von dem Genie geschwellt, 
das früher nur aus Tausenden von Individuen hervorging. 
Rembrandt verhält sich zu irgend einem, selbst dem 
L'lorreichsten Primitiven, wie Kunst zu Gewerbe. Das 
Ideal Kunst, das seil Rembrandt und den anderen die 
Völker treibt, konnte auf dem Wege der Primitiven nicht 
zustande kommen. Es ist ebenso töricht, die Werke der 
einen mit den anderen zu vergleichen, wie ein schönes 
Möbel mit einem schönen Gemälde, denn es sind ver- 
schiedene Dinge, denen nur der Sprachgebrauch den- 
selben Namen gibt. Aus demselben Grunde erwächst die 
geistige Überlegenheit eines Rembrandt über die Pri- 
nütiven und die Notwendigkeit, die Schätzung, die wir 
ihm entgegenbringen, nicht mit Vermengung seines 
Wertes mit Werten niedererer Gattung zu profanieren. 

Die gewaltigen Evolutionen des Genies, die wir in 



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HYPOTHESEN 



vielen Meistern des i6. und znmal 17. Jahrhunderts ver- 
folgen können, waren notwendig von Reaktionen gefolgt, 
in denen die Masse die Persönlichkeit wieder einzulangen 
suchte. In solchen Perioden, die sich sprungweise selbst 
in einem und demselben Lande wiederholt haben, tritt 
das Stadium der Natur zugunsten der Formentradition 
zurück. Wir können diesen Reaktionen nicht den Wert 
absprechen, denn sie vermeiden die Gefahr der Wuche- 
rung des Persönlichen. Sie waren Hemnmisse für die je- 
weilige Gegenwart, denn sie unterbanden die Bedingungen 
des Genies; aber nützten der Zukunft, denn sie voll> 
brachten die Konzentration des Erreichten, räumten auf 
und überlieferten der kommenden Zeit ein übersichtliches 
Gebilde. Nun ist leicht einzusehen, daß die Gefahr der 
Natur-Lehre immer mehr abnimmt, je größer und über- 
sichtlicher die Erfahrungswelt aus der Kunst-Lehre wird. 
Bei gleichem Trieb wird der Mensch, der über stärkere 
Vorbildungsgelegenheiten verfügt, weiter kommen als der 
in dieser Hinsicht weniger Bc{>ünstigte. Die Rolle, die 
dabei dem Intellekt zufällt, wird hoffentlich in diesem 
Kapitel noch klarer werden. Der Intellekt sucht für das 
Genie im aufgespeicherten Material die geeignete Speise. 

In der vom 17. Jahrhundert ausgehenden Kirnst stellt 
die unter dem Namen „Impressionismus*' bekannt ge- 
wordene Malerei der Franzosen die uns nächstliegende, 
letzte Phase der Evolution des Genies dar, und es ist 
ein rein selbstverständliches Ergebnis, daß hier die soeben 
angedeuteten Momente der vorherL^thL-ndcD Phasen der 
Geschichte so eklatant wie möglich zu läge treten. Die 
Impressionisten profitierten im weitesten Umfang von 
dem Vorzug, die letzten zu sein. Sie kamen an die 
von allen Vorgängern gedeckte Tafel. Jeder einzebie von 
uns spürt das im Innom nach« nnd die Erkenntnis der 
modernen Kunstgeschichte, die den entscheidenden Größen 
der Vergangenhat das verdiente Prestige gibt und die 



156 MENZEL UND DER IMPRESSIONISMUS 



Meister zweiten Ranges, zumal die iedx^ich der Auf- 
räumungsarbeit dienenden, immer mehr zurückdrängt, 
ist Niederschlag derselbai günstigen Bedingungen, die 
Manet und seinen Genossen die Augen über die Be- 
deutung eines Rubens, Rembrandt und Velazquez öfineten« 
Die Impressionisten ericannten besser als ihre Vorgänger 
das Wesentliche jener großen Künstler, weil sie nicht 
in ihnen den besonderen Fall sahen, sondern, im Besitz 
der Übersicht über die ganze Entwicklung, den Vorzug 
der gesetzmäßigen Wirkung jener Werke an allen anderen 
abschätzen konnten. So fanden sie, was sich über- 
trafen ließ. Sie entdeckten in Velazquez nicht nur die 
jbülie der Kontraste, sondern auch die Mögliciikeit, die 
unnatürliche Differenz zwischen Hintergrund und Figur 
zu vermeiden und infolge der Verbindung die ganze 
Fläche nach einem Ziele wirken zu lassen. Rubens 
lehrte sie die SchnclliL'keit der Pinselführung, das Wirk- 
same des Netzes organischer Striche, den Vorzug der 
Uniformität des Materials, in dem die Einzelform und 
Einzelfarbe, ja jeder Fleck und jeder Punkt nur da sind, 
um das Schema zu bereichern. Sie sahen, den Blicken 
Constables folgend, was aus der Rubensschen Landschaft 
211 gewinnen war, w^chsa die leklitbefriedigte Aspi- 
ration des Vdazqnez auf gleichem Felde mit dieser 
prunkenden Auftürmung von Differenzen aller Art. Sie 
bewunderten, wie Rabens seiner Elemente Herr blieb, aber 
es entging ihnen nicht, mit welcher Anstrengung ihm ge- 
lang, das Getümmel seiner barocken Formen zu bergen. 
Und alles in diesen beiden und yiden anderen Gefundene 
brachte Rembrandt mit eines Werkes Majestät zum Vor- 
schein und mahnte sie, den Blick von allen Sonderheiten 
ab ins Innerste zu wenden. Es mag ihnen gewesen sein, 
als ob der einzige mit dem immer weitergreifenden 
Wachstum seiner Gestaltung die geheimsten Kräfte der 
ganzen Entwicklung von Anfang an noch einmal sammle. 



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HYPOTHESEN 



"S7 



um duldend und siegreich zugleich, gleich mächtig an 
Kiftft wie an Geist, die Persönlichkeit auf den Gipfel 
za tragen. Und auch dieser blendete sie nicht, so welt- 
umfassend in ihm der Einzelfall schien. Sie wurden so 
vretag Rembrandt-Epigonen, wie dem Rubens und Velaz- 
quez Untertan. Weü sie die Sache sahen, erkannten, was 
jene erkannt hatten, hier und dort und überall in den 
Meistervv-erlren der Vergangenheit den Hebel wiederfanden, 
den das Genie an die Natur setzt, um das Schöne heraus- 
zuhoien. Alles was sie in der Kunst sahen, trieb sie in 
die Natur, und von dort immer wieder zu denselben 
Höhen der Kunst zurück. Sie setzten dieselben Hebel 
mit gesteigerter Erfahrung an die Landschaft, gingen 
den Erscheinungen der Atmosphäre nach, untersuchten 
die Leuchtkraft des Nackten im Freien; entdeckten in 
der Natur die Bestätigung des Prinzips der Teilung 
der Fläche durch P I ecke, das Geheimnis der Mosaiken und 
die wesentlichste Stütze einer fünf jahrhimderte langen 
Entwicklung; fanden im Anächluß daran das Gesetz von 
den Kontrasten reiner Farben, das ihnen die moderne 
Optik bestätigte und für das die Werke vieler Vorgänger 
andeutende Belege enthielten; waren Maler, F<^tdier, 
Gelehrte zugleich und die Hauptsache: blieben Künstler. 

Alles das, diese rein physiblo^Ache, hier nur dürftig an- 
gedeutete, idelseitige Betrachtung ihres Materials ver- 
dichtete sich zu einem Komplex von Erfahrungen, der 
das zu ersetzen vermochte^ was dem Lehrling in der 
alten Kunst der Mebter, die Tradition gab. Nicht 
mehr, nicht weniger. Lernten wir aus ihrer Kunst 
nur, daß reine Farben so, unreine anders wirken, daß 
Striche eine Fläche, Flächen ein Bild geben, und das 
Mittel, mit dem Velazquez diesen oder jenen Effekt er- 
reichte, so brauchten wir sie nicht. Dieser höchst logische^ 
unangreifbare Erfahrungskomplez wurde nur das neue Bau- 
material, aus dem die Bilder entstanden. Was dazu kam. 



158 MENZEL UND DER IMPRESSIONISMUS 

hatte jeder in sich, und wir sahen, wie verschieden es sich 
in jedem zeigte. Es war das angeborene Talent des 
Künstlers, Was sie gemein hatten, war der kühne Knt- 
Schluß, die Gabe nur so zu verwenden, wie es die Ein- 
sicht in die erkannte Gesetzmäßigkeit verlangte. Weil 
aber solches Verlangen natürlich ist, weil jeder reine In- 
stinkt das natürliche Handeln nicht als Fessel, sondern als 
Notwendigkeit empfindet, deshalb sehen wir in keinem 
Strich unserer Meister eine ängstliche Sorge, sich an die 
Vorschrift zu halten, sondern entdecken in ihnen die 
freisten Künstler, die je auf der Welt waren. Es gab 
größere als sie in der alten Zeit, darüber ist nicht zu 
streiten, es gab nie freiere, die wie sie ganz aus eigener 
Einsicht das Schöne eroberten. Ihre Freiheit aber treibt 
uns zu einer fruchtbaren Suggestion über den Rahmen des 
Bildes hinaus. Was wir in dem ^fiilkonzimmeT** Menzels 
spüren, ist noch etwas anderes als die Schßnhdt der 
Farben und Flecken. Was gleichzeitig mitspricht, em- 
pfinden wir nicht in den viel kostbareren Werken der 
Alten. Es ist die Sehnsucht des hoch entwickelten Men- 
schen nach Unabhängigkeit YOn der Last niederer Triebe, 
nnd diese Sehnsucht spi egelt das teuerste Ideal unserer Z&t, 



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SEELE IN DER KUNST 



EINE Kunst, die sich vor Erkenntnis verschließt, ist 
eine Last für den Menschen. Klarer müssen wir werden 
durch den Genuß, nicht dumpfer; los von allem Tand, 
der uns sonst beschwert, nicht gefangener. Wir suchen 
in der Kunst unsere Befreiung. Was sich aber bei uns in 
Deutschland gegen den Impressionismus kehrt, ist just 
das Unfreie, das Kleben an Nebensachen, die Sucht zu 
schlafen. Man will nicht wach sein, weil man sonst 
allerlei unbequeme Dinge vollbringen müßte. Man ist 
zu faul. Um einen besser khngenden Grund zu haben, 
erklärt man mit ernsthafter Miene diese ohnehin als Fremd- 
linge Verdachtigen für Leute ohne Seele und ohne Emp- 
{inciiine. Es ist noch alles mögliche, daß man sie nicht 
auch für Mädchenräuber und Falschmünzer erklärt. 

Meint man mit der verdächtig klebrigen Anklage etwas 
Vernünftiges, so ließe sie sich wohl umdrehen, und man 
köimte von den Fremdlingen mit mehr Recht behaupten, 
sie seien nur Seele, nur Empfindung. Der Nachweis 
dieser schlimmen Bdiauptung stellt die Geduld des Lesers 
auf eine harte Probe und setzt mich dem Vorwurf aus» 
zu wiederholen, was wenige Seiten vorher in anderen 
Worten gesagt wurde. Denn die Untersuchungen so 
vorsündflutiger Geheimnisse bewegen sich notwendig in 
ausgefahrenen Geleisen. Noch dazu Menzel mit solchen 
Dingen zusammenzubringen, scheint gewagt. Er gilt 
nicht als das rechte Medium für die inbrünstige Be- 
trachtung von den Geheimnissen der Psyche. Doch meine 
ich, gibt es keinen Zweiten, bei dem man gleich viel 
Veraiüassung hätte, von Seele und Empfindung zu reden. 

Seele in der Kunst ist für die Schmarotzer der Kunst- 
wissenschaft der beste Schattenspender, der im geeigneten 
Moment die Bühne in weihevolles Dunkel hüllt. Der 
anstandige Mensch wagt das Wort schon kaum mehr in 



t€o MENZEL UND DER IMPRESSIONISMUS 



den Mund zu nehmen, aus Angst vor den schlechten 
Versen, die damit gereimt wurden. Immerhin dürfte 
es noch einen halbwegs greifbaren Sinn haben. Seele 
bedeutet im Menschen das vom Leiblichen Ent- 
lastete und kann in der Knnst nur dasselbe sagen. Der 
Nonsens des Glaubens an den Dualismus von Körper 
und Seele in der Kunst braucht nicht mehr erwiesen zu. 
werden. Das Leibliche, die Materie, ein fortwährend 
wechselnder Begriff, ist zweierlei: der objektive Stoff, aus 
dem das Kunstwerk bereitet wird, das Material, Farbe, 
Leinwand, Pinsel usw. ; der subjektive Stoff, der Vor- 
gang, der dem Kunstler vorschwebt, der Blick in die 
Landschaft, das Alodell, die Gescliichte, die Situation 
im Wirklichen oder Gedachten. Das Resultat der Kunst 
ist immer nur das eine: Seele. Ihr ganzes Wesen be- 
steht darin, nichts Körperliches zu lassen, sondern die 
Materie za überwinden. Meine Analogie im vorigen 
Kapitel mit der Sonne wies auf das WdtentrOckte der 
Schöpfung. Ich sprach dort too. Apparaten und Prismen. 
Zu dem Bau dieser Apparate dient aUes> was wir hier 
Materie nennen. Das Schöne ist, analog mit der Be- 
deutung, die wir der Seele im Menschen beilegen, nicht 
der Apparat, sondern die Tätigkeit^ das Leben, das in 
das Prisma fällt und unsterblich wird. Überlegen wir nun 
jenseits von dem Notbehelf dieser Analogie, daß die Kunst 
keine Tätigkeit ist, die nur in dem Maximum der er- 
füllten Bedingungen ins Leben tritt, sondern eine Fülle 
von Nuancen zeigt, die vom Geringen zum Erhabenen 
wachsen, entsprechend den kleinen imd großen Potenzen 
der Kunstwelt. Die Differenzen werden Ton allen 
möglichen Faktoren bestimmt, deren Summe man ent- 
weder, vom Autor ausgehend, mit dem Begriff „Talent", 
oder vom Werke ausgehend, mit dem Begriffe Schön- 
heit" oder dergl. zusammenfaßt, ohne zu bemerken, daß 
man auf diese Weise nur ein Wort für das andere setzt 



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SEELE IN DER KUNST 



i6i 



und nichts erklärt. Das Mißliche dieser Genügsamkeit 
in der Erkenntnis tritt umso schärfer hervor» je größere 
Abschnitte der Kunstgeschichte untersucht werden und 
zumal wenn man stark zeitlich getrennte Erscheinungen 
miteinander vergleicht. Die formgestaltenden Elemente 
decken sich durchaus nicht überall mit der Begabung 
des Autors und sind, solange man sich an diese vom 
Subjekt ausgehende Betrachtung hält, überhaupt nicht 
aus der Kunstgeschichte zu gewinnen. Sie gehören viel- 
mehr der Kulturgeschichte an. Man denke an unseren 
Vergleich Rembrandts mit den Primitiven. Die Art 
jenes Unterschieds erhält sich, wenn auch gemildert, 
zwischen einander viel näherstehenden Werken und ist 
selbst in Nuancen innerhalb eines Jahrhunderts noch er- 
kennbar. Unsere Schätzuno; der wohltätigen Tradition 
des i6. Jalirliuiidertä verkennt nicht die soziale Schatten- 
seite des Künstlers in einer Epoche, die seiner Persön- 
lichkeit zwar größere Freiheit als die Vorzeit erlaubte, 
aber immer noch manche Fessd anlegte. Zumal während 
der Übergangsepoche vom i6.zum 17. Jahrhundert mußte 
mancher Künstler mit der Vorschrift in Widerspruch 
geraten, wenn wir uns den Konflikt auch infolge der 
gemeinsamen Erziehung der Künstler nicht tragisch vor- 
stellen dürfen. Der Widerspruch drückte sich im Werke 
aus, und zwar nicht etwa dadurch alldn, da6 sich die 
Gesamtharmonie des Bildes auf Eigenschaften eines 
primitiTen Formen-Gefühls beschränkte, die wir oben 
verhältnismäSig kunstgewerblich nannten, sondern auch 
durch Störungen innerhalb der Harmonie. Wir können 
uns beispielsweise vorstellen, daß gewisse Vorschriften der 
Besteller in bestimmten Details unausführbar waren, wenn 
das Gesetzmäßige des Bildes erhalten bleiben sollte, und 
daß der gehorsame Künstler hier seine Kunst unbewußt 
verleugnete. An diesen Stellen litt die Überwindung 
der Materie, der Rhythmus seute aus und ließ den Stoff 



t6z MENZEL UND DER IMPRESSIONISMUS 



sehen. Wir können das an vielen alten, namentlich 
italienischen Bildern sehr wohl bemerken, auch wenn 
unsere Künstler, weil an der Stilzüchtung der Epoche 
nicht beteiligt, un&hig sind, den Fehler zu korrigieren. 
Wohlverstanden: es sind Mängel innerhalb des Stils, 
Folgen sowohl der Erschütterung der Tradition, die 
nicht mehr mit der Unbedenklichkeit primitiver Zeiten 
herrscht, wie auch der beginnenden Diskrepanz zwischen 
Kunst und Brauch. Man wird nun ohne weiteres ein- 
sehen, daß diese Diskrepanz mit der Zeit nicht geringer, 
sondern immer nur größer werden mußte, und daß es 
für den Künstler nur eins gab, um die Werke nicht 
darunter leiden zu lassen: den Bruch mit jedem Massen- 
bewußtsein, das die Form unmittelbar bestimmte. Die 
moralische Verantwortlichkeit solchen Tuns hat jeder 
einzelne zu tragen, und sie fordert alle die Kräfte her- 
aus, die wir seelisch nennen. Meine Behauptung, daß 
die Werke der Impressionisten den Tadel, sie seien seelen- 
los, nicht nur mcht verdienen, sondern im Gegenteil 
gerade das Wesen der Sede in sich tragen, wird durch 
die Tatsache bewiesen, daß nur auf ihr Künstlertnm 
bedachte Menschen eine bedeutendere Sittlichkeit zeigen 
als Generationen, die mit außerkünstlerischen Vorschriften 
rechneten; daß sie zur Erkenntnis und zur Lösung ihrer 
Aufgaben eine» stärkeren moralischen Halts bedürfen als 
die großartigen Handwerker, die ihre Aufgaben ohne Reste 
erfüllten, aber auch vor ernsten Konflikten moralischer 
Art verschont blieben. Der große moderne Künstler ist, 
da ganz auf sich selbst gestellt, mehr Seele als der der 
alten Zeit. Mehr seine Seele, selbstverständlich, mehr Er- 
füllung seiner individuellen Bedingungen, nicht etwa der 
Aufgaben einer anderen Zeit. Dies Besondere aber fühlen 
wir als Allgemeines, jenseits von dem Prunk der Tradi- 
tionen, und es gibt uns den Mut, trotz der Schwächen 
unserer Kunst auf unsere Zeitgenossen stolz zu sein. 



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SEELE IN DER KUNST 



163 



Deshalb freuen wir uns des Menzel des ^jOyinnase" 

und der verwandten Bilder. Wir fühlen darin nicht nur 
die Schönheit einer gelungenen künstlerischen Aufgabe, 
sondern auch die Reinheit einer Seele, die aus ihrer 
Zeit, aus der unseren, die Fähigkeit gewann, sich aller 
trägen Leiblichkeit, alier drückenden Fesseln zu entäußern. 

Mit so einfachen Deutungen ist unseren Friseuren 
nicht gedient. Ihre Rolle wäre aus, sobald man die ge- 
sunde Empfindung in die Kunstbetrachtung ließe, denn 
es gäbe keinen Weihrauch. Was sie sich unter Seele 
denken, ist der Deus ex macliina, der nicht dem W^erke, 
sondern der Kulisse ihrer trüben Vorstellungswelt ent- 
steigt. Sie schneiden sich eine Etikette, die im Grunde 
nichts anderes bedeutet als das fest umgrenzte Wahre, 
Gute, Schöne unserer Großväter, und die man, wie sie 
ist, auf jeden Künstler klebt, der sich halbwegs dafür 
eignet. Hier gilt nicht etwa, daß jeder Mensch eine 
Seele hat und tausend Menschen tausend verschiedene 
Seelen, und dali cs lu der Kunsi genau so ist, not- 
wendigerweise so sein muß, um die Analogie nicht ein- 
fach zum Unsinn zu machen. Hier wird nicht etwa die 
Kunde von der Seele auf alle Fälle, die sich der Be- 
obachtung bieten, angewendet, sondern nur auf drei oder 
zwei oder einen, im Grunde auf gar keinen. Es gibt 
nur eine waschechte Seele. Man kann sie einigermaßen 
feststellen. Sie besteht aus zehn Teilen Treuherzigkeit, 
zwanzig Teilen Hochherzigkeit, dreißig Teilen Kind- 
lichkeit, vierzig Teilen Dummheit; im Ifintergrunde 
Spuren von Bauemachläue. Die Flaschen, auf die der 
Kork nicht paßt, fallen unter den Tisch; aber es 
bleibt schließlich keine mehr stehen. Ich muß bei aller 
Abneigung gegen die verkorkten Auserkorenen zugeben, 
noch keine einzige gesehen zu haben, die nicht bei 
dem primitiven Verschluß den geringen Inhalt vprlor. 

Die Taktik solcher Seelsorger erinnert an das behag- 



i«4 MENZEL UND DER IMPRESSIONISMUS 

liehe Regime unserer nissischen Nachbarn: Gehe in die 
Kirche und bete und lasse es dir beildbe nicht dnfallen, 
aus Versehen zu denken. Die Kunst erscheint heute als 

der letzte Hort gegen den Materialismus. Sie könnte zum 
Tempel werden, in dem wir dem Rest unserer Rein- 
heit einen Altar errichten. Schaumschlagende Kunst- 
pfaffen machen ein mittelalterliches Kloster daraus, in 
dem man von den alten guten Zeiten träumen soll, als 
andere für uns die beträchtliche Arbeit des Denkens ver- 
richteten. Ich denke für euch alle! sagt der wohlwollende 
Priester; denkt aber nicht etwa, — wnrum sollte er? — 
sondern schlägt seine Gesten und nimmt dabei eine Prise. 

Auch um die Kunst zu empfangen, bedarf es des In- 
tellektes und der Moral, und diese Notwendigkeit steigert 
sich noch, wenn versucht werden soll, die eigene Emp- 
fängnis auf andere zu übertragen. Die Reaktion muß 
ganz sicher und echt sein, wenn sie in anderen zünden 
soll. Der Mangel an Intellekt wird unfehlbar zum Irrtum 
führen, der Mangel an Moral, das Betrügen der Emp- 
findung, treibt zum Nichtä. Ich kann nicht lügen, so 
oder so zu empfinden, weil es viel zu kompliziert wäre, 
alle die dadurch notwendig gewordenen Unterlügen aus- 
zudenken. Der geringste Fehler im System muß das 
Kartenhaus sttoen. Wo das Manko in dem Menschen 
Hegt, der die heilige Sache des Schönen zur Ver- 
wirrung der Instinkte, anstatt zur Klärung benutzt, ob 
im Intellekt oder auch in der Moral, ist schwer zu 
entscheiden. Vermutlich dürfte es in beiden zu suchen 
sein. Bei diesem Mißbrauch kehrt sich die Wohltat der 
Kunst vollkommen um. Statt vom Materialismus zu be- 
freien, zieht unklarer Empfindungsdunst den Geist zu 
Boden. Denn was ist die Erhebung, die sich nur an eine 
bestimmte Sorte Kunst, die der Friseur als heimatlich 
bezeichnet, halten soll, anders als unwürdige Knebelung 
höherer Bedürfnissei Was ist eine Kunst, die nur der 



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SEELE IN DER KUNST 



Interpretation überlieferter Volbmärchen dient und nur 
in dieser Interpretation ab solcher Genüge sucht» anders 
als Materialismus. Ob ich die Wurst der Wurst wegen 
male oder ein Märchen des Märchens wegen, Hüft auf 
dasselbe hinaus. Unkunst ist das eine wie das andere. 

Aber das ist leichter verstanden, als geglaubt. Der 
Laie steht hier vor einer undurchdringlichen Mauer, 
auch wenn man mit hundert Gründen dartut, daß sie 
nur von seiner Trägheit errichtet wird. Und darauf 
verläßt sich der Seifenmann. Er bestätigt nicht nur 
feierlich das Dasein der Mauer, sondern beteuert, daß 
sie von Rechts wegen da sei, zum Schutz für unsere 
arme Seele, die sich draußen erkälten könnte, zum 
Tnitz gegen des üblen Erbfeindes trüg'erisches Gebaren. 

Wunderdinge hört man über den Erbfeind. In dem- 
selben Kolleg über moderne Kun t, von dem ich eben 
berichtete, nahm der Dozent, nachdem er sich im all- 
gemeinen über die moralische Bedeutung der Impres- 
sionisten verbreitet hatte, ihr ästhetisches Glaubens- 
bekenntnis vor. Er untersuchte zu diesem Zweck nicht 
etwa diesen oder jenen Künstler, dieses oder jenes Bild 
— das wäre für einen Mann von Lebensart zu lang- 
weilig gewesen — er hielt sich an ein gedachtes Pro- 
gramm. Dieses entnahm er nicht etwa den Schriften 
der ImpressiiMiisten — das hätte er sich als Armuts- 
zeugnis auslegen müssen. £r hielt sich an das Programm, 
wie er es dem eigenen Busen entrollte, und zitierte dar- 
aas; L'art pour Parti — Und dann frug er, und die 
Tranen mögen ihm in den Augoi gestanden haben, ob 
wirldich unsere alte ehrEche Kunst zu nicht Besserem da 
sd, als dieses vermaledeite Fremdwort zu illustrieren. 

L*art pour Part. Es ist schon recht lange her, daß dar- 
über gestritten wurde. Die Erinnerung an das staubige 



i66 MENZEL UND DER IMPRESSIONISMUS 



Schlagwort ruft mir gleichzdtig eine alte ehrwürdige 
Jungfer ins Gedächtnis zurück, von der ein französiacher 
Romanzier erzählt. Sie war aus guter Familie und zog 
sich wäliraid der Revolution» empört über die Vor- 
gänge in Paris, in ein Heines Städtchen tief in der 
Provinz zurück und kam nie wieder zum Vorschein. Der 
einzige Mensch, den sie vorließ, war der Advokat, der ihr 
die Rente brachte. Das geschah regelmäßig 60 Jahre 
lang — sie wurde über neunzig und starb unter der 
Regierung Napoleons III. — an einem und demselben 
Tage, kurz vor Schluß des Jahres. Und dabei wieder- 
holte sich jedesmal dieselbe Szene. Kam der Advokat in 
das Zimmer, so neigte sie das Haupt, begrüßte ihn mit 
einem müden Lächeln und frairte ihn nach dem Befinden 
des Könies Ludwig XVL Wenn ihr darauf der Advokat 
mit Schonung erwiderte, der Kunig sei geköpft worden, 
so sank sie mit einem und demselben Seufzer in den 
Sessel zurück und wurde ohnmächtig. Der Advokat 
wartete dann pietätvoll fünf Minuten und richtete der- 
weilen seine Akten. Darauf kam sie zu sich, quittierte das 
Geld und entließ den Mann mit einem müden Lächeln. 
• Es gibt Dinge in der Kunstgeschichte, die sich vermut- 
licii seit funiliunden Jahren und womöglich noch länger 
mit einer und derselben Natürlichkeit wiederholen wie 
die Ohnmacht jener alten Jungfer. Es mögen hundert 
kluge MSnner darüber schreiben und reden, und ebenso 
viele Ereignisse entscheidender Art ^e Frage erledigen, 
es mögen hundert andere Fragen die eine längst ver- 
drängt haben: zur guten Stunde kommt die eine wieder, 
wie der Advokat, und ruft ganz dieselben Folgen hervor. 

Die Floskel, Part pour Part, die man auch heute wieder 
vorbringt, ist so richtig, wie Schlagwörter sein können, 
wobei wir uns erinnern wollen, daß sich das Wesen der 
Kunst nicht leicht in drei Worte fassen läßt. Richtig 
verstanden, ist es richtig, falsch verstanden den Vor- 



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SEELE IN DER KUNST 



167 



zug hat das Wort — ist es nicht etwa unrichtig, aon- 
dern ohne Sinn. Der einzige Sinn meint, daß die Kunst 
des Schönen wegen da sei, und da wir gern infolge eines 
unwesentlichen Fehlers der Logik die Kunst mit dem 
Schönen verwechseln, sagen wir, die Kunst ist ihrer selbst 
wegen da, ist Sclb^.tzweck. Wir brauchen nicht noch 
länger alte Jungfer 7.11 spielen, indem wir uns auf eine 
Definition des Schönen einlassen. Es ecnuf^t, den Ur- 
sprung der Wut auf diese enge Formel zu zeigen. Die 
Formel leugnet alle Nebenzwecke der Kunst. Sie streicht 
alles Literarische weg, das sich in hundert Umschrei- 
bungen auf Dinge beruft, die nichts mit der Sache zu 
tun haben. Sie leugnet den Menzel der Historie, der 
Novelle und des Witzes mit demselben Recht, mit 
dem sie sich gegen den Aberglauben bäumt, der die 
gläubige Kinderseele eines anderen für fähig hält, kraft 
ihrer Treuherzigkeit ein Bild zu malen. Sie beruft sich 
auf das Dasein aller großen Meisterwerke und fragt, wo 
in einem Velazquez, in einem Rembrandt oder Rubens, 
in einem Holbetn oder einem Michelangelo, in irgend 
einem Werke irgend einer Zeit etwas anderes als das 
Schöne gefunden werde, um den Wert zu erharten. 
Soweit hat die Formel recht. Denn es wäre naiv, zu 
vermuten, daß Menzd deshalb aus dem „Gymnase*' ein 
Meisterwerk machte, weil er dem Besitzer des Theaters 
oder einem Zuschauer oder dem französischen oder 
unserem Volke eine besondere Ehrung zuteil werden 
lassen wollte. Es ist auch nicht mö^ch, in diesem 
oder irgend einem seiner hier gerühmten Bilder einen 
anderen edlen oder unedlen NützHchkeitszweck zu ent- 
decken. Ebensowenig kann man annehmen, daß Rem- 
brandt's Lazarus seinen Daseinszweck erfüllt, wenn ihm 
gelingt, uns in die Geschichte Christi einzuführen, oder 
daß die Schönheit der heiligen Familie Michelangelos in 
der Heiligkeit bestehe. Alle . diese aus Auslegungen kon- 



I68 MENZEL UND DER IMPRESSIONISMUS 



struierten Zwecke sind wahrer Zunder im Vergleich zu 
der Majestät des Schönen, das seinen Adel gerade darin 
offenbart, dem Menschen ohne Eigennutz zu schenken. 

Ganz anders lautet die Antwort auf die Frage nach 
dem subjektiven Zweck des Autors. Nicht immer wird 
in diesem Sinne das Zwecklose eines Werkes so sicher 
festgestellt werden können wie bei dem Autor des „Gym- 
nase*^ Das Bewußtsein des Künstlers von semem Beruf 
ist Tiden Schwankungen unterworfen und in yerschie- 
denen Epochen ganz verschieden. Wenn auch manche 
Aussprüdie großer Künsder der Vergangenheit in ihrer 
Art den Sinn des Wortes Part pour Part deutlich genug 
proklamieren: es Icann nicht übersehen werden, daß die 
Auffassung der Kunst als Selbstzweck immer mehr ver- 
schwindet, je weiter wir in die Vergangenhat zurück- 
gehen. Der Maler der Heillgenbüder hätte sich sicher 
vor dem Ausspruch bekreuzigt, der den Zweck der 
Kunst über den des Kultes stellte, oder hätte ihn 
mißverstanden. Er glaubte der Kirche oder der gött- 
liehen Jungfrau zu dienen und fühlte sich von dem 
Glanz der heiligen Gestalten erleuchtet. Ist diese Auf- 
fassung aber, von der Wörtlichkeit abgesehen, wirklich 
so weit von der unseren entfernt? Dem Kirchenmaler 
war die Verehrung der Heiligen der bei weitem höchste 
Gedanke. Sie absorbierte seine Ansprüche an das Ideal 
und war im weitesten Umfange der Träger seiner sitt- 
lichen Impulse, die Kraft, die ihn znr Selbstveredelung, 
in der Kunst zur Selbstentäußerung trieb. Der fromme 
Meister gewann aus seinem Glauben höchsten Vorteil. 

Ganz so mag sich auch heute noch ein großer 
Künstler einem uns konkret und begrenzt erscheinenden 
Ideal hingeben, ohne deshalb genötigt zu sein, seinem 
Genius die Flügel zu beschneiden. Ja, dieser scheinbar 
begrenzte Zweck löst vielmehr alle Kräfte des Künstlers 
aus und trägt ihn auf den Gipfel. Das Bcireiende ist 



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SEELE IN DER KUNST 



169 



logisdberweise subjektiv und daher bei jeder Feraonlicli- 
keit verschieden. Für den Kunstgenuß kommt aus- 
schließlich das Resultat der Befreiung in Betracht, nicht 
etwa die Vorstellung des Autors von seinem befreiend 
wirkenden Elemente. Die Untersuchung dieser Vor- 
stellungen kann möglicherweise Gegenstand einer Wissen- 
schaft werden. Von der Ästhetik ist sie ebenso weit 
entfernt wie die Religion oder die Mathematik. Sie 
kann nicht nur nicht zum Genuß herangezogen wer- 
den, weil sie sich nicht auf das Werk stützt, sondern 
muß ausgeschlossen werden, da iluc Beobachtungen nur 
geeienet sind, die individuellen jfunktionen des Ge- 
meüenden nachteilig zu beemiiussen. Denn wie das be- 
freiende Element im Schaffenden durchaus subjektiver 
Art sein muß, so setzt auch das Werk im Aufnehmenden 
dessen spezifische Deutungskraite in Bewegung. Werden 
diese ausgeschaltet und tritt an ihre Stelle die Speku- 
lation über die Zwecke des Autors, so bleibt der ein- 
zige Zweck der Kunst unerreicht. Aus dem Werk wird 
Kuriosität, aus dem Genuß wissenschaftliche Analyse. 

Diesen Verirrungen rief einmal ein Ungeduldiger 
„Part pour Tart!" ins Gesicht. Es war TennntUcK ein 
Künstler, der von dem Gerede um die Sacke herum 
genug hatte. Ich habe das Wort nie aus dem Munde 
eines Impressionisten gehört, denke nicht, daß es je 
einer gesagt hat. Dafür ist es zu selbstverständlich. Wenn 
es nicht franzosisch wäre, konnte man beinahe vermuten, 
da6 es zuerst in Berlin oder München geprägt wurde. 

Die Impotenz scheint die Ursache aller Verwirrung. 
Die Schwäche des Künstlers, der unfähig ist, das Wesen 
seines Berufs zu erfassen, greift zu anderen Dingen und 
dichtet und musiziert. Der Kunstgelehrte macht in 
derselben Lage das gleiche. £r phantasiert, anstatt zu 
betrachten, und sprudelt Worte, weil ihm die Emp- 
findung fehlt. £s gibt Werke, die für diese Tätigkdt 



X7D MENZEL UND DER IMPRESSIONISMUS 



geeignet erscheinen und doch herrlich sind. Sie werden 
mit solchen Phantastereien profaniert nnd gleichen edlen 
Statuen, die man mit bunten Bändern schmückt. Es 
gibt andere, die sich noch besser eignen und erbärmlich 
sind. Man Irennt sie von weitem. Sie scheinen wie 
Scliindmährcn im Festzug, die unter Zirkusprunk iiire 
trnnrij^en Gestalten verbergen. Wieder andere eignen 
sicli gar nicht für die phantastische Lyra. Sie gehören 
an den Pranger. Das Experiment ist durchsichtig, die 
Phrasenfolge in dieser oder jener Form immer dieselbe: 
Erst das Lob aufs Gemüt, Phantasie, Kindlichkeit, Ein- 
falt; dann das Schimpfen auf die Virtuosität, Technik, 
Manier; schließlich der Appell ans Vaterland. So kann 
man es fertig brincren. stundenlang von der Kunst zu 
erzählen, ohne auch nur das allergeringste zu bemerken. 

Könnte man nur einmal den Friseur unterbrechen und 
ihn bitten, seine Gedanken über die übelbdeamdete 
Malerei nicht an Schkgworten, sondern an Kunstwerken 
za erharten 1 Die alte Kunstwissenschaft hat den Ver- 
gleich als wesentliches Experimentiermittel geheiligt. 
Mit Recht, es gibt keine andere Quelle der Erkenntnis. 
Aber dieses Mittel darf nur bis zu einer ziemlich genau 
festzusetzenden Epoche angewandt werden» so ungefähr 
bis 1830. Von da an ist dasselbe Mittel nicht nur 
trügerisch, sondern Betrug, Gemeinheit. Ich frage mich» 
warum? und kann mir nicht helfen: Hier wird un- 
moralisch gewirtschaftet, mit jener intellektuellen Un- 
moral, die Nietzsche am Gelehrten konstatierte. Aus 
genau demselben Begriff, der in der alten Kunst gilt, 
wird hier Sünde am heiligen Greist. In einem — immer 
demselben ^ Kolleg über moderne Kunst wurde der 
Impressionismus als eine isolierte, zusammenhanglose 
Laune größenwahnsinniger Künstler hinbestellt. Man 
kann sich bei solchen Aussprüchen immer wieder fragen, 
welcher Art die Hörer sein müssen, die solchen Schwindel 



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SEELE IN DER KUNST 



171 



gediildig hiimehincii^ und muß vermuten, daß sie aus- 
schließlich aus tanzenden Fräuleins bestehen. Denn 
jedem Menschen, der mal ein halbwegs vernünftiges 
KoOeg über alte Kunst gehört hat, muß die konsequente 
Hintenansetzung jedes kritischen Standpunkts aufgehen. 
Warum verweigern die Sachlichen, die jedes alte Bild 
mit altjüngferlicher Vorsicht prüfen, auch nur das be- 
scheidenste Kombinationsvermögen logischer Art, sobald 
es sich um moderne Werke handelt? Hier ändert sich 
auf einmal nicht nur die Methode, sondern der ganze 
Mensch. Dem strengen Mund entquillen Verse. Nicht 
vor den Holländern wird gedichtet, auch nicht vor den 
Florentinern, beileibe nicht vor der Antike. Hier gibt 
es nur den eisernen Forschergeist, der in Fußnoten {?roß 
ist. Aber vor Böcklin, aber vor Thema, Klinger und 
vor Isidora Duncan. Den Vatermördern entsteigen wild 
berauschte Jünglinge. Ich glaube, Phidias ist noch 
von keinem Gelehrten so angeschwärmt worden, wie 
die tanzende Miß. Der Geheimrat fühlt sich Dichter. 

Würde er*s nurl Dann brauchte ihn die eingebüßte 
Gelahrtheit nicht zu reuen. Würde er's in dem Sinuc, 
111 dem es Carlyle von seinen Helden verlangte. „Im 
Grunde," sagt er, „ist es wie aller Menschen, so auch 
des Dichters erste Gabe, daß er Verstand genug besitze. 
Wenn er das hat, kann er Dichter sein, ein Dichter in 
Worten, oder wenn ihm das Wort abgeht, ein Dichter 
der Tat. Ob er schreibt, und wenn er scJurdbt, ob in 
Prosa oder Vers: das hängt Ton Zufällen ab, wer weiB 
von wie geringfügigen Umständen; vielleicht davon, dafi er 
einen Sii^ehrer hatte und in seiner Jugend singen lernte. 
Aber das Vermögen, das ihm erlaubt, den Dingen ins Herz 
zu schauen und das Harmonische ihres Wesens zu erkennen 
— denn allem Seienden wohnt eine innere Harmonie inne, 
es könnte sonst nicht zusammenhalten und bestehen — 
ist nicht das Ergebnis von Gewöhnung oder, Zufall 



172 MENZEL UND DER IMPRESSIONISMUS 

sondern die Gabe der Natur selber, die ursprüngliche 
Ausstattung des heldenhaften Menschen jeglicher Äit. 
Zu dem Dichter wie zu jedem anderen sagen wir zu- 
erst: Sieh! — Vermagst du das nicht, so ist es vergebens» 
Reime aneinander zu fädeln, Jdingende Empfindsam- 
keiten abzuleiern und dich einen Dichter zu nennen; 
für dich ist keine Hoffnung. Vermagst du's aber, dann — 
ob in Prosa oder Vers — ist Hoffnung in Fülle für 
dich. Ein alter Brummbär von Schulmeister pflegte, 
wenn ihm ein neuer Schüler gebracht wurde, zu fragen: 
Seid ihr auch sicher, daß er kein Dummkopf ist? So sollte 
man bei jedem fragen, zu welchem Amt er auch berufen 
sei, und als die einzige notwendige Bedingung betrach- 
ten: Seid ihr auch sicher, daß es kein Dummkopf ist? 
Denn es gibt in der Welt keine fataleren Menschen.** 

In diesem Sinne aber, für den der göttHche Intellekt 
Goethes ein Beispiel sondergleichen war, werden die 
Dichter lieuizuta.ge rar, und die von der anderen Sorte 
mehren sich wie Kaninchen im Stalle. Und weil im 
Hain der Langgelockten kein Stein mehr zur Erde kann, 
bedichten sie die Kunst und tragen ihr Selbstbekennt- 
nis in den Schatten bemalter Leinewände. Kein 
Wunder, daß es schließlich sogar die Professoren dichtert. 
Auch das ist Impressionismus. Man konnte ihn die Folie 
des anderen nennen. Die Bezeichnung paßt auf ihn 
in sehr viel umtogreicherem Maße als auf die Kunst 
der übelberuchtigten Malerschule. Es ist wirklich nur 
Impression, nämlich der Eindruck in eine schlaffe Seele. 

Ich habe mal gesagt, zu unserer Kunst gehörten reine 
Sinne, und daraus hat man in Heidelberg herausgehört^ 
wir hätten heute bessere Augen als die Leute der 
Renaussance. Was ich darunter verstand, ist nicht das 
Auge, das sich über das Mikroskop beugt. Das Sehen 
des Künstlers ist intellektuelles Sehen. Der Verfall 
der Malerei in den meisten Ländern rührt von der 



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SEELE IN DER KUNST 



Trabung jener Gabe her, hat aber nicht das mindeste 
mit dem Organ zu tun. Der taube Beethoven und 

der halb erblindete Degas sind gute Zeugen. Die 8chä-> 
digende Trübung steckt im Gehirn, im Geistesapparat, 
und beruht auf der Unfähigkeit, die Erscheinung orga- 
nisch zu zerlegen. Man sieht nicht, sondern träumt und 
nimmt den Rausch der Phantasie für Bewußtsein. Rem- 
brandt, Velazquez, Rubens sahen anders, und daß sich 
die Impressionisten gerade an diese anlehnen, hat seine 
guten Gründe. Nichts ist pläsierlichcr als diesen Tat- 
sachen gegenüber vom Lehrstuhl verkünden zu hören, 
die Impressionisten sperrten sich von den Aufgaben der 
Kunst früherer Zeiten ab. Von weichen Aufgaben? 
Von der Heiligen-Malerei? Die Behauptung kann nur 
Dinge meinen, die ihrem Wesen nach vergänglich sind, 
auf die rohe Materie, und richtet daher die Anschauung, 
aus der sie entspringt. Denn zielt sie auf das Wesen 
der Malerei, so begeht sie eine notorische Fälschung der 
Tatsachen. Die Impressionisten streben rücksichtslos der 
hohen Sphäre \ on Wirkungen zu, die allen großen 
Malern der Vergangenheit eigentümlich ist. Sie ent- 
fesselten vor dreißig Jahren in Frankreich, heute bei 
uns, nur deshalb einen Sturm von Entrüstung, weil jene 
Sphäre dem Laien trotz aller Bewunderung der Alten 
nie zum Bewußtsein gekommen ist. Und da selbst 
einem Kunstprofessor diese Entwicklungstat allmählich in 
Einzelheiten aufdämmert und er fürchten muB» dafi 
ihm eines Tages ein naiver Schüler erklärt, er habe in 
Gopi und Manet merkwürdige Beziehungen zu VelazqueZy 
in Delacroix und Renoir dergleichen zu Rubens, in 
Courbet und Liebermann dergleichen zu Franz Hals ge- 
funden: deshalb, um den unbequemen Nachweis der 
historischen Legitimierung der Impressionisten zu parieren, 
wird das Erstaunliche beschlossen: es sei unmöglich und 
sogar bedenklich, sich an die alten Meister zu halten. 



174 MENZEL UND DER IMPRESSIONISMUS 



Ich glaube wörtlich zu zitieren. So ergibt sich der 
Umfang der Knebelung — das Wort fehlt in keinem 
Angriff gegen meine Anschauung — die man mit der 
Beschränkung der Künstler auf die Lehre der ein- 
heimischen Meister ausübt. Nicht die französischen 
Impressionisten allein werden den einheimischen Götzen 
von vorgestern geopfert, sondern auch die größten Meister 
der Vergangenheit, die Fnndamente der neueren Malerei, 
ohne deren Besitz das Eindringen in die Kunst des 
Pinsels und der Farbe zur reinen Farce werden muß. 

Der Zynismus hat das Erquickende seiner Logik. Der 
Gedankengang zeigt dieselbe Folgerichtigkeit, die ich an 
anderer Stelle in der Ästhetik Bocklins nachgewiesen 
habe. Der Unterschied beschränkt sich auf das Lokal. 
Daß es sich hier um den Hörsaal einer Universität han- 
delt, ist nicht der schlechteste Witz der Geschichte. 

Man muß solchen Darlegungen geduldig nachgehen, 
um ihre intellektuelle und moralische Schwäche xafzxL- 
decken. Sicher lieBe sich die Zeit för bessere Dinge 
verwenden, aber nur mit der Erkenntnis der Reaktion 
schaffen wir Ruhe zur Arbeit. Es ist die Frage, ob die 
vielen fleißigen Forschungen der Gelehrten, die enormen 
Ausgaben an Geist und Geld für die Eroberung neuer 
Gebiete der Kunstwelt, wirklich einem nennenswerten 
Fortschritt dienen, solange pechschwarze Finsternis noch 
die einfachste Erkenntnis der Gebildeten beschattet; und 
ob es sich nicht verlohnte, alle Anstrengung auf die 
Säuberung der Kunstbetrachtung von primitiven Irr- 
tümern zu verwenden. Unsere Museen fassen kaum noch, 
was die Generosität des Staates und der einzelnen schenkt. 
Für wen, für was? Ein Hundertel würde genügen, den 
Reichtum einer Kultur zu bescheren, wenn starke Menschen 
da wären, den Besitz zu nutzen. Man denkt mit Scham 



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SEELE IN DER KUNST 



175 



an die geringen Quellen, aus denen die Zeit Goethes 
ihre Weiiheit schöpfte. Derweilen wird die Verwirrung 
immer großer. Der ernste Gelehrte zieht sich immer 
mehr auf den Separatfall zurück und schreibt Bücher 
für den Kollegen der gleichen Fakultät, und der Laie 
wird entweder das Opfer gewissenloser Laienpriester oder 
kehrt sich ganz von der Kunst ab. Die hinter allem 
Zeitungsspektakel deutliche Gleichgültigkeit, mit der 
man dem gegenwärtigen Kampfe zusieht, redet Bücher. 

Man glaubt, es handele sich hierbei um eine Doktor- 
frage, etwa ob ein Bild übermalt sei oder nicht. Die Enge, 
oder die diplomatische V^orsicht, mit der auch auf der 
Seite des Fortschritts der Kampf geführt wird, tut alles, 
um jene Ansicht zu bestärken. Ich meme, es handelt 
sich um zwei Parteien, die sich nur zufällig in das Ge- 
wand des Künstlers hüllen, in Wirklichkeit zwei Welt- 
anschauungen darstellen. Die eine ist von allen Ele- 
menten der Finsternis des Geistes gebildet, die andere 
sucht Aufklärung, Freiheit und Veredelung. Sucht, sage 
ich, um nicht in den Verdacht unbilliger Rede pro 
domo zu geraieii. Wir sind so sehr m den allerersten 
Anfängen verständiger Kunstbetrachtung, daß jede Ein- 
bildung des einzelnen kindisch wäre. Die Elemente, 
um die es sich jetzt handelt, beherrscht jeder gesunde 
Menschenverstand. Die Aufgaben, die des Schweißes 
der Edlen würdiger wären, drehten sich nicht um „Seele 
in der Kunst", oder „Nationalismus in der Kunst*' und 
ähnliche Dinge, die in nicht sehr fernen Zeiten den 
Quartanern als Aufsatz-Themata gegeben werden dürften. 
Sie zielen auf sichere Erkenntnis in heikleren Fragen, 
auf Schätzung komplizierterer Werte als die heute ak- 
tuellen, vor allem auf Schöpfung eindeutiger Begriffe 
und einer vernünftigen Sprache für die Ästhetik. Nur 
die Übung durch viele starken Geister kann solchen 
Problemen förderlich werden. Solange die Zeit damit 



176 MENZEL UND DER IMPRESSIONISMUS 



vertrödelt wird, den Anfängern, um ihre Wissenschaft zu 
verdächtigen, alle möglichen schwarzen Laster anzuhängen» 
anstatt mit ihnen zu arbeiten, steht jede Förderung aus. 

Nur das Suchen nach Erkenntnis und den Mangel an 
jeglicher Beziehung zu der Schaumschlagerei nehmen 
wir für uns in Anspruch; Tendenzen, Hoffnungen, keine 
Eroberungen. Doch genügen diese Forderungen bereits 
zur säuberlichen Trennung der Parteien. Es gehört 
keine besondere Veranlagung des Auges dazu, um zu 
unterscheiden, auf welcher Seite das Recht ist und das 
Heil der Zukunft, wenn überhaupt unserer Kultur eine 
Zukunft blüht. Keine Spitzfindigkeit, nicht mal große 
Kenntnisse, sondern zwei Dinge sind vonnöten, die jeden 
Menschen zu seiner Höhe geleiten: Intellekt und Moral. 




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DER KOMPROMISS 



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DIE LETZTEN f JbUEDRlCHBILDER 



DTK vorstehende Auseinandersetzung liefert uns die 
Basis des Urteils über Menzel. Die Phrase, daß 
allein der Zukunft die Bestimmung des Wertes eines 
Künstlers gehört, oder daß sich jeder Wert schließlich 
auch ohne unser Zutun abkläre, ist kurzatmig wie alle 
Gemeinsätze. Denn sie schließt eigentlich jede eingehende 
Auseinandersetzung mit den Zeitgenossen aus. Das 
Richtige daran beschränkt sich auf die Wohltat der Ge- 
wöhnung, setzt aber die Übung des Urteils Toraus. Den 
Glauben, daß die rechte Meinung aus der Erkaltung des 
Interesses hervorgehen könne, sucht nur die alte Trägheit 
zu heiligen, mit der man heute alle Ergebnisse ideeller 
Tätigkeit betrachtet. Bei Menzel veirliert das Argument 
ohnehin jede Berechtigung. Er lebte lange genug, um 
uns an seine Art zu gewöhnen, und kaum dürfte die 
Zukunft dieselben MöglichVftTten der Erkenntnis wieder- 
finden, die aus den großartige Veranstaltungen nach 
dem Tode des Meisters hervorgingen. Sie ließen das 
„Gymnase" als Höhepunkt Menzels erkennen. Er hat den 
Gipfel nie wieder erreicht, aber hat ihn auch nicht an- 
gestrebt. Die nächsten Jahre gehörten den Friedrich- 
bildern. In ihnen tritt ein Gegensatz zum „Gymnase** her- 
vor, wie er nicht krasser gedacht werden kann. 1857 ent- 
stand die „Begegnung in Neiße"^). In dem Bild wird das 
Momentane einer theatralischen Pose immobilisiert und 
zu einem subalternen Effekt verwendet, der die frühste 
Fassung des Vorwurfs ") zu einem Meisterwerk stempelt. 

Wie sind solche Ver Änderungen zu verstehen? Man hat 
daraut einmal ganz naiv erwidert, das „Gymnasc und die 
gleichartigen Bilder seien Skizzen, und Menzel habe sich 
für seine Skizzen mit Recht anderer Mittel bedient, al^ 



*) Saramlur.f^ des GroßherzogS von Sachsen-Weimar. 
*) Kttgler S. 545. Obngens keins der besten Blättec 



ito 



DER XOMPROMISS 



für seine fertigen Gemälde. Diese Anschauung deckt die 
Meinung der Menzclverchrcr. Unter den fertigen Bil- 
dern versteht man zumal die Ir riedrichgemälde u. s. w. 

Der Begriff Skizze ist ohne Schwierigkeit festzustellen. 
Im Vero-leich zu van Eyck scheint Rcmbrandt dem T.aien 
skizzenhaft zu malen, derselbe Laie kann aber sehr gut eine 
Skizze Rembrandts von dem Gemälde Rembrandts unter- 
scheiden. Wir müssen daher notwendig zwischen der Art 
von Malerei, die im Vergleich zu van Eyck skizzenhaft er- 
scheint, und der Skizzenmalerei Rembrandts im Vergleich 
zu Rembrandt's vollendeten Bildern unterscheiden und 
die Bezeichnung für die erste Art durch eine bessere 
ersetzen. Der Ersatz kann nicht durch eine verall- 
gemeinernde Gruppenbezeichnung gegeben werden — 
denn die Zufriedenheit mit dem üblen Worte „im- 
pressionistisch** ist gar zu bescheiden — sondern wird 
für jeden Einzelfall anders ausfallen. Es sei denn, daß es 
ein Wort gäbe, um die Eigenart der hundert großen 
Meister seit dreilnindert Jahren zu umfassen. Ein voll- 
endeter Rembrandt ist genau so fertig wie ein vollendeter 
van Eyck und zwar nicht in diesem oder jenem, sondern 
in jedem Sinne. Ebenso verhalt sich ein vollendeter 
Manet zu Rembrandt. Das Durchsichtige, Dünne, Ge- 
wischte oder Gestrichene, das dem Liebhaber der alten 
Kunst bei Betrachtung eines Manet auffällt, ist kern Be- 
griff, der an sich die Wertbestimmung herunterdrücken 
darf, sondern liegt in dem System, mit dem Manet zum 
Unterschied von den Alten arbeitete. Skizze dagegen be- 
zeichnet etwas Unfertiges in dem Sinne, daß sie wohl die 
Grundlagen eines Systems andeutet, aber ohne die Losung, 
die aus den Grundlagen in ganzem Umfang gewonnen 
werden könnte. Die Skizze unterscheidet sich daher 
insbesondere von der Studie. Diese ist das isoliert studierte 
Detail, die Skizze dag^n die Totalität eines Bildes, auf 
den Hauptrhythmus reduziert, die erste Konzeption einer 



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DIE LETZTEN FRlEDRiCHBIJuDER i8i 



zusammengesetzten Form. Eine leidliciie Skizze Menzels 
hat TscKodi Tor kurzem für die Nationalgalerie erworben, 
die „Fackelträger** aus 1858 mit dem schönen, aus dem 
feurigen Gelb der brennenden Fackeln gewonnenen Motiv; 
ein Effekt, der sich wohl hätte zum Bilde gestalten lassen. 
Sie übertrifft weit die Dürftigkeit des verwandten, be-^ 
kannteren und größeren Bildes desselben Jahres, das der- 
selbe Fackelzug auf dem Askanischen Platz entstehen liefi*). 
Eine txpische Studie dagegen ist das kleine Bildchen, 
von dem hier schon die Rede war, die „Wolk^studie*^ 
aus 1851 mit dem Constablehaften Himmel, von ganz 
vollendeter Gestaltung, auch wenn sie nur von einem 
größeren Bilde abgetrennt wurde. Die Studie kann viel 
ausgeführter sein, als das von ihr beigetragene Detail 
nachher im Bilde. Die Skizze dagegen ist das Skelett des 
Gemäldes. Zu Rembrandts „Susanne und die beiden 
Alten" der Berliner Galerie, besitzt die Sammlung Becke- 
rath in Berlin eine Skizze, die die Hauptpunkte festlegt. 
Im Louvre und bei Bonnat in Paris sind die berühmten 
Studien zu der Susanne, beides in sich vollendete Bilder, 
Nebenströme des Hauptbildes ganz selbständiger Art, die 
man, ohne das Berliner Gemälde zu kennen, vollkommen 
erschöpfen kann und deren wesentliche Eigentümlichkeit 
Rembrandt in dem Hauptbild kaum berücksichtigt hat. Kr 
malte sie vielleicht, „pour se faire la main*', wie Delacroix 
sagte, vor allem, weil ihn die isolierten Kopf- und Brust- 
stücke der Susanne reizten. Auch die Skizze hat ihren 
Wert. Wie sie das Gemälde andeutet, so deutet sie den 
Wert an. Sie ist um so gelungener, nicht etwa je deut- 
licher sie ist, sondern je konsequenter sie sich an den 
Grad ihrer Andeutung hält. ,,Wehe dem Künstler," 
schrieb Delacroix, „der gewisse 1 eile der Skizze zu früh. 

Auch 9^t kurzem, soviel ich weiß, in der Nationalgalerie. "Ea Ist 

übrigens interessant, damit den Fackekug im Kugler (dort S. 512) zu 
yergleichen, wo dasselbe Motiv mit größerem Geschick benutzt worden ist. 



i82 DER KOÜ^OMISS 



vollendet."^) Sie kann so wenig fertig sein, im Sinne 
des 7ukünftieen Gemäldes, wie das Kind fertig sein kann, 
im Sinne des zukünftieren Mannes. Aber sie muß harmo- 
nisch sein, auf sich selbst gestellt, organisch, muß einen 
Körper, eine Form haben. Bekanntlich zeigen viele große 
Meister in gewissen Skizzen eine Vollkommenheit, die 
dem Gemälde abgeht. Die Skizzen in der Eremitage und 
in der Pinakothek zu den Pariser Medicibildern besitzen 
höheren Kunstwert, als die endgültigen Gemälde, weil 
Rubens in ihnen, so winzi? sie sind, einen machtvollen 
Rhythmus andeutete, der sich in den großen Gemälden 
verflüchtigte. Dagegen ist das fertige Gemälde „Die 
Töchter des Leukippos" mächtiger als alle diese Skizzen, 
weü die Meutenchaft allen Reichtam auf die L6«iing des 
Problems konzentrierte und aus der grofien Hache und 
dem weitgetriebenen Grad der Ausführung EGlfen ge- 
wann, die jeder Skizze versagt bldben. Wenn man nun das 
„Gymnase** Skizze nennt, so müfite erst einmal ein voll- 
endetes Bfld Menzels gezeigt werden, das diesem Kinde 
als Mann gegenübersteht. Das haben wir nicht, nicht 
nur weil wir kein größeres oder reicheres Qynmsac haben, 
sondern weil Menzel diese Art von Kunst nicht weiter 
brachte und vor allem nicht weiter bringen konnte. 
Die Vollendung des „Gymnase'* ließ sich von dem Meister, 
den wir uns als das Ideal Menzel vorstellen können, 
gleichwie uns in Rubens ein Ideal Rubens vorschwebt, 
kium übertreffen, auch wenn er das Gemälde sechsmal 
so groß gemalt hätte. Denn es enthält alles, was die 
Natur seiner Anlage verlangt, und zwar nicht in An- 
deutungen, sondern in vollkommen erschöpfendem Maße. 
Dasselbe gilt vielleicht in noch höherem Grade vom 



^) T! fant nnp Vnpn grande «nrfte pour De pas ^tre ronrhiit k modifier 
CCS paxtics quaud-les auties parues seront ünies au mcme degre (Jouroal 
III, 333). •Vets^ Mch voAtat di* fßiaModb Dtfinitioii der „premiSra peorte*' 
dnes Raffad, Rcmbniidt, Fonwtai. Das beste Betopid ynx D. adbst:. 



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Di£ LETZTEN iRIEDRICHBILDER 



„Balkonzimmer'^ Der Reiz des Raumes beruht nicht 
auf der Konsistenz der Möbel, ebensowenig wie der Reiz 
des „Gymnase** auf der Konsistenz der Kulissen oder 
der Zuschauer usw. beruht oder beruhen konnte; sondern 
in der Stärke des Zusammenhanges dieser Dinge mit 
dem ganzen Raum, in der außerordentlich sicher getrof- 
fenen Beleuchtung, dem Spiel der Luft und des Lichtes, 
in der I^ebendigkeit der imponderablen Elemente. Diese 
können an sich nicht deutlich gemacht werden aus dem 
einfachen Grunde, weil sie an sich nicht sichtbar sind. 
Luft und Licht sind keine Dinge, die man mit festen 
Linien begrenzen kann. Sie liegen auf oder zwischen an- 
dern sichtbaren Gegenständen und köxmen nur geschil- 
dert werden, indem man die Träger mit ihnen zu- 
sammen darstellt. Wa-^ Menzel damit bezweckte, war 
gan7 dasselbe, was den Impressionisten und allen großen 
Meistern des Lichts vorschwebte: der Stil, die Einheit. 

Nun hat die „Begegnung Friedrichs mit Joseph IL in 
Neiße" wohl Licht; man meint sogar, die Gesichter der 
beiden Fürsten seien von einem Strahlenwerfer beleuchtet, 
den man auf der Bühne anwendet, um den Hauptdar- 
steller magisch hervorzuheben. Aber dieses Licht tut 
nicht den Dienst der Sonne in der Landschaft, es gehört 
zur Einzelheit, nicht zum Bilde, bewirkt nicht den Stil. 
Und achten wir erst auf den Mangel, so entdecken wir 
ihn in allen nur möglichen Elementen des Bildes als den 
Gegensatz dessen, was wir im „Gymnase" bewunderten. 
Wir finden keine Einteilung der Farbe und der Massen, 
kaum einen Ansatz des Versuches, den Wert der malerischen 
Form zu zeigen. Die Farbe dient lediglich, um die Gegen- 
stände zu unterscheiden. Die Form im Sinne der Kunst 
ist nicht vorhanden, nur die Spiegelung der physiologi- 
schen Erscheinung: zwei Mensdien umarmen sich. Und 
die Nähe des Spiegels berührt uns so peinlich, daß wir 
fast wegsehen möchten, um nicht indiskret zu erscheinen. 



x84 



DER KOMPROMISS 



Diese Nähe gibt es freilich nicht in den von uns ge- 
rühmten Bildern Menzels. Wir glauben in das Gymnase 
und das Balkonzimmer blicken zu können, aber niemals 
kommt uns die Vorstellung, wir wären diesen Dingen in 
körperlicher Nähe. Wir sind nur der in Farbe gebauten 
Form sehr nahe, weil sie uns mit allen Reizen lockt. Nie 
vergessen wir, selbst bei der größten Bewunderung des 
Werkes, daß es nicht zum anfassen da ist. Es geht 
uns hier genau so wie im Sommernachtstraum, wenn 
Mendelssohn die Vogel singen läßt. Wir ahnen sehr wohl 
an der bestimmten Stelle den Zusammenhang mit dem Ruf 
des Kuckucks, aber sehen doch nicht suchend in die Höhe. 
Ja, würde die Regie die Taktlosigkeit begehen, uns in 
diesem Moment einen Kuckuck vorzugaukeln, so wäre 
uns der Vogel vollkommen unverständlich und würde 
die Illusion zerstören. Der Grund liegt einfach in der 
Kunst, mit der Mendelssohn das aus der Natur gewonnene 
Alotiv in die Tonwelt seiner Vorstellung verwebt hat. 

Trotzdem wandte Menzel keine geringe Anstrengung 
an, um das erwähnte Friedrichbild zu malen, aber hielt 
seine Aufgabe für gelöst, als er die Erscheinung seiner 
vom Studium der Geschichte geweckten Pliantasie so ge- 
treuUcK abgesdirieben hatte, daß sie die WirkliclÜKit 
täuschend nachahmte. Er mißbrauchte, besten Willens 
voll» seine große Gabe zu einer rein handwerklichen 
Imitation und fand in dem Beifall der Zeitgenossen, die 
das Bild so gemalt fanden, als sei der Meister selbst 
dabei gewesen, die lachte Befriedigung seines Ehrgeizes. 

So können wir also diese Vollendung nicht mit dem 
unrechterwease „skizzenhaft** genannten Wesen der wert- 
vollen Frühbilder ver^eichen. Auch wenn die Voll- 
endung der Geschichtsbilder noch viel weiter getrieben 
wäre, würde nichts von der Sphäre des Schönen er- 
reicht werden, die sich dem „TMätre G ymnase" erschloß. 

Nun haben wir aber von den Friedrichbildem die 



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DIE LETZTEN FRIEDRICHBILDER 185 



Skizzen. Die Nationalgalerie besitzt die meisten. Nicht 
alle dienten dem Meister für die Gemälde. Das ,,Fl()tcn- 
konzert" zeigt große Abweichungen von dem Entwurf 
der Galerie. Die Begegnung in Neiße" wurde voll- 
Ständig umkomp Tuc^rt. In den meisten Gemälden da- 
gegen hielt sich Menzel ziemlich eng an die Hauptsituation 
der bekannten Entwürfe. Diese sind Andeutungen in 
Farbe, mit wenigen Strichen gemacht; nicht sehr wertvoll 
— vielleicht mit Ausnahme des Entwurfs zu dem Rund- 
bilde Blücher und Wellington, aus 1858. Menzel be- 
trachtete sie mehr als Erinnerungsmittel und legte gar 
keinen Ehrs^eiz hinein. Trotzdem finden wir in ihnen 
mindcÄtciiÄ Anklänge an die guten Bilder. Die Elecken 
ipiclen zusammen. Ganz mechanisch ergab das Talent 
im unbeobachteten Moment, wo es nur auf Schnellig- 
keit ankam, den Rhythmus, eine ganz gedrängte Erschei- 
nung von Bewegungsmotiven, bei denen an keine Vor- 
führung der Historie gedacht wurde, sondern die dem 
Temperament des Mders blitzweise entsprang. Diese 
Eigenschaft, die man in der dargebotenen Dosis nicht 
überschätzen darf, geht in den Gemälden verloren. Von 
der Kühnheit, mit der das Blücher-WeDingtonbild im 
ersten Entwurf erfaßt wurde, emer glänzenden Aus- 
nutzung des Runds durch die typische Geste der beiden 
Feldhemi, ist in dem Gemälde so gut wie idchts mehr 
übrig geblieben.^) Dasselbe gilt von der „Tafelrunde" und 
vom „Flötenkonzert'^ von denen wiederholt die Rede war. 

Daraus folgt, daß die als fertig bezeichneten Gemälde 
nicht den Grad von Vollkommenheit besitzen, den wir 
im „Gymnase" und im „Balkonzimmer" vor uns haben, 
und daß es nicht angeht, den Unterschied auf die durch 
den Gegensatz zwischen Skizze und Gemälde bedingten 
technischen Verschiedenheiten zu schieben. Die tat- 
sächliche Abrundung des Effektes, die solche Gemälde 

*) Im B«alts dM Kaisen; an» 185«. 



i86 



D£R KOMPROMISS 



vor den beiden Frühbildem auszeiclmet, ist kdne künst- 
lerische Qualität, sondern eine willkürliche. Der Laie, 
der hier unfertige, dort vollendete Werke zu sehen 
glaubt und danach seine Beurteilung einrichtet, folgt 
nur seiner BequemHchkeit, weil das wesentlich in Hin- 
blick auf die Reab'tät des Gegenständlichen, also zur Re- 
produktion geschaffene Bild vom Betrachter natürlich ge- 
ringere Anspannung fordert als das vollendete Kunstwerk. 

Erfüllten die Friedrichbilder in vollem Umfange den 
Anspruch der Kunst, so müßte man in ihnen logischer- 
weise die Art derselben Eigenschaften ^ederfinden, die 
den hohen Grad von Vollendung der beiden Frühwerke 
bestimmen. Und auch zu dieser Gegenprobe liefern 
die Friedrichbilder genügendes Material. Denn es o-ibt 
Ausnahmen unter ihnen. In dem Hamburger Bilde 
„Bon soir, Messieurs"^) steckt der Menzel der Interieurs. 
Die überletrenheit der Frühbilder steht außer Frage. 
Menzels Kraft war der im Vergleich zum „Gymnase** 
viel größeren Aufgabe nicht gewachsen. Aber wir finden 
hier mindestens den Versuch, es mit einem historischen 
Stoff ähnlich zu machen, und das Resultat läßt die Ent- 
scheidung, welcher Rang dem Gemälde unter den 
Friedrichbildern gebührt, nicht zweifelhaft erscheinen. 
• Auch zu diesem Gemälde besitzt die Nationalgalerie den 
kleinen Entwurf, und ein Vergleich der Skizze und des 
Bildes zeipt, daß Menzel hier einnKiI niclit iiar an der 
glänzend erfundenen Situation, sondern an der Kraft der 
ursprungliciicn Konzeption festliielt. Freilich wurde das 
Bild nicht fertig. Es ist auch im großen noch Skizze, nicht 
im Sinne der irrtümlichen Ansicht, die das „Gynmase^^ so 
nennt, sondern wdl das Problem tatsächfich nicht voll- 
kommen gelöst wurde. Wir finden Schwächen in der 
Durchbildung, Differenzen in der Behandlung, in der 
Farbe wie im Auftrag, leere Stellen usw. Alle Mängel 

VxiMdi der Grate M lim, sds 185S. Hamburg« Kvnstlialle 



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DIE LETZTEN FRIEDRICHBILDER 



aber, die man auch^finden mag, können der großartigen 
Anlage des Werkes nicht das Hinreißende rauben. 

Der Vorwurf kam Menzel insofern entgegen, als schon 
die technische Schivierigkeit ihn vom Pfade historischer 
Treue lockte und das Formale in den Vordergrund drängte. 
Der ganze auf die Treppe verlegte Vorgang mußte not- 
gedrungen auf eine Darstellung der Bewegung hinaus- 
laufen und dem dramatischen Effekt rein plastische 
Momente zuführen. Das außerordentlich Wirksame des 
Bildes liegt denn auch in dem Gewimmel der Gestalten 
auf den Stufen. Man denkt wieder mal an Rubens, aber 
diesmal drückt die Erinnerung Menzel nicht zu Boden. 
Auch Rubens hätte der Menschenstrom, der das Geländer 
zu brechen droht, am meisten an der Aufgabe gereizt* 
Bei den quellenden Pinselstrichen empfindet man etwas 
von der elementaren Gewalt des großen Flämen. Am 
schönsten ist das Stück auf dem obersten Teil der Treppe, 
das Gemisch von edlen, blonden Tönen, die der weichste 
Pinsel hinstrich. Hier huscht das Licht über Stoffe und 
Körperteile und bildet wirksame Motive, die sich bei 
aller Unruhe des Vorwurfs zu einem sicher gebändigten 
Sti um vereinen. Die Bewegung der Menschen ist voll- 
kommen in bewegte Materie übergegangen und wirkt 
daher unwiderstehlich. Leider schwächt sich nach dem 
Vordergrund zu die Wirkung ab. Die Gewalt der Pinsel- 
striche folgt nicht der Dramatik der Szene. Je deutlicher 
sich die Aufregung auf den Gesichtern zeigt, desto 
schwächer wird die Malerei. In dem Antlitz des Königs 
droht die Gestaltungskraft wieder zur unbeweglichen Pose 
zu erstarren und weicht von der Skizze ab, die auch diesen 
Teil dem Ganzen entsprechend ausbildet. Deshalb hörte 
Menzel auf. Es ist kein Zufall, daß das Bild unvollendet 
bHeb. Menzel war nicht so blind, den Unterschied der 
Anschauung in diesem Gemälde und den vorhergehenden 
Friedrichbildern zu übersehen, und war mittlerweile mit 



i88 



DER KOMPROMISS 



2u viel großer Kunst in Berührung gekommen, als daß er 
dieser Art den Vorrang verweigern konnte. Malte er die 
Treppe in Lissa wie die Treppe in Neiße, so ging notwendig 
alles verloren, was jetzt den Reiz des Bildes verbürgt. Denn 
das hieß nicht etwa, die leeren Stellen des Rhythmus aus- 
füllen lind die Kunst des Bildes vollenden, sondern aus 
der einmal gewählten Gesamtkomposition von harmo- 
nischen Formen ein anderes mit Lokalfarben und isolierten 
Portraits machen und das Prinzip des Panoramas niederer 
Gattung auf ein altmeisterliches Kunstwerk anwenden. 
Das mag selbst seinem erbarmungslosen Willen wie ein 
Verbrechen erschienen sein. Menzel respektierte den besse- 
ren Teil seiner selbst, indem er das Bild unberührt ließ. 

Ebenso erging es ihm mit dem letzten Gemälde der 
Reihe, „Friedrichs Ansprache an seine Generäle vor der 
Schlacht bei Leuilicii''.^) Audi, hier hatte sein Talciit 
den WiUcn übersprungen und das Werk in einer groß- 
zügigen Art angelegt, die der Malerei historischer Details 
keinen Platz ließ. Im Wurf scheint es mit dem vorher- 
gehenden das bedeutendste der FriedrichbÜder. Frei^ 
Uch lassen die großen kahlen Flächen mitten in den 
wichtigsten Teilen des Bildes keinen entscheidenden 
Schluß zu. Daß die Hauptfigur, der König, fehlt, kommt 
vielleicht dem Fragment zu Hilfe; aber keineswegs hing 
das Gemälde, das sieht man noch heute deutlich, an der 
Pose des Redners. Die Wirkung liegt vielmehr in einem 
rein künstlerischen Motiv, das den wesentlichsten Mangel 
des vorhergehenden Bildies glücklich überwindet; einer- 
seits im Gegensatz zwischen der massiven Gruppe der 
Generäle und den großartigen Reiter -Silhouetten des 
linken Hintergrundes; andererseits in der Auflösung des 
pompösen ersten Plans in die Perspektive, die durch den 
Schneehaufen in zwei lange Reihen geteilt wird. Die 

>) Ans 1859, Ana dem Nachlaß, jeUt in der Nationatgalerie. Dort 
findet eich Mch die kaum keantlicbe dnnlde Skine za deoL Gouälde. 



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DIE LETZTEN FRIEDRICHBILDER 189 



Harmonie der Farben ist dürftig und unerfreulich, aber 
nicht willkürlich. Der eigentümlich lehmfarbene Boden 
stimmt leidlich zum Ton der Gesichter und Uniformen, 
namentlich zu den Mänteln auf der rechten Seite, ver- 
letzt keinen der neutralen Töne, kontrastiert mit dem 
bläulichweißen Schnee und geht ohne Widerspruch in den 
grauschwarzen Hintergrund über. Die undeutliche Pa- 
lette mag den starken Formen der Gruppen angemessen 
sein. Sie schafft die gespenstische Nebelstimmung dieses 
Abends vor der Schlacht und mildert den Materialismus 
der Hauptgruppe. Die Posen sind ungesucht und nicht 
ohne Größe. Das Gesicht des ersten Generals links ist 
ein Stück prachtvoller Malerei. Einen Reflex davon spürt 
man in dem „Chodowiecki auf der Jannowitzbrücke''^) 
desselben Jahres 1859, einem antiquierten, aber meister- 
lichen Gcrnakic, das die DarsTclhmecn Graffs, auf die es 
Sich stutzt, weit übertrifft, jedesmal, wenn ich in diesen 
Tagen die „Ansprache bei Leuthen** in der National- 
galerie wiedersah, nachdem ich mich den Tag vorher 
immer wieder von dem Fragmentarischen des Bildes 
überzeugt liatte, empfand ich einen Stofi des Staunens. 
Freilich hängt das Bild momentan ungemein günstig. 
Allein die Hanptwand des letzten Saales einnehmend, 
fällt es dem Besucher > der zum ersten Stock hinauf- 
steigt, ganz isoliert in die Augen. Man darf nicht zu 
nahe kommen, nicht so nahe» als man gewisser Details 
wegen möchte, sonst wirkt das Beste daran nicht. Bleibt 
man auf dem Flur stehen, so ist es fast, als wäre das 
Bild eine kühne Freske. Die zeitgenössische Kunst, die 
gegenwärtig in der Umgebung hängt, wirkt recht kümmer- 
lich daneben, und ich wüßte nicht viel aus der deutschen 
Malerei unserer Zeit, das sich besser daneben hielte. Man 
möchte die Sprache pathetisch nennen. Selbst die halbe 
2^erstörung vermag nicht die Würde der Formen zu 

>) Im Beahit d«B Vereins BarUiier KünstleE^ 



190 



DER KOMPROMISS 



schmälern. Die Geschichte des großen Königs brachte 
seinen Biographen hier zu einem Meisterwerk, dessen 
wuchtiger Ernst die ganze Epoche weihevuli abschheßt. 

Das Bild, das man den Schwanengesang des Künstlers 
nennen könnte, war später dem alternden IVleister ein Dorn 
im Auge. „Er verfolgte es mit seinem kritischen Haß," 
schreibt Tschudi darüber. Ich t^^laiibc, der Ha Li war noch 
anderer Art. Das Gemälde vva.r mit seinen vierzehn 
Quadratmetern zu groß, um es anderswo im Hause unter- 
zubringen. So ließ es Menzel in seinem Atelier und hatte 
es jahraus, jahrein vor sich. Für den Maler, der dea 
Kugler illustriert und dieselbe Reinheit der Empfindwig 
in viele Bilder von der Natnr gegossen hatte, von 
gleichem Temperament wie das Leuthener Gemälde, 
wäre der Anblick nicht störend, sondern ein Antrieb 
gewesen; die stolze Erinnerung an eine erobernde 
Stimmung. Den Maler gab es nachher nicht mehr. 
Er ging just mit diesem stolzen Friedrichbild zur 
Ruhe, hatte zum letzten Male eme die Kräfte über- 
steigende, aber des Künstlers würdige Aufgabe ge- 
wagt. Den Mann, der nun kam, ärgerte der Anblick. Er 
kam sich vor wie der gestürzte Fürst, der genötigt wird, 
neben den Scherben seines Throns zu leben. Wir können 
annehmen, daß ihn der Anblick quälte. Was von Epi- 
soden über das Bild bekannt ist, enthüllt ein des dichtenden 
Psychologen würdiges Schicksal und deckt den Abgrund 
einer Sede auf, die sich vielleicht, bevor sie banal wurde, 
in ernsten Kämpfen wand. Menzel gab das Spiel auf. 
Was wir noch finden werden, and nur die Nachschar- 
mützel der Schlacht; was er noch wagte, sind Wag- 
nisse eines Gefangenen. Und diesem, der sich selbst in 
Fesseln schlug, wurden die riesigen Gestalten mit den 
schattenhaften Umrissen zu einer ewigen Anklage. Die 
Kinder seiner einstigen Erhebung grollten mir dem ab- 
trünnigen Schöpfer., £r kam so weit, die Kunst der 



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DIE LETZTEN FRIEDRICHBILDER 191 



eigenen hochgesinnten Tat zu hassen, und nährte den Ge- 
danken ihrer Vernichtung. Sein Zwergentum war ihm 
dabeiimWcge. Er langte nicht bis an die Stellen, wo sich 
der Gedanke in typischen Formen aussprach, und daher 
benutzte er, erzählt man, den Besuch von hochge- 
wachsenen Bekannten, um die Gesichter des Bildes aus- 
kratzen zu lassen. Der lange Kaickreuth sollte mal dazu 
herhalten. Es fanden sich wirklich Mitleidige, die dem 
Alten den Gefallen taten. In mehreren Gesichtern, be- 
sonders wo die Augen saßen, ist die Leinwand bloßgelegt. 
• Menzels Kompromiß ist eine lange Leidensgeschichte. 
Von weitem erkennt man nur undeutlich die Handlung 
und findet nicht ihre spannenden Momente. Wie im 
Leben der Völker schließt sich in dem des Künstlers 
ein Ereignis ans andere und bildet die Kette der Ge- 
schichte. Das Einzelne erscheint immer nur aus ganz 
besonderen Umständen des Augenblicks entsprungen und 
wirkt auf die Umstehenden wie Zufall. Nur kleine Ur- 
sachen, kleine Folgen werden bemerkbar. Weil dieser oder 
jener gerade das eine tat oder unterließ, und ein an- 
derer gerade am FUtze war, entstehen Kriege und Re- 
volutionen, die die Welt erschüttern. Den Nachkbm- 
menden aber werden statt der Einzelheit, die allenfalls 
den Zeitgenossen auffiel, hundert stark gespannte Fäden 
sichtbar^ auf denen sich das Bild mit dem langsamen 
Fortschritt der Arbeit am Webstuhl abaseichnet* Jeder 
Faden trägt ein Hundertel der Farbe, die ein Zehntel 
des Bildes färbt, und ist im ganzen Bilde Gütlich zu 
verfolgen. Die Kunstgeschichte ist personifizierte Welt- 
geschichte. Auf und ab schwankt die Wage des Genius, 
wie vom Winde getrieben, im Leben der Völker wie 
des Einzelnen. Kurzsichtige geben sich damit zufrieden, 
daß Menzel hier etwas besser glückte als dort, und 
glauben damit die Differenzen zu erklären. Wer ge- 
nauer hinblickt, wird in den stoßgileichen Reaktionen 



192 



DER KOMPROMISS 



seiner Laufbahn eine Pendelbewegung erkennen, die 
sich allmählich erschöpft und sich erschöpfen mußte. 
Der Kompromiß, wir meinen zunächst den unbewußten, 
beginnt nicht von heute auf morgen. Der Anfang ist 
überhaupt kaum zu bemerken, denn man kann ihn ge- 
rade so gut vom zwanzigsten wie vom fünfzigsten Lebens- 
jahre ab datieren. Es ist nicht richtig, daß dem jungen 
Menzel nur die Jugend half und daß das Alter den 
Niedergang brachte. Jeden Künstler bedroht ein Kom- 
promiß. Das ganze Leben belastet jeden die Schwäche. 
Sie tritt da in die Sphäre des Sichtbaren, wo die Persön- 
lichkeit dea Entschluß aufgibt, tragend zu schafei. 




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KRÖNUNG WILHELMS L 



ES ist ein unübersehbarer Unterschied zwischen dea 
Fiiediichbildem und der nun beginnenden Serie der 
Genrebilder aus der Zeit Wilhelms I., fast so tief wie 
der Unterschied des Stils und der Gesittung zwischen 
beiden Epochen. Etwas vom Geist der Friedrichszeit 
hatte sich dem Illustrator dieser Geschichte mitgeteilt 
und seiner Banalität einen gewissen Halt gegeben. 
Noch in einigen der Kahlbaumschen Af^uarelle, z. B. 
dem „B^^ch des Kronprinzen bei Pesne auf dem Ge- 
rüst"^) oder in dem „Ho^ball in Rheinsberg" ^ sorgt 
die Drolerie der Auffassung für eine freiere Behandlung 
und verdeckt die Mängel. In den Kaiser Wilhflm-Bildera 
fühlt man, daß Menzel Berliner, moderner Berliner ge- 
worden ist. Er ging in diese neue Stoflfwelt auf. Von 
dem junf>en Menzel blieben kaum wenige Reste übrig. 

Die Arbeit am Krönungsbilde füllt die erste Hälfte 
der sechziger Jahre aus und spielt zweifellos in der 
Geschichte Menzels eine verhängnisvolle Rolle. Die 
Aufgabe war der Lage der Verhältnisse nach künstlerisch 
überhaupt kaum zu realisieren. David war mit seinem 
gleich undankbaren „Sacre Napoleons" nur dank der 
strengen Konvention fertig geworden. Er hatte die 
Komposition von vornherein günstiger angelegt, indem 
er den Ausschnitt des Bildes bedachtsamer wählte und 
für ein paar monumentale Grundlinien sorgte. Diese 
gewaim er aus der Reduzierung der Szene auf eine be- 
schränkte Perspektive und aus der Verwendung großer 
Flächen der gegebenen Architektur, In dem starken 
Rahmen wurde die massenhafte DetaiUienmg der Physio- 
gttomieen erträglich. Ganz ähnlich hatte es der junge 

Sammhing Frau Kommerzienrat E. Kahlbmim, Berlin, nn«? i86i; 
freilich wiederum dem schönen Holzschnitt im Kugier nicht ebenbürtig. 
*> Ebenda, n» i8äs. 



19* 



DER KOMFROMISS 



Menzel gemacht, als er sich der Aufgabe» die Masse in 
einem geschlossenen Raum zu zeigen, gegenüber sah. So 
in dem schönen, frühen Holzschnitt, dem „Tedeum in 
der Schloßkapelle" 1). Damals hatte er begriffen, daß es 
für die Kunst keine Personenfragen geben konnte, so- 
bald die Vielheit der Menschen darzustellen war; daß 
dem Stein, der Ori^el, den Bogen der Kirche im Bilde 
nicht geringerer Anteil am Gesicht des Bildes zukam als 
den Menschen. Und trotzdem war ihm hier und überall, 
wo er mit gleichem Instinkte schuf, gelunp;en, den Cha- 
rakter der Menge zu zeigen. Man wird von den 
Gesichtern in dem kleinen Holzschnitt ganz anders er- 
griffen als von den Herrschaften des Krönungsbildes, 
olivvohl hier der ganze Akt mit allen Details gezeigt 
Vvird, wahrend in dem „Tedeum" die Hauptperson, der 
lauschende König, auUcrhalb des Bildrahmens bleibt. 

Tiützdcm das „Sacre Napoleons" nocli mal so eroß ist 
als die „Krönung Wilhelms I.", wurde David m einem 
Jahre fertig. Menzel brauchte vier volle Jahre, und das 
sieht man seinem Bilde an. Das „Sacre" in Notre-Dame 
ist mit einem vielleicht nicht sehr tiefgehenden, aber 
klangvollem Enthusiasmus gemalt. Die Königsberger Feier 
Uingt nicht. Und doch nahm es Menzel nicht weniger 
ernst. Er vertiefte sich in die Aufgabe mit großer Be- 
geisterung, aber sein Enthusiasmus war von dem des 
Imperatoren-Malers durchaus verschieden ; war sachlicher, 
man könnte ihn eine Art Sammelwut nennen. Sdn 
Ziel war eine Kompilation von Portraits und zwar 
durchaus echter Portraits, nach der Natur mit aller 
Genauigkeit, womö^ch von zwei Seiten aufgenommen. 

Ein schönes Ezempel gegen die vom Verfasser wenige 
Seiten vorher gepriesene Lehre von der Natur, könnte 
der aufmerksame Leser ausrufen. Erst entfernt sich 
Menzel vo n der Natur, da war es nicht recht. Nun 

^) Kn^ S. 513. 



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KRÖNUNG WILHELMS L 



19s 



nähert er sich ihr, und es ist wieder nicht recht. Es 
scheint ungemein banal, solchen Mißverständnissen zu 
b^egnen, und doch zwingt das Thema dieses Buches 
dazu, denn wie sollte der Laie nicht irren, w o Menzel, 
ein weit über alles Laientum hervorragender Künstler, 
dem Irrtum erlag! Der Natur, die Menzel in der 
„Begegnung in Neiße'^ und ähnlichen Bildern außer acht 
gelassen hatte, verstand er auch im Krönungsbilde und 
vielen kommenden Werken nicht zu folgen, obwohl er ihr 
wirklich näher kam als vorher. Zu nahe! Allen Irr- 
tümern der Kunst, ob es sich um Künstler oder Laien 
handelt, liegt immer derselbe Fehler zugrunde: das 
Zunähe. Ob der Maler zum Nachahmer des Meisters 
wird, weil er sich eng an die t'ußstapfen hält, oder 
zum Naturalisten, weil er die Natur kopiert: ob der 
Gelehrte falsche Schlüsse folgert, weil er das im be- 
sonderen Fall Gültige zu einer absoluten Lehre macht, 
oder ob der Laie eine Kunst ablehnt, die sein Interesse 
am Stofflichen nicht befriedigt: immer ist der Grund 
des Übels derselbe. Man sieht mit den Fingern, nicht 
mit dem Geiste. Der Menzel, der die Natur zum 
Theater benutzte, verstand sie nicht, aber gab fast noch 
mehr von ihr als der Sammler der hochoffiziellen Por- 
traiis. Ganz sicher fehlt diesen die peinliche Effektnote 
der anderen Art, die uns moralisch bedrückt. Dafür 
gähnt eine erschreckende, die Kunst jedes Sinnes be- 
raubende Leere. Auch als es noch keine entwickelte 
Photographie gab, war die Konkurrenz mit dieser Bild- 
art von Übel. Zu allen Zeiten, welche Einzelheiten aus 
der Fülle der Erscheinungen auch genommen werden, 
hatte die Kunst den Sinn der Natur zu erfassen, nicht 
sie selbst zu übertragen. Menzel verlernte, je älter er 
wurde, immer mehr das Lesen. Entweder verfiel er 
auf seine Art in den Fehler Bocklins: über die Zeichen 
der Natur zu phantasieren, oder er buchstabierte. In 



196 



D£R ILOMPROMISS 



beiden Fällen versäumte er, das der gesetzmäßigen An- 
wendung auf die Kunst Geeignete aus der Natur zu 
holen. Der Enthusiasmus ging bei ihm in einen falschen 
KaDcil, der, weil er ]anf> ist, viele Verehrer täusclitc. 

Dit; Muhe bei dern Kionungsbild war unendlich, und 
sicher gibt es wenige Menschen, die ihr gewachsen 
wären. Wir wissen aus seinen eigenen Aufzeichnungen, 
welche Schwierigkeiten sich der Aufgabe entgegen- 
BteHten. AUein die Laufereien und Schreiberdeii» um 
132 angesekene Pergonlichkeiten" — er nennt selbst die 
ZaM — zur Sitzung zu bringen, verlangten eine be- 
sondere» beim Künstler seltene Tatkraft. Dazu die 
endlosen Wünsche der Einzelnen, die Rücbicht auf 
unmögliche Details, auf das Kostüm und die Orden 
und, vor allem, die Rangordnung. Es gab angesehene 
Leute, die bei der Kröntmg gar nicht zugegen gewesen 
waren und den begreiflichen Wunsch hatten, bei der 
historischen Veranstaltung nicht zu fehlen. Da galt es 
immer wieder eine Schiebung hier und dort, und Menzel 
mag sich wie der Billetverkäufer einer Wohltätigkeits- 
Yorstellung der guten Gesellschaft vorgekommen sein, 
von dem man dreimal so viel Plätze verlangt, als das 
Haus zu fassen vermag. Daß es sich hier schließ- 
lich um ein Gemälde handelte, daran dürften die we- 
nigsten Modelle gedacht haben, und der Meister selbst 
vergaß es 4m Drang der Zeremonien-Geschäfte. Daß 
sich das Bild nach der Decke strecken mußte, war ihm 
so selbstverständlich wie jedem anderen. Beteiligten. 
Lassen wir ihn selbst berichten: „Von einer geordneten 
Reihenfolge in der Arbeit der Figuren in ihren ver- 
schiedenen Gruppen konnte gleichfalls keine Rede sein. 
Wie ich der Betreffenden mit Schreiben und Unter- 
handeln habhaft werden konnte oder gutes Glück sie 
mir zuführte, mußte ich sie vornehmen. Heute für 
den Hintergrund, morgen für den Vordergrund. Ihre 



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KRÖNUNG WILHELMS l. 



197 



Majestät» die Königin lehnte die Sitzung ab, und ich 
blieb in betreff Merhöchst Ihrer auf Gedächtnis aus 
Beobachtungen, woKU die HoffestlicUceiten Gelegenheit 
boten, hingewiesen. Ich habe Ihrer Majestät Kopf 
viermal gemalt. Femer sah ich mich für die Portraits 
von neun Personen zur Benutzung von Photographien 
genötigt, indem erstere teils während der Jahre ver- 
starben, teils niemals Berlin besuchten. Glücklicher- 
weise gehören sie sämtlich dem Hintergrunde an. Da- 
gegen haben Sc. Majestät der König, sowie alle übrigen 
dargestellten Personen mir in meinem Saalatelier, angetan 
mit ihren respekt. Ornaten, Insignien, Uniformen, nach 
meiner Anordnung zur Studie Stellung gehalten." Man 
kann sich bei alledem wundern, daß das Bild nicht noch 
schlimmer ausfiel, und muß die Geschicklichkeit aner- 
kennen, mit der Menzel seiner Sammlunq- eine durchaus 
geeignete Form zu geben wußte. Er malte ein gewisses 
Licht über das Ganze und sorgte, daß die Einzelheiten 
davon möglichst unberührt blieben. Man könnte diese 
Kunst etwa mit einem Rahmen oder Etui vergleichen. 

Die Quälerei, die der Maler während der vier Jahre 
mit sich trieb und treiben ließ, grenzt an Barbarei. Der 
gemütliche Einwand, daß sich Menzel dabei recht wolil 
fühlte, erhöht nur das Tragikomische des Schauspiels. 
Derselbe Künstler, der sich vom ersten Augenblicke seiner 
Tätigkeit an mit den subalternen Regungen des eigenen 
Menschen herumgcsc]ilao;cn hatte, unterwarf sich frei- 
willig einem Training, das geeignet war, ihm die Kunst 
zu entziehen. Daneben würde das Bild selbst dann be- 
deutungslos erscheinen, wenn man seinen Wert um Nu- 
ancen böher, als es Her geschieht, zu schätzen vermöchte. 

Wir können uns kein Kunstwerk anders als aus einer 
Erregung entsprungen vorstellen. Der Impub ist nicht 
von der grob sinnlichen Art, an die man gewöhnlich 
denkt, und hinterläßt kdine wörtlichen Zeichen der Er- 



DER KOMFROMISS 



regung, sondern stellt sich in einfachster Form als die 
£nergie dar, die jeden Menschen, sei er Künstler oder 
etwas anderes, zu besonderer Aufbietung anspornt. Die 
Energie wird durch alle möglichen Umstände hervor- 
gerufen und ist zunächst gar nicht materiell, das heißt 
auf keine bestimmte ReaHsierung gerichtet. Sie entsteht 
nicht etwa aus dem geistigen Anblick des zukünftigen 
Werkes, sondern ist vorher da und bringt erst die 
Ahnung hervor. Der Künstler fühlt eine Lust zu 
springen, und das Ziel, das Bild findet er mit Not- 
wendigkeit, sobald die Lust stark genug geworden ist. 
Ganz so geht es dem Menschen jeden Beruf?, dem 
Handwerker, dem Bankier, dem Gelehrten. Die Enerc^ie 
hat nichts Sachliches, faßt z. B. nicht den Gedanken 
an den Krwerb; wohl verstanden, weit es sich um 
einen geborenen Handwerker, einen geborenen Bankier, 
einen geborenen Gelehrten oder um den Künstler han- 
delt. Sie drängt vor allem zur Schöpfung. Den Ge- 
schwätzigen treibt sie zum Nachbar, um zu reden, der 
Verbrecher greift unter ihrem Trieb zum Messer, jeder 
packt sein natürliches Außerungsmittel. Die Seele wünscht 
in die Welt zu springen, um sich im Lichte der Tat- 
sächlichkeit zu zeigen. In diesem AugenbUck fügt sich 
dem Künstler der Gegenstand zum Bilde; ein Kohl- 
strunk, ein Wald, eine Rittcrgesciuciite, eme Madonna. 

Daraus erhellt die Bedeutung jener Energie. Da sie 
die Kraft auslöst und da die Auslösung unser Glücks- 
gefühl und unsere Filhigkeiten aufs höchste steigert, ist 
es nat&üch, dafi jedor denlccnde Mensch mäa oder 
weniger bewu6t die individuellen Quellen seiner Impulse 
zu erkennen trachtet und ihnen bei der Einrichtung 
seines Lebens folgt. Im Dasein des Künstlers spielt 
diese Lebensfainst eine größere Rolle als im Leben der 
anderen Menschen , weil dUe Differenzen sdner Schöp- 
fungswerte von seiner Erregung in viel entscheidenderer 



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KRÖNUNG WILHELMS L 



»99 



Weise bestimmt werden. In jeder anderen geordneten 
Tätigkeit trägt der laufende Organismus eine Weile selbst- 
tätig das leitende Individuum, gleich dem Schwungrad, 
das, auch wenn der Dampt kurze Zeit aussetzt, die 
paar Runden bis zum neuen Einströmen der Kraft 
vollbringt, und erlaubt ihm, auch einmal ohne beson- 
deren Trieb, sein Tagewerk schlecht und recht zu be- 
enden. Die Tätigkeit des Künstlers erscheint in gleicher 
Hinsicht ungeordnet, und er sinkt, sobald die Spannung 
nachläßt, sofort zu Boden. Ohne Lust ist er so gut 
wie ohne Arme und verdirbt, was ihm vorher gelungen 
war. Daraus folgt für ihn die Notwendigkeit, nur in 
der Spannung zu schafiFen, seine Stimmung aufs äußerste 
auszunutzen und in der Organisation seiner Tätigkeit 
dem Instinkt mit aller Feinfühligkeit nachzugehen. Es 
bedarf dazu vor allem einer vor jedem Nebenzweck ge- 
feiten Aufrichtigkeit des Menschen. Begeht er in der 
Organisation grobe Fehler, so gleicht er selbst bei größter 
Begabung einem ffir feine Gemhe bestimmtein WdMtuhl, 
dessen Ketten Pechdrähte zugemutet werden, und sein 
Künsticrtum geht unfehlbar zugrunde. Daher kann — 
und heute weniger als je — die Bestimmung der 
£ünst]ertätigkeit nicht durch einen Dritten erfolgen. 
Selbst hochentwickelte Liebhaber» die dem Künstler an- 
gepaßte Aufträge zu übermitteln glauben, kommen hei 
B^tellungen in der Regel um so schlechter w^, je be- 
deutender der Empfänger ihrer Wünsche ist. Denn je 
größer der Künstler, desto feiner wird sein Organismus 
reagieren. Schon die Idee, beauftragt zu sein, kann ihn» 
selbst wenn ihm die Wahl behagt, empfindlich hindern. 
Der schädigende Einfluß braucht nicäit zum Bewußt- 
sein zu kommen; denn das Bewußtsein nutzt sich ab, 
sobald es nicht die größte Sorgfalt erfährt. Oft ist 
ein Künstler, der sich nur kurze Zdt vernachlässigte» 
nicht mehr fähig, den rechten Weg zu finden, und er- 



aoo 



D£R KOMPROMISS 



kennt selbst bei bestem Willen und bei größtem Fleiß 
nicht mehr die Nahrung, die seinem Organismus frommt. 

Diese Erörterung bringe man mit der Art und Weise 
zusammen, wie das Krönungsbild zustande kam. Menzel 
erhält eines Tages ganz unvorbereitet den Befehl, binnen 
sechs Tagen ein Meisterwerk zu beginnen, das die oben 
mitgeteilten Bedingungen zu erfüllen hat. Dem hohen 
Auftraggeber darf man daraus keinen Vorwurf machen, 
denn die Photographie befand sich damals noch mcht 
auf der Höhe; wohl aber dem Künstler^ daß er annahm 
und mit der Arbeit vier Jahre aussichtslos verbrachte. 

Man erkennt die Widerstandsfähigkeit des Mannes in 
der Art, wie er die Kur ertrug. Jeder andere wäre 
ein für allemal fertig gewesen* Daß Menzels Knnst durch 
die geisttötende, jahrelange Strapaze nicht gesünder 
wurde» sollte die Folge dartun. Daß sdne Kraft noch 
nicht erschöpft war, beweisen gleichzeitige Werke. Wir 
haben aus genau derselben Zeit, von 1862 bis 1866, 
einzelne erfreuliche Bilder. „Der Blick in die Opern- 
löge," der Hamburger Kunsthalle, entbehrt bei aller 
Saudgkeit nicht tüchtiger Qualitäten. In manchen 
Aquarellen und Pastellen, namentlich einzelnen, freilich 
sehr wenigen Guaschen des arg überschätzten „Kinder- 
albums'*^) kommt wieder das Temperament zum Vor- 
schein. Wahre Meisterwerke aber entstanden in den 
zahlreichen Aquarellen nach den Rüstungen.'*^ Man be- 
kommt einen Einblick in die Psychologie Menzels, wenn 
man sich vorstellt, daß er diese für die Zeit auffallend 
frischen, mit der ganzen Kraft des Malers geschaffenen Bil- 
der aus Langeweile malte. Denn er füllte d^imit die 
Zeit aus, wenn er, auf eine Sitzung wartend, nicht am. 



Nationalgalerie, aus 1861 — 1883. Ich denke hier namentlich, an ein 
paar Hentudien, die wie vergröberte Aquarelle von IMbcroix tmuAm, 
*) Hamburger Kunsthalle, Sammlung Liebermann, Pächter u. a., mei* 
•teaa 1866 datiert. Das bette Exemplar ist woU das der Hamb. Konatlialle. 



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KRÖNUNG WILHELMS L 



201 



Krönungsbilde arbeiten konnte. Die Rüstungen hingen 
in dem Saal des Berliner Schlosses, der ihm als Atdiier 
diente. Bezeichnenderweise sind diese Sachen ausnahms- 
los nicht im Material des Kröniingsbildes, sondern in 
Aquarell, oft mit Deckfarben gemalt. Sie zeigen die- 
selbe Merkwürdigkeit, die wir schon in den Stilleben 
mit den Gipsstücken fanden; eine Unmittelbarkeit der 
Empfindung-, die der toten Materie besondere Reize 
abgewmnt. Das verbluffend Lebendige steckt nicht 
etwa in der sprechenden Geste der Rüstuneen — daß 
Menzel Mühe hatte, der Lockunq- dieser Spielerei zu 
widerstehen, merkt man an einigen Exemplaren — son- 
dern in der sprechenden Malerei, in der Meisterschaft, 
mit der die Eläche durch ein harmonisches Spiel von 
Flecken belebt wurde, und in der erstaunlichen Kon- 
gruenz dieses Spiels mit der Wirklichkeit. Wieder denkt 
man an den Impressionismus. Aber während das „Gym- 
nase" den Weg zu den Franzosen wies, steigt neben den 
Rüstungen eineschwacheErinncruTiL" an die japanischenlm- 
pressionisten auf, deren Eigenschaften sich in unserer Vor- 
stellungswelt eng mit gewissen Eigentümlichkeiten unserer 
modernen Künstler verbinden. Schon in den gelungenen 
Bewegungsstudien der Einzelfiguren der vorhergehenden 
Zeit, die von weitem an Degas erinnern, hat man einen 
ähnlichen ^druck. Wenn man das Bild aus der Serie 
der Rüstungen bei Pächter» dem verstorbenen Leibhändler 
Menzels und der Japaner, neben den Skizzen der Hoksai 
und Hieroshige sah, fand man sich leicht zurecht. Von 
einer Beeinflussung ist natürlich nicht die Rede. Sie 
blieb, wenn wirklich Menzel schon so früh — was mir 
ausgeschlossen erscheint — japanische Kunst gesehen 
haben sollte, ganz unbewußt. Die Beziehung ist viel- 
mehr von dier freien Art, die wir zwischen heterogenen 
Erscheinungen wie z. B. Rembrandts und der Japaner 
Tuschzeichnungen finden, und sie beweist wie viele analoge 



tot 



DER KOMPRQMISS 



Fälle die alte Wahrheit, daß die Schönheit künstle- 
rischer Dinge zuweilen Zonen und Zeiten überspringt. 

Man findet schließlich in der Bewunderung dieser 
Gelegenheitswerke einen schwachen Trost für die mit 
dem Krönungsbildc vergeudete Zeit. Denn es ist anzu- 
nehmen, daß ohne diese, alle sekundären Instinkte Menzels 
fesselnde Arbeit, die edleren Gaben des Künstlers für die 
schönen Bilder mit den Rüstungen nicht frei geworden 
wären. Der Eindruck, der sich beim Studium Menzels so 
oft wiederholt, dal? i-eine besten Sachen aus Versehen zu 
Stande kamen, iat niigendi btarkei als vor dieacn Perlen. 



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MASSEN-SCHILDERUNG 



IM Dezember 1865 war die „Krönung" fertig. Menzel 
mag aufgeatmet haben. Vermutlidi ohne Freude. Das 
Ziel konnte selbst seinem Bewußtsein nicht die Befriedi- 
gung eines vollendeten Werkes lassen, noch die leise Trauer 
des Abschieds von einer geliebten Arbeit. Dafür war 
der Aufwand zu wenig an natürliche Grenzen gebunden. 
Er kam sich am Schluß sacher mehr ab der Tagelöhner 
vor, der aus Mangel an weiterer Arbeit Schicht macht» 
nicht als der von den Strahlen des Werkes gekrönte Sieger. 
Wir haben den demoralisierenden Charakter dieser Arbeit 
genügend betont. Es bleibt gerechterweise übrig, nach 
positiven Resultaten zu suchen. Diese liegen gewiß nicht 
im Bilde selbst. Ob die „Krönung" Menzels existiert oder 
nicht, ist für die Kunst so wichtig, wie das Dasein eines 
Aktenstückes. Auch in dem Einfluß der Arbeit auf den 
Künstler kann man unmöglich günstige Momente finden. 
Das vorher Verwirrte geriet infolge des Bilde« noch mehr 
in die Irre. Alles Generöse, das noch in ihm steckte, war 
durch das entwürdigende Geschäft brutalisiert worden. 
Aber neben alledem brachte das Werk zufällig eine rein 
stoffliche Bereicherung mit. Menzel hatte zum ersten 
Male in großem Maßstab mit Massen gearbeitet. Er hatte 
die Menge geputzter Menschen im Saal von Königsberg 
nicht bezwungen, war von diesem Sieg viel weiter ent- 
fernt als in der Treppe von Lissa, wo es ihm auch nicht 
vollkommen gelang; aber hatte die Masse gesehen, sich 
damit beschäftigt. Unsere Aufgabe verlangt, daß wir 
dieser Bereicherung nachgehen, auch ■wenn sie im Grunde 
fiktiv ist. Vom Krönungsbild an gewinnen die Massendar- 
stelluiiLn:!! im Werke Menzels die Oberhand. Wohl hatte 
er schon vorher wiederholt, zuletzt m der „Ansprache bei 
Leuthen", kleine und große Gruppen verwendet, aber 
diese Motive unterscheiden sich durchaus von den 



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DER KOMPROMISS 



kommenden. Mit den Bildern vom Hofe Wilhelms I. und 
vielen anderen, die vom Volksleben handeln, beginnt ein 
neues Genie. Die Neuheit liegt nicht im Stofflichen, 
etwa im Sozialen, sondern in der Behandlung, in der 
Malerei« Die neuen Werke sind für den Kunst&'eund 
alle ausnahmslos interessanter als die Krönung, und man 
merkt schon an dem Hauptbild des Jahres 1866, dem 
„Berliner Weihnachtsmarkt", den wesentlichen Grund, 
Was in der „Krönung" und vielen Friedrichbildern ver- 
stimmt, ist das Immobilisierte der Bildfläche. Die Dinge 
regen sich nicht, sie verharren in einem Zustand fiktiver 
Tfltsächlichkcit, der im? die Begebenheit aufdrangt, aber 
nicht erlaubt, aus dem ( jegebenen den Nutzen der Formen 
zu ziehen. Die frühere Stoffwelt Menzels reizte zu dieser 
Art. Der Autor bildete die Dinge aus festen Daten, trug 
sie mit sich herum, konzentrierte in ihnen alles Gedank- 
liche, baute sie zu Dokumenten auf. Die Methode konnte 
in der „Krönung", obwohl das Biid nach der Natur kom- 
biniert wurde, nichts andres ergeben, als in den nach der 
Geschichte kombinierten Werken. Das änderte sich bis 
zu einem festzustellenden Grade, sobald die Methode 
durch eine unmittelbar nach bewegten Modellen arbeitende 
l'atigkeit ersetzt wurde, zumal da in den \'ülksbildern 
die Physiognomie der Dargestellten kerne bestimmte 
Rücksicht beanspruchte. Hier handelte es sich eigentlich 
vernünftigerweise nur um bewegte Materie. Es galt 
nichts die Individualitäten wichtiger Persönlichkeiten fest- 
zustellen, damit dem Betrachter die Geschichte offenbar 
werde; das Modell blieb Modell, ein Mittel des Malers, 
eine Ingredienz des Bildes. Tatsächlich spüren wir diese 
Ausschaltung vieler Hindemisse im. »»Weihnachtsmarkt'^ 
und in den fdigenden Bildern. Sie wirken relativ freier, 
sind nicht lediglich der Menschen, sondern der Malerei 
wegen gemacht, regen sich wie Wesen von Empfindung. 
Sie würden dem Msder die Gelegenheit zu vollkommenen 



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MASSEN-SCHILDERÜNG 205 

Werken gegeben haben, wenn ihm die Stoffwelt zur Zeit 
des MGymnase** eingefallen wäre. Aber diese zehn Jahre 
mit ihrer nnnachsichtlichen Züchtung durch eine Fülle 
niedriger Arbeit waren nicht wegzuwischen, und nur die 
schwache Erinnerung an vergangene Stärke verschönt die 
kommende Zeit. Die Befreiung von der Last unerfüll- 
barer Rücksichten diente im Grunde nur, um Menzel 
anderen Gefahren zuzutreiben. In der Freiheit dürstete 
er nach neuen Ketten. Und das geschah, trotzdem er 
wiederum wie vor zehn Jahren, und auf längere Zeit als 
damals, seinem Milieu entfloh. 1867 und 1868 besuchte 
er, jedes Jahr auf vier Wochen, die Heimat des „Gymnase". 
iSö/war wieder Weltausstellung, diesmal im größten Stil. 
Das zweite Kaiserreich gab seine Abschiedsvorstellung. Es 
wimmelte von Menschen aller Rassen und Zonen, und 
Menzels Lust am Voiksgetümmd fand willkommene Nah- 
rung. Seine besten Bilder vom Ende der sechziger Jahre 
spielen in Paris oder gehen im Motiv auf diesen Besuch 
zurück. Er malte die Tuilerien,^) den Boulevard,'*^) den 
Luxembourggarten,^) zeichnete und skizzierte die Menge 
in allen möglichen Stadtteilen und scheint die Erholung 
in rastloser Tätigkeit verbracht zu haben. Man hat den 
Eindruck, daß sich das erschlaffte Segel seiner Kunst mit 
frischem Wind füllte. Die Natur, das Straßenleben hatte 
daran sicher den größten Anteil; die Beweglichkeit der 
festlichen Menge riß ihn mit sich fort. Aber auch die 
Kunst gab ihm. Damals kam er mit Meissonicr und 
Stevenä m ßcruhrung. waren nicht die Leute, ihm den 
Riesenfortschritt der Malerei Frankreichs zu offenbaren, 
aber wir können annehmen, daß er selbst den Weg zu der 
größten Darbietung der Weltausstellung zu finden wußte, 



t,8oniitag im Tiriteriengarten'*, aw i96f. Swimtiwig R. Mvyvrt Bedim 

') „Pariser Wochentag", aus 1869. Sammlung E. L. Behrerr^, Hamburg. 
Dann die Boulevardszene in Bleiieichnung aus 1870 und andere Zeichnungen. 
,,£riiiiiening an den Oasttm dM taxembourg", aus Mitte 1872 etc. 



206 



DER KOMFROMISS 



die das Programm der neuen Kunst enthüllte. An Stelle 
Cöurbets, dessen Baracke in der vorigen Weltaasstellung 
den Snob ergötzt Hatte, war Manet getreten. In der 

Separatausstellung am Pont de TAlma boten sich fünfzig 
Bilder ohne Furcht und Tadel dem Spott der Menge dar. 

Der Kreis, in dem sich Menzel befand, dachte über 
Manet genau so, wie jedermann in Paris, mit Ausnahme 
der drei oder vier Leute, die sich in persönlicher Be- 
ziehung zu dem Schöpfer der „Olympia" befanden. Manets 
gemäßigter Appell an die Aufrichtigkeit, mit der er den 
Katalog einleitete, wirkte ebenso komisch, wie die Fan- 
faren Courbets des Jahres T855. I^nd doch meint man, 
Menzel habe sich von dem Kreise nicht beirren lassen. 
Vielleicht kam er m Paris mit Victor Müller zusammen, 
der damals für Courbet schwärmte und von Manet 
wußte. Denn in allen Bildern Menzels, die von Paris 
handeln, spürt man einen leisen Reflex der frühen Manets. 
Natürlich darf man nicht an die „Olympia" oder das „De- 
jeuner sur l'herbe" denken. Dic^c reine Freude am Fleisch 
konnte in Menzel keinen Widerhall finden. Auch das 
Spanische des Toreromalers, das auf den dem Veiazquez 
fernstehenden Deutschen exotisch wie die Bauchtänze der 
Ausstellung wirken mußte, lockte ihn kaum. Aber neben 
alledem und 111 alledem blieb die zu Fleisch und BInt ge- 
wordene Aufrichtigkeit übrig, von der die Vorrede des 
Manet- Katalogs handelte; und die sah Menzel so gut 
wie er zwanzig Jahre vorher dieselbe Wahrheitsliebe in 
Constable gesehen hatte. Es fehlte nicht an Bildern, die 
der Anschauung des Deutschen näher standen. Neboi dem 
„Dejeuner" und der „Olympia** hingen da ein paar ganz 
einfach gemalte Impressionen, 2. B. die „Musique auz 
Tuileries*S die noch vor 1860 entstanden war, die Menge 
unter den Bäumen in schnell gezeichneten Finselstrichen. 
Die Beziehung zu dem „Tuileriengarten** Menzels von 1867 
ist zu deutlich, als daß sie zufällig sein konnte. Und 



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MASSEN-SCHlLDiiKUiNG 



207 



schon in diesem besten Büde Menzels der Zeit merkt 
man das irreparable Manko, nicht im Vergleich zu Mane^ 
sondern zu Menzel, die Unerreichbarkeit eines Ideals, das 
sich aus dem Bilde wie eine notwendige Forderung er- 
gibt. Das Durand Rudsche Gemälde gehört nicht zu 
den schlagendsten Werken Manets. Wohl ahnt man in 
dem prangenden Grün der Bäume und der Harmonie der 
Kostüme — zumal in der Durchbildung der gelben Töne 
— die fließende Pracht, die nachher im „Dejeuner sur 
l'herbe" durchbrach und immer mehr, je älter der Meister 
wurde, seine Eigenheit aufnahm^ Ab^ noch kämpft die 
charakterisierende Zeichnung gegen die neue Dekoration, 
die Manet bringen sollte. Die Materie hat noch nicht die 
Kraft, die mit den einfachsten Motiven bezaubert. Doch 
genügt ein Blick auf das Bild Menzels, um die unerschütter- 
lichen Qualitäten des Frnnzosen schon in dem rebtiv noch 
unfertigen Werke zu schätzen und das, was uns in dem 
Manet als Anfang genüirt, in dem Menzel als unerreich- 
bar zu erkennen. Manets Bild ist über noch mal so groß, 
als das andere, und über noch mal so groß das Getümmel 
der Menschen. Wir empfangen Eindrücke, die uns so- 
fort in den psychologischen Zustand des Autors ver- 
setzen. Die Erscheinung schnellt in uns herein, blitz- 
schnell, auf einmal. Bevor wir kaum gesehen haben, sind 
wir mitten drin in dem Bilde. So mächtig wirkt das 
starke System der Striche. Es ist wie ein Gebäude, von 
dem wir vor allem den Raum merken, bevor etwa- Ein- 
zelnes zutage tritt. Nichts fehlt so sehr dem ,,Tu3lcricn- 
garten" Menzels und allen anderen Werken dieser Zeit als 
der Raum. Die Erscheinung bewegt sich wohl. Diesen 
Vorzug hat das Gemälde vor vielen Vorgängern, und darin 
meldet sich eine schwache Erinnerung an das „Gymnase'^ 
Aber die Bewegung ist ungerichtet, raumlos. Sie zittert 
und schwimmt, gibt nicht das Schone der über dem Vor- 
wurf stehenden Form, wirkt mcht zum Bilde, sondern 



3o8 



DER KOMPROMISS 



nur Zü dem physiologischen Eindruck. Ohne die beiden 
Bäume im Vordergrand verlöre das Bild jeden Hak, und 

dieser Halt, der ausgebaut werden konnte^ ist nur <fie zu- 
fällige Hilfe der Natur. Die Menschen rand herum er- 
scheinen wie Weil« n, die ohne Wind durch irgend eine 
unkontrollierbare Willkür der unterirdischen Gewalten 
hierhin und dorthin getrieben werden. Es ist die Masse; 
ganz sicher wird dieser Eindruck erh ielt. Aber die Masse 
als solche, die nicht zur gesetzmäßigen Wirkung gelangt, 
versagt uns die Deutung, die ihr Dasein zu veredeln 
vermöchte. Und das ist das Manko, das nicht des Vergleichs 
mit A'Tanet bedarf, um erkannt zu werden, sondern aus 
dem Bilde selbst hervorgeht. Gewiß war der ,,TuilerieU'- 
garten*' ein Ansatz zu einer freieren Kunst, im Instinkt 
natürlicher, erfreulicher als die Historienmalerei; aber weil 
ohne Ersatz der Elemente, die den Historienmaler 
schädigten, des Glücks beraubt, das die] Reaktion 
bringen konnte. Der Mangel an formaler Gestaltung, 
der allein eine Zusammenfassung des Details gelingt, ist in 
dem Hauptbild von 1868 noch deutlicher. Der ,, Gottes- 
dienst im Walde bei Kösen" ^) zeigt die Anstrengung, 
dem Bilde wenigstens eine auf der Farbenwirkung be- 
ruhende Harmonie zu geben. Der Versuch mißlingt, 
weil er sich nur auf einen Teil, die Menschen, be- 
schränkt und den Wald gaiu außer acht läßt. Dadurch 
entsteht ein störender Dualismus. Der W ald wdit ohne 
die Menschen langweilig, aber nicht abstoßend, ein be- 
liebiger Naturausschnitt, ohne Kunstzweck aufrichtig 
wiedergegeben. Die hindngemalten Menschen lassen gar 
keine Wirkung übrig. Sie zerren das Bild in eine Richtung» 
die mit der im Walde ausgesprochenen Tendenz nicht das 
geringste zu tun hat. Erinnern wir uns, daß auch in 
irielen Bildern Courbets der Dualismus der Gestaltung die 
Reinheit d es Ganzen trübt. Nur entstehen in diesen so 

>) Sanunhuig Fan Dr. Aronfl, Berlin. 



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MASSEN-SCHILDERUNG 



starke Einzelfragmente, daß der Verzicht auf die letzte 
Gesamtharmonie durch den Genuß am Teil erleichtert 
wird, zumal da der verhältnismäßig geringe Mangel nicht 
auf kunstfremden Rücksichten beruht. Alle Gesetze sind 
nur relativ entscheidend, und das Ungezügelte in den be* 
deutendsten Perioden des 19. Jahrhunderts zwingt uns zur 
Duldsamkeit, sobald wir Werte finden. Der Mangel des 
Kösener Bildes wird nichr aufgewogen. Wir erkennen 
kaum das künstlerische Mittel, das unter anderen Um- 
ständen geeignet wäre, den Wert zu sichern, sehen 
keinen Wep; mehr. Das Moderne an dem Werke ist ein 
fataler Reflex der Franzosen, das flüchti(>e Eingehen auf 
die Fleckenmanier der Pariser Maler, uhne die Einsicht 
in die Wirksamkeit der Methode. Wir finden das zweck- 
lose Gefleckte in vielen Bildern dieser Zeit, z. B. dem 
auf den ersten Blick eigentümlich modern anmutenden 
Aquarell mit dem badenden Knaben,*) am deutlichsten 
in dem Pariser Wochentag von 1869. Meilbut^) vermißt 
in seiner eingehenden Studie über das Bild „die Energie 
der iXaiven in der Einfachheit" und die „kontemplative 
Nachdenklichkeit** und meint, dem Meister felde bei 
aller Rührigkeit die Ruhe. Die Kritik paßt nicht nur 
auf das eine Gemälde,' sondern trifft alle Mingel Menzels, 
aber sie ist zumal da überzeugend, wo es sich wie hier um 
Aufgaben liandelt, die doppelt der Ruhe des Künstlers 
bedürfen. Je bewegter der Gegenstand ist, desto ge- 
faßter mufi der Maler sein. Oder: seine Geschwindigkeit 
muß der Bewegung des Objektes vorauseilen. Menzels 
Rührigkeit aber saß nur an der Oberfläche, und er glaubte 
die seinem Organismus fehlende Fähigkeit durch das 
Lebendige des Pariser Straßentreibeus zu ersetzen. Und 
wie dem Gegenstande, so mutete er der Technik eine 
selbständige Rolle jenseits des eigenen Ingeniums zu. 

^) Privatbes., Dresden ; aus 1865. Vergl. Liebennanns ähnlichen Vorwurf. 
^ Hdlbnt, Die Sammlung Behrens, Hamburg 1891. Ala Privatdfnck.r 



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DER KOMPROMISS 



Er empfand die Notwendigkeit irgend einer Umformung 
der Materie und traf eine technische Srielcrei. Viel 
wichtiger als jedes Prinzip der Teilung war im Kösener 
Bilde die Konstruktion der Basi'^. Mit welchen Mittehi 
auch immer, mußte vor allem eine Verbindung des bunten 
Volkes mit dem Boden, der Luft und den Bäumen geschaffen 
werden. Der subalterne Fehler ge»en die Perspektive 
trägt noch zur Verstärkung des Mangels an Zusammen- 
hang bei. Die Gruppen der Menschen rutschen im Bilde 
hin und her. Statt zu beleben, verwirren sie die Fläche. 

Menzel fühlte das Zwecklose dieser flotten Malerei 
und trieb daher in die Richtung, die wir in den sieb- 
ziger Jahren vor uns haben. Der Übergang isi un- 
gemein charakteristisch. Unter dem Einfluß der Franzosen 
versuchte er kur/.e Zeit, sich einer spontan wirkenden 
Malerei hinzugeben, machte den Versuch nur von außen, 
mißglückte und wurde nun der Genremaler der Vdks- 
Szene. Der FteeB ist einfach wie ein Rechenexempd. 

Wir erkennen an dem typischen Bdspiel desselben 
Künstlers, an dessen Laufbalm wir früher die Wohltat 
der Berührung mit einer starken Kunst nachweisen 
konnten, diesmal die Schattenseite des ^flusses und 
empfangen im Negativen die Bestätigung unserer früher 
im Positiven erlangten Resultate. Kurzsichtige Betrachter 
würden den Einfluß der Franzosen für die Neuheit der 
in Paris gemalten oder konzipierten Bilder Menzels ver- 
antwortlich machen. Tatsächlich vollbrachten diese Werke 
eine wenn auch nur schwache Besserung des Niveaus, 
auf dem sich Menzel vor der Reise be^d. Daß der 
Erfolg nicht besser geriet, lag nicht etwa an der an- 
geborenen Unfähigkeit Menzels, sich mit der Anschauung 
der Franzosen abzufinden, — das Gegenteil stellte er 
zehn Jahre vorher fest — ; nicht etwa an spezifisch tech- 
nischen Eigentümlichkeiten, die man aller Vernunft zum 
Trotz zu der Bedeutimg nationaler, begrenzter Eigen- 



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MASSEN-SCHILDERUNG 



211 



Schäften erhebt, sondern lediglich an dem rein mensch- 
lichen Mangel starker Anschauung und Empfindung, an 
dem schwachen Amalgam, das nicht nur zur Beherrschung 
des Einflusses, sondern ganz gleicherweise zur Beherrschung 
der Kunst überhaupt gehört. Der Menzel des „Balkon- 
zimmers" und des ,,Gymnase" war vor jedem Epigonen- 
tum gefeit aus dem simplen Grunde, weil ihm die Technik 
aus dem eigenen Wesen erwuchs. £ r brauchte die An- 
regung nur, um das überflüssige weirzuraumen und sich 
selbst zu entdecken. Der spätere iVienzel, der nicht 
mehr wußte, was er wollte, verlor sich in technische 
Spielereien und Nachahmung, und da er zum Epigonen 
nicht taugte, fiel er in den Urzustand unqualifizierbarcr 
Malerei zurück, von dem er in den drcibiger Jahren 
ausgegangen war. Denn im Grunde ist zwischen den 
Sachen, die nun kamen, und den allerersten des An- 
fängers nur ein ganz äußerlicher Unterschied. Das Genre 
ist differenziert und verbreitert, die Gesinnung dieselbe. 

Bevor wir zu dieser letzten Phase übergehen, verweilen 
wir noch einen Augenblick bei dem Zwischenstadium der 
Pariser Bilder. So zweifelhaft ihr Wert sein mag, sie 
stehen so hoch über den folgenden, daß es sich wohl 
verlohnt, den Ruhepunkt im Niedergang auszukosten. 

Gerade mit den Pariser und den damit zusammen- 
hängenden Bildern gelang Menzel die einzige Befruch- 
tung der deutschen Kunst, die nvir ihm damken. Das 
Kapitel seines l^flusses ist kurz zu erledigen. Der 
Maler, der fast ein Jahrhundert ausfüllt, starb, ohne 
Schule zu hinterlassen, und wer sich dn wenig in sein 
Wefk vertieft, begreift, daß es nicht anders sein konnte. 
Mit den Bildern um das Jahr 1870 gab er mindestens 
eine Anregung stofflicher Art, die der werdenden Kunst 
Deutschlands förderlich wurde. Der junge Klin^ bildete 
sich an dem Realismus Menzd'scher Volksszenen. Seine 
ersten 2^chnungen, Radierungen und Gemälde verraten 



212 



DER KOMFROMISS 



deutlich, den Einfluß» der ihn übrigens nicht abhielt, sicii 
bald in entgegengesetzte Richtung zu verirren. Wertvoller^ 
weil weniger wörtlich ist die Beziehung zu dem be- 
deutendsten Maler des Deutschlands von heute, Max 
Liebermann. Merkwürdigerweise war der Künstler, dem 
man mit Vorliebe den Hang zum Auslande vorwirft, 
der einzige, der sich ernsthatt mit Menzel auseinander- 
setzte und mit einer vor keiner Äußerlichkeit des 
Meisters zurückschreckenden Enero-ie, die man ohne Über- 
treibung Hingabe nennen könnte, ver'^uchte, in dem 
scliwankenden Werk Menzels das Bleibende zu erkennen. 

Was Liebermann Menzel verdankt, gehört nicht in 
den engen Rahmen dieser Arbeit. Ich hoffe, es an 
anderer Stelle ausführlich darzulegen, und begnüge mich 
hier mit Andeutungen. Das auf den ersten Blick Sicht- 
bare beschränkt sich auf ein Geschenk von Motiven. 
Unter diesen besitzt die vereinzelte Beziehung des Lieber- 
mann'sclicn ,,Cliristuä im Tempel" zu dem Werke Menzels 
ähnlichen Inhalts geringere Bedeutung als die Verwandt- 
schaft der unmittelbar der Natur entnommenen Vor- 
würfe beider Meister. Liebermann lernte von Menzel 
und anderen Vorgängern die KomHnation des Landschaft- 
lichen mit dem Figürlichen. Insbesondere entdeckte er 
mit Hilfe des Landsmanns den Reichtum, der sich aus 
der Schilderung einer bewegten Menge im Licht- und 
Schattenspiel des Waldes gewinnen ließ. Die Beziehung 
zwischen dem erwähnten Kösener Bilde Menzels und 
der zwanzig Jahre später am selben Ort gemalten 
«»Gedächtnisfeier für Kaiser Friedrich Liebermanns ist 
deutiichy und ebenso findet man in dem typischen 
Biergartenmotiv des Jüngeren viel Anklänge an den 
Menzel um 1870. Freilich, was die Gestaltung Lieber- 
manns dem späteren Menzel dankt, hat ihn nicht ge- 
fördert. Der Künstler, den wir verehren, wäre ohne 
den Bruch mit dem im Kösener Bilde besonders deut- 



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MASSEN-SCHILDERUNG 



213 



liehen fonnalen Zusammeiüiang mit Menzel nicht mög- 
lich. Der reife Liebermann brachte genau das, was 
der Vorgänger Tersäumt hatte, indem er der Natar 
nicht nur den Gegenstand, sondern das Gesetzmäßige 
seiner Bilder entnahm. Die vollendete Form Lieber- 
manns hat nur Ähnlichkeit mit dem frühen Menzel. 
Das blonde Schweine-Idyll Menzels^) aus dem Jahre 1850, 
an das ein berühmtes Bild des Nachfolgers erinnert, zeigt, 
wie sich Motiv und Anschauung beider zum Nutzen 
des Schönen verdnen konnten. Wer sich in den Ver- 
gleich beider Meister vertieft, wird das entwicklungs- 
geschichtliche Moment positiver Art nur in den Bildern 
Menzels finden, die wir als seine Perlen schätzen. Im 
übrigen lernte Liebermann von dem späteren Menzel, 
mit dem er übrigens einige Jahre in dem engeren Ver- 
hältnisse des Schülers zum Meister stand, wie es nicht 
gemacht werden mußte, wenn man starke Werke hervor- 
bringen wollte. Auch das mag als Förderung gelten. 

Und diesem negativen Einfluß auf ein frohes Bewußtsein 
vom Wesen des Schönen fügte Menzel in der Folge immer 
melir Argumente hinzu. Von der „Abreise Köni^? Wil- 
helms zur Armee" '-^j von 1871, bis zum ,,Baiisoupcr"^), 
von 1878 präzisierte er die Methode der Pariser Bilder, 
und da dieser Methode keine sichere Erkenntnis der Not- 
wendigkeiten der Form zu Grunde lag, präzisierte er das 
Gegenständliche. Der Kompromiß ist deutlich. Ohne 
Zweifel blieb von der Berührung mit dem Malerischen 
vielerlei an Menzel haften. Es half ihm zu einer Ver- 
größerung seines Virtuosentums. Die groben Fehler des 
Kösener Bildes u. dergl. kommen nicht mehr vor. In 
der „Abreise des Königs" ist alles richtig gegeben, und doch 



') Sehiraiii« im Kornfdd. Kationalgalerie. Einet der besten AfimeUe. 

*) Nationalgalerie. Deutlicher ist di« R il e von der „TanzpaoitP' ao. 

•) Früher Sammlung FTnil Meiner, Leipzig; soll, wie mir in Leipzig 
gesagt wurde, auf hohen Wunsch von der Nationalgalerie erworben werden« 



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214 



DER KOMPROMISS 



sagt es uns nichts, was über die gröbste Neugier hinaus- 
ginge. Es wirkt richtig, weil nichts versucht ist^ was 
das Bild in die Sphäre des Künstlerischen zu heben ver- 
möchte. Wir empfinden daher keine Reste, aber empfinden 
überhaupt nichts, sehen nur, notieren in unser Gedächtnis 
das Ereignis, wie es Menzel in das seine notierte. Gewiß 
ein Virtuosentum von nicht geringem Geschick, aber es 
dient nicht, hilft nur bei einem Ersatz der mechanischen 
Reproduktion mit, von dem man nicht mal sagen kann, 
ob er sein Ziel erreicht, ob nicht eine Photographie 
die gespiegelte Wirklichkeit besser treffen würde. Sobald 
aber auch nur der geringste Versuch malerischer Wir- 
kung versucht wird, erscheint der Dualismus wieder, den 
wir im Kösener Bilde fanden. Dem „Ballsouper" fehlt 
es nicht an interessanten Details. Der reiche Plafond, 
das künstliche Licht, gewisse Kostüme sind meisterlich 
gemalt. Es ist sogar eine Gesamtstimmung versucht, an 
der das Gold gewichtigen Anteil hat. Aber der Ver- 
such scheitert wieder mal an den Physiognomien und 
anderen übertriebenen Einzelheiten. Die schimmernden 
Nacken der Damen wirken wie fremdes Material, das 
man in genau ausgeschnittenen Stücken mosaikartig in 
das Bild gesetzt hat. Der Blick durchdringt nicht das Ge- 
mälde, umfaßt nicht, sondern bleibt überall haften. Der 
Kompromiß mit dem Malerischen, die Wirkung mit 
dem im Licht schimmernden Gold, stört im Grunde, 
weil er den Betrachter um die einzige Befriedigung 
bringt, die ihm der Inhalt, die interessanten Zwie- 
gespräche, Uniformen und Toiletten, verschaffen könnte. 

Innerhalb dieser Periode liegt ein besseres Bild, das 
letzte, mit dem Menzel eine Erinnerung an seine einstige 
Meisterschalt waciirult; das Walzwerk" von 1875, in 
der Nationalgalerie. Es bildet keine Ausnahme in 
der Entwicklung zum Gegenständlichen, fußt sogar in 
einer Hinsicht durchaus, mehr noch als das „Ball- 



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MASSEN-SCHILDERUNG 



215 



Souper" und die yoThergehende »»Abreise des Königs*' 
auf dem Interesse am Gegenstande. Der Betrachter» 
der nie in einem Eisenwerk war» sagt sich» so muß es 

sein, und der Kundige bestätigt, es sei so echt, wie er es 
selbst gesehen habe. Ingenieure haben behauptet, jede 
Schraube, jeder Hebel sitze an der richtigen Stelle und 
die Arbeiter seien mit absoluter Genauigkeit beobachtet. 
Jordans Beschreibung des Bildes liest sich wie ein Abriß 
des Konversationslexikons über die Herstellung von Eisen- 
bahnschienen. Andere Biographen feiern in dem Werke 
die Erschließung eines neuen Gebietes für die Malerei. 
Danach kann man sich wundern, daß findige Maler nicht 
weiter gegangen sind und der Entdeckung nicht noch 
viele andere aus dem Hüttenwesen hinzugefügt haben. 

Aber vollbrachte Menzel hier wiridich eine Entdeckung? 
Man rühmt mit Recht an Millet, daß er den Bauer, 
an Meunicr, daß er den Arbeiter in der Kunst gefunden 
habe. Degas wird als Schöpfer der Ballettänzerin und 
Lautrec als Maler der Cocotte gepriesen. Wirklich ent- 
deckten diese Kunstler ein Novum, aber docli nicht etwa, 
indem sie die Existenz des Bauern, des Arbeiters, der 
Ballettänzerin nachwiesen; denn dafür bedurfte es nicht 
ihrer Anstrengung; sondern indem sie ihre neuen Ge- 
stalten zu Trägem neuer Formen machten. DaB wir 
das Neue Bauer, Arbeiter, Ballet^nzerin nennen, ist 
eine Konvenienz leicht durchsichtiger Art. Aus den zu 
Typen erhobmen Gestalten werden in Wirklichkeit neue 
Wesen, die nur in der Kunst Bestand haben, neue 
2^chen für die Sprache des Schönen. Diese Zeichen- 
sprache wird im „Walzwerk'* Menzels vermißt; oder sie 
ist viel zu schwach im Vergleich zu dem materiell Ge- 
botenen. Die Organbation des Bildes macht aus den 
Gesten der Arbeiter, aus den Maschinen und dem Glühen 
des Eisens nicht die Atmosphäre des Kunstwerks, in der 
alle diese Dinge noch viel stärker zur Geltung kämen. 



DER KOMFROMISS 



sondern bleibt an dem Dunst der Wirklichkeit haften. 
Trotzdem fühlen wir hier eine Steigerung Menzels. 
Wie ihn früher jeder Wechsel des Stoffgebietes wohl- 
bekam, so lockte ihn auch hier der neue Vorv^urf aus 
dem Alltag seines Genres zu einer ernsteren Kunst. 
Der Blick in die neue Welt zog seine edleren Fähig- 
keiten an und brachte den Grad von Zusammenhalt 
hervor, der dem Bilde die relative Bedeutung sichert. 

Von da an hielt nichts mehr den Niedergang Menzels 
auf. Die letzten dreißig Jahre sind eine konstante 
Vergröberung der Schattenseiten des Meisters. Es 
genügt, ein so mäßiges Bild wie die früher erwähnte 
„Eisenbahnidylle", aus 185 1, mit dem unendlich schlim- 
meren „Coupe" des Jahres 1892, oder die Gasteiner und 
Kissinger Bilder mit der Art des Kösener Waldes, oder 
den Markt von Verona'', aus 1884, mit den Pariser 
Bildern zu vergleichen. Aus. der Darstellung der Masse, 
von der man einen Augenblick die Rückkehr zur Kunst 
erwarten konnte, wird immer mehr eine Massendarstellung 
des Details, die sich mit wahrer Wollust aller genrehaften 
Mothre bemächtigt. Der ^Markt von Verona*%^) das vir- 
tuoseste Bild der letzten Zeit, ist das Extrem einer auf 
das Unkünstlerische gerichteten Geschicklichkeit. Der 
Sinn aller Kunst wird hier» fast mit Raffiniertheit, zum 
Gegenteil gewendet. „Seiner Menge,'' schrieb ein guter 
Kenner über die Art solcher Bilder, „fehlt das Massen- 
bewufitsdn. Man hat das Gefühl» als sähe man mit dem 
Opernglas auf das Straßentreiben. Die Menge löst sich 
in Individuen auf» deren jedes sein eigenes kluges Gesicht 
macht» und die Einheit der Töne wird in harte und bunte 
Lokalfarben zersetzt/' Man könnte ohne Übertreibung 
hinzufügen, daß sich ganz ebenso alles Edle des Künstlers, 
der in der Jugend auf vielen Wegen dem Schönen nahe 

Seit Inuieni in der Dresdner Galerie, die andi eins der allerscldiinm- 
»ten Aqaardle« den „Bteigarteii in Kiarinsai", tun i89>t «nrorben Iwt. 



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BIASSEN-SCHILDERUNG 



217 



gekommen war und es fester als irgend einer seiner 
Landsleute gebannt Katte, in rohe Bestandteile auflöste. 

Einer Auflösung gleicht die EntwicMung Menzels. 
Wie der Werdegang vieler Meister verfolgt sie die zum 
Malerischen neigende Tendenz und entfernt sich von 
einem ursprünglich festen Kern, um sich immer mehr 
der Fläche hinzugeben. Aber während die großen Ver- 
künder malerischer Schönheit auf ihrem Wege freier 
und mächtiger werden und das, was sie an überlieferten 
Formen dabei einbüßen, durch einen Ausdruck ersetzen, 
der inniger ihre geheimsten Empfindungen ausspricht, 
büßt Menzel die Stärke ein. Seine Form läuft in die 
Fläche, anstatt sie mächtig zu umfangen. Wohl wird 
sie weicher mit den Jahren, aber diese Veränderung 
gleicht mehr der Zersetziinjj eines Körpers durch krank- 
hafte Einflüsse als dem Reichtum wachsender Kraft. 
Menzels Wille wurde weich, büßte die Konsequenz ein 
und brachte die Empfindung um die Reinheit. Er. 
überließ sich der Willkür des Augenblicksgedankens. 
Seine Persönliclikeit schwächte sich im selben Maße, 
in dem die Produktion stieg. So entsteht der Eindruck, 
als habe sich Menzel mit den Jahren abgenutzt, und 
es fehlt nicht an mitleidigen Seelen, die darin nur das 
Ende aller irdischen Dinge bestätigt finden und sich 
zu beschauliclu Ti fktrachtungen angeregt fühlen. Aber 
der früiiiincn Duldsamkeit fehlt die Erkenntnis. Der 
große Künstler verbraucht sich nicht, er gewinnt mit 
der Leistung, wie eine edle Geige in den Händen von 
Generationen an Tiefe des Tons zunimmt. Seine Kunst 
ist der Geist, der durch die Fülle der Bilder, die in ihn 
hineinströmen, nicht schwächer, sondern stärker wird, 
und je mehr seine Gedanken arbeiten, zu desto reineren 
Abstraktionen gelangt. Dem billigen Vergleich mit der 
physischen Zeugungskraft, der in den nicht zu fernen 
Tagen dionysischer Kunstliteratur eine schlecht verhüllte. 



2X8 



DER KOMPROMISS 



aber wirksame Rolle spielte, stellt nch das durdiaiis 
inteUektnelle Wesen der Kunst entgegen, ^^elen Künst- 
lern — und gerade den größten — gelang das Beste 
ecst, als die animalischen Gelüste des Mannes keine 
Gewalt mehr über sie hatten. Daher wäre nichts törichter, 
als aus dem prononzierten Jnnggesellentum Menzels die 
Erklärung für seinen Niedergang zu folgern. Allenfalls 
mag die brutale Sinnlichkeit zu dem Prozeß gehören 
wie der Teufel zur Welt, damit die Tugend siege; als 
Widerstand» um dem Geist Gelegenheit zu geben, seine 
Stärke zu beweisen und die Erhabenheit seiner Triebe 
an einem groben Maße abzulesen. Und so mag den 
Meister, der, so scheint es, die Entbehrung gelassen 
trug, die Freiheit von den Fesseln anderer Männer nicht 
gefördert haben. Gerade er, der Unsinnliche, zeigt einen 
Materialismus, der des Geistes nur zu sehr entbehrt. 




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GENIE UND FLEISS 



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DAS UNKLASSISCHE MENZELS 



ICH kenne nicht so ein Ding, das die Leute Genie 
nennen,'* sagte Hbgaith zu Gilbert Cöoper, „Genie ist 
nichts als Arbeit und Fleiß/' Buffon und Oirlyle dachten 
ähnlich. So hat sich auch Menzel des öfteren ausge- 
sprochen. Aber was er unter Arbeit und Heiß verstand, 
und was Hogarth damit meinte, war nicht dasselbe. 
Menzel selbst, der sein Leben lang ein fleißiger Mann war 
und Dinge von so verschiedenem Werte hervorbrachte, muß 
sich über dieselbe Sache zu verschiedenen Zeiten seines 
langen Lebens verschiedene Gedanken gemacht haben. 

Jeder sieht den Fleiß, mit dem das Krönungsbild zu- 
sammengesetzt wurde oder mit dem Menzel seinen histo- 
rischen Studien obla^ wenn er das Schuhwerk und Sattel- 
zeug der Offiziere und Soldaten Friedrichs des Großen 
notierte oder den Krimstecher Moltkes mit peinlicher 
Genauigkeit abkonterfeite. Schon die Masse des von 
Menzel Geschaffenen setzt den Laien m Erstaunen. Der 
Katalog der Ausstellung in der Nationalgalerie umfaßte 
geeen 7000 Stücke, und dabei waren die Hunderte von 
Zeichnungen in den Skizzenbüchern und manches andere 
nicht gerechnet. Alle diese Sachen, selbst die geringsten 
Details, sind mit vollem Bewußtsein gemacht, verraten den 
Ernst des Autors, gehören zu seinem Wesen. Wir finden 
keine anderen Qualitätsunterschiede als die in den vorigen 
Kapiteln angedeuteten, die auf die Anschauung zurück- 
gehen. Innerhalb dieser Grenzen ist alles eleich mäßig ge- 
staltet, mit einer vor keiner Schwierigkeit zurackzuckendcn 
Ausdauer, iiat einem Fleiß, der sich schwierige \ orwürfe 
suchte und nicht ruhte, bis das Ziel erreicht war. Jener 
Qualitätsunterschied aber teilt das Werk in zwei ganz un- 
gleiche Hilften« ungleich der Masse wie der Art nacL 
In der unverhältnismäßig kleineren, die sich auf gewisse 
Perioden der Jugend Menzels verteilt^ finden wir nicht 



322 



GENIE UND FLEISS 



den geflissentlich zur Schau getragenen Fleiß der anderen. 
Das den Bildern vorschwebende Ziel scheint spielend er- 
reicht, ohne sichtbare Anstrengung. Der fleißige Menzel 
keuchte unter der Last. Dort flog er unter dem Impuls 
des Temperamentes zur Höhe. Und ganz so geht es uns 
vor den Werken. Vor den einen zieht sich die Stirn 
kraus unter der Last der Vorstellung all der Momente, 
an die gedacht werden muß, um zur Erkenntnis des 
Wertes zu gelangen. Vor den anderen atmen wir freier 
und finden den Wert ohne jede Mühe in unserer Freude. 

Es fragt sich: was steht höher? Kommt es darauf an, 
der Welt ein Beispiel des Fleißes oder Freude zu geben? 
Ich glaube, das Unnennbare entscheidet. Das Fleißige ist 
nie unerschöpflich, und schon die Tatsache seiner Sicht- 
barkeit beschränkt es. Sind siebentausend Zeichnungen 
und Skizzen und hundert Gemälde viel für 70 Jahre 
Arbeit? Corot machte 2500 Gemälde und unzählige 
Zeichnungen in kürzerer Zeit; van Gogh malte in zwei 
Jahren fünfiumdert Bilder. L«bl safi inehrere Jahre an 
einem einzigen. Alles das sagt nichts vom Werte des Ge- 
schaffenen. Auch der Gedanke an die Mühe ist nicht 
geeignet, die Schätzung zu erschließen. Er ist zu eng, 
verrät das Allzumenschliche, Körperliche, ist subjektiv, 
wie die Meldung von der Wissenschaft des Gestalters. 
„In der Malerei,** zitiert Delacroix aus einem guten 
Buche seiner Zeit, „spricht der Geist zum Gebte, nicht 
das Wissen zum Wissoi.'' Und abgesehen von der 
Kunst: hat je der sichtbare Fleiß großer Menschen 
die Geschichte gemacht? Kann man Bismarck fleißig 
nennen oder Napoleon oder Friedrich den Großen, irgend 
eine der großen Persönlichkeiten, deren Leben sich in un- 
geheurer Tätigkeit erschöpft? Ist das nicht vielleicht das 
Geringste an ihnen, das gemein Verständliche? Bewun- 
derungswert dünkt uns das über jede gewohnte An- 
strengung hinausgehende Schöpferische, das mit eigenen 



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DAS UNKLASSISCHE BIENZELS 



223 



Mitteln zur Tat wird; das Geniale, das mit geringstem 
Quantum von Schweiß, kraft seiner Erfindungsgabe die 
Wege verringert und das gewohnte Resultat verzehnfacht. 
Kein Genie wirkt auf dem Wege der Mühseligen und 
Beladenen. Ein Unterschied zwischen Genie und Talent 
beruht auf der Verschiedenheit ihres Fleißes. Das Talent 
greift eine abkürzende Kurve und verwendet sie sein 
Leben lang. Das Genie ist das Zentrum von hundert Wegen, 
von unerschöpflichen Mitteln, so reich an Art, daß sich 
für jeden Zweck das Idealmittel ergibt. Nicht durch 
Fleiß, sondern durch die Weisheit siegt das Genie, durch 
das Bewußtsein seines Reichtums. Jean Paul nennt das 
Talent eine Klaviersaite, die immer denselben Ton gibt, 
und das Genie eine Windliarfensaite, ,,und dieselbe spielet 
sich ^L']i:tcr zu. mannigiachen Tunen vor dem mannig- 
iachen Anwehen". Der schöne Vergleich ist leicht miß- 
zuverstehen, weil er sich auf passive Eigenschaften be- 
schränkt. Genie ist Entdecker. Es findet neue Kausali- 
täten, macht sie ach dienstbar und gelangt aus ihnen zu 
neuen Gewinsten. Daher entscheidet die Art seiner Be- 
tätigung, nicht der Umfang ; die Erfindung, nicht das Er- 
fundene. Es ist der Finger auf dem Ventil des Bewegungs- 
mechanismus und bewältigt mit dem kleinsten Druck unge- 
ahnte Massen. Sein Fleifi, Im Sinne des gewohnten Be- 
griffes, ist belanglos. Man wird einem Goldgräber, der 
die richtige SteUe gefunden hat, aus der Anstrengung, mit 
der er das Gold aufrafft, keine Lorbeeren winden und 
einem Erfinder nicht die Mühe zum Lobe rechnen, mit 
der er die selbstverständlichen Folgerungen seiner Er- 
findung gewinnt. Die Tat war die Entdeckung. Ob er 
mit oder ohne physische Anstrengung dazu kam, sagt 
nichts von ihr, sondern bildet nur ein verschieden aus- 
legbares Kuriosum der Biographie des Menschen. Er 
dachte vielleicht nur, ohne sichtbare Arbeit zu leisten, 
dachte jahrelang, überlegte, wo das Novum liegen konnte, 



224 



GENIE UND FLEISS 



verachtete so lange jede andere Tätigkeit und ging spa- 
zieren. Genie ist Erfindungsgabe, ob es sich um einen 
Gelehrten oder Künstler, um einen Staatsbeamten oder 
Kaufmann handelt. Nur ist die Gabe kein Abstraktum, 
das wie ein unverlierbares Gnadengeschenk über den 
Menschen kommt, präzis umgrenzt wie das große Los 
oder irgend ein isolierter Glücksfall. Und hier finden wir 
den Standpunkt, von dem aus hJoearth und viele andere 
von dem Genie nichts wissen woUtcn. Es gehört wohl 
noch ein anderes als die angeborene Gabe hinzu; der 
Trieb, der zur rechten Verwertung der Gabe anhält. Nur 
irrte Hogarth, wenn er darunter Heiß und Arbeit ver- 
stand. Wir iD&DDiea den Tdtth überlurapt nicht benennen, 
denn er hängt dafür zu eng mit dem Genie zusammen. 
Daß ein Erfinder erfindet, ist so selbstverständlich, wie 
daß ein Brunnen Wasser gibt. Fleiß ist es nicht» denn die 
Konstellation eines so hochentwickelten Gehirns wie das 
des Genies schließt so subalterne Laster wie die Trägheit 
überhaupt aus und besitzt den Fleiß wie etwas Selbst- 
verständliches. Da sowohl die Gabe, wie die Fähigkeit 
die Gabe zu benutzen, aus einer Quelle stammt, da 
vernünftigerweise die Gabe überhaupt nur existiert, wenn 
sie in Erscheinung tritt, vermögen wir hier keinen Dualis- 
mus zuzulassen, und alles, was im folgenden gesagt wird, 
gilt nicht als der Zusatz zum Genie, sondern als Eigen- 
schaft. Es gibt keine verbummelten Genies; es gibt kaum 
verunglückte oder verkannte. Leute, die aus Lust am 
Bummeln oder dergl. versagen, haben nicht die Gabe, 
und was dazu treibt, ihnen das Auszeichnende zuzu- 
sprechen, ist gewöhnlich nur eine Art genialischer Maske- 
rade, die sich in der Erfindung von Allüren erschöpft. 

Was dazu gehört, ist vielmehr Ökonomie, ein Wahlvcr- 
mögen, das die Einteilung des Lebens und der Arbeit im 
Auge hat, JcanPaTil nannte es „Besonnenheit", dir Eigen- 
schaft, deren jeder einfache Sterbliche bedarf um mit 



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DAS UNKLASSISCHE MENZELS 



225 



seiner Sache so gut wie möglich fertig zu werden, und die 
um so größer sein muß, je größer und reicher der Mensch 
ist. Delacroix besaß diese Ökonomik iin höchsten Maße, 
weil er sich beobachtete und sein Genie zu objektivieren 
verstand, bemerkte, was ihm gut tat und was ihm schlecht 
bekam, Maß zu halten wußte. Goethe ist überall unser 
lierrlichstes Beispiel. Im engeren Sinne mag die aufs 
Formale gerichtete Ökonomik Schillers noch größer sein. 
Sie läßt aber gleichzeitig die geringere Bedeutung der 
beherrschten Massen sehen und trägt dazu bei, Schiller 
im Vergleich za Goetlie als Taloit erkennen zu lauen. 

Maß gehört zum Genie. Wir sind lange von den 
Maßlosen begeistert gewesen, von Rauschlnstigen» an 
döien wir uns entzündeten. Aach Menzel, der trodcene 
WirkÜchkeitamensch, ist ein Berauschter , nnd daß uns 
das Medium, in das er untertauchte, nicht sonderlich 
zur Verzückung geeignet erscheint, hindert nicht, daß 
er damit unmaßig wirtschaftete und daran scheiterte. 

Das Maß war aller großer Zeiten herrlichster Besitz. 
Daß es der unseren fehlt, drückt die Ebene unserer 
Kultur, deren Vielartig^it das Auge trügt, weit unter 
das Niveau vergangener Epochen. Die Sehnsucht nach 
dem Maß ist unserer Zeit edelste Leidenschaft. Sie 
lebt in allen großen Menschen, und was in der Kunst 
auf den Rang des Genies seit hundert Jahren Anspruch 
hat, wird von ihr getragen. Ihr entsprang, was wir 
an der modernen Kunst schätzen : der Willen, der die 
Natur durchdringt, die Kühnheit, unser endliches Wesen 
der Unendlichkeit entg^genzustemmen und aus der Flut 
der Erscheinungen das ewig Bleibende zu erkennen. 

Nicht Fleiß, sondern Maß ! Es ist nicht gleichgültig, 
ob dasselbe Ziel auf zehn Umwegen oder auf dem ge- 
raden WeQ-e erstrebt wird. Genie bt die kürzeste 
Verbindung zwischen Aufgabe und Lösung. Der Meister 
des Wortes, der mit einem Satze deutlich macht, wozu 



226 



GENIE XJÜD FLEISS 



ein anderer stundenlange Reden braucht, nimmt uns 
st'fker gefangen. Der andere mag wirklich am letzten 
Ende denselben Umfang der Vorstellung erzielen ; was 
einer kompilierenden Erkenntnis dasselbe scheint, wird im 
Ästhetischen infolge der Verschiedenheit der Formen zu 
zwd ganz yerschiedenen Werten, von denen der eine wirkt, 
der andere nicht. Dieser steht jedem Menschen offen, 
jener nur dem Genie. Jeder denkende Mensch kann 
einen Natureindruck oder irgend eine andere Tatsache 
der Wirklichkeit schlecht und recht in Worte fassen. 
Aber wird nicht damit wirken. Er erlebt, daß sich der 
Impuls, der ihn sprechen oder schreiben Hefi, zwischen 
den Worten verflüchtigt, daß schließlich alle die müh- 
selig erhaschten Worte, auch wenn es tausende sind, 
immer noch durch dies und jenes ergänzt werden können, 
ergänzt werden müssen, wenn er pflichttreu sein will. 
£r teilt nicht, umgrenzt nicht, richtet nicht das Gesagte 
und bringt so den Hörer um die Möglichkeit, geordnet 
aufzunehmen. Der Impuls dagegen, der ihn zur Äuße- 
rung trieb, war durchaus einfach und einheitlich. Er 
empfand ihn auf einmal, in einem sofort zu überblicken- 
den Felde. Greifbar deutlich stand der Mittag im Garten 
vor seinen Augen, als er inmitten der Sonnenglut plötz- 
lich das stille Plätzchen unter den Bäumen, die Kühle 
der Wege entdeckte. Er sah nicht das Grün und die 
Wege und das Haus, nicht das Licht und das Dunkel, 
sondern alles zusammen. Es bedurfte nicht seiner Tätigkeit, 
um das Einzelne 7nm Ganzen zu tun, das Einzelne war 
von selbst da im Ganzen. Versuche mal einer mit vielen 
Worten zu berichten, was sich da alles in der Sonne und 
im Schatten rcet. Erzähle einer das Lebende in den 
menschenleeren inleriears, oder das Baumhafte, Blätter- 
hafte, Waldhafte in der nächtlichen Landschaft, in der 
man keinen Baum, kein Blatt, keinen Wald sieht. Das 
Kosmische der Natur wird ihm immer versagt bleiben. 



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DAS UNKLASSISCH£ MENZELS 



9AJ 



Statt der Enge der Darstellung, auf die sich der 
Fleiß des späteren Menzel richtete, fanden wir in den 
gelungenen Werken seiner Jugend Kompositionen. Wir 
zeigten die ganz bewußte Konstruktion der Farben 
und wie sich daraus das Netz der Töne ergab. Da- 
neben eine Fleckenkomposition, eine durch den Pinsel 
gegebene Behandlung des Gegenstandes, die von den 
mannigfachen, dem Auge in der Natur dargebotenen 
Venchiedenheiten der Materie nur die geeigneten, im 
idealen Sehwinkel des Bildes gelegenen, festhält. Menaiel 
verachtete später diese Werke, weil sie nichts von seinem 
Fleiße verrieten, weU sie ihm angeflogen waren, und 
gab sich ans Kompilieren. Eine Utopie des Fleißes. Er 
zeichnete die Dinge so^ wie sie erscheinen, wenn man sie 
in die Hand nimmt, und so zeichnete oder nulte er 
Dmge, die ach nicht in die Hand nehmen lassen. Er er- 
reichte damit Überraschungen, Anomalien des Schauens, 
und es entging ihm just die Norm aus den Dingen. Er 
malte den „Markt von Verona<% wie er seinen nackten FuB 
malte. Schon der „Fuß***) wirkt unförmlich, ohne daß 
man den Grund nennen könnte, trotz aller Richtigkeit. 
Das Unsympathische des Gegenstandes hat nichts damit 
zu tun. Es gibt ein Bild von Ingres mit genau dem- 
selben Motiv, auch nur ein nackter Fuß, das man 
immer mit größtem Wohlgefallen betrachtet. Warum 
soll einer nicht seinen Fuß porträtieren wie Rembrandt 
sein Antlitz. Aber eben das Porträthafte fehlt dem 
Menzelschen Fuße. Er ist mit Fleiß gesehen, nicht 
mit dem umfassenden Blick des Bildnismalers. Er wirkt 
zudringlich, unruhig. Wenn es anginge, möchte man 
das Störende eine mikroskopische Vergrößerung nennen. 

In Wirklichkeit läuft solch eindringUcher Fleiß auf 
eine mangelhafte Fundamentierung der Anstrengung 
hinaus. Menzel festigt die Dinge nicht durch kon- 

^\ Satnin ii i Tip Ottder. DüMflIdorf. • 



GENIE UND f LEISS 



struktive Momente, sondern verdichtet sie, wo und wie 
er sie findet. Kunst ist das Gegenteil, das Abstecken 
der Erscheinung, die Ordnung, die ent<^tchi, indem ich 
in das Willi^uiiiclie iesic Flalilc pllanze und von diesen 
aus Relationen messe. So, sahen wir, macht es das Kind, 
das, sehnsüchtig die Welt zu durchschauen, mit zitternder 
Hand die Linien des Rahmens zdchnet; Grenzlinien, 
innerhalb deren sich sein Einfall, seine Phantasie vor dem 
Fallen schützt. So macht es jeder große Künstler, und 
seine Eigenart liegt in dem Reichtum, den er durch, 
die AbttiBckung gewinnt. So macht es jeder Mensch 
in jedem Beruf, indem er seine Gaben organisiert. 
Menzel nicht so. Er hält das Stück Natur, das nur 
durch den Zusammenhang mit dem Kosmos nicht will- 
kürlich wirkt, an sich für geeignet, die Ordnung des BiMes 
zu geben; umgrenzt also nicht die BÜdfläche und be- 
zieht alles weitere auf die unverrückbaren Grenzen, 
sondern nimmt für jede Einzelheit einen neuen Stand- 
punkt, nicht um zu seinem Bilde, scmdem um zum 
Modell zu kommen. Er bleibt, wenn er die Masse 
schildert, nicht an einem Fixpunkt stehen und nimmt 
von hier aus das Ganze in allen Teilen auf; sondern 
nähert sich jeder Person, studiert de, plaudert mit ihr 
und läßt sie dann stehen, wo sie steht, um mit der näch- 
sten die gleiche, aussichtslose Unterhaltung zu beginnen. 

Sein Fleiß ist Sucht des Menschen, deim Künstler 
unfruchtbare Neuigkeiten zuzutragen. Ungefähr das 
Gegenteil von Genie. Denn dazu bedarf es nicht der 
göttlichen Gabe, das Ding in die Hand zu nehmen, 
bevor man es malt. Mit dem Genie ist das Divina- 
torische unumgänglich verbunden. Geniales Schlußver- 
mögen hebt da an, wo gewöhnliche Sterbliche letzte 
Tatsachen oder unteilbare Realitäten erblicken, mit denen 
sie nichts anfangen können. Der spätere Menzel malte 
mehr oder wemger virtuos wie ein gewöhnlicher Sterb- 



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DAS UNKLASSISCHE MENZELS 



229 



licher, wie es jeder Mensch mit großem Fleiße unge- 
fähr lernen kann. Was darüber hinaus geht, ist die 
Seltenheit des Fleißes, die Ausdauer, nicht die Sphäre 
der Betätigung. Die Arbeit des Genies entbehrt behag- 
licher Stetigkeit, aber die Strapaze ist schön wie die 
letzten Sätze eines siegenden Vollbluts, dem die brutalen 
Hiebe des Jockeis nur die WoUust stacheln. Der Gaul 
vergißt dann, daß er etwas Ungeheuerliches leistet, fiUiIi; 
weder sich noch den Reiter, brennt nur auf Schnellig- 
keit und wird fast ein höheres Wesen. Nur die aufs 
höchste gesteigerte Konzentration des Menschen, viel- 
mehr das Aufhören des Menschlichen, das Geistwerden, 
wenn das Ich m lautloser Schwingung über der Aufgabe 
tanzt und zittert, ist der Schöpfungsfleiß des G^es. 

Nun meine ich, ließe sich leicht eine Hypothese 
durchfahren, daß der fleißige Menzel in WirUichkeit 
des Fleißes mangelte und daß der junge, dem man 
nichts von Fleiß anmerkt, dem anderen gerade darin 
überlegen war. Will man nämlich mit einem Trug- 
schluß die Existenz des Fleißes jenseits vom Genie 
anerkennen, so wird man notgedrungen die Meinung 
Michelangelos teilen müssen, als er zu Francesco de 
HoUanda sagte, daß der größte Eifer, das größte Stu- 
dium, die größte Arbeit des Künstlers „im Schweiße 
seines Antlitzes" dahin gehen müsse, den Anschein zu 
erwecken, als wäre alles schnell, fast ohne Anstrengung, 
ja mit der größten Leichtigkeit hingeworfen. Diese 
Weisheit hat nicht den Wunsch, das Pfund des Künst- 
lers zu verstecken, sondern entspringt der Einsicht, daß 
nur auf solche Art gelingen kann, es sichtbar zu machen. 
Denn was uns an großen Kunstwerken so selbstverständ- 
lich und leicht erscheint, ist nichts anderes als der ge- 
lungene, das Fleisch in Geist verwandelnde Rhythmus. 

Menzels Neugier macht die Erscheinung so materiell 
wie möglich, d.h. sie unterbricht die Konzeption des 



GENIE UND FLEISS 



Künstlers in dem entscheidenden Moment. Zerstört, 
weil Menrel nicht die Faulheit besaß, zu warten, 
oder — nicht den Fleiß, das Ende auszudenken. Sein 
Fleiß ist der Materialismus unserer Epoche. Man hat 
ihn einen Realisten genannt und seinen Wert mit dem 
Nachweis seiner Liebe zur Natur begründet. Der 
Umfang seines Werkes ist so groß, daß man es zur 
Basis einer Kunstanschauung machen zu können glaubte, 
die sich als Pendant einer anderen, des Idealismus, 
herausstellt. Ein Ammenmärchen, das dem Einteilungs- 
bedürfnisse unserer Kunstdoktoren entgegenkam. Es gibt 
so wenig einen Gegensatz zwischen Idealismus und Realis- 
mus, wie es den zwischen Genie und Fleiß oder den 
zwischen Körper und Seele m der Kunit gibt. Diese 
Rubrizierung gehört wie alle anderen, die man in Deutsch- 
land in den letzten dreißig Jahren aufgestellt hat, in das 
Gebiet der traurigen Anschauung vom Interesse am 
Gegenstande, das Kant ab den Verderber des Geschmacks- 
urtäs — er hätte sagen können, jeden Urteils — erkannte. 
Alle Kunst ist Idealismus, ist Seele, und alle Kunst ist 
Realismus, ist Fleisch. Von allen guten Bildern Menzels 
kann man beides sagen, und daß man sich nicht getraut, 
die auBerordentlich große Mehrzahl der anderen schlecht 
zu nennen, rührt von dem Irrtum her, der über der 
Vielheit der Werke eines Mannes die Isoliertheit seines 
Fseudo-Ideals übersieht. Man schafft, sobald es nottut, 
einen neuen Persönlichkeitsbegriff, und akzeptiert den 
schlechten Menzel als den einzig wahren, weil er deutscher 
als der andere erscheint. Und in der Tat, der Teil des 
Werkes, dessen Höhekunst hier erläutert wurde, zeigt 
nicht die typischen Eigenschaften des deutschen Malers. 
Wir finden wenig bei uns in der ersten Hälfte des 19. Jahr- 
hunderts, das sich mit dem „Balkonzimmer*^ und dem 
„Gymnase" in geistige Verbindung bringen ließe. Der 
andere Teil des Werkes aber schUeßt sich sehr vielen 



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DAS ÜNKLASSISCHE MENZELS 



deutschen Werken an. Er erweist alle Schwächen, die 
uns in vielerlei Form seit hundert Jahren gefährden. 

Was Menzel mit seinen Landsleuten teUt, ist das Un- 
klasaasche. Ich meine das nicht im Sinne der Antike. 
Wir haben den Beweis in großartigen Meisterwerken 
vieler Volker vor Augen, daß man zum Schonen auf 
anderem Wege gelangen kann als Phidias und seine große 
2^it ; wir wissen, daß wir dahin auf anderem Wege gelangen 
mußten. Aus unseren Breiten kam das Neue. Die erste 
Kunst des Nordens war ernst, nachdenldich, mystisch und 
erschreckend bis zum Grotesken. Das Christentum zog 
in die reine Stirn des schönen Menschen des Leidens und 
der Inbrunst tiefe Furchen. Man schätzte die Schönheit 
gering und achtete die Gesinnung, die Tugend, den 
Kampf nicht des Kampfes, sondern des Einsatzes willen. 
Die christliche Malerei war roher Zweck, solange der Ge- 
danke der Kirche ungebrochen herrschte, und nur die 
Architektur gab ihr eine Zuflucht vor der Willkür der 
Besteller. Erst als sich diese Macht lockerte, begann die 
neue Kunst zu leben und rieb sich an dem Materialismus, 
der sio hatte entstehen lassen. Während ihrer ganzen 
Laufbahn sucht sie immer mehr vom Zwecke zu genesen 
und zu der reinen Abstraktion zu werden, die einst in 
denTn i^en des Griechentums diePkstik erheUte. Wir haben 
auf diesem Wege eine neue Schönheit erhalten, für die Rem- 
brandt so viel bedeutet wie Phidias für die alte, und 
sind, klüger als die Nachfolger des großen Hellenen, nach 
dem Siege nicht hinabgestiegen, sondern haben unab- 
lässig, auf vielerlei Art versucht, die Art der Schönheit, 
die in Zeiten Rembrandts ^roß war, zu vermehren. Was 
diesen Eroberungszuü stark machte, war die Einkehr in 
die Natur; was ihn immer wieder störte, war die Er- 
innerung an die materielle Ilcrkunit und an den erlauchten 
Gegensatz, die Antike. Es scheint, daß nur die Fran- 
zosen Italien fortzusetzen vermochten, ohne Epigonen zu 



GENIE UND FIEISS 



werden. Sie haben heute noch antike Künstler, denen 
Foussin den Weg nach Griechenland erschließt. Sie 
wissen natürlich zu sein, ohne die Grenzen der Natur 
zu übersehen, und lieben die Antike wie eine heimatliche 
Melodie. Aber ist das wirklich ererbtes Vorrecht ihrer 
Rasse? Unser Selbstbewußtsein, wenn nicht unsere Logikf 
sollte sich gegen den faulen Aberglauben, der uns die 
edelsten Fähigkeiten endgültig abspricht, empören. Auch 
die Gestaltungsart unserer Nachbarn hat sich längst von 
dem nördlichen Element, das sich geo-en die Antike er- 
hob, durchtränkt. Unsere Ahnen bringen drüben die 
Enkel hervor. Holbcin, Rubens, Hals leben in Ingres, 
Delacroix und Courbet weiter. Rembrandt, der keinem 
von uns zu geben vermochte, ist enger mit der fran- 
zösischen Kunst verwoben als Poussin. Schon die Reihe 
von Corot bis Bonnard erweist seinen Segen, und hundert 
andere werden sie fortsetzen. Und hätten wohl die 
Alten selbst jemals den Weg jenseits der Antike ge- 
funden, wenn ihre Kunst nicht fähig gewesen wäre, im 
selben Geiste klassisch zu werden! — Nicht unwandel- 
baren \ orrechten ergibt sich der Menschen höchste Tat. 
Freigut ist sie, jedem Volke erreichbar, und nur den 
Unglücklichen versagt, die nicht vermögen, den Staub 
von ihren Füßen zu schütteln. Nicht weil sie französisch 
ist, beschämt uns die Kunst unserer Nachbarn, sondern 
wdl jenseits des Rheins höher stehende Menschen dem 
Schönen nacheilen. Durchaus geistige Künstler, klare 
Denker, denen die Form so gewohnt ist, daß sie dar- 
über keine Worte verlieren; durchaus natürliche Men- 
schen, denen die Natur zu nahe ist, ak daß sie nötig 
hätten, sie zur Losung der Reaktionen zu machen. Es gab 
niemals Naturalisten in Frankreich, die nicht gldchzeitig 
Lyriker gewesen wären, es gab keinen Lyriker ohne Natur. 
Nur deshalb überwanden ne die GejEahren des Bllassizis- 
mus, der sie nicht weniger als andere Volker bedrohte. 



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DAS UNKLASSISCHfi MENZELS 



Uns Deutschen dagegen ist der Zug über die Alpen 
fast immer verderblich, gewesen; am verderblichsten im 
19. Jahrhundert, und daraus wurde eine wahre Affen- 
angst vor der Antike. In ernsthaften Abhandlungen 
wurde davor gewarnt wie heute vor Paris. Man glaubte, 
die Nahe allein genügte schon, den Sinn zu verderben. 
Arnic Leute! Das Gift, das sie schwächte, brachten 
sie selbst nach Italien mit, denn wir finden es nicht 
weniger wirksam in vielen anderen, die zu Hause blieben. 
ComeUus und sdne Schule auf der einen Seite^ die 
Nazarener auf der anderen fanden in Italien Motive. 
Nicht das Leben des Schönen, sondern die zufällige Form, 
in die es sich für ihre beschränkten Augen Idddete, nahm 
sie gefangen. Sie naturalisierten ihre Empfindung vor 
der alten Kunst; manchmal zweifelt man, ob de über- 
haupt empfand^. Es ist derselbe Materialismus, der am 
G^enstand hängen bleibt, wie der Menzels, derselbe 
Fleiß, der das Ding mit Haut und Haaren verschlingt. 
Nur kultivierter und gleichzeitig weniger virtuos als 
Menzel, weniger penetrant. Sie malten, was sie gerne 
empfunden hätten. Form und Empfindung waren in 
Deutschland — und sind sie es nicht noch heute? — zwei 
voneinander weit entfernte Begriffe. Klassizisten, Naza- 
rener, Romantiker gruben jeder sein besonderes Feld, das 
sich sozusagen nur räumlich von den anderen unterschied. 
Sie trugen verschiedene Kostüme und hielten dieselben 
Monologe. Allen gemeinsam war eine drollige Furcht 
vor dem Trivialen. Je bescheidener die Talente, desto 
außerordentlicher die Gebärde. Auf alle, aber nur auf 
sie, pnßt Nietzsches Auffassung der Kunst als Täuschung. 
Sie machten sich etwas vor, etwas Mythologisches, etwas 
Mittelalterhches, etwas von Dichtern Geschaffenes, und 
malten es, will sagen, kopierten es getreulich. Es war 
die notwendige, rührende Täuschung eines Volkes, das 
die Malerei wie ein Mittelchen trieb, um sich vor den 



«34 



GENIE UND FLEISS 



Sorgen des Alltags zu flüchten. Unseren Großvätern 
war die Kunst nicht der natürliche Ausflufi starken Be- 
wußtseins, sondern der Schlupfwinkel sehr respektabler, 
aber künstlicher Triebe. Die Erhebung der Konsumenten 
war die Sonntagmorgen-Stimmung nach sechs Werktagen; 
eine Paraphrase des Kircbgangs für die Aufgeklärten. 
Die eiserne Not sorgte, daß das Spielzeug die Woche 
über nicht angerührt wurde. Was die Produzenten den 
Pinsel rühren ließ« war die Hoffnung, einmal der Gegen- 
stand solcher Erhebung zu werden. Maler, die anders 
dachten, die wenigen, die heute mühsam wieder ausge- 
graben werden, blieben im Winkel, und selbst diese Aus- 
nahmen zeichnen sich nicht so entscheidend von den an- 
dern ab, daß man ihnen die Fähigkeit einer Reaktion 
zutrauen möchte. Auch dem Realismus der Runge, 
Kaspar David Friedrich, Krüger und der ihnen Nahe- 
stehenden fehlte die Nahrung. Man spürt leicht, was sie 
mit ihren stärksten deutschen Antipoden gemeinsam haben. 

Auf alles das reagierte Menzel. Aber seine Reaktion war 
das Unklassische von verwegenem Umfang. Zu allen Rich- 
tungen, die vor ihm oder mit ihm waren, Klassizisten, 
Nazarener, Romantiker, die paar Realisten nicht aus- 
geschlossen, stellte er sich in schärfsten Gegensatz. Aber 
brachte nicht das von jenen zuweilen brennend Gesuchte, 
zeigte nicht, was all den von Literatur und Eklektizis- 
mus Totgefütterten abging, sondern machte die ein- 
fachere Rechnung: verzichtete auf den letzten Rest von 
höheren Zwecken. Das nennt man mit dem schönen 
Wort „Vollkraft". Wenn einer bei uns das Gesetz bricht, 
so ist er stark, und das Gesetzmäßige Unsinn. Freilich 
taten die Vorgänger und Zeitgenossen IVienzels alles, um 
den Glauben an die Satzungen zu erschüttern. Aber 
neben der Torheit ihrer Formeln blieb ein bescheidener 
Rest von Wahrheit. Der Umstand, daß sich alle zur 
ExempHfizierung ihrer Lehren der alten Meister bedienten. 



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DAS UNKLASSISCHE MENZELS 235 

die einen auf die Antike, die anderen auf die Früh- 
italiener oder auf Raffael zurückgriffen, brachte einen 
schwachen Reflex der Vorbilder mit, die selbst noch 
in der armseligen, verständnislosen Übertragung einen 
leisen Zauber behielten. Ist doch jeder Eklektizismus, 
selbst der engste, immer noch mehr wert als der ge- 
schickteste Naturalismus. Menzel aber war selbständig 
bis zum Anarchismus, moderner als irgend einer der 
Meister, deren Fortschritt die Menge befremdet. Seine 
Wedce aus der Zeit, die man ah seine Reife fdert, zeigen 
keine der vielen fruchtbaren Verbindungen mit alten 
Meistern, die wir in allen großen zeitgenössischen Künst- 
lern mitgenießen. Sie sind zeitlos im Sinne der Ent* 
Wicklungsgeschichte. Nur an ihren Fehlem merkt man, 
daB sie zu uns gehören. Denn unsere Zeit machte es 
nicht anders als Menzel. Sie rächte sich an der Vergangen- 
heit, lachte sie aus, sagte sich los von den frommen 
Hungerleidem und den hungemden Phantasten, wurde 
sachlich, dachte ans Geldverdienen, schuf sich solide 
Speise für den Magen und den kühlen Standpunkt allen 
Kleinigkeiten gegenüber, wurde nüchtern und fleißig und 
im weitesten Umfange deutlich, frei von aller über- 
flüssigen Bescheidenheit, wurde norddeutsch — Berlin, 
Hier erwuchs Menzel das Gift, das sich seine Vor- 
gänger in der Antike holten. Er ertrank in der 
Zeit, die er darstellte. Menzel vergaß sich, wie sich 
hundert andere Künstler, wie sich der ganze Genius des 
Volkes im Strudel des geschwinden Fortschrittes vergaß. 
Sich, das heißt den Funken Göttlichkeit, der in ihm 
war; die Lust, über das Gemeine zu herrschen, die 
Würde. Die Vorgänger hatten es nicht vermocht und 
sich mit gefälligen Vorspiegelungen beholfen. Das tat er 
nicht. Er hat sich unerbittlich nicht schöner machen 
\\'ollcn. als ihm zu sein gcfich und war aufrichtirr zu 
semer Mitwelt, was nicht alle vom Wege Abgetriebenen 



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^ GENIE UND FLEISS 



der deutschen Kirnst von sich sagen können. Ob er 
auch aufrichtig zu sich selbst war, werden wir unter- 
suchen. Er war mit flaß ehrlich; wir sehen» was er 
darunter verstand. Aber war auch über den Willen 
hinaus ehrlich, traf damit mehr als seine hundert Frag- 
mente. Versehentlich traf er damit uns, sdne Zeit- 
genossen. \^ haben keinen zweiten Landsmann im 
neunzehnten Jahrhundert, der unseren Schwächen gleich 
energisch die Maske vom Gesichte riß. Ohne zu wollen, 
sine ira, das ist die Ironie dieser Begebenheit; mit Sach- 
lichkeit und Photographentreue und mit der denkbar 
friedlichsten Gesinnung. Nur dem rückblickenden Be- 
trachter erscheint Menzel zuletzt als Geißel der Zeit. 
Die Folie, die er von sich selbst gab, spiegelt uns wider. 



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MENZELS STELLUNG ZUR GEGENWART 



BIE sagt richtig: „Solange in Preußen nichts pas- 
sierte, malte Menzel historisch. Als etwas anüng zu 
passieren, hörte er mit der Geschichte auf und wurde 
Genremensch ^)." Warum wohl? In der Antwort dürfte 
einer der Schlüssel des Menzelproblems zu finden sein. 

Wohl war die Zeit für einen Geschichtschreiber, der 
zu malen wußte, laut genug. Er brauchte deshalb kein 
Historienmaler zu sein, sondern so zu verfahren, wie die 
Venezianer und die Hollander» wie Watteau und die an- 
deren ihre 2^it malten, indem ne sie besangen; wie 
Callot, Hogarth, Daumier die ihrige gaben, indem sie 
sie yerspotteten. Der Menzel, der den Kugler 
illustriert hatte, schien dafür der geeignete Mann. Er 
machte alle Phasen der neuen deutschen Geschichte in 
nächster Nähe mit. Der Sinn des lüstorikers, den er 
in seiner Friderizianischen Periode gezeigt hatte, war 
keineswegs nur an diese Zeit gebunden, wenigstens kann 
man sich das bei einem so lebhaften Geiste nicht vor- 
stellen. Nicht mal das rein Sto£Eliche der welterschüttem- 
den Ereignisse rdzte ihn. Der Menzel, der sich sicher 
nicht ohne Mühe zum Schlachtenzeichner Friedrichs ge- 
macht hatte, fand in den ruhmreichen Kriegen Wil- 
helms I,, trotzdem er dem KriegsschauplatÄ nicht fern 
blieb, wenig mehr als ein paar Uniformstücke und For- 
traits der Beachtung wert. Auf einer Zeichnung nach 
Bismarck aus 1866 figurieren ein paar mit reichlich der- 
selben Liebe gemachte Reiterstiefel. Kein Schlachten- 
gemälde, kein irgendwie umfassender Abriß aus dem 
Kriegsleben, nichts von der aufregenden Tätigkeit des 
Soldaten, der wie bekannt Menzels Lieblingsmotiy war. 
Diese Eigentümlichkeit hat Menzel mit Krüger ge- 
mein. £r war, wie dieser, ein durchaus bürgerlicher 
^) Nene Rundscban (S. Kadier), Mai 1905. 



238 



G£NI£ UND FLEISS 



Kunstler, für den der Soldat mit zum Mobiliar des 
Lebens gehörte, oline daß man sich darüber viele Ge- 
danken machte. Französische Soldatenbilder der Napo- 
leonischen Zeit haben immer etwas durchaus Kriege- 
risches, selbst wenn sie nur Portraits sein sollen. Man 
denke an Gros, G^cault usw. In allen ihren Histo- 
rien höchst verschiedenen Grades ist etwas von der Art 
lebendig» in der Tmaai den Giovanni delle Bande Nere 
malte. Wenn die großen Schlachtenmaler des 17. Jahr- 
hunderts Gefechte schildern, spricht ein über dem 
Sachlichen schwebender Elan zu uns. Wir kennen 
nicht mehr den genauen Hergang der Klampfe eines 
Salvator Rosa oder der Courtois, aber der Furor ihrer 
Silder reißt uns mit. Diese Maler waren in einem 
Umfang bei der Sache, daß man glaubt, sie hatten mit 
dem Pinsel gekämpft. Es wäre töricht, sie lediglich 
Spezialisten zu nennen. Delacroix war es so wenig wie 
möglich, und doch gab er das bekannte Barrikadenbild 
von 1830. Solche Schlachtenmaler sterben heute aus, 
sowohl in Frankreich, als auch anderswo, und das 
hat seine guten Gründe. Die Individualitat sträubt 
sich immer mehr vor der Gemeinsamkeit einer großen 
Sache. Sie durchschaut sie, findet darin keine un- 
bedingt lohnende Materie oder vielleicht gerade nur ein 
lohnendes Motiv; und selbst wenn sie ihr alle denk- 
baren Interessen des Menschen entgegenbringt, identi- 
fiziert sie sich trotzdem nicht mehr so vollkommen mit 
ihr, wie das in alten Zeiten, ja noch vor gar nicht so 
langer Zeit der Fall war. Ihre Objektivität verhindert 
paradoxerweise das erschöpfende Objektivieren des Gegen- 
standes, das nur aus der hellsten Begeisterung geimgt. 

Krüger und Menzel, beides Soldatenmaler, die den 
Krieger aus der bewegtesten Zeit unserer Geschichte ver- 
ewigten, sind Künstler des Friedens. In Krüger kommt ein 
Niederschlag der humanistischen Förderung unserer Kias- 



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MENZELS STiEXLUNG ZUR GEGENWART 



«39 



siker zum VorscKein, die früher als Frankreich für die 
Segnungen des Friedens eintraten und die Brechung des 
naiven Patriotismus, wie er bis 1870 in Frankreich be- 
stand, anbahnten. In Menzel, den dieser Niederschlag 
kaum noch traf, spricht der normale Egoismus der Zeit 
und — ■ die Kehrseite dieser Entgeisteruiig, vor der 
Krüger bewahrt blieb. Beider Grundwesen ist Behag- 
lichkeit. Krügers große militärische Aufzüge im Peters- 
burger Winterpalais und im Berliner Hohenzollernmuseum 
sehen wie bürgerlidie Idyllen aus, und wer Menzels Le- 
benswerk durchblättert, könnte vermuten » daB er in 
der friedlichsten Zeit der Welt lebte. Typische deutsche 
Eigenschaften prägen sich darin aus, S^rlu und Schwäche. 
Sdiwäche, weil der von so vielen Siegen geschwellte 
Enthusiasmus nicht ausreichte^ eine würdige künstlerische 
Form zu finden; Stärke, weil das falsche Pathos unterblieb 
und der Erfolg der Waffen nicht das Gleichgewicht des 
Bürgers störte. Das Bürgertum Menzels entfernt sich, je 
älter er wird, immer weiter von der stillen Behaglichkeit 
Krügers und verkehrt in Nachteile, was den andern aus- 
zeichnet. Er ist nicht still wie Krüger, hat nicht mehr 
den Zauber der Genügsamkeit, die Krügers Bildchen in 
der Nationalgaleiie entstehen ließ, nicht die Delikatesse 
der Empfindung. Man fühlt in ihm die Klasse, die 
langsam in Deutschland zur herrschenden wird: das Bür- 
gerHche, das nicht mehr zufrieden stille Kreise spinnt, 
nach innen gewandt, mit schlichtem Anstand auf noble 
Gesinnung gerichtet, wie man zu Krügers Zeiten dachte. 
Es wird plump und unrein, unbürgerlich, sowie man un- 
adelig sagen könnte und bläht sich zu einem Allerwelts- 
gefühl minimen Geistes auf. Der Kleinstädter wird 
Großstädter. Keiner malte unbewußt besser das Wachs- 
tum Berlins, der Stadt, die irniner ausgedehnter, kom- 
pHzicrter, geräuschvoller wird, ohne je groß zu werden; 
wo man alles und niclits findet,, und alles bei aller 



«40 



GENIE UND FLEISS 



Sachlichkeit und Ordnung ein klein wenig lächerlich 
wirkt. Das Berlin Krugers war kindlich. Man sieht 
es noch in dem frühen Menzel, sowohl in seinen 
Bildchen, wie in den Briefen an Puhlmann. Es steckt 
nicht sehr viel dahinter, nicht das Berlin Schadows; man 
vermiBt den Emst übNeiraschender Resonanzen, es ist 
Spielensch, aber gemütlich nnd nett. Das Berlin Menzels 
ist ein groteskes Kind, ungezogen, sehr vorlaat, ohne 
eine Spur ron Erinnerung an die j^atc Kinderstabe, nnd 
trotz aller Ansgewachsenheit über die MaBen kindisch. 

Die Beziehung zu dem typischen Charakter des neuen 
Deutschlands, findet sich in gleicher Prägnanz in keinem 
anderen unserer Künstler. In der bildenden Kunst schon 
gar nicht; hier treibt der Deutsche eher von seiner Zeit 
weg, als dafi er sich zu eng mit ihr «anlaßt, gleichsam als 
glaube er, so der Anstedning zu entgehen. Dagegen 
haben wir entfernt verwandte Erscheinungen in der 
gleichzeitigen Literatur. Etwas von Lotze steckt in 
Menzel, von dem Autor des Mikrokosmos. Beide 
gleichen sich von weitem, in der billigen Skepsis und 
im nüchternen Optimismus. Nur muß man bei Menzel 
alles bewußt Philosophische weglassen. Niemand war 
weiter als er von Hebbels Auffassung der Kunst als reali- 
sierter Philosophie entfernt. In den Fehler fiel er nicht, 
fast möchte man sagen, leider. Er hatte die Philosophie 
des Philisters, der auf jedes Ding einen Vers findet, 
alles aufnimmt, alles wieder von sich gibt, sich über 
alles und nichts wundert, alles und nichts erlebt. Kein 
„götthcher Philister" nach dem Worte, das Riehl iui 
Otto Ludwig fand; aber Ludwigs Wahlspruch, „des 
Herzens wahrer Himmel ist die Enge", hätte mit 
geringer Änderung der Worte anch der seine sein 
können. In Ludwig, Freytag und Fontane steckt etwas 
Menzelsches zwischen den Zeilen, scheinbar am meisten 
in Fontane, seinem aufrichtigen Bewunderer. Menzel 



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MENZELS STELLUNG ZUR GEGENWART 241 



hat dieselbe Vorliebe für das Detail und liebt ebenso 
das Militär. Wie Fontane steht ihm der Mensch über 
allem anderen, und im Menschen liebt er die Sprache. 
Den Meister des Dialogs lockte zuweilen die Lust am 
charakteristischen Wort auf Abwege. Nichts anderes, 
als die unbezwingliche Sucht, seine Menschen plaudern 
zu lassen, hat Menzel — freilich um wieviel weiter — 
vom Pfade seiner Kunst entfernt. Nur eins hat Menzel 
nicht mit Fontane gemein, und überlegt man sich»s 
gründlich, so findet man darin just alles, was uns den 
Dichter lieben läßt und ihm alle kleinen Schwächen ver- 
zeiht. Es ist das Weitere, das man bei Fontane hinter 
dem Worte spürt und das ihm die Kraft gibt, über 
die kleine kluge Frage und Antwort hinaus, weiter zu 
wirken. Das machte ihn zu dem ringenden Menschen, mit 
dem er selbst nie zufrieden war, und Heß ihn handeln. 
Sein Humor oder seine Melancholie, das Menschliche, 
das er mit seinen Dingen zu verbinden wußte und 
das über das Sachliche hinweg ins Freie führt, da wo 
Menzel, der ewig Sachliche, nicht mehr hinfand. Atmo- 
sphäre hatte Fontane. Eine sehr zarte, nicht immer ganz 
erquickende, aber stet:? wirksame Atmospliarc. Man 
spurt ihn, wie man jeden iVlenschen im Kunstwerk spuren 
muß. Ich meine nicht, daß man nicht auch Menzel 
merkte. Er ist von viel stärkerem Kaliber als Fontane, wirlct 
massiv neben ihm und spiegelt sich in allen seinen Sachen 
unTowischbar. Aber dieses nur gespiegelte, nicKt wirkende 
Menschliche ist nicht der Od^^ der in der Kunst die 
ideale Atmosphäre gibt. Es steckt in vielen Leuten, 
die der gedankenlose Sprachgebrauch originell nennt, 
ohne daß sie mit Recht zur Kunst, die aus dem Mensch- 
lichen zu zaubern vermag, gerechnet werden könnten. 

Menzel hatte keinen Humor — das viräre kein Mangel — 
aber er hatte nicht den Ersatzwert des Humors, das, was 
jeder Mensch äufiem mufi, sei es heiter oder anders, um 



GENIE UND FLEISS 



seiner Form eine plastische Hülle zu geben. Was Schlegel 
meinte, wenn er das Romantische als Gattung aussciiied 
und verlangte, jede Poesie müsse romantisch sein; oder 
was Jean Paul meinte, wenn er jede Dichtung humo- 
ristisch wollte. Menzel hatte ein Zwischending, das 
wir Sinn für Komik nennen können. Damit soll nicht 
das Komkche gewisser ^tuationeii seiner Bilder be- 
zeichnet werden, sondern wie er dieser Komik gegen- 
übersteht, und die Differenz zwischen seiner Stellung und 
der unseren zu derselben Situation. Er gab Dinge, die 
sdber nicht wert waren, nicht weil man nicht lächerliche 
oder banale Dinge malen dürfte — tausend Beispiele 
widerstreiten — sondern weil er uch nicht von ihnen 
loszumachen wußte, in ihnen drin, statt über ihnen blieb, 
daher von ihrer Art annahm und selbst komisch wurde. 
Aristoteles nannte das Komische das „Unsdiädliche'S und 
die vage Definition kommt hier zum Recht, sobald wir 
das bei Menzel Entbehrte als das der künstlerischen 
Wirkung Mangelnde erkennen. Menzels Kunst — ich 
meine hier immer die Masse, nicht die Ausnahmen der 
Jugend — ist unschädlich, d. h. sie durchbohrt nicht 
unsere Physis bis zu unserer Seele, reißt nur an epider- 
malen Empfindungen, weil sie selbst aus keiner Durch- 
dringung der Erscheinung, sondern nur im wesentlichen 
von einer Aufnahmetätigkeit herrührt, die im besten 
Fall färbt, nicht dichtet. Diese Tätigkeit betrieb er mit 
Fleiß. Seine nie rastende Energie diente dazu, das „Ko- 
mische" immer deutlicher zu machen. In gleichem Um- 
fang dürfte dieselbe Anomalie nicht wieder vorkommen; 
Menzel ist fast genial in der Art, sein Genie /.u unter- 
drücken. Sieht man aber von dem Extrem ab und 
nimmt Abstand, so findet man wohl die Verbindung der 
scheinbar isolierten Erscheinung mit gewissen Grund- 
eigentümlichkeiten der deutschen Kunst. Auch viele 
andere Künstler unseres Landes, die sich schrankenloser 



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MENZELS STELLUNG ZUR GEGENWART 14$ 



Beliebtheit erfreaen, erweisen sich im selben Sinne unschäd- 
lich. Menzel ist nur das reidiste und auffallendste BeispieL 
Dieselbe Unschädlichkeit hat zu einem noch sichtbareren 
zweiten Extrem getrieben, das man in der Regel als 
stärksten Gegensatz zu Menzel hinstellt. Es erscheint 
ebenso isoliert und ist ebenfalls nur die Übertreibung 
einer längst vor ihm vorhandenen Eigentümlichkeit. Diese 
Verwandtschaft enthält zuviel aufklärende Hinweise, 
da0 wir, ohne zu überlegen» daran vorübergehen dürften. 

Der gewolmtc Weg der deutschen Kunst ist, im Ge- 
danken zu ertrinken. Der Maler abstrahiert von der 
Kunst um des Glaubensbekenntnisses des Menschen 
willen. Mit diesem Opfer bezahlt die bildende Kunst 
Deutschlands den gewaltigen Siegeslauf der deutschen 
Literatur im 19. Jahrhundert. Man braucht kaum die 
Bedeutung unserer DicJiter seit hundert Jahren mit der 
unserer Maler und Bildhauer zu messen. Das Verhältnis 
der Leistungen zueinander spottet jedes Vergleichs. Der 
Laie empfindet auch ohne die Kenntnis dieser Tat- 
sache das Überwiegende der Dichtung. Selbst der ganz 
Ungebildete, der nie ein Bild betrachtet, hat einen ge- 
wissen, sehr beschränkten Han^ zum Theater und Roman, 
sogar zum Gedicht. Das heißt, die Übung des deutschen 
Geistes vülUieht sich auf einem Gebiete, das sehr viel der 
Musik, sehr wenig den bildenden Künsten abgibt. Das ist 
bis zum gewissen Grade in sehr vielen Ländern so; die Lite- 
ratur hat überall das längste Leben. Der Grad aber ist bei 
uns am stärksten. Und zwar nicht nur, weil es bei uns 
weniger gute Maler als gute Dichter gibt, sondern weil 
die Maler als Diener der Dichter erscheinen. Die bildende 
Kunst verliert die natürliche Selbständigkeit und tritt 
als Filiale der Poesie auf. Dichter machten alles bei 
uns. Sie waren nicht nur glänzende Repräsentanten ihres 



«44 



GENIE UND FLEISS 



Berufs, sondern tummelten sich auf allen Gebieten des 
Geistes. Wir finden sie als Gelehrte, als Politiker, als 
Philosophen, als Ästhetiker. Nichts prägt so deutlich 
die Eigenart der Situation, als daß wir ausschließlich 
unseren Dichtern bedeutende und spezifische Werke über 
die Kunst verdanken. Nicht nur die geistreichsten Irr- 
tümer der praktischen Ästhetik stammen von ihnen, auch 
das Richtigste, was je bei uns über Kunst gesagt wurde. Die 
Übung war so außerordentlich, daß, obwohl im wesent- 
lichen immer nur mit der Poesie, dem schwierigsten und 
gefährlichsten Material, demonstriert wurde, Erkenntnisse 
von so reiner Abstraktion gelangen, daß das für die Poesie 
Gefundene als detaillierte Maßregel für die bildende 
Kunst genommen werden kann. Man würde niclit schlecht 
erstaunen, käme heute einer auf die Idee, Jean Pauls 
Ästhetik ins Moderne und auf die Malerei zu übertragen. 
Die primitiven Irrtümer, die heute den Kampf der 
Meinungen aufhaken, find dcrt mit dem kleinen Finger er- 
ledigt. Nur kam schon damals niemand auf diesen Einfall, 
genau wie heute der Literaturverständige, der im Dicht- 
werk mit Sicherheit die Fehler in Nuancen herausfühlt 
und dafür gutkritische Gründe anzugeben weiß, niclit im 
entferntesten daran denkt» dieselbe Reflexion gegen seine 
verbohrte Meinung von der bildenden Kunst auszuspielen» 
Daneben brachte der literarische Ursprung der Ästhetik 
die bekannten Sünden in die Anschauung der Malerei» die 
noch heute halten, und schon dieser Ursprung genügte 
dem Laien, das Richtige falsch, den Irrtum noch falscher 
auszulegen. Der infolge seiner Enge verkehrte Schluß 
überzeugte mit seiner leicht leserlichen Kürze die Menge. 
Das Richtige dagegen war nie deutlich, einmal schon in- 
folge der Vorliebe der Zeit zu eleganter Formulierung, 
indem man ein Wort für das andere setzte, wobei so all* 
gemeine Wahrheiten entstanden, dafi schließlich alles Kon- 
krete durch die Maschen ging; dann, weil dem Autor und 



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MENZELS STELLUNG ZUR GEGENWART 245 



dem Leser das Beispiel außerhalb der Poesie fehlte, an 
dem man dieErfahrung verdeutlichen und vertiefen konnte. 
Der einseitige Hinblidc auf die Literatur brachte selbst die 
richtigste Erkenntnis inGefohr, mißverstanden zn werden. 
Die Gewohnheit, den Dichter nach seinen rein mensch- 
lichen Schicksalen zu messen, scheidet nicht die Möglichkeit 
aus» trotzdem dem Wert des Dichtwerk» gerecht zu wer- 
den, färbt aber notwendig die Betrachtung der Malerei 
und der Plastik ins Literarische. Man übertrug unbewußt 
die Bjnsicht in die leicht kenntlichen Zusammenhänge 
des Menschen und Dichters mit seinem Werk auf die 
Kunstästhetik und vergaß, daß, was in das Werk großer 
Dichter hineinzuragen scheint, immer schon Form is^ 
während das gleiche in der bildenden Kunst das Hinein- 
ragen eines kunstfremden Elementes bedeutet. Denn so 
lange hier nicht das persönliche Schicksal vollkommen von 
der Form aufgesogen wird, hat es nichts mit der Kunst zu 
tun. Vollzieht sich aber die notwendige Wandlunp^, «^o ver- 
liert der Laie nur zu oft die letzte Stütze seiner Teilnahme 
und kehrt sich vom Autor ab. Dieser literarischen Anschau- 
ung der Kunst verdanken wir die Wucherung philosophi- 
scher Suggestionen in der deutschen Malerei, die wie Un- 
kraut das Bild brdccken und sehr oft ganz zerstören. Man 
kann nicht leugnen, daß die Tendenz nicht lediglich 
kunstfeindHchen Regungen entspringt. Ihr erster Ur- 
sprung ist vielmehr ein höchst respektabler Idealismus, 
menschlich durchaus gerechtfertigt und nur dadurch zum 
Schaden verurteilt, daß ihm nicht gelingt, seinen Impuls 
von dem Allgemeinen auf das Besondere zu lenken. Er 
denkt ohne System und treibt zur Demonstration legitimer 
Empfindungen, denen nichts als die Verwendung fehlt. 

Alcnzel ist das Resultat der genau entgegengesetzten 
Anschauung. Die Phrase vom Gemüt trifft ihn nicht, 
und die Leute, die das Kunstwerk immer nur auf die 
gleiche Etikette hin untersuchen, finden in diesem Berliner 



GENIE UND FLEISS 



reiiiflten Wassers reiches Material zur Kritik ihrer Ge- 
lübde. Aber der Unterschied fördert nicht. Menzel 
unterdrückt nur die Symptome der Maler-Philosophen. 
Nicht mal alle übrigens; denn seine Genremalerei ist nur 
durch den Gegenstand von der der anderen verschieden. 
Ob man ein Coup6 mit schwitzenden Berlinern malt, 
nur xusi die vermeintliche Psychologie dieser Bourgeois zu 
erforschen, oder die Gebilde seiner Phantasie darstellt, nur 
um die Gedanken der Kinder seiner Phantasie darzutun, 
lauft auf dieselbe höhere oder niedrigere Auffassung der 
Kunst als Genremalerei hinaus. Andererseits aber ver- 
mag eine Darstellung, nur weil sie auf alle Pseudo-Psycho- 
logie verzichtet, ebenso wenig zur Kunst zu werden. Das 
Bestreben, eine Tatsache zu befestigen, weil sie existierte, 
beruht, ob diese Tatsache gesehen oder geträumt war, 
auf derselben Verwechslung der Kunst mit einer prak- 
tischen Erinnerungsstütze oder mit einem Reservoir von 
Wirklichkeiten und Symbolen, und läßt wiederum das 
Wesentliche aus dem Auge. Vertieft man sich in das 
wenig ergiebige Studium dieses Doppel-Irrtums, so findet 
man die literarische Anschauung des Maler-Philosophen 
und die unliterarische Menzels als polare Erscheinungen 
derselben Welt. Man kann verfolgen, wie sich beide zuerst 
in gemäßigten Zonen verhältnismäßig nahe waren und sich 
dann in stetig entgegengesetzter Richtung nach zwei bis 
dahin unentdeckten Polen entfernten. Die eine ging 
dabei durch das heiße Land berauschter Romantik hin- 
durch und verlor sich in das absolut Phantastische, die 
andere durchquerte kühlere Gefilde und verlor sich in 
das absolut Sachliche. Und wie ganz heiß und ganz kalt 
dieselben Phänomene ergeben, so ist auch die Wirkung 
der beiden Pole deutscher Malerei dieselbe. Sie sind 
beide nur lokal verschieden und .gleichen sich in dem 
Nichtlebensfähigen ihrer Gebilde. Die Kunst liegt 
in einer anderen Welt, in der das Phantastische einer- 



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MENZELS STELLUNG ZUR GEGENWART 347 



seits, das Sachliche andererseits in ungebundener Form 
nicht vorkommen. Man mag, um der relativen Über- 
le2:enhcit des Menzelschen l'.xtrcms über seinen Gegen- 
pol ihr Recht zu geben, das Bild derart vervollständigen, 
daß die Welt kunstmäßiger Wirkung der von Menzel 
durchquerten Globushälfte im ganzen näher bleibt als der 
anderen, so daß selbst der Menzel-Pol noch einen 
schwachen Strahl erhält, während der andere im ewigen 
Eise erfriert. Doch sind das Nuancen, die nicht viel 
zu sagen haben. Ich nannte die Gebilde nicht lebensfähig, 
das heißt unwesentlich, unschädlich, insofern als sie nicht 
vermögen, die grolie Entfernung zwischen ihnen und der 
Sphäre der Kunst zu durchstrahlen. Diese Gemeinsam- 
keit wird noch deutlicher, wenn wir das Unschädliche 
wieder durch das Komische ersetzen and ans an die 
engere Bedeutung des Begriffes halten. Bocklm er- 
kennt man dann am schärfsten. Die einzige Möglichkeit 
nämlich, seinem Extrem die Bedeutung als Kunstwert zu 
retten, könnte nnr in dem Beweis liegen, daß er im Aristo- 
telischen Sinne nicht Komiker, sondern Karikatniist sei. 
In der Unhaltbarkeit des vermeintlich Karikatnrhaften 
seiner Kunst erschöpft sich das BocUin-Problem. Dies 
habe ich an anderer Stelle untersucht. Ich deutete dort 
die Parallele mit Menzel an, indem ich auf das gemein- 
same Verhältnis der Jugendwerke zu den späteren, auf 
die falsche Stellung der Schätzung dieser gemeinsamen 
Differenz gegenüber und auf die in der sachlichen Illu- 
stration endende Tendenz beider Künstler hinwies^ Wix 
finden hier die Parallde im Abstrakten wieder. Alles 
was bei Menzel den Unterschied zwischen Genie und 
Fleiß ausmacht, entscheidet auch gegen Böcküns Wert. 
Wir zeigten das Genie Böcküns, so weit es sich nicht 
„unschädlich" erwies, und den Fleiß, soweit er nur dem 
Unschädlichen diente, nämlich den Trieb, den Einzelfall 
zu erschöpfen. Je reiner die Abstraktion, d. h. die £nt- 



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GENIE UND FLEISS 



kleidung Menzels von allem Zufälligen gelingt, desto 
deutlicher wird der Parallelismus hervortreten. Ich gehe 
auf den Vergleich der ästhetischen Anschauungen der beiden 
Künstler nicht weiter ein; der Leser wird an der Hand 
des Nachgewiesenen die Vergleichsmomente selbst zu 
finden wissen. Dagegen bin ich noch eine letzte Unter- 
suchung des Komischen in Menzel schuldig. Auch sein 
Irrtum färbt sich am deutlichsten auf unserer gesicherten 
Vorstellung von der Karikatur ab. Wir haben nur nötig, 
die iogischen Beziehungen des Menzel-Extrems zu diesem 
geläufigen Begriff zu untersuchen und dann die Gründe 
aufzudecken, die seine Stellung zur Karikatur bewirkten. 
Diese Gründe werden uns einen gewichtigen Unterschied 
zwischen Böcklm und unserem Meister sehen lassen, der sich 
nicht auf das Artistische im engeren Sinne beschränkt. 

Die Feinde Menzels nannten ihn noch in den siebziger 
Jahren einen Karikaturisten. Das hätte ein Ehrentitel 
sein können. Sie gaben ihn, weil sie sich ärgerten, daß 
er nicht wie sie hübsche Mädchen, tollkühne Generäle 
and witzige Mönche malte. Sie verstanden ihn nicht 
and hatten den großen Menzel der Vorzeit noch viel 
weniger verstanden. Menzel ärgerte sich, sagt man, über 
den Titel. Die Leute hatten unrecht. Sie sahen eine 
Übertreibung und nannten das Karikatur. Karikatur 
ist in der Tat Übertreibung, aber es ist dabei nicht 
gleichgültig, was übertrieben wird. Alle Kunst ist Ka- 
rikatur, von den Monumenten der Ägypter bis zu Forain. 
Ob man die schweigende Pracht der Figuren des Parthenon 
nimmt oder die zerklüfteten Heiligenstatuen der Gotik, 
die starren Buchstabenfiguren der Mosaiken oder van 
Eycks Adam und Eva, die schwellenden Weiber des Ru- 
bens oder Rembrandts glühenden Ernst, Ch ardin oder 
Corot, Manet oder Liebennann: allen ist die Fähigkeit 



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MENZELS STELLUNG ZUR GEGENWART 



gemeinsam, das was jeder zu sagen hatte, so kurz wie 
der Sache möglich, so stark, wie sie können, zu sagen. 
Darin Hegt schon die Beschränkung, die das scheinbar 
Willkürliche der Karikatur im Laien-Sinne ausschließt. 
Nicht die absolute Vereinfachung gibt das Resultat, son- 
dern die durch die £igenart des Gegebenen bedingte. 
Man hat znmal in unseren Tagen, wo der Stil zu einem 
abstrakten Begriff wird, der an sich schön und gut sein 
soll und namentlich gefällt, wenn er primitiv wirkt, 
allen Grund, diese Einschränkung zu betonen. Was 
den engeren Begriff der Karikatur bestimmt, uns also 
veranlaßt, Daumicr einen Karikaturisten zu nennen, 
Michelangelo nicht, ist eine ganz äußerliche Frage sehr 
veränderlicher Konvention. Wir wissen heute schon bei 
vielen Zeichnungen der Vergangenheit nicht mehr recht, 
wie weit sie ernst gemeint waren, und brauchen uns auch, 
solange wir nur die Kunst betrachten, nicht im irc- 
ringsten darum zu kümmern; denn solange ist jedes Kunst- 
werk ernst gemeint. Der äußerliche Unterschied beruht 
lediglich auf einer Stoffrage und rührt davon her, daß 
das vereinfachte Motiv auf aktuelle Vorstellungen im 
Geiste des Betrachters stößt. Darunter verstehe ich solche, 
die in groben Umrissen bereits irgendwie vorbereitet sind. 
Sie werden von dem Karikaturisten benützt, entweder 
durch Anschluß an sie, indem er sie mit der Form über- 
trifft, d. h. noch wahrscheinliclier und sicherer macht, 
oder durch den Widerspruch gegen sie, indem er die 
Opposition durch die Form überwindet. Das heißt also: 
die Form ist die Waf e, nicht etwa der Witz. Diesen 
fügt vieknehr der Betrachter aus dem Subjektiven hinzu. • 
Der wachsende Tridb der Indtvidualisierung bewiikt, 
daB das klassische Beispiel des Don Quichotte heute 
immer weniger Parallelen findet, während die oppo- 
nierende Karikatur zunimmt. Je mehr sich die Masse 
ausbreitet, desto energischer wehrt sich der einzelne. 



GENIE UND FLEISS 



Nun wäre nichts verkehrter, als von Menzel bewußte 
Kaiikatnren zu fordern. Ebenso gut könnte man irgend 
dnem großen Dichter vorwerfen» seine Kunst nicht 
mit der aktuellen Satire erwiesen zu haben, und würde 
damit stets nur eine Entwertung des Werkes fordern. 
Dagegen bleibt die Forderung der Vereinfachung be- 
stehen, die wir in allen großen Künstlern erfüllt finden. 
Diese Forderung aber ist nur scheinbar rein artistischer 
Art. Als solche wäre sie allen möglichen Kontroversen 
unterworfen. Sie besteht aber nicht nur in unserer 
Erfahrung, auf Grund kunstgeschichtlicher Verj^leiche 
mit allen nur möglichen hervorragenden Erscheinungen 
verschiedener Epochen, sondern als natürlicher Träger 
unserer Vorstellungen von der Kunst, als elementarer 
Grundsatz, der für den höheren Nutzwert der Kunst 
wesentiicli ist. Das berühmte Wort eines Malers vor 
den Fresken Michelangelos: Das ist ja Daumier! deutete 
nicht allein eine artistische Beziehung an. Dieser Sinn 
wäre in Anbetracht der enormen Überlegenheit des 
Meisters der Sixtinischen Kapelle kindisch und frivol 
gewesen und liatie Daumier notwendig unrecht getan. 
Tatsachlich aber wuchs Daumier mit diesem Vergleich 
in der Achtung des Betrachters, weil erkannt wurde, 
daß hier ein weit größeres Genie in seiner Art dieselbe 
individuelle Erfassung einer der ganzen Welt geläufigen 
Vorstellung zeigte, die Daumier in seiner Wdt ebenso 
selbständig sehen Hefi. Zu der Verei&fachung tritt also 
die Selbständigkeit als unentbehrliche Ergänzung. Sie 
deutet schon die Bedeutung des Menschlidien in dieser 
scheinbar nur bmstwissenschaftlichen Frage an. Denn 
die Selbständigkeit erwächst natürlicherweise nicht aus dem 
Handwerk oder ans der Aufgabe, sondern kann immer 
nur von der Persönlichkeit als solcher gebracht weiden. 

Über die Peisdnlichkeit in der Kunst ist schon so 
viel geschrieben worden, daß der Begriff unter der Last 



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MENZELS STELLUNG ZUR GEGENWART 251 



der Aualegungen venchwindet. Die oben angedeutete 
Hteraiische Qudle deutscher Knnstanschaanng trieb 
immer dahin, den Begriff za wörtlich zu nehmen und 
auf seiner oberflächenhaften Sichtbarkeit zu bestehen. 
Sie legte das Geforderte in das Bild, statt hinter 
das Bild, wo es hingehört. Denn nur in der Verschmel- 
zung mit dem Kunst-Apparat kann das Persönliche 
den Wert behaupten, nicht dadurch, dafi es sich über 
den Apparat erhebt. Wir finden es genau wie im 
Leben als die Kraft, die die Teile zum Ganzen ver^ 
bindet. Es geht uns nichts an» solange es nicht diese 
Wirkung ausübt. Wir können also das Wesen des Per- 
sönlichen lediglich aus der Form des Werkes erkennen. 

Bei Menzel steht nun, nachdem die Schwächen des 
Werkes offenbar wurden, nichts im Wege, in der Per- 
sönlichkeit nach den Gründen zu suchen, und da möchte 
man das, was ihn abhielt, sich der nicht-aktuellen Kari- 
katur, der Kunst schlechtweg, zu ergeben, einen Mangel 
an politischem Instinkt nennen. Das sei zunächst — • 
um den Leser zu beruhigen, daß hier nicht Dinge in 
die Kunst gezogen werden, die nichts mit ihr zu tun 
haben — nur als Analogon gemeint. Der Instinkt des 
Politikers und der des Künstlers sind verschiedene Aus- 
flüsse aus derselben Quelle, und es scheint mindestens 
sehr wahrscheinlich, wie ich schon an anderer Stelle 
andeutete, daß ein Volk ohne starken politisclien Instinkt 
auch nicht in der Kunst zu besonderen Leistungen be- 
fähigt ist; es steht fest, daß alle Kunst-produzierenden 
Völker starke Politiker waren und sind. Der Zu- 
sammenhang ist ganz natürlich und kann nur dem 
entgehen, der die Kunst als einen nebensächliehen 
Separatbetrieb auffaßt, nicht in ihr die natürliclie 
Spitze eines organischen Gebäudes sieht. Künstler und 
Politiker bedürfen der Erhabenheit eines gesicherten 
Standpunktes, um das Zusammenwirken der Dinge 



252 GENIE UND FLEISS 

ZU erkeimeii) der ^nzelheit ihr Recht zn geben und 
darüber nicht das Interesse des Ganzen außer acht 
zu lassen. Man könnte dasselbe von jedem Beruf sagen, 
es gilt aber zumal von der Politik, weil ihr Element^ 
die Beziehung der Menschen untereinander, von nicht kon- 
trollierbaren Faktoren relativ unabhängig ist, während in 
anderen Wissenschaften die Beziehung des Menschen zu 
einem Dritten der Forschung natürliche Hindernisse in 
den Weg stellt. Beide, Politiker und Künstler, gelangen 
zu ihrem Standpunkt nur mit Hilfe starken Intellektes 
und behalten ihn nur mit Hilfe starker Moral. Was 
vorher über diese Eigenschaften gesagt wurde, läßt sich 
wörtlich auf den Politiker übertragen. Die Klarheit 
der Erkenntnis und die Treue, mit der am Erwor- 
benen festgehalten wird, machen hier wie dort den 
Wert der wirkenden Persönlichkeit. Detaillieren wir 
das Moralische, auf das es ankommt. Es besteht nicht 
in einer dem Sentimentalen willkommenen, engbrüstigen 
Duldsamkeit; denn das wäre mit der natürlichen Rolle des 
Persönlichen gesunder Menschen unvereinbar und triebe 
nur zur Phantasie- oder Ideal -Politik des schlechten 
Staatsmanns. Man kann es besser Generosität nennen, 
wenn man dem Worte die denkbar weiteste Bedeutung 
beimißt. Das heißt: die Fähigkeit, Opfer zu bringen; 
Opfer jeder Art, persönliche und andere; die Rücksichts- 
losigkeit, von sicli und anderen Hingaben zu erzwingen, 
wenn es die Sache verlangt. Das Opfer am eigenen Leibe 
steht natürhch im Vordergrund. Es wird durch das not- 
wendige Aufgehen des Persönlichen im Werke bedingt. 

Verlassen wir nun die Analogie. Wir erliennen das 
Opferungsvermögen des Künsders deutlich in der selb- 
ständigen Vereinfochnng, die wir vorher als Agens der 
Kunst gefunden haben. Wenn wir nach einem Worte 
Liebermanns die Geste der Hingabe im Kunstwerk „Weg* 
lassen** nennen^ so bezeichnet die rucbichtslose £nt- 



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MENZELS STELLUNG ZUR GEGENWART 253 



fernung aller Momente aus dem Bilde, die nicht dem 
Rhythmus dienen, nicht nur eine Artisteneigenschaft des 
Künstlers — bei uns Technik genannt — sondern eine 
moralische Qualität des Autors. So gelangen wir zu 
dem Punkt, auf den es mir ankam, zur Erkenntnis des 
Menschlichen, das der Kunst und allen anderen hohen 
Betätigungen des Menschen gemein ist. Was dort zur 
Bedeutung treibt, macht auf allen Gebieten das Allge- 
meine an der besonderen Hingabe. Daher gehört zum 
großen Künstler der große Mensch. Genie ist Größe. 

Der überwiegenden Masse der Werke Menzels fehlt 
das Karikaturhafte. Er besaß es im weitesten Umfange, 
als er den Kugler illustrierte und die dem Geist jener 
Illustrationen verwandten Werke zeichnete und malte. 
In demselben Manko Hegt der Grund, warum wir aus 
seinen Schilderungen unserer Zeit zu keiner Befriedigung 
gelangen. Denn die Schilderung müßte vom Autor etwas 
Erhebendes verraten, da in der Zeit, wie er sie dar- 
stellt, nichts dergleichen zu spüren ist. Das Erhebende 
würde, um wirken zu können, notwendig Kunst sein. 

Es fehlte ihm die Opferfreude und der Mut, aus 
dem Gegensatz zur Masse Kräfte zu ziehen. Man 
kann das sowohl w^ktlich im Sinne des Handwerks 
nehmen und darin den Grund der kontrollierbaren Schwä- 
chen seiner Bilder, des Mangels an Einheit sehen; als 
auch im übertragenen Sinne, tmd darin den Urgrund 
der in der Kunst wirksamen Schwächen des Menschen er- 
kennen. Menzel befand sich in keinem Gegensatz zu dem 
wachsenden Instinkt der Masse, er fühlte sich darin be- 
haglich und liebte ihn. Just das, was zur Karikatur heraus- 
fordert, das breite Lächeln proletarischeh Instinktes, er- 
warb sich seinen Enthusiasmus. Er kämpfte nicht gegen 
das kunstfeindliche Element, sondern unterstutzte es nut 
immer wirksameren, fast möchte man sagen, immer soll- 
derenWaf f en. Denn es läßt sich nicht leugnen, daß er in den 



GENIE UND FLEISS 



Bildern, deren Modell der „Markt von Verona" repräsen- 
dcrt, eine Vollkommenheit gewisser Fähigkeiten erreichte, 
die er vorher nicht besaß. So \dcl verschiedene Typen, wie 
auf dem Marktbild zusammengekommen sind, hat er bis 
dahin nicht zu kombinieren gewußt, und in manchen 
noch späteren Aquarellen stapelt er noch mehr Dinge in 
viel kleinerem Rahmen auf. Haufen wurde seine Leiden- 
schaft, ein nur von den Muskeln begrenztes Aufnehmen, 
das sich schließHch zu einer Lebensnotwendigkeit stei- 
gerte, wie Essen und Trinken. Die Menge sah dem 
Prozeß von weitem za und staunte über die Masse, die 
dabei herauskam, wurde sich des Ernstes dieser Funk- 
tion bewußt und bewunderte seinen Fleiß, sein Genie. 

Gegen solche Vollkommenheit wehren wir uns. Sie 
ist in dem Zeitalter, wo alles nur ans Häufen denkt, am 
wenigsten die hohe Ausnahme, in der sich eine große 
Persönlichkeit entscheidet. Auf handbreite Enge ge- 
spannte Vielseitigkeit, das Vielfache, das immer eindeutig 
bleibt, die Seligkeit kleiner Betriebsamkeit, die Wollust 
überflüssiger Mühe: nichts ist weniger Genie. Eine 
Mei^würdigkeit vielleicht, wie es det&i in unserer auf 
Spezialitäten dressierten Zeit hunderte gibt; nützlich, 
wenn man sich in den Kreis zwängt, für den sie von 
Nutzen sein kann, und vergißt, daß der Kreis selbst zur 
ewigen Nutzlosigkeit verdammt ist. Nicht Genie, sondern 
die mechanische Nachbildung eines Genies im kleinen, 
wie das Modell einer Maschine; nicht vom Zweck ge- 
nesen, sondern zwecklos; nicht groß, sondern klein im 
Kleinsten. Kein Genie, sondern ein Phänomen, dem ge- 
lingt, seine große Kraft nicht in Taten umzusetzen. 

Unsere Zeit aber steht jedem Unikum geblendet gegen- 
über. Wir eilen so geschwind durchs Leben, und was 
sich uns während dieser kurzen Spanne bietet, ist 
so verzweigt, daß nichts als die Wiederkehr desselben 
Tons, derselben Formel, desselben Bildes, sei es auch 



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MENZELS STELLUNG ZUR GEGENWART 



255 



noch so unverständlich, uns Eindruck macht wie die 
Wiederholung des Plakats an der Ecke der Häuser. Du 
bist da, folglich bist du etwas! sagt sich der eilige Blick, 
und es dauert nicht lange, so ist ein ganzes Gewebe 
flüchtiger Einbildungen darüber. Auf solche Art kann 
man sehr vieles aufnehmen, genau so viel wie es Menzel 
selber tat, viel mehr als die stillen Leute zuzeiten 
Goethes. Ganzer Welten Bilder, von denen jedes das 
nächste in Frage stellt, lassen sich, wenn man eilig ist, 
klassieren. Aus der Andacht wird Neugier, aus der Bibel 
der B deker. Wir sehen mit tausend Augen, hören mit 
tausend Ohren und unsere Rede scheint von tausend Zun- 
gen zu kommen. Nur dringt bei diesem massenhaften Auf- 
nehmen und Abgeben di r Blick nicht mehr in das nahrungs- 
bedürftige Ackerland der Seele. Man wird automatischer 
Pflug und pflügt ohne zu graben, Träger regelmäßiger 
Funktionen, wie heute neun Zehntel der Menschheit, 
So wandelt sich die Kunst zu dem Wesenlosen, über 
dessen Sinn und Zweck sich der Spießer den Kopf 
zerbricht udcI gelehrte Leute Bücher schreiben. Das 
Thema ist schon angeschlagen worden und wurde von 
betriebsamen Sozialisten cnistliait eruitert, ob die Kunst 
nötig öci, ob nicht in unserer fortgeschrittenen Zeit der- 
gleichen Merkwürdigkeiten, die sich dem regelmäßigen 
Verdauungsprozeß widersetzen und nicht von Staats 
wegen geregelt werden können; ob solche Weisheit^ über 
die kdn Wdser mit dem anderen übereinstimmt und die 
Aufwand kostet, Geld, Zeit, Gedanken; ob solcher Zeit- 
vertreib dreier verrückter Menschen nicht eigentlich wert 
sei, abgeschafft zu werden. So wie man die kirchliche 
Trauung abgescha^ hat und die Privilegien des Adels. 
Es könnte frevelhaft scheinen, sich gegen solche Vor- 
schlage aufzulehnen. Übrigens scheint es, daß man ganz 
von selbst, ohne große Beschlüsse auf Grund einer still- 
schweigenden Übereinkunft zu der Lossagung gelangt. 



2$6 



GENIE UND FLEISS 



Die meisten Manifestationeii unserer dem Kult des Schö- 
nen zugeneigten Empfindungen gleichen immer mehr 
den Gefälligkeiten, die man sich in Gesellschaft zu 
sagen pflegt, und dienen dazu, die Verwandlung der 
Menschheit zu verhüllen. Unser Kunstinteresse ist die 
Höilichkeitsbezeugung an eine depossedierte Majestät. 



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CARLYLE hatte den Optimismus, immer gerade, wenn 
er sich und andere eingehend von der Verderbnis 
der Ämchauungen seiner 2>eit überzeugt hatte, za erklären, 

er habe die feste Überzeugung, es würde demnächst besser 
werden* Solche Interjektionen haben in ihrer gänzlichen 
Znsammenhanglosigkeit etwas Rührendes. Man sieht den 
unglaublich gutmütigen Menschen vor sich, den Whistler 
gemalt hat. Er dachte dann plötzlich aus einer anderen 
Richtung und glaubte seine Zeit und sich dazu vor dem 
lieben Herrgott entschuldigen zu müssen. Dachte wie Jean 
Paul in einem Briefe an Ellrodt in Baireuth: „Der enge 
Erdensohn, der nicht den Mut hätte, das Wetter eines 
Sommers als Vikariatgott zu machen, erdreistet sich, das 
Wetter eines ganzen Menschenlebens, an dessen Leitung 
das Geschick einer Nachwelt hängt, entwerfen zu wollen. 
Er betrauert andere, als gäbe es keine Zukunft dort, und 
sich, als gäbe es keine hier. Alle unsere Leidenschaften 
sind Ungläubige und Gottesleugner." Nun ist das ganz 
scholl und gut, wenn es wirklich den lieben Gott gibt, der 
für alle Dinge und auch für die Malerei in Deutschland 
sorgt. Da sich aber in unseren Zeitlauften die Zweifel 
am Dasein dieses Konservators unserer Geschicke immer 
weniger beschwichtigen lassen, wird nichts anderes übrig 
bleiben, als für unsere Gebrechen selbst einzutreten. 

Das scheint ohne strenge Kritik, namentlich ohne die 
Erkenntnis der spezifischen Lüdnn unserer eingeborenen 
Kunst nicht möglich. Der hartnackig wiederholte, zumal 
in unseren Tagen immer wieder auftauchende Versuch, 
unsere Laster zu Tugenden zu prägen, treibt uns immer 
weiter in die Irre. Und selbst die scheinbare Duldsam- 
keit gegen erkannte Schwächen unserer Helden ist ver- 
hängnisvoll, sobald das Schwache zugunsten des Irrtums 
eicpkitiert werden kann. Sehr oft hört man am Schluß 



«58 



GENIE UND FLEISS 



von Diskussionen über Halbgötter die Plirase: wo viel 
Licht» da viel Schatten! und den Vorwurf, ob ^es 
denn eine Vollkommenheit gäbe, ob es nicht besser sei, 
sich nur an das in so reichem Maße vorhandene Ge- 
lungene zu halten und das andere zu ignorieren. Das 
klingt sehr legitim und vernünftig und ist in der Tat 
ohne weitere Zusätze die selbstverständliche Vorschrift für 
vernünftige Kritik. So verstanden nämlich, daß alles 
Unwesentliche auszuscheiden hat. Das Wesentliche in 
einem Kün-^tler aber beschränkt sich durchaus nicht auf 
das Gchmgenc, ganz abgesehen von unserer beschränkten 
FähiL':keit, die reite Frucht ?u erkennen. Der Kunstler 
ist für uns das, was wir an ihm lieben, und jede vernünftiee 
Kritik lobt oder tadelt im Künstler die Liebe der anderen 
zu seinem Werke. Denn diese Liebe ist die Mutter seines 
Einflusses, des Nutzens, der jeden positiv Gesinnten, 
d. h. nationalökonomisch denkenden Gelehrten nicht am 
wenigsten interessiert. Man schätzt die Kunstwissenschaft 
zu niedrig und empört sich deshalb über Leute, denen 
der Beruf nickt gering genug dunkt, um ihn zu der 
anderen und zum eigenen Pläsier auszunutzen. Es ge- 
hört keine Anstrengung dazu, um in dieser Mißachtung 
die direkte Folge der Mißschätzung der Ehinst überhaupt 
za erkennen. Man wünscht nicht viele Worte nm eine 
Sache, die auf dem behaglichen Niveau der Gesell- 
schaftaspiele figuriert, und wehrt sich gewaltig, wenn 
aus soldier Auffassung unweigerliche Schlüsse auf weitere 
Gebiete der Gesittung gezogen werden. Es gehört zu 
der Erklärung der Debidenz eines Künstlers wie Menzel 
die Voraussetzung eines ui^eheuerlichen Verfalls des 
Volkes. Denn so gut wie jedes Land die Fürsten, die 
Staatsmanner, die Gdehrten, die Frauen und die Polizisten 
hat, die ihm zukommen, so gut hat es die Kunst, die es 
verdient. Ernste Kritik zidt in der Erforschung des 
Stückchens Kunst auf das Studium des Körpers, dem es 



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2S9 



angehört, und bessert, wenn sie fruchtbar ist, das Ganze. 
Daher ist nichts korrupter als die Phrase, daß man sich bei 
einem Kunstwerke denken könne, was man wolle, tmd da- 
her jede Darstellung der Gedanken über Kunst proble- 
matisch bleibe. Das gilt immer nur von den Gedanken 
des Menschen, der solche Dinge sagt. Denn ihm wird die 
Kunst immer nur Zeitvertreib sdn, nicht der große 
Messer der Kultur des Volkes, seiner Seele, seines Genies. 

Wir müssen das Genie lieben unserer Rasse wegen, 
weil wir sonst untergehen, moralisch und physisch. Der 
Wahnsinn, zu glauben, man kenne ein Reich mit 
Festungen, Soldaten, Maschinen und Geld vor dem 
Untergang schützen, bedurfte nicht der jüngsten Er- 
eignisse, um geahnt zu werden. Die Seele ist nicht 
lediglich dazu da, um uns einen etikettierten Unterschied 
vom Tier zu geben, sondern die geeinte Summe greif- 
barer physiologischer Funktionen, und ihre Zerrüttung 
bringt notwendig die Einzelteile zum Verfall. Auch wenn 
sich unter der Abkehr von solcher Einsicht die materiellen 
Schätze mehren, weil der Intellekt sich lediglich auf 
Häufung konzentriert und daher natürlicherweise hier 
reicher produziert als je zuvor: nur dem Blinden entgeht 
das Bclant'lose solcher Argumente lur die Blüte. Ein 
Volk, das seine Gaben lediglich, m tote Dinge verwandelt, 
deren Transportfähigkeit das Leblose verdeckt, leert sich 
notwendig aus. Der Materialismus ist nicht der Seele 
wegen verderblich, sondern weil er die Materie zerstört. 

Und weil vni das Genie, die höchste Steigerung der 
Seele, lieben müssen, deshalb haben wir so säuberlich 
wie m^lich auf die Reinhaltung des Begriffs za achten, 
denn der Wert, den wir erteilen, ist imser Wert. Daher 
haben wir Strenge an den Leuten zu üben, die oben stehen 
und nach denen sich die Blicke richten. Sicher nicht 
mit U^nlicher Beschränkung. Die Fehler großer Leute 
können ungeheuer sein, ohne da0 es sich lohnt, ohne da0 



96o 



G£iM£ UND FLEISS 



man nch erlauben darf, darüber eine 2^1e zu verlieren. Ja, 
man mag ihre Laster verherrlicfaen, wenn nur ein Funken 
von Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dafi wir ihnen die 
Größe des Restes verdanken. Ich würde verstehen, daß 
man heute großen Menschen Hekatomben opfert, so 
blutig wie das Gemetzel, das dem Manne auf dem russi- 
schen Throne dargeboten wurde. Weil die Weit die Größe 
dringender als irgend etwas braucht. Aber es gibt keine 
zu grausame Härte gegen das Genie, das seiner unwürdig 
wurde und uns um die Frucht bringt, deren Samen wir 
alle, Millionen für einen, an ihn verschwendet haben. 

Daher bedeutet uns Fleiß, die bürgerliche Tugend 
Menzels, nichts. Alte Weiber mögen sich daran erfreuen. 
Nicht Sklavenseelen, die im Joche keuchen, haben die 
Frucht zu messen, die hier fällig war. Der Fleiß war 
Laster. Menzel opferte ihm eine Helcatombe. Es hieße 
die wenigen Brosamen, die ihm achtlos entfielen, das ein- 
zige, was wir von ihm haben, zu dem übrigen werfen, 
wollte man die ungeheure Schuld leugnen, mit der er 
abtrat. Sie ist größer als die Böcklins. Böcklin hatte 
nicht im kleinen Finger die Gaben Menzels und ahnte 
nicht die Sphäre möglicher Wirkung, war durchaus tragisch 
und rein. Er hätte nicht einen Strich getan, den ihm 
sein Gewissen widerraten hätte. Sein Fehler steckte 
nicht im Willen, sondern im Bewußtsein. Sicher hat er 
unendlich schlimmere Verwirrung angerichtet als Menzel. 
Dieser war immer uneingcstandenermaßen unsympathisch 
und der Respekt vor ihm überschritt nie die Grenze 
des Platonischen. Böcklin wirkte. Das Menschliche, das 
alku Menschliche, riß jeden rnii sich fort. In ein 
paar Jahren aber, wenn der krasse Irrtum seiner Lauf- 
bahn selbst dem kleinsten Akademieschüler offenbar ge- 
worden ist, wird dieses Argument, das heute mächüg 
gegen ihn spricht, in den Hintergrund rücken, und dann 
wird man sich sagen müssen, daß der Notbehelf zu dem 



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361 



er griff, ein Ausfluß seiner beschränkten Gabe war, und 
daß nickt seine subjektive Schuld die Folgen seiner Wir- 
kung treffen. Menzels Gabe stellt schon heute außerhalb 
jeder Diskussion. Wir haben im 19. Jahrhundert keinen 
Größeren gehabt, und heute schon fordert die Lüge oder 
die Dummheit, die sich sträubt, den Wert des frühen 
Menzel in unabsehbare Höhe über den Rest zu rücken, 
das Lächeln selbst der Schüchternen heraus. Er ist nicht 
ganz davon freizusprechen, daß es nicht lediglich Mangel 
an Einsicht war, der ihn von der Bahn der Kugler- 
illustration, der frühen Zeichnungen, der Bilder vom 
,, Balkonzimmer"- bis zum „Gymnase" entfernte, — sondern 
weil die Schwächung des Künstlers Menzel dem Bürger 
Menzel vorteilhaft oder mindestens bequem erschien. 

]e u^cr< c hter man das Frühwerk schätzt, um so uner- 
bittlicher muß man logischerweise die überwältigende 
Mehrheit der Produktion Menzels als verfehlt betrachten. 
Nicht weil ihr jeder Wert abgeht. In der Folie seines 
Genies erkannten wir einen Abglanz seiner eminenten 
Begabung. Verfehlt vielmehr, weil das Versprechen des 
Künstlers, das noch über den tatsächlichen Wert der 
besten Werke hinausgeht, nicht nur nicht erfüllt wurde, 
sondern weil auch nichts geschah, um zu crtiillcn, weil 
trotz erhakener Qualitäten in den veriehlten Sachen die 
ganze Tendenz des Künstlers das Versprechen leugnet. 

Hier begegnet uns der Fall der Loslösung des Genies 
Ton dem Menschen, dessen Möglichkeit zu Beginn dieses 
Teils geleugnet wurde. Ich sagte, es gibt keine ver- 
itrtm Genies, weil sich alles in uns sträubt, die Gabe 
nicht als den unteilbaren Komplex aller die Größe 
bedingenden Eigensdiaften aufzufassen. Auch die Auifr 
nähme, die wir Her vor uns zu haben glauben, trügt natürr 
lieh. Der späte Menzel war nicht mehr genial. Aber die 
Grenze zwischen Größe und Kleinheit gibt sich hier so 
dramatisch kund, so sichtbar vom Willen abhängig, daß 



GENIE UND FLEISS 



wir von vornherein geneigt sind, einen Dualismus voraus- 
zusetzen. Und soviel steht an diesem Fall fest, und da- 
durch unterscheidet er sich TOB allen bekannten ana- 
logen Fällen: das Genie war in einem Umfang vor- 
handen, daß die Schwächung unbegreiflich erscheint. 
Es fehlt hier die Lücke, die sich im Jugendwerke anderer 
Künstler in ähnlicher Lage findet und die man zurück- 
blickend trotz aller Schönheit des Dargebotenen ent- 
deckt; sei es, daß glückliche Zufälle eine übermäßige 
Steigerung des Menschen, die aus bestimmten Gründen 
nicht dauern konnte, vollbrachten oder daß der Künstler 
auf ideal angepaßte Aufgaben fiel, die er nachher durch 
die Not gezwungen wurde, aufzugeben. Bei Menzel 
nichts dergleichen. Wir sehen ihn vor allen möglichen 
Aufgaben, mit ganz verschiedenem Material zu ganz 
verschiedenen Zeiten gleich sicher auf der Fährte 
künstlerischer Gestaltung. Er findet, ohne daß die 
geringsten äußerlichen Antriebe persönlicher Art voraus- 
gesetzt werden können, die Wirkung, die ihm vor- 
schwebt. Man muß sogar zugeben, daß er sich, so 
unsinnig es klingt, mehr gehen ließ, solange er auf 
der Höhe war, als anstrengte. So sicher gelang das 
Resultat und so bestimmt kann man nach den Proben 
auf dai durchaus Leichtgefühlte der Aufgabe schließen. 

Fehlte wirklicli die Erkenntnis des gelungenen Re- 
sultats? Man ist nach den schon in frühster Jugend 
erkennbaren Schwankungen geneigt, die Frage ohne 
weiteres zu bejahen und so jede moralische Verant- 
wordidikdt Menzels auszuschließen. Dagegen wehrt 
sich unser ganzer Instinkt. Sicher gab ihm die Natur 
das Geschenk nicht ohne bittere Sdiale» und es wäre 
leichtferdgy die psychologischen Komplikationen zu unter- 
schätzen» mit denen er sich herumzuschlagen hatte. 
Nie aber, wenn wir uns nicht ins Pathologis^e verirren 
wollen, vermögen wir uns einen Menschen, dem so rdne 



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265 



Werkeschlichter Größe gelangen, dermaßen desequilibriert 
vorzustellen, daß ihm der ganze Umfang einer Erkenntnis 
fehlen konnte, von der Bruchteile genügen mußten, nm 
ein in der Jugend so leicht behauptetes und später so 
grob vernachlässigtes Niveau der Werte zu sichern. 

Der Umstand, daß der späte Menzel den frühen 
nicht würdigte, hat für diese Betrachtung keine Be- 
deutung. Denn er ist Folec, keine Ursache. Die 
rückblickende Schätzung konnte sich selbstverständlich 
bei dem großen Unterschied der Zeiten irren. Aber 
wie läßt sich die Verschiedenheit zwischen dem Menzel 
von heute und dem von morgen erklären? Man 
hat Grund zu der Annahme, daß er in den vierziger und 
fünfziger Jahren zuweilen an demselben Tag in zwei so 
verschiedenen Welten war wie etwa Anton von Werners 
Heroentum und Manets Impressionismus. Als er die Land- 
schaften im Hotel de Rome sah, war Constable acht Jahre 
tot und genoß noch das große Prestige eines berühmten 
Toten. Ist es Klaubliaft, daß Menzel diese Kunst nicht 
schätzte, die er völlkommen selbständig zu emer Folge 
von gediegenen Werken benutzte, und daß er sich nicht 
einer Tat freute, die seine frühsten Instinkte — man denke 
an Kugler — bestätigte ! Und dann zehn Jahre darauf die 
EnthüUung in Paris und als Fo^ ein ungemein komplexes 
Werlc, die absolute Negation der scbwanCenden Zmcben- 
aseit und ein Meisterwerk, das wiederum die unbezwing- 
liehe Selbständigkeit Menzels erwies, auf keinen der 
Künstler, die er gesehen, einseitig zurückzuführen, gleich 
originell wie irgend einer der großen Maler, die sich ihm 
zeigten. Läßt sich da an der Erkenntnis zweifeln, die 
sich zum dritten Male in leuchtende Tat umsetzte! 

War die persönliche Not so groß? Oder Tielmehr, 
handelte es sich bd Menzel um eine so starke Diskrepanz 
zwischen Welt und Wille, daß der konsequenten Ver< 
folgung erkannter Ziele die Aussicht auf genügenden Er- 



264 



GENIE UND FLEISS 



werb fclÜLc? Der i'äll ist oft geniiL; dagewesen und hat 
die Schwächung entschieden. Kein Geringerer, als Millet, 
drohte im Anfang daran zugrunde zu gehen, aber der Fall 
zeigt in der Anlage keinerlei Analogie mit Menzels Sciiick- 
saL Wir wissen, daß der moralische Defdct MiUets, wenn 
dayon überhaupt die Rede sein kann, in eine Zeit fiel, in 
der er noch tastete. Die harte Not nicht allein, auch ein 
demoralisierender Lehrer verhinderten ilm, dem eigenen 
Instinkt zu folgen, aber er hatte noch nicht die Erleuch- 
tung, wo der rechte Weg lag. Als ihm zum ersten Male 
ein echter MiUet gelang, war sein Schicbal entschieden^ 
und von da an gab es keine Untreue an der erkannten 
Pflicht trotz ungeheurer Not mit Frau und Kindern. 
Diese Not war unvermeidlich infolge der Einseitigkeit 
des Miüetschen Ideals. Der Weg war zu schmal, um dem 
Publikum genügende Variationen zu bieten. Man kann 
in seinen Werken, die durchaus nicht alle auf der gleichen 
Höhe stehen, deutlich verfolgen, daß er sofort entgleiste, 
sobald er eine Erweiterung des Gebietes versuchte. 
Millets Verwandter, van Gogh, zeigte nachher eine noch 
schärfer geschliffene Einseitigkeit, der selbst die minimale 
Erwerbsmöglichkeit Millets versagt blieb. Das Mißliche 
solcher Schicksale Hegt in der Konstellation des Genies, 
das zu einer Zuspitzung treibt, ohne die nicht an* 
nähernd das Maximum der Wirkung erschöpft würde. 
Nur ein sehr geringes Nachlassen hätte van Gogh um 
jede Schönheit gebracht. Er hatte, bildlich ge- 
sprochen, nicht zehn Farben, mit denen er gefallen konnte, 
sondern zwei oder eine, und mußte versagen, sobald er 
sich nicht darauf beschränkte. Das heißt: die Wahr- 
scheinlichkeit durchzudringen und das Publikum zu er- 
obern, war vergleichsweise um hundert Prozent geringer 
als die Möglichkeiten MiUets, und um viele hundert Pro- 
zent geringer als die Chancen Corots oder Courbets, ohne 
daß deshalb Millet, Corot oder Courbet auch nur im 



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MENZELS BEDEUTUNG 



26s 



mindesten von der Bahn abzuweichen hatten, die ihrem 
Genie die günstigste war. Und obschon diese Einsicht 
eine Vorstellung von dem Ernst des Kampfes gibt, die 
unsere Achtung vor der Persönlichkeit vergrößert, wie 
gering erscheint uns schließlich das Opfer im Ver- 
gleich mit der Tat, mit den hundert Momenten, die zu 
überwinden waren, um das Werk zu vollbringen! Wir 
begreifen an der Schönheit, die heute unter den Namen 
Millet, Corot, Courbet, van Gogh sichtbar unter uns wan- 
delt, ohne weiteres, daß nichts MenschUches zu viel war, 
um sich solchem Dienste hinzugeben, und daß die Freude 
an der eigenen Tat groß genug sein mußte, um selbst die 
ganze Existenz als Einsatz für die Kunst zu wagen. 

Menzel dagegen war insofern begünstigt, als ihm eine 
verhältnismäßig große Variation der Äußerung von Natur 
aus zu Gebote stand. Schon die seltene Fähielcit, sich 
als Illustrator im Dienste der Geschichte vollkommen 
auszusprechen, verminderte die Fährnisse des Debütanten. 
Sie verschaffte ihm eine Erwerbsquelle, mit der Leute 
wie Guys, ohne die überwältigende Vielheit des übrigen, 
ihr Leben frineten. nicht ohne bis zuletzt elan/.rnde 
Dinge hervorzubringen ; der Leute wie Daumicr noch 
die Möglichkeit absparten, ihrer geheimsten und höchsten 
Leidenschaft, der Malerei, zu frönen. Ich weiß nicht, 
ob die Chancen des „Balkonzimmers** und des „Gymnase", 
das Publikum zu erobern, geringer waren als die der Don 
Quichotte-Bilder und Quai-Szenen Daumiers. Da0 eine 
so isolierte Potenz wie Menzel unter den glücklichen Ver- 
hältnissen seines Debüts dahin gelangen konnte, auch den 
schwerer verständlichen Seiten seines reichen Wesens nach 
und nach Geltung zu verschaffen, sollte man annehmen. 
Es fragt sich: hat er es überhaupt versucht? Ich hab6 
vergeblich die Menzelliteratur und Zeitberichte nach dem 
geringsten Anhalt für solcheVermutungen durchsucht. Ober 
Böcklki, Feuerbach, Marpes, Leibi und viele andere fehli 



GENIE UND FLEISS 



es nicht an unzweideutigen Dokumenten für diese be- 
achtungswerte menschliche Seite ihres Wirkens. Dagegen 
scheint dem Greis zuweilen das Verfehlte seiner Künstler- 
laufbahn aufgegangen zu sein. Die Worte, die er im 
April 1903 zu einem Besucher sagte: „Die Hälfte meines 
Lebens bestand aus Reue," sind tragischen Geistes voll. ^) 
Menzel iiatte das Zcul^^ zu einem sehr großen Künstler. 
Von dem nur durcli die Virtuosität modifizierten Einerlei 
der Masse hebt sich das Bedeutende wie ein fremder 
Körper ab, der etwa nur die Färbung mit dem Reste ge- 
mein hat. Es efschmiit beiin näheren Studium wie das 
En^gengeaetzte der schlechten Eigenschaften Menzek. 
Dieses herausgeschälte Werk ohne das übrige, das man 

1) AxA Ddmar hat das Gespräch in diesem Frühjahr in der „Woche" 
mitgeteilt. Bin Auszag findet sich im ersten Apdlheft des ,,Ktm8twaTt". 

Diesem entnehme ich: >, .Sehen Sie," flüsterte ert (Menzel, während er dem 
Besucher den späten Holzschnitt ^^riedricb der Große aus dem Jahre 
1775" zeigte) »„sehen Sie, dieses s^affe, feiste Gesicht «nd die emraageii 
straffe Haltung zeigen den gealterten König. Damit bin ich zufrieden. 
Nur diese Augen kann ich nicht mehr billigen. So vermag kein alter 
Mann mehr zu gucken. Das ist gemacht und unwahres Zugeständnis an 
das stenenahlende Pafalikam. Adlerbliekt*' Erstaunt bückte ich ihn an. 
„Aber, Exzellenz/' wagte ich zu entgegnen, „Sie haben doch den Helden 
und Sieger des Siebenjährigen Krieges seinem Volk, nicht einem Publikum 
zeigen wollen I WoUen Sie solchem Mann erloschene Augen geben t" 
Measd hob idiun avadmcbvOllsn, wachsbleichen Kopf ein ivenig n 
mir empor. Seine Kinnlade bebte leise, und die Zunge stieß einigemal 
geg^ die wenigen 21ähne, als fiele ihr, das Folgende auszusprechen, be> 
aoaden sdEwer: „Das eben habe ich nicht gdrannt, übeihaupt idcht ge- 
kannl verstehen Siel" . . . Unbeirrt durch meinen stummen Versuch, 
seine imerhörtn ^Mitteilsamkeit einzudämmen, hob er das zweite Blatt, 
eine Reproduktion des „Flötenkonzertes" zum Fenster empor. Sein Ge- 
sacht 'wnrde noch ernster, und ich hatte Mfltie, seine sa einem Mnrmdn 
herabsinkenden Worte zu verstehen: „Da betrachten Sie sich mal da den 
König! Hm — er ist mir auch nicht so gehmf^pn! Der König; steht da 
wie ein Kommis, der Sonntags Muttern etwas voräütet. Da ist er doch 
nodi jnng nnd Stotel Der dicke Gotter gehArt gar nicht ins Bild, und 
die lihrif^en selien auch so hineingefabclt aus, um das große Zimmer za 
füllen. Überhaupt habe ich's blo0 gemalt des Kronleuchters w^en. In 
der ,fTaf eirunde" brennt er nicht — hier brennt erl Manchmal rent's 
IHidi« daß ich's ^malt habe: enfin bestand die Hälfte meines Lebens ana 
Reue. So oder to.*** Der Scharfotan dieser Kritik ist bewonderangswerC 



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MENZELS BEDEUTUNG 



sich Augenblick als gar nicht vorhanden denken 

kann, verrät einen ganz harmonischen Menschen, der 
verhältnismäßig wenig produzierte und nicht in die Lage 
kam, seine Gaben zur Reife zu bringen. Man könnte sich 
ihn leicht als sehr jung gestorben denken. Das Typische 
daran ist ein ganz natürlicher Instinkt, der vielerlei anfaßt 
und ohne jede Anstrengung in allem das Richtige trifft oder 
mindestens sicher andeutet* Das Mangelhafte daran läßt 
sich viel leichter abstrahieren als in hundert anderen Fällen 
der deutschen Geschichte. Es ist vielmehr ein merkbar Zu- 
fälliges, etwa davon abhängig, daß der Maler nicht das 
rechte Material zur Hand hatte, mehr eine Äußerlichkeit, 
als ein im Wesen des Künstlers begründeter, unüber- 
windlicher Defekt. Der Mann, der so malte, sagt man 
sich, müßte unter wenig veränderten Verhältnissen, in 
ein paar Jahren, Wunderdinge geben. Und zwar sieht 
man diese Art deutlich voraus, so deutlich, daß man 
glauben möchte, er hätte sie schon gemacht und, um 
uns zum Narren zu halten, die Dinge irgendwo versteckt. 

Diese greifbare Ausdehnbarkeit der Gabe Menzels 
scheint mir untrügliches Anzeichen einer durchaus geni- 
alischen Anlage. Denn ist nicht immer das in den Werken 
selbst der größten Meister genial, was sie über sich selbst 
hinausschnellcnd ahnen lassen? so daß man nicht sagen 
kann, dieses und jenes Werk ist das geniale; daß einem 
im Gegenteil bei jedem Werk, das man als Beispiel bc- 
geisterungsvoll dem Freunde preisen möchte, die Ent- 
täuschung die Lippen versiegelt, trotzdem es wunderbar 
erschien und wunderbar ist. Weil hier und da etwas 
fehlt an dem Bilde des Gottlichen, eine Kleinigkeit viel- 
leicht» die im Scheine Hauptsache wird. So geht es 
uns bei Menzel. Man sträubt sich, obwohl das Quantum 
seiner gelungenen Werke gering ist, seine edelste Eigen- 
art mit der Nennung eines Werkes, etwa des „Gynmase'' 
oder des „Balkonzimmers'S zu bestimmen. Nicht etwa» 



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GENIE UND FLEISS 



weil man in dem einen Bilde die Variation des G^en- 
standes entbehrt; denn Menzels gute Sachen sind zufällig 
ohne Ausnahme frei von jedem Genremotiv Vielmehr 
weil man die lebend gewordene Form» die Menzel nicht 
aus diesem oder jenem Motiv, sondern aus sich selbst 
heraus geschaffen hat, mit keinem Bild erschöpft glaubt. 
Für ein Genie sind die Werke nur Zustände, nicht End- 
ziele. Man kann sie das Stück Spur nennen, das auf dem 
Wege in die Göttlichkeit sichtbar gemacht wird, eine 
unendliche Kleinheit in dieser gewaltigen Perspektive. So 
gibt es kein bestes Bild Remhrandts oder Rubens', Ve- 
lazquez*, Delacroix' oder Manets, und die Beschäftigung 
mit diesen Meistern wird ihnen nicht gerecht, wenn sie 
sich an die Bilder einer willkürlichen Auswahl hält. Es 
handelt sich darum, das Stück Ewigkeit anzudeuten, das sie 
ausfüllen, und die Bahn zu zeigen, auf die sie uns locken. 
Den ganzen Lnsterblichkeitsbegriff der Kunst umfaßt das 
Paradox, daß die Werke großer Künstler unvollkommen 
sein müssen, damit sie der Enthusiasmus vollende. Das 
Fertige i^t das Talent, dem wir den Fleiß zuspraclien. 
Jean Paul unterscheidet es mit Recht als das, was ge- 
stohlen werden kann. „Anfangs bestehlen ein paar Nach- 
ahmer, dann das Jahrhundert und dann kommt das 
talentvolle Gedicht, wie ähnliche Philosophie, die mehr 
Resultate als Form besitzt, an der Verbreitung um.'* 
Dieses Stehlen vollbringt auch der Betrachter, der ein 
Werk ohne Rest zu verschlingen vermag. Jean Paul 
hätte gerade so gut statt stehlbar eßbar sagen können, 
oder „unschädlich^^ Das Talent ist immer sterblich. Man 
kaxm den Unterschied nicht besser bezeichnen als mit dem 
Veigleich Menzels mit BöckOn. Alles was vom Talent ge- 
sagt werden kann, trifft auf Böcklin zu, mag man den Um- 
fang seiner guten Zeit so weit nehmen, wie man will. Das 

^) Ich sage zufällig, denn auch wenn eine Frau mit dem Strickstrumpf 
im Balkoiiximmer säße, wie der Rest gemalt, wäre das Bild nicht anden. 



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MENZELS BEDEUTUNG 



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Untersdieidende unter seinen Werken ist nur der Gegen- 
stand. Erkennt man eins, so kennt man alle. Und was sie 
haben, ist ohne jede Schwierigkeit transportabel, eßbar 

und stehlbar. Sie enthalten, würde Jean Paul sagen, „nichts 
Vortreffliches, als was nachahmlich ist". Siehe die Folge. 

Gegen solche Aussicht konnte sich Böcklin nicht wehren; 
er war znr Wiederholung verurteilt. Menzel dagegen 
hatte es in der Hand, das, was sich seiner Ahnung bot, 
auszubauen und eine jener zauberhaften Materien zu 
schaffen, aus denen sich die Geschichte der Malerei zu- 
sammensetzt. Das unterließ er, und damit entzog er 
uns die Fähigkeit, uns seiner zu freuen. Nicht was 
durch seine Unterlassung dem Werk an Stückzahl ver- 
loren ging, kommt in Betracht. Damit haben sich die 
Amateure abzufinden. IJniiberpchbar ist die Wohltat, 
die der deutschen Kunst vorenthalten blieb, denn nichts 
war ihr so notwendig als Menzels Vollkommc nheit. 
Es bedarf heute vielleicht größerer Anstrengungen, um 
gesunde Anschauungen nach Deutschland zu bringen, 
als vor fünfzig Jahren, wenn Menzel gewollt hätte. 

Noch wichtiger aber als das Beispiel für die Künstler 
war, was Menzel jenseits von dem unscheinbaren Hause 
der Kunst, in das heute niemand hineingeht, zu wirken 
vermochte. Es lag in seiner M:u:lit, der Liste unserer 
Helden einen neuen Namen zuzufügen, groß nicht allein 
durch das, was ihm an positiven Werten gelungen wäre — » 
das können heute nur wenige schätzen — sondern leuch- 
tend durch den Mut der Oberzeugung, der weit sichtbar 
jedem, der in seinem Amt und seiner Art, sei es auch mit 
geringen Mitteln, nach Vervollkommnung strebt, Er^- 
bauung geben konnte. Das tat er nicht, und damit fehlt 
ihm das Piedestal, vor dem wir uns in Ehrfurcht neigen, 
weil dieses große Gut der Menschheit, stolz zu sein. 



GENIE UND FLEISS 



heute fast noch schneller schwindet, als die Kunst und 
daher den höchsten Wert der Seltenheit erlangt. Er. 
gab dem Liebhaber Füllsel für die Mappen und dem 
Fachmann und Psychologen ein interessantes Problem. 
Nichts für des Volkes größte Notdurft. Dafür ent« 
schädigt nichts, auch wenn wir noch ein paar Bilder 
mehr von der Art des „Gymnase" entdeckten. Wir 
lieben an Goethe nicht nur die Fülle seiner schönen 
Worte. Wir glühen für das gottliche Streben, das ihn 
zur Höhe trug. Wir lieben seine Liebe und bringen 
ihm anbetend dar, was ihn begeisterte. Kleinere Leute 
als Menzel haben den Mut gehabt, an dem es ihm gebrach, 
und wenn wir mit derselben Strenge den Schöpfer in 
ihnen betrachten, weil ihr Werk nicht Baliast werden 
darf, um so weniger zählen wir die Worte der Dankbar- 
keit, um den Menschen zu preisen und für den Mut der 
Tat zu danken, die seiner Erkenntnis höchstes Ziel war. 

Wir wissen, daß Menzel zuweilen dergleichen fühlte. 
Er teilt mit allen unseren großen Künstlern, daß er ein- 
sam und verbittert war. Aber das gehört zu seinem Ge- 
sicht, nicht zu seiner Bedeutung. Er hat nicht den An- 
spruch, der die Bitterkeit der anderen rechtfertigt. Die 
anderen litten, weil sie kämpften; er litt vielleicht, weil 
er über der vielen Arbeit das Kämpfen vergessen hatte. 

Wenn CS besser gekommen wäre, so wie es mit einem 
starken iMensclien m guter Luft kommen mußte, wäre der 
Schluß dieses langen Lebens vermutlich anders ausgefallen. 
Der Menzel der vaterländischen Historie und des Berliner 
Genrebildes bekam einen Adler, einen feinen Titel und 
ein Begräbnis erster Klasse. Es lockt uns, einen anderen 
zu träumen; den Menzel, für den ein paar hier oft ge- 
nannte Werke die ersten Etappen waren. Dieses anderen 
Lebenswerk bedurfte keines ganzen Museums, um die 
Fülle der Dinge zu bergen, und trotzdem fehlte viel- 
leicht beim Tod der Raum in der staatlichen Anstalt. 



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MENZELS BEDEOTUN6 



37t 



Auch die Zeremonie bchalf sich mit weniger Prunk. Die 
Herren im Frack, die bunten Talare, die Schießgewehre 
und Pickelhauben blieben zu Hause. Denn dieser andere 
konnte das Kunststück fertig bringen, neunzig Jahre alt 
und nicht beliebt zu werden. Sein Begräbnis war dürftig. 
In einer kleinen Straße, sehr weit von den Linden holperte 
der Wagen mit dem winzigen Sarg über das Pflaster. 
Gerade ging der Markt zu Ende. Keine der Gemüse- 
frauen sah von ihrer Kundin w^eg, und die Kutscher der 
Rollwagen drängten sich an dem Zug vorbei und machten 
einen Höllenlärm auf dem Pflaster. Nichts unterschied 
den Leichenwagen von der Totenequipage eines besseren 
Arbeiters. Dahinter gingen ein paar junge Menschen, 
biTim trauermäßig geBeidet und ohne Zylinder. Auch 
ihr ganzes Benehmen war im Grunde der Gelegenheit 
wenig angepaßt. Sie marschierten paarweise, wie es sich 
gehört, aber sprachen dabei eifrig, zuweilen sogar, wenn 
der Skandal der Straße zunahm, überlaut. £s ging in 
einem fort um den Mann in dem kleinen Saige. Dies 
und jenes kam zu Worte. Aus seiner Kunst und aus 
seinem Leben. Was jedem gerade einfiel, worüber sie 
dch geSrgert, gewundert, gefreut hatten. Dabei wurden 
sie schließlich so lebhaft, daß man hatte glauben können, 
es handle sich um einen Lebenden, nicht um einen Toten. 



INHALTSVERZEICHNIS 

DER ILLUSTRATOR ^eiie. 

ANFANG 3 
KÜNSTLER UND GESCHICHTSCHREIBER; : ; : : 7 

DAS UNHISTORISCHE MENZELS :::::::: 23 

DKR ZF.TCHNRR 

MENZELS FAVORITIN 4:^ 

FAMILIENPORTRAITS 47 

LANDSCHAFTEN ; • ; ; r r r r ; ; • r ; r 6r 

DIE SPIELART ::::::::::::::. 71 

DER MALER 

MENZEL UND CON STAHLE 83 
NATIONALISMUS: ::::::::::::: loi 
DIE I. HÄLFTE DLR FÜNFZIGER lAHRE : : : : : 121 
DAS THEATRE GYMNASE 129 

MENZEL UND DFR IMPRFSSIONTSMUS 

HYPOTHESEN ::::::::::::::: 142 
SEELE IN DER KUNST: iSQ 

DER KOMPROMTSS 

DIE LETZTEN FRIEDRICHBILDER 179 

KRÖNUNG WILHELMS L IQ3 

MASSENSCHILDERUNG: 203 

GENIE UND FT,ETSS 

DAS UNKLASSISCHE MENZELS: :::::::: 221 
MENZELS STELLUNG ZUR GEGENWART : ; ; ; ; 237 

MENZELS BEDELTTUNG :::::;::::: 257 

I 

DRUCK VON OSCAR BRANDSTETTER. LEIPZIG 



^ü63 031+ 



1- 



THE BORROWER WILL BE CHARGED 
AN OVERDUE FEE IFTHIS BOOK IS NOT 
RETURNED TO THE UBRARY ON OR 

BEI-ORL THE LAST DATE STAMFLD 
BELOW. NON-RECEIPT OF OVERDUE 
NÖTIGES DOES NOT EXEMPT THE 
BORROWER FROM OVERDUE FEES. 



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100 CAMBRIDGE STREET 
CHAKLESTOWN, MASS.